L 6 KR 1288/17 B ER

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 5 KR 927/17 ER
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 1288/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 18. September 2017 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin begehrt im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung stationäre Krankenhausbehandlung zur Versorgung mit dem Medikament Nerixia® in einem Zeitraum von 24 Monaten.

Die 1969 geborene Beschwerdeführerin ist bei der Beklagten als Rentnerin gesetzlich kran-kenversichert. Sie leidet an einer Osteogenesis imperfecta (sog. Glasknochenkrankheit, im Folgenden: OI) vom Typ Lobenstein bzw. Typ I mit sekundärer Osteoporose.

Bei der OI handelt es sich um eine seltene, autosomal dominante Erbkrankheit, die mit einer erhöhten Knochenbrüchigkeit und eine glasigen Knochenstruktur im Röntgenbild einhergeht. Da es sich um eine genetisch bedingte Störung handelt, beschränken sich die Therapiemöglichkeiten auf die Behandlung der Symptome. Das Medikament Nerixia® (Wirkstoff: Neridronat) ist in Italien zur Behandlung von OI zugelassen.

In den Jahren 2015 bis 2016 wurde der Beschwerdeführerin in stationären Behandlungen im W. R. E. 25 mg Nerixia® durch intramuskuläre Injektionen verabreicht. Zur Notwendigkeit der stationären Behandlungen eingeholte Gutachten des M. D. der Krankenversicherung (MDK) Th. vom 30. Mai 2016 und 15. Juni 2017 bestätigten diese nicht. Die Therapie hätte ambulant erfolgen können. Auch im ambulanten Bereich sei eine entsprechende und angemessene Nachbeobachtungszeit möglich.

Am 5. Dezember 2016 verordnete die Dipl.-Med. E. der Beschwerdeführerin erneut stationäre Behandlung wegen OI und sekundärer Osteoporose zur geplanten Fortsetzung der intramus-kulären, antiresorbiven Bisphosphonattherapie (2. Zyklus). Diese reichte die Unterlagen bei der Beschwerdegegnerin ein, die ihr mit Bescheid vom 7. Dezember 2016 mitteilte, dass es keiner Vorabgenehmigung der Krankenhausbehandlung im W. R. E. bedürfe. Des Weiteren könne die geplante Behandlung ambulant durch Fachärzte erbracht werden.

Hiergegen erhob die Beschwerdeführerin Widerspruch mit der Begründung, das Medikament Nerixia® solle verhindern, dass aus der Osteoporose ein Knochenbruch entstehe, zumal sie durch die OI zusätzlich gefährdet sei. Ambulant sei die Behandlung etwas schwierig umzusetzen. Sie überreichte einen Arztbrief der Orthopädischen Ambulanz am W. R. E. vom 19. Januar 2017, wonach die in den Jahren 2014 bis 2016 durchgeführte Therapie zur Verbesserung der Knochendichte von -3,3 bis -2,4 aktuell geführt habe. In diesem Zeitraum habe die Beschwerdeführerin keine neuen Frakturen erlitten. Geplant sei die weitere Behandlung für den 27. Februar 2017.

Laut Stellungnahme der Beratungsärztin Dr. W. vom 9. Februar 2017 kann die Therapie ambulant durchgeführt werden. Es würden vier Injektionen an vier Tagen in den Muskel gegeben. Es handle sich bei Erwachsenen immer um einen Off-Label-Use. Besonders wirksam sei die Bisphosphonattherapie in der Phase des Skelettwachstums. Eine Kostenzusage über vier Tage stationärer Behandlung könne nicht erteilt werden, gegebenenfalls käme ein Behandlungstag in Betracht. Laut Gutachten des MDK vom 9. Februar 2017 ist Nerixia® in Deutschland nicht zugelassen. Die stationäre Behandlung zur Therapie mit Nerixia® könne insofern gutachterlich nicht befürwortet werden. Inwieweit gegebenenfalls eine Bisphosphonattherapie mit einem in Deutschland zugelassenen Medikament erfolgen könnte, müsse vom behandelnden Arzt eingeschätzt werden. Die Zulassung der Bisphosphonate für die OI bzw. sekundäre Osteoporose sei dabei zu beachten.

Mit Bescheid vom 16. Februar 2017 lehnte die Beschwerdegegnerin die Kostenübernahme für eine stationäre Krankenhausbehandlung ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 31. März 2017 wies sie den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat die Beschwerdeführerin am 13. April 2017 beim Sozialgericht (SG) Klage erhoben (Az.: S 5 KR 1219/17) und vorläufigen Rechtsschutz bezüglich der Übernahme der Kosten für stationäre Behandlungen beantragt. Ein anderes Medikament komme für sie nicht in Frage. Nerixia® sei nicht austauschbar und das Beste unter den zugelassenen Medikamenten. Es bediene beide Krankheiten perfekt, stabilisiere ihre OI und heile die Osteoporose. Sie hat einen Arztbrief des Prof. Dr. S. vom 20. Juli 2017 vorgelegt, wonach zur Behandlung der OI innerhalb der EU nur das Bisphosphonat Neridronsäure/Neridronat (Nerexia®) zugelassen sei. In einer Langzeitstudie habe die Medikamentensicherheit bei der Behandlung von Erwachsenen (Viapiana et. Al, 2017) belegt werden können. Aus diesen Gründen stelle die Bisphosphonatbehandlung mit Neridronat den "Goldstandard" zur medikamentösen Behandlung der OI dar. Die Beschwerdegegnerin hat eingewandt, es fehle sowohl an einem Anordnungsanspruch als auch an einem Anordnungsgrund. Sie hat ein weiteres Gutachten des MDK vom 29. Juni 2017 vorgelegt, wonach die Behandlung der sekundären Osteoporose mit Bisphosphonaten erfolgen könne, welche den Knochenabbau hemmten. In Deutschland seien die Bisphosphonate lediglich zur Behandlung der Osteoporose und Behandlung von Knochenmetastasen z.B. bei Brustkrebs zugelassen. Die Behandlung der bei der Beschwerdeführerin vorhandenen sekundären Osteoporose könne hier z.B. mit Alendronsäure, Ibandronsäure oder Risedronsäure erfolgen. Nach dem Gutachten des MDK vom 17. August 2017 kommt der Import des Arzneimittels Nerixia® im vorliegenden Fall nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen gemäß der aktuellen Rechtsprechung nicht vollständig erfüllt seien. Eine lebensbedrohliche bzw. tödliche Erkrankung im Sinne einer notstandsähnlichen Situation bestehe nicht. Mit symptomatischen Behandlungsmethoden wie Marknagelung und Physiotherapie stünden in ausreichendem Maße Behandlungsalternativen zur Verfügung. Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des therapeutischen Einsatzes von Neridronsäure zur Behandlung bei OI seien bisher nicht hinreichend in klinischen Studien belegt. Bei den von Prof. Dr. S. zitierten Studien handle es sich unverblindete unkontrollierte klinische Prüfungen (Adami et al. bzw. Gatti et al.) sowie eine Anwendungsbeobachtung (Viapiana et al.) mit jeweils unzureichender Evidenz. Es seien weitere Studien erforderlich.

Mit Beschluss vom 18. September 2017 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und zur Begründung u.a. ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe keinen Anspruch auf Versorgung mit Nerixia®, denn dieses besitze weder die erforderliche Zulassung in Deutschland noch bestehe Anspruch auf eine Versorgung nach den Grundsätzen des Off-Label-Use. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 2 Abs. 1a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) oder bei grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts. Die Beschwerdeführerin könne mangels indikationsbezogener Zulassung von Nerixia® in Deutschland bzw. europaweit die Versorgung mit dem Arzneimittel nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Fall 1 i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht beanspruchen. Eine Zulassung allein in Italien genüge nicht. Die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use lägen nicht vor, weil es an einer aufgrund der Datenlage begründeten Erfolgsaussicht der Behandlung fehle. Eine kontrollierte klinische Prüfung der Phase III nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts liege nicht vor. Ein unmittelbarer Leistungsanspruch aus der Verfassung sei deshalb nicht gegeben, weil trotz der Schwere der Erkrankung nicht ersichtlich sei, dass sich innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums ein voraussichtlich tödlicher Krankheitsverlauf bzw. der Eintritt einer wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung einstellen werde. Die bloße Möglichkeit zukünftiger Knochenbrüche genüge nicht. Auch ein Seltenheitsfall im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts liege nicht vor. Ein Anspruch bestehe schließlich auch nicht im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung nach §§ 27 Abs. 1, 39 Abs. 1 SGB V i.V.m. § 137c Abs. 3 SGB V.

Hiergegen hat die Beschwerdeführerin am 5. September 2016 Beschwerde eingelegt und vor-getragen, es gebe durchaus Studien, die die Wirksamkeit von Nerixia® bei Kindern und Ju-gendlichen belegten. Dies müsse dann erst recht für Erwachsene gelten.

Der Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 18. September 2017 aufzuheben und ihr vorläufig bis zum Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache stationäre Behandlungen zur Injektion von Nerixia® in einem Zeitraum von weiteren 24 Monate als Sachleistung zu gewähren.

Die Beschwerdegegnerin beantragt sinngemäß,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält an ihrer Ansicht fest.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Beschwerde- und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beschwerdegegnerin Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidung gewesen ist.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Zur Begründung verweist der Senat nach § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG auf die Gründe II des erstinstanzlichen Beschlusses, denen er sich anschließt. Ergänzend weist er darauf hin, dass die Notwendigkeit der beantragten stationären Behandlung ebenfalls nicht glaubhaft gemacht ist. Diese hatte der MDK bezüglich der vorausgegangenen stationären Behandlungen nachvollziehbar verneint. Ebenso fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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