Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 32 KR 754/03
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 47/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen. 2. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Versorgung mit einer operativen Brustverkleinerung im Streit.
Die jetzt 37-jährige Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie wurde im September 2001 von einem Kind entbunden. Seit Ende November 2001 ist sie wegen Beschwerden an der Wirbelsäule in fachärztlicher Behandlung. Unter dem 11. Juli 2002 begehrte sie unter Vorlage eines Attestes der Ärzte für Orthopädie, Chirotherapie und Sportmedizin Dr. M. und W. von ihrer Krankenkasse die Versorgung mit einer operativen Brustverkleinerung. Die Ursache ihrer Rückenbeschwerden sei eine Fehlstatik der Wirbelsäule, welche durch eine ausgeprägte beidseitige Mammahyperplasie bedingt sei. Die Beklagte holte eine Stellungnahme nach Aktenlage des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein und lehnte das Begehren mit Bescheid vom 17. Juli 2002 ab. Leider gelange der MDK zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die begehrte Maßnahme nicht gegeben seien. Es werde eine ambulante orthopädische Therapie und Wirbelsäulengymnastik empfohlen. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und trug vor, die vom MDK empfohlen Maßnahmen seien bereits in der Vergangenheit mehrfach durchgeführt worden, ohne dass es zu einem positiven Ergebnis gekommen sei. Darauf hin veranlasste die Beklagte eine Untersuchung der Klägerin durch den MDK. Dieser gelangte nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 24. September 2002, bei der ein Körpergewicht (halbbekleidet) von 76 kg bei einer Körpergröße von 167 cm festgestellt wurde, in seinem schriftlichen Gutachten vom selben Tage zu dem Ergebnis, dass eine medizinische Indikation für die geplante Mamareduktionsplastik nicht bestätigt werden könne. Es liege nur eine mäßige Mammahypertrophie sowie eine mittelgradige postpartale (= nachgeburtliche) Erschlaffung der Brüste vor. Bezogen auf die Gesamtkörperproportionen entspreche ein Brustgewicht von ca. 500 Gramm pro Seite der Norm, sodass lediglich eine Reduktionsgewicht von ca. 400 Gramm pro Seite anstehe. Ein Resektionsgewicht dieser Größenordnung könne sich kaum wesentlich auf die geklagten Rückenbeschwerden auswirken. Auch gebe es bis heute keine wissenschaftlich validen Studien, die einen Zusammenhang zwischen Rückenbeschwerden und Brustgröße einerseits sowie zwischen Besserung der Beschwerden und Resektionsgewicht andererseits bestätigten. Vorrangig sei eine orthopädische Behandlung der Rückenschmerzen mit einer Schmerztherapie und einer Psychotherapie zur muskulären Stabilisierung der Wirbelsäule, welche gegebenenfalls durch ergänzende Maßnahmen wie Rückengymnastik, Schwimmen, Funktionstraining oder Rehabilitationstraining unterstützt werden müsse. Nachdem die Klägerin in Kenntnis dieses Gutachtens die Voreingenommenheit des Gutachters und eine fehlerhafte Sachverhaltsermittlung gerügt hatte, gab die Beklagte beim MDK ein weiteres Gutachten nach ambulanter Untersuchung der Klägerin in Auftrag. Der MDK untersuchte die Klägerin erneut am 15. Januar 2003 und stellte Normalgewicht sowie eine mittlere Mammahypertrophie beiderseits und mittlere Ptose fest. Gleichwohl könnten die von der Versicherten geklagten Beschwerden durch die geplante Operation nicht nachgewiesen verbessert werden, denn durch die Befunde würden noch als regelrecht anzusehende anatomische Normvarianten nicht deutlich überschritten. Eine Erkrankung im leistungsrechtlichen Sinne liege nicht vor. Unter Hinweis auf diese Einschätzung wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen ihre Entscheidung durch Bescheid vom 27. März 2003 als unbegründet zurück. Auf den Widerspruchsbescheid wird Bezug genommen.
Daraufhin hat die Klägerin fristgerecht Klage erhoben. Das Sozialgericht hat Befundberichte ihrer Gynäkologin sowie ihres behandelnden Orthopäden eingeholt und die Klägerin durch die Oberärztin der chirurgischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses B., Dr. G., ambulant untersuchen und anschließend schriftlich begutachten lassen. Dr. G. gelangt in ihrem schriftlichen Gutachten vom 11. September 2004 (Blatt 53 ff. der Gerichtsakte) zu der Einschätzung, dass aus chirurgischer Sicht die medizinische Notwendigkeit für eine operative Brustverkleinerung bestehe. Es liege eine pathologische Vergrößerung der Brust vor, die die Norm überschritten habe und eine Fehlentwicklung darstelle. Die Patientin weise nach konsequenter Gewichtsreduktion nunmehr ein altersentsprechendes Idealgewicht auf, während sich das Brustvolumen im Vergleich zu den Voruntersuchungen trotz dieser Gewichtsabnahme nicht verringert habe. Durch Gipsabdruck ermittelt ergebe sich für die rechte Seite 1150 Gramm und für die linke Seite 1100 Gramm. Zudem wiesen die Drüsenkörper in beiden Brüsten in den äußeren Quadranten multiple kleinknotige Veränderungen im Sinne einer Mastopathie auf, was zu Schmerzen in der Brust führe und mit jeweils menstruell verstärkten Spannungsbeschwerden einhergehe. Mammahypertrophie und Ptosis trügen zur Verstärkung dieser Beschwerden durch die zusätzliche Zugbelastung bei. Dies erkläre sich aus den anatomischen Gegebenheiten. So erfolge die sensorische Innervation der Brust hauptsächlich über die supraclavikulären Nerven der HWS-Segmente C 3 und C 4 des zervikalen Plexus und aus den Ästen der Intercostalnerven, die die unteren Brustanteile innervierten. Dies begründe hinreichend, dass ein Zuggewicht von 2,25 kg zu Beschwerden auch in Schulter, Nacken und oberer Brustwirbelsäule führen müsse. Schließlich bestünden Fehlhaltungen der Hals- und Brustwirbelsäule, die bereits zu muskulären Reizzuständen der Schulter-, Nacken- und Rückenmuskulatur geführt hätten. Zwar sei die Hypertrophie der Brüste hierfür nicht ursächlich, jedoch erführen diese Beschwerden durch das überdimensionierte Brustgewicht eine Verstärkung, so dass der Erfolg physikalischer Behandlungsmaßnahmen immer wieder scheitere. Die Brustgröße hänge auch nicht nur vom Körpergewicht, sondern davon unabhängig von hormonellen Einflüssen ab. Ausweislich der vorliegenden Befundberichte seien die Beschwerden auch erst seit der durch die Schwangerschaft bedingten erheblichen Brustvermehrung aufgetreten. Durch die Operation seien sie zu bessern. Eine medizinische Indikation für eine Brustverkleinerung sei entsprechend den Leitlinien der deutschen Gesellschaft für plastische Chirurgie ab einem Reduktionsvolumen von 500 ccm pro Seite anzunehmen. Dieses sei hier erreicht. Auf das Gutachten wird ergänzend Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat der Klage durch Urteil vom 1. Juli 2003 stattgegeben und die Beklagte zur Gewährung der begehrten operativen Brustverkleinerung verurteilt. Die Klägerin leide unter außergewöhnlich großen Brüsten. Medizinisch sei von einer sogenannten Makromastie des Grades III auszugehen. Diese stelle unabhängig von Folgeerkrankungen immer dann einen regelwidrigen Körperzustand da, wenn sie allgemein zu Funktionsbeeinträchtigungen und zu Behinderungen im Bereich des täglichen Lebens führe. Insoweit habe die medizinische Sachverständige nachvollziehbar dargelegt, dass die bestehenden Fehlhaltungen der Hals- und Brustwirbelsäule durch das vorhandene überdimensionierte Brustgewicht eine anhaltende Verstärkung erführen. Dies sei auch für den medizinischen Laien nachvollziehbar und folgerichtig. Auf die Entscheidung wird Bezug genommen. Sie ist der Beklagten am 15. Juli 2001 zugestellt worden.
Die Beklagte hat am 12. August 2005 Berufung eingelegt. Zwar bestehe eine Makromastie, diese besitze jedoch keinen Krankheitswert. Es sei nicht schlüssig, wenn die Gutachterin ausführe, dass die bestehende Fehlhaltung der Hals- und Brustwirbelsäule durch das vorhandene überdimensionierte Brustgewicht verursacht werde. Es fehlten anerkannte Studien, die insoweit einen kausalen Zusammenhang belegten. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei geklärt, dass Grundvoraussetzung für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht eine Krankheit sei, die nur vorliege, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt werde oder die anatomische Abweichung entstellend wirke.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 1. Juli 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung. Die von der Beklagten vorgeschlagenen weiteren therapeutischen Maßnahmen seien nicht geeignet, die erheblichen körperlichen Beeinträchtigungen, die Schlafstörungen und die Schmerzen zu beseitigen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die ausweislich der Niederschrift über die öffentliche Senatssitzung am 10. Mai 2006 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ist nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und im Übrigen zulässig, namentlich fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.
Die Berufung ist aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides verpflichtet, der Klägerin die begehrte Behandlung zu gewähren.
Nach § 27 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheits¬beschwerden zu lindern. Krankenbehandlung umfasst auch Krankenhausbehandlung. Damit setzt die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung stets eine "Krankheit" voraus. Nach einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung wird mit "Krankheit" ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand beschrieben, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (vgl. nur Bundessozialgericht, Urt. vom 19. Oktober 2004 – B 1 KR 9/04 R, juris, m. Nachw.). Danach kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert zu. Vielmehr ist dies nur dann der Fall, wenn der Versicherte durch die Unregelmäßigkeit in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (Bundessozialgericht a.a.O.). Krankenbehandlung ist geboten, wenn durch sie der regelwidrige Körper- oder Geisteszustand behoben, gebessert, vor einer Verschlimmerung bewahrt wird oder Schmerzen und Beschwerden gelindert werden können.
Bei der Klägerin liegt eine Krankheit vor. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens besteht bei ihr eine Mammahypertrophie III. Grades mit einem Brustvolumen von 1100 ccm bzw. 1150 ccm. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit und bedarf deshalb weiterer Erörterung nicht. Hierbei handelt es sich nach Auffassung der medizinischen Wissenschaft um einen regelwidrigen Körperzustand. Dies folgt aus dem medizinischen Sachverständigengutachten der Frau Dr. G. und den dort angeführten Leitlinien der Vereinigung der Deutschen Plastischen Chirurgie sowie den dort angeführten weiteren Nachweisen. Dies bestreitet auch die Beklagte nicht. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht aber hierüber hinausgehend ebenfalls fest, dass dieser Zustand Krankheitswert besitzt, weil er bei der Klägerin zu Funktionsbeeinträchtigungen führt. Wie den Befundberichten der die Klägerin behandelnden Ärzte zu entnehmen ist, leidet diese an Beschwerden an der Wirbelsäule in Gestalt von Schmerzen im Bereich der Brust- und Halswirbel. Diese haben sich seit der Geburt ihres Kindes trotz mehrfach durchgeführter Physiotherapie nicht bessern lassen. Auch dies wird von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Nach der Einschätzung der medizinischen Sachverständigen Dr. G. ist diese Therapieresistenz auf das Zuggewicht der hypertrophen Brüste zurückzuführen. Dem folgt das Gericht. Auch für den erkennenden Senat ist es schlüssig und nachvollziehbar, wenn die medizinische Sachverständige das Auftreten der Schmerzen im Bereich der – vorgeschädigten – Halswirbelsäule mit der sensorischen Innervation der weiblichen Brust erklärt, die in direktem Zusammenhang mit den HWS-Segmenten C3 und C4 steht. Es leuchtet unmittelbar ein, dass ein auf Dauer vorhandenes normwidriges Gewicht von einer Größenordnung von wie hier mehr als 500 g pro Seite über die verbindenden Nervenstränge zu Schmerzempfindungen in der Wirbelsäule führt. Dem ist die Beklagte nicht substantiiert entgegen getreten, so dass eine weitere Aufklärung in diesem Punkte nicht erforderlich ist. Allein der Hinweis auf das Fehlen wissenschaftlicher Studien zur Auswirkung des Brustgewichts auf den Halteapparat gibt dem Senat vor dem Hintergrund der bisher festgestellten Tatsachen keine Veranlassung zu weiteren Ermittlungen.
Die festgestellten und bisher nicht erfolgreich behandelten Funktionsbeeinträchtigungen in Gestalt von Schmerzen im Bereich der Brust- und Halswirbelsäule lassen sich auch nicht mehr anders als durch die begehrte Operation bessern. Auch insoweit folgt der Senat der Einschätzung der medizinischen Sachverständigen Dr. G., wenn diese ausführt, dass der Therapieerfolg physikalischer Behandlungsmaßnahmen wegen des zu großen Brustgewichts immer wieder scheitern muss. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht weiter fest, dass auch andere Maßnahmen, namentlich eine weitere Reduktion des Gesamtkörpergewichts, zu der erforderlichen Reduktion des Brustgewichts nicht führen werden. Aus dem Befundbericht der behandelnden Gynäkologin vom 22. Mai 2003 (Blatt 12 der Gerichtsakte) folgt nämlich, dass die festzustellende Brustvergrößerung auf einer nicht vollständigen Rückbildung der Brustdrüsen nach Schwangerschaft und Stillzeit beruht. Hiermit in Übereinstimmung steht die Einschätzung der Frau Dr. G., die hormonelle Einflüsse verantwortlich macht. Dass diese Vergrößerung schließlich nicht auf Fetteinlagerungen im Körper der Klägerin infolge Übergewichts, sondern auf hormonelle Einflüsse infolge Schwangerschaft und Stillzeit zurückzuführen ist, lässt sich überdies zwanglos aus den aktenkundigen Umstand herleiten, dass die Klägerin ihr anfänglich infolge Aufgabe des Rauchens wegen Schwangerschaft und Stillzeit aufgebautes erhebliches Übergewicht so reduziert hat, dass sie nunmehr bei immer noch hypertrophen Brüsten das ihrer Körpergröße entsprechende Idealgewicht aufweist. Bei dieser Sachlage besteht für den Senat kein Zweifel, dass zunächst eine operative Brustverkleinerung zur Besserung der Rückenbeschwerden medizinisch indiziert ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten steht diese Sichtweise auch nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urt. vom 19. Oktober 2004, a.a.O.). Dieses hat nämlich die Frage, ob eine operative Brustverkleinerung generell ungeeignet ist, zu einer Besserung von Wirbelsäulenbeschwerden beizutragen oder ob es sich stets um eine Frage des Einzelfalles handelt, im Hinblick auf die in dem entschiedenen Fall fehlenden Funktionsbeeinträchtigungen offen gelassen. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts handelt es sich hierbei um eine Frage, die – wie geschehen – unter Heranziehung medizinischen Sachverstandes stets auf den Einzelfall bezogen zu entscheiden ist (ebenso LSG Sachsen, Urt. vom 24. September 2003 – L 1 KR 84/01 – , juris ).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision gegen diese Entscheidung nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Versorgung mit einer operativen Brustverkleinerung im Streit.
Die jetzt 37-jährige Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie wurde im September 2001 von einem Kind entbunden. Seit Ende November 2001 ist sie wegen Beschwerden an der Wirbelsäule in fachärztlicher Behandlung. Unter dem 11. Juli 2002 begehrte sie unter Vorlage eines Attestes der Ärzte für Orthopädie, Chirotherapie und Sportmedizin Dr. M. und W. von ihrer Krankenkasse die Versorgung mit einer operativen Brustverkleinerung. Die Ursache ihrer Rückenbeschwerden sei eine Fehlstatik der Wirbelsäule, welche durch eine ausgeprägte beidseitige Mammahyperplasie bedingt sei. Die Beklagte holte eine Stellungnahme nach Aktenlage des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein und lehnte das Begehren mit Bescheid vom 17. Juli 2002 ab. Leider gelange der MDK zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die begehrte Maßnahme nicht gegeben seien. Es werde eine ambulante orthopädische Therapie und Wirbelsäulengymnastik empfohlen. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und trug vor, die vom MDK empfohlen Maßnahmen seien bereits in der Vergangenheit mehrfach durchgeführt worden, ohne dass es zu einem positiven Ergebnis gekommen sei. Darauf hin veranlasste die Beklagte eine Untersuchung der Klägerin durch den MDK. Dieser gelangte nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 24. September 2002, bei der ein Körpergewicht (halbbekleidet) von 76 kg bei einer Körpergröße von 167 cm festgestellt wurde, in seinem schriftlichen Gutachten vom selben Tage zu dem Ergebnis, dass eine medizinische Indikation für die geplante Mamareduktionsplastik nicht bestätigt werden könne. Es liege nur eine mäßige Mammahypertrophie sowie eine mittelgradige postpartale (= nachgeburtliche) Erschlaffung der Brüste vor. Bezogen auf die Gesamtkörperproportionen entspreche ein Brustgewicht von ca. 500 Gramm pro Seite der Norm, sodass lediglich eine Reduktionsgewicht von ca. 400 Gramm pro Seite anstehe. Ein Resektionsgewicht dieser Größenordnung könne sich kaum wesentlich auf die geklagten Rückenbeschwerden auswirken. Auch gebe es bis heute keine wissenschaftlich validen Studien, die einen Zusammenhang zwischen Rückenbeschwerden und Brustgröße einerseits sowie zwischen Besserung der Beschwerden und Resektionsgewicht andererseits bestätigten. Vorrangig sei eine orthopädische Behandlung der Rückenschmerzen mit einer Schmerztherapie und einer Psychotherapie zur muskulären Stabilisierung der Wirbelsäule, welche gegebenenfalls durch ergänzende Maßnahmen wie Rückengymnastik, Schwimmen, Funktionstraining oder Rehabilitationstraining unterstützt werden müsse. Nachdem die Klägerin in Kenntnis dieses Gutachtens die Voreingenommenheit des Gutachters und eine fehlerhafte Sachverhaltsermittlung gerügt hatte, gab die Beklagte beim MDK ein weiteres Gutachten nach ambulanter Untersuchung der Klägerin in Auftrag. Der MDK untersuchte die Klägerin erneut am 15. Januar 2003 und stellte Normalgewicht sowie eine mittlere Mammahypertrophie beiderseits und mittlere Ptose fest. Gleichwohl könnten die von der Versicherten geklagten Beschwerden durch die geplante Operation nicht nachgewiesen verbessert werden, denn durch die Befunde würden noch als regelrecht anzusehende anatomische Normvarianten nicht deutlich überschritten. Eine Erkrankung im leistungsrechtlichen Sinne liege nicht vor. Unter Hinweis auf diese Einschätzung wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen ihre Entscheidung durch Bescheid vom 27. März 2003 als unbegründet zurück. Auf den Widerspruchsbescheid wird Bezug genommen.
Daraufhin hat die Klägerin fristgerecht Klage erhoben. Das Sozialgericht hat Befundberichte ihrer Gynäkologin sowie ihres behandelnden Orthopäden eingeholt und die Klägerin durch die Oberärztin der chirurgischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses B., Dr. G., ambulant untersuchen und anschließend schriftlich begutachten lassen. Dr. G. gelangt in ihrem schriftlichen Gutachten vom 11. September 2004 (Blatt 53 ff. der Gerichtsakte) zu der Einschätzung, dass aus chirurgischer Sicht die medizinische Notwendigkeit für eine operative Brustverkleinerung bestehe. Es liege eine pathologische Vergrößerung der Brust vor, die die Norm überschritten habe und eine Fehlentwicklung darstelle. Die Patientin weise nach konsequenter Gewichtsreduktion nunmehr ein altersentsprechendes Idealgewicht auf, während sich das Brustvolumen im Vergleich zu den Voruntersuchungen trotz dieser Gewichtsabnahme nicht verringert habe. Durch Gipsabdruck ermittelt ergebe sich für die rechte Seite 1150 Gramm und für die linke Seite 1100 Gramm. Zudem wiesen die Drüsenkörper in beiden Brüsten in den äußeren Quadranten multiple kleinknotige Veränderungen im Sinne einer Mastopathie auf, was zu Schmerzen in der Brust führe und mit jeweils menstruell verstärkten Spannungsbeschwerden einhergehe. Mammahypertrophie und Ptosis trügen zur Verstärkung dieser Beschwerden durch die zusätzliche Zugbelastung bei. Dies erkläre sich aus den anatomischen Gegebenheiten. So erfolge die sensorische Innervation der Brust hauptsächlich über die supraclavikulären Nerven der HWS-Segmente C 3 und C 4 des zervikalen Plexus und aus den Ästen der Intercostalnerven, die die unteren Brustanteile innervierten. Dies begründe hinreichend, dass ein Zuggewicht von 2,25 kg zu Beschwerden auch in Schulter, Nacken und oberer Brustwirbelsäule führen müsse. Schließlich bestünden Fehlhaltungen der Hals- und Brustwirbelsäule, die bereits zu muskulären Reizzuständen der Schulter-, Nacken- und Rückenmuskulatur geführt hätten. Zwar sei die Hypertrophie der Brüste hierfür nicht ursächlich, jedoch erführen diese Beschwerden durch das überdimensionierte Brustgewicht eine Verstärkung, so dass der Erfolg physikalischer Behandlungsmaßnahmen immer wieder scheitere. Die Brustgröße hänge auch nicht nur vom Körpergewicht, sondern davon unabhängig von hormonellen Einflüssen ab. Ausweislich der vorliegenden Befundberichte seien die Beschwerden auch erst seit der durch die Schwangerschaft bedingten erheblichen Brustvermehrung aufgetreten. Durch die Operation seien sie zu bessern. Eine medizinische Indikation für eine Brustverkleinerung sei entsprechend den Leitlinien der deutschen Gesellschaft für plastische Chirurgie ab einem Reduktionsvolumen von 500 ccm pro Seite anzunehmen. Dieses sei hier erreicht. Auf das Gutachten wird ergänzend Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat der Klage durch Urteil vom 1. Juli 2003 stattgegeben und die Beklagte zur Gewährung der begehrten operativen Brustverkleinerung verurteilt. Die Klägerin leide unter außergewöhnlich großen Brüsten. Medizinisch sei von einer sogenannten Makromastie des Grades III auszugehen. Diese stelle unabhängig von Folgeerkrankungen immer dann einen regelwidrigen Körperzustand da, wenn sie allgemein zu Funktionsbeeinträchtigungen und zu Behinderungen im Bereich des täglichen Lebens führe. Insoweit habe die medizinische Sachverständige nachvollziehbar dargelegt, dass die bestehenden Fehlhaltungen der Hals- und Brustwirbelsäule durch das vorhandene überdimensionierte Brustgewicht eine anhaltende Verstärkung erführen. Dies sei auch für den medizinischen Laien nachvollziehbar und folgerichtig. Auf die Entscheidung wird Bezug genommen. Sie ist der Beklagten am 15. Juli 2001 zugestellt worden.
Die Beklagte hat am 12. August 2005 Berufung eingelegt. Zwar bestehe eine Makromastie, diese besitze jedoch keinen Krankheitswert. Es sei nicht schlüssig, wenn die Gutachterin ausführe, dass die bestehende Fehlhaltung der Hals- und Brustwirbelsäule durch das vorhandene überdimensionierte Brustgewicht verursacht werde. Es fehlten anerkannte Studien, die insoweit einen kausalen Zusammenhang belegten. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei geklärt, dass Grundvoraussetzung für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht eine Krankheit sei, die nur vorliege, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt werde oder die anatomische Abweichung entstellend wirke.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 1. Juli 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung. Die von der Beklagten vorgeschlagenen weiteren therapeutischen Maßnahmen seien nicht geeignet, die erheblichen körperlichen Beeinträchtigungen, die Schlafstörungen und die Schmerzen zu beseitigen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die ausweislich der Niederschrift über die öffentliche Senatssitzung am 10. Mai 2006 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ist nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und im Übrigen zulässig, namentlich fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.
Die Berufung ist aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides verpflichtet, der Klägerin die begehrte Behandlung zu gewähren.
Nach § 27 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheits¬beschwerden zu lindern. Krankenbehandlung umfasst auch Krankenhausbehandlung. Damit setzt die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung stets eine "Krankheit" voraus. Nach einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung wird mit "Krankheit" ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand beschrieben, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (vgl. nur Bundessozialgericht, Urt. vom 19. Oktober 2004 – B 1 KR 9/04 R, juris, m. Nachw.). Danach kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert zu. Vielmehr ist dies nur dann der Fall, wenn der Versicherte durch die Unregelmäßigkeit in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (Bundessozialgericht a.a.O.). Krankenbehandlung ist geboten, wenn durch sie der regelwidrige Körper- oder Geisteszustand behoben, gebessert, vor einer Verschlimmerung bewahrt wird oder Schmerzen und Beschwerden gelindert werden können.
Bei der Klägerin liegt eine Krankheit vor. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens besteht bei ihr eine Mammahypertrophie III. Grades mit einem Brustvolumen von 1100 ccm bzw. 1150 ccm. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit und bedarf deshalb weiterer Erörterung nicht. Hierbei handelt es sich nach Auffassung der medizinischen Wissenschaft um einen regelwidrigen Körperzustand. Dies folgt aus dem medizinischen Sachverständigengutachten der Frau Dr. G. und den dort angeführten Leitlinien der Vereinigung der Deutschen Plastischen Chirurgie sowie den dort angeführten weiteren Nachweisen. Dies bestreitet auch die Beklagte nicht. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht aber hierüber hinausgehend ebenfalls fest, dass dieser Zustand Krankheitswert besitzt, weil er bei der Klägerin zu Funktionsbeeinträchtigungen führt. Wie den Befundberichten der die Klägerin behandelnden Ärzte zu entnehmen ist, leidet diese an Beschwerden an der Wirbelsäule in Gestalt von Schmerzen im Bereich der Brust- und Halswirbel. Diese haben sich seit der Geburt ihres Kindes trotz mehrfach durchgeführter Physiotherapie nicht bessern lassen. Auch dies wird von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Nach der Einschätzung der medizinischen Sachverständigen Dr. G. ist diese Therapieresistenz auf das Zuggewicht der hypertrophen Brüste zurückzuführen. Dem folgt das Gericht. Auch für den erkennenden Senat ist es schlüssig und nachvollziehbar, wenn die medizinische Sachverständige das Auftreten der Schmerzen im Bereich der – vorgeschädigten – Halswirbelsäule mit der sensorischen Innervation der weiblichen Brust erklärt, die in direktem Zusammenhang mit den HWS-Segmenten C3 und C4 steht. Es leuchtet unmittelbar ein, dass ein auf Dauer vorhandenes normwidriges Gewicht von einer Größenordnung von wie hier mehr als 500 g pro Seite über die verbindenden Nervenstränge zu Schmerzempfindungen in der Wirbelsäule führt. Dem ist die Beklagte nicht substantiiert entgegen getreten, so dass eine weitere Aufklärung in diesem Punkte nicht erforderlich ist. Allein der Hinweis auf das Fehlen wissenschaftlicher Studien zur Auswirkung des Brustgewichts auf den Halteapparat gibt dem Senat vor dem Hintergrund der bisher festgestellten Tatsachen keine Veranlassung zu weiteren Ermittlungen.
Die festgestellten und bisher nicht erfolgreich behandelten Funktionsbeeinträchtigungen in Gestalt von Schmerzen im Bereich der Brust- und Halswirbelsäule lassen sich auch nicht mehr anders als durch die begehrte Operation bessern. Auch insoweit folgt der Senat der Einschätzung der medizinischen Sachverständigen Dr. G., wenn diese ausführt, dass der Therapieerfolg physikalischer Behandlungsmaßnahmen wegen des zu großen Brustgewichts immer wieder scheitern muss. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht weiter fest, dass auch andere Maßnahmen, namentlich eine weitere Reduktion des Gesamtkörpergewichts, zu der erforderlichen Reduktion des Brustgewichts nicht führen werden. Aus dem Befundbericht der behandelnden Gynäkologin vom 22. Mai 2003 (Blatt 12 der Gerichtsakte) folgt nämlich, dass die festzustellende Brustvergrößerung auf einer nicht vollständigen Rückbildung der Brustdrüsen nach Schwangerschaft und Stillzeit beruht. Hiermit in Übereinstimmung steht die Einschätzung der Frau Dr. G., die hormonelle Einflüsse verantwortlich macht. Dass diese Vergrößerung schließlich nicht auf Fetteinlagerungen im Körper der Klägerin infolge Übergewichts, sondern auf hormonelle Einflüsse infolge Schwangerschaft und Stillzeit zurückzuführen ist, lässt sich überdies zwanglos aus den aktenkundigen Umstand herleiten, dass die Klägerin ihr anfänglich infolge Aufgabe des Rauchens wegen Schwangerschaft und Stillzeit aufgebautes erhebliches Übergewicht so reduziert hat, dass sie nunmehr bei immer noch hypertrophen Brüsten das ihrer Körpergröße entsprechende Idealgewicht aufweist. Bei dieser Sachlage besteht für den Senat kein Zweifel, dass zunächst eine operative Brustverkleinerung zur Besserung der Rückenbeschwerden medizinisch indiziert ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten steht diese Sichtweise auch nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urt. vom 19. Oktober 2004, a.a.O.). Dieses hat nämlich die Frage, ob eine operative Brustverkleinerung generell ungeeignet ist, zu einer Besserung von Wirbelsäulenbeschwerden beizutragen oder ob es sich stets um eine Frage des Einzelfalles handelt, im Hinblick auf die in dem entschiedenen Fall fehlenden Funktionsbeeinträchtigungen offen gelassen. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts handelt es sich hierbei um eine Frage, die – wie geschehen – unter Heranziehung medizinischen Sachverstandes stets auf den Einzelfall bezogen zu entscheiden ist (ebenso LSG Sachsen, Urt. vom 24. September 2003 – L 1 KR 84/01 – , juris ).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision gegen diese Entscheidung nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
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