L 3 RA 67/02

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 10 RA 4/01
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 RA 67/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 2. Dezember 2002 wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - ( SGB X ) die Gewährung von Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation in Form einer Umschulung zum Toningenieur streitig.

Der im Jahre 1959 geborene Kläger hat eine Berufsausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann erfolgreich abgeschlossen und war als kaufmännischer Angestellter, zuletzt in der Funktion eines Reisenden im Außendienst, bis Juni 1990 tätig, anschließend arbeitsunfähig krank. Im November 1991 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen zur beruflichen Rehabilitation. Der gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 12. August 1992 erhobene Widerspruch wurde - nachdem der Kläger ein vom Arbeitsamt finanziertes kaufmännisches Aufbautraining in der Zeit vom 1. Februar bis 30. November 1993 absolviert hatte - mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 1994 zurückgewiesen. Die vom Kläger erhobene Klage ( 10 AN 162/93 ) blieb erfolglos, die eingelegte Berufung wurde auf Grund des Ergebnisses einer Begutachtung durch den Nervenarzt Dr. L. mit Urteil vom 29. Mai 1996 zurückgewiesen ( III ANBf 38/95 ). Die dagegen vom Kläger eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundessozialgericht wurde als unzulässig verworfen ( 4 BA 130/96 ).

Im September 1998 erhob der Kläger Wiederaufnahmeklage ( 10 RA 452/98 ) mit dem Ziel, dass die bisherigen Urteile für nichtig erklärt werden. Diese Klage wurde durch Gerichtsbescheid vom 3. Februar 1999 zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung ( L 3 RA 9/99 ) nahm der Kläger am 8. September 1999 zurück, stellte aber gleichzeitig bei der Beklagten einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X.

Nachdem über diesen Antrag zunächst nicht entschieden worden war, erhob der Kläger am 19. Juni 2000 Untätigkeitsklage.

Die Beklagte, die zwischenzeitlich einen Eingliederungsvorschlag des Arbeitsamtes angefordert und erst im Juli 2000 erhalten hatte, gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 18. Juli 2000 Eingliederungshilfe in Form eines Einarbeitungszuschusses an den zukünftigen Arbeitgeber. Nachdem der Kläger gegenüber diesem Bescheid eingewandt hatte, dass eine Reintegration in das kaufmännische Berufsfeld aus gesundheitlichen Gründen unsinnig sei, und er konkret die Umschulung zu einem Toningenieur beantragt hatte, lehnte die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 4. Oktober 2000 - nach Beiziehung einer nervenärztlichen Stellungnahme - die Kostenübernahme für eine Umschulung zum Toningenieur ab. Auch gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 2000 zurückgewiesen, gegen welchen der Kläger am 2. Januar 2001 Klage erhoben hat.

Das Sozialgericht hat diese Klage durch Gerichtsbescheid vom 2. Dezember 2002 abgewiesen. Die Beklagte habe die Notwendigkeit von Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation anerkannt und im Rahmen ihres Auswahlermessens sich für Maßnahmen der Eingliederungshilfe entschieden. Diese Entscheidung sei nicht zu beanstanden. Eine Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Umschulung zum Toningenieur komme schon deshalb nicht in Betracht, weil die Beklagte hinsichtlich Art, Umfang und Durchführung von Leistungen der beruflichen Rehabilitation unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden habe. Ein Ermessensfehlgebrauch liege nicht vor.

Gegen diesen ihm am 7. Dezember 2000 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 12. Dezember 2002 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht er geltend, dass eine Umschulung zum Toningenieur die einzige Möglichkeit für ihn sei, wieder in das Berufsleben zurückzukehren.

Der Kläger beantragt nach dem Inhalt seines Vorbringens, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 2. Dezember 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Oktober 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Dezember 2000 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 18. Juli 2000 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger unter Rücknahme des Bescheides vom 12. August 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 1994 als Leistungen der beruflichen Rehabilitation eine Umschulung zum Toningenieur zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie hält ihre angefochtenen Bescheide für zutreffend.

Nachdem der Kläger eine Begutachtung durch den vom Gericht als Sachverständigen vorgesehenen Nervenarzt Dr. H. abgelehnt hatte, ist der Nervenarzt Dr. B. in seinem Gutachten von März 2004 nach Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis gelangt, bei diesem lägen eine Persönlichkeitsstörung sowie eine Neigung zu einer funktionellen Stimmstörung vor. Trotzdem könne der Kläger den Beruf eines kaufmännischen Angestellten ausüben, allerdings ohne die Notwendigkeit des übermäßigen Einsatzes seiner Stimme.

Obwohl der Kläger dieser Beurteilung widersprochen und auf vermeintliche Fehler und/oder Ungenauigkeiten in dem Gutachten hingewiesen hatte, ist Dr. B. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 27. Januar 2005 bei seiner Einschätzung geblieben.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist anschließend eine weitere Begutachtung durch den Nervenarzt Dr. L. erfolgt. Dieser ist in seinem Gutachten vom 7. November 2005 nach Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis gelangt, dass bei diesem eine Persönlichkeitsstörung sowie eine Anpassungsstörung mit depressiven Zügen vorlägen. Der Kläger könne aber noch leichte bis mittelschwere Arbeiten mit bis durchschnittlichen Anforderungen und durchschnittlicher Verantwortung vollschichtig verrichten.

Auf das Ergebnis dieser Begutachtung hat der Kläger mit Einreichung eines 25-seitigen persönlich gefertigten Schriftsatzes reagiert, in welchem er den Verlauf des Verfahrens aus seiner Sicht darstellt und allen Beteiligten einschließlich seiner im Verfahren tätig gewordenen Bevollmächtigten vorsätzliche Benachteiligung seiner Person und Rechtsbeugung vorwirft.

Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift vom 16. Mai 2006 aufgeführten Akten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im übrigen zulässige Berufung des Klägers ( §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG ) ist nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht mit seiner angefochtenen Entscheidung die auf Gewährung beruflicher Rehabilitationsmaßnahmen in Form einer Umschulung zum Toningenieur gerichtete Klage abgewiesen. Entgegen seiner Auffassung hat der Kläger keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihm über die mit Bescheid vom 18. Juli 2000 gewährte Eingliederungshilfe in Form eines Einarbeitungszuschusses an den zukünftigen Arbeitgeber hinaus weitergehende berufliche Rehabilitationsmaßnahmen, insbesondere in Form der begehrten Umschulung, finanziert.

Versicherte haben nach § 10 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – ( SGB VI ) in der hier noch anzuwendenden, bis 30. Juni 2001 geltenden Fassung Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Rehabilitation, wenn ihre Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und diese herabgesetzte Erwerbsfähigkeit durch entsprechende – hier berufsfördernde – Maßnahmen wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann. Gemäß § 16 Abs. 2 SGB VI sind bei der Auswahl der berufsfördernden Leistungen Eignung, Neigung und die bisherige Tätigkeit angemessen zu berücksichtigen. Nach § 13 Abs. 1 SGB VI bestimmt der Leistungsträger im Einzelfall Art, Umfang und Durchführung der Leistungen zur Rehabilitation unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nach pflichtgemäßem Ermessen.

Unter Berücksichtigung dieser gesetzlichen Vorgaben ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte, nachdem sie dem Kläger mit Bescheid vom 18. Juli 2000 unter Abänderung ihrer früheren Bescheide vom 12. August 1992 und 27. Juli 1994 berufsfördende Leistungen zur Rehabilitation in Form einer Eingliederungshilfe gewährt hatte, mit Bescheid vom 4. Oktober 2000 und Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 2000 die Gewährung weitergehender Leistungen – insbesondere in Form der begehrten Umschulung zum Toningenieur - abgelehnt hat. Nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Ermittlungen in Form der Einholung von nervenärztlichen Gutachten von Dr. B. und Dr. L. ( nach § 109 SGG ) kann der Kläger nämlich seinen erlernten und bis 1990 ausgeübten Beruf als Groß- und Außenhandelskaufmann nach wie vor ausüben mit allenfalls der Einschränkung, dass die Notwendigkeit des übermäßigen Einsatzes seiner Stimme nicht bestehen darf. Der erkennende Senat hat schon in seiner Entscheidung vom 29. Mai 1996 dargelegt, dass der Beruf des Groß- und Außenhandelskaufmanns ein weites Betätigungsfeld auch für qualifizierte Arbeiten bietet, die kein ständiges Sprechen erfordern und nicht mit Publikumsverkehr verbunden sind. Darüber hinausgehende Einschränkungen der Leistungsfähigkeit des Klägers sind auch von den im Berufungsverfahren angehörten medizinischen Sachverständigen nicht festgestellt worden, so dass sich die Frage stellt, ob überhaupt eine die Gewährung berufsfördernder Leistungen rechtfertigende erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliegt. Dies kann aber dahingestellt bleiben, zumal die Beklagte dem Kläger solche Leistungen mit Bescheid vom 18. Juli 2000 gewährt hat. Allerdings kann der Kläger daraus keinen weitergehenden Anspruch herleiten. Zu Recht hat bereits das Sozialgericht in seiner angefochtenen Entscheidung dargelegt, dass die von der Beklagten im Rahmen ihres Auswahlermessens getroffene Entscheidung, dem Kläger zur beruflichen Rehabilitation Eingliederungshilfe zu gewähren, nicht zu beanstanden und insbesondere ein Ermessensfehlgebrauch nicht erkennbar ist. Da die gesundheitliche Situation nach den Ergebnissen der vom Senat eingeholten medizinischen Gutachten eine kaufmännische Tätigkeit ohne besondere Anforderungen an das Sprechvermögen zulässt und ein entsprechender Arbeitsplatz mit Hilfe der gewährten Eingliederungshilfe bei entsprechender Mitwirkung des Klägers gefunden werden kann, bedarf es darüber hinaus gehender berufsfördernder Maßnahmen nicht, um die Erwerbsfähigkeit des Klägers auf Dauer zu sichern. Dass der Kläger nach seinen eigenen Bekundungen eine Abneigung gegen eine kaufmännische Tätigkeit entwickelt hat, rechtfertigt eine berufliche Neuorientierung auf Kosten der Versichertengemeinschaft nicht, zumal diese Abneigung nach den vorliegenden fachärztlichen Beurteilungen kein Ausmaß von Krankheitswert erreicht hat und deshalb den Kläger objektiv nicht an der weiteren Ausübung seines erlernten Berufs hindert.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht im Ergebnis dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Der Senat hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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