Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 10 RA 429/00
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 RA 32/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 11. August 2004 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, in welcher Höhe eine Rente der Klägerin aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf ihre Altersrente aus der Gesetzlichen Rentenversicherung anzurechnen ist.
Die im Jahre 1925 geborene Klägerin bezieht aufgrund einer Berufskrankheit seit 1949 Rente aus der Gesetzlichen Unfallversicherung. Mittlerweile erhält sie auch Rentenleistungen von der Beklagten.
Mit Bescheid vom 19. Januar 2000 bewilligte die Landesunfallkasse Freie und Hansestadt Hamburg mit Wirkung vom 1. Dezember 1996 der Klägerin Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 % statt zuvor 90 %. Daraufhin berechnete die Beklagte mit Rentenbescheid vom 18. Februar 2000 die Regelaltersrente der Klägerin ab 1. Dezember 1996 neu und stellte für die Zeit vom 1. Dezember 1996 bis 31. März 2000 eine Überzahlung in Höhe von 5.945,15 DM fest. Die Entscheidung ergehe nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X). Die Überzahlung für die Zeit vom 1. Dezember 1996 bis Ende Februar 2000 werde mit der Nachzahlung aus der Unfallrente verrechnet. Für März 2000 sei eine Überzahlung 50,51 DM entstanden, die die Klägerin zu erstatten habe.
Das Aktenexemplar des Rentenbescheides vom 18. Februar 2000 trägt den Stempel: "Bescheidnachbehandlung 23. Februar 2000."
Mit Schreiben vom 30. März 2000 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und führte aus, sie habe im Januar 2000 einen Unfall mit Krankenhausaufenthalt gehabt, so dass sie erst jetzt Widerspruch einlegen könne. Sie erhebe Einspruch gegen die Berechnung ihres Jahresarbeitsverdienstes, denn sie sei bis Dezember 1996 berufstätig gewesen und habe Beiträge gezahlt.
Am 20. April 2000 teilte die Beklagte der Klägerin mit, es sei leider versäumt worden, sie vor Erteilung des Bescheides vom 18. Februar 2000 anzuhören. Die Anhörung werde gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X nachgeholt. Die Klägerin hat daraufhin zur Begründung ihres Widerspruchs vorgetragen, die Voraussetzungen für eine rückwirkende Änderung des ursprünglichen Bescheides über ihre Regelaltersrente lägen nicht vor.
Mit Bescheid vom 1. August 2000 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 18. Februar 2000 zurück. In der Begründung heißt es, die Klägerin habe die einmonatige Widerspruchsfrist des § 84 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) versäumt. Der angefochtene Bescheid sei am 18. Februar 2000 zur Post gegeben worden und gelte nach § 37 Abs. 2 SGB X als am 21. Februar 2000 bekannt gegeben. Das Widerspruchsschreiben vom 30. März 2000 sei aber erst am 5. April 2000 eingegangen und somit verspätet. Krankheit rechtfertige die Wiedereinsetzung nur, wenn der Erkrankte willens- und handlungsunfähig und daher außerstande gewesen sei, die notwendigen Handlungen selbst vorzunehmen oder andere mit ihnen zu beauftragen. Es solle daher eine Überprüfung des Bescheides gemäß § 44 SGB X stattfinden.
Der Widerspruchsbescheid ist beim Bevollmächtigten der Klägerin am 7. August 2000 eingegangen.
Mit Bescheid vom 21. August 2000 lehnte die Beklagte eine der Klägerin günstige Entscheidung nach § 44 SGB X in Bezug auf den Rentenbescheid vom 18. Februar 2000 ab.
Am 6. September 2000 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Hamburg gegen den Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2000 Klage erhoben. Gleichzeitig legte die Klägerin gegen den Bescheid vom 21. August 2000 entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung bei der Beklagten Widerspruch ein und führte aus, sie habe gegen den Widerspruchsbescheid vom 1. August 2000 vorsorglich Klage vor dem Sozialgericht erhoben. Die Beklagte hat über den Widerspruch bisher nicht entschieden.
Vor dem Sozialgericht hat die Klägerin vorgetragen, sie habe den Rentenbescheid vom 18. Februar 2000 nicht erhalten. Anlass für ihr Schreiben vom 30. März 2000 sei gewesen, dass die Nachzahlung aus der Unfallversicherung von der beklagten Versicherungsanstalt einbehalten worden sei.
Mit Urteil vom 11. August 2004 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2000 aufgehoben, den vorangegangenen Rentenbescheid der Beklagten vom 19. Januar 2000 und die Folgebescheide geändert und die Beklagte verurteilt, die Altersrente der Klägerin ab dem 1. Dezember 1996 neu zu berechnen und bei der Anrechnung der Verletztenrente nur in der Summe beider Renten den Betrag der Altersrente einzustellen, um welchen diese den Grenzbetrag nach § 311 Abs. 5 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) abzüglich des Betrages nach § 93 Abs. 2 Nr. 2 a SGB VI (Grundrente nach Bundesversorgungsgesetz) übersteige, sowie den Differenzbetrag an die Klägerin auszuzahlen.
In den Entscheidungsgründen heißt es, die Klage sei zulässig und begründet. Der Widerspruchsbescheid vom 1. August 2000 sei schon deshalb aufzuheben gewesen, weil die Beklagte den Widerspruch zu Unrecht als verspätet zurückgewiesen habe. Es müsse berücksichtigt werden, dass die Klägerin vorgetragen habe, einen entsprechenden Bescheid nicht erhalten zu haben. Die Klage sei auch in der Sache begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2000, mit dem die Nachzahlung aus der Unfallrente mit der Altersrente verrechnet und ein überzahlter Betrag von der Klägerin gefordert werde, sei rechtswidrig. Auch der vorangegangene "Bescheid über eine Rentenerhöhung" vom 19. Februar 2000, mit dem die Beklagte eine Neuberechnung des Zahlbetrages der Regelaltersrente mit Wirkung ab 1. Dezember 1996 vorgenommen habe, weil die Minderung der Erwerbsfähigkeit nunmehr mit 100 % anzunehmen gewesen sei, verletze die Klägerin in ihren Rechten, da die Beklagte zu Unrecht bei der Anrechnung der Unfallversicherungsrente auf die Altersrente den Betrag nach § 93 Abs. 2 Nr. 2 a SGB VI nicht berücksichtigt habe. Dies ergebe sich aus der Entscheidung des 4. Senats des Bundessozialgerichts vom 31. März 1998 in der Sache B 4 RA 118/95 R (SozR 3-2600 § 311 Nr. 2), auf welche Bezug genommen werde.
Das Urteil des Sozialgerichts ist der Beklagten am 23. August 2004 zugestellt worden. Am 21. September 2004 hat die Beklagte Berufung eingelegt und ausgeführt, die Entscheidung des Sozialgerichts könne von ihr nicht hingenommen werden. Sie wie auch die anderen Rentenversicherungsträger folgten dem Urteil des Bundessozialgerichts nicht, auf welches das Sozialgericht seine Entscheidung gestützt habe.
Des Weiteren führt die Beklagte aus: Entgegen den Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 1. August 2000 könne von einer Absendung des Bescheides vom 18. Februar 2000 an diesem Tag nicht ausgegangen werden. Der Stempel "Bescheidnachbehandlung 23. Februar 2000" kennzeichne allerdings das Datum, an dem der zuständige Mitarbeiter den Bescheid zur Absendung an die Poststelle weitergegeben habe. Gewöhnlich erfolge die Absendung dann am gleichen Tag oder aber am Tag danach. Ein genaues Absendedatum könne nicht mitgeteilt werden, da derartige Vorgänge nicht dokumentiert würden. Selbst wenn man aber einen unrealistisch weiten Zeitrahmen bis zum 29. Februar 2000 ansetzen wollte, gälte der Bescheid nach § 37 Abs. 2 SGB X als am 3. März 2000 bekannt gegeben, so dass auch dann der erst am 5. April 2000 eingegangene Widerspruch verfristet wäre. Warum die Klägerin den Bescheid trotz der dokumentierten Abgabe zur Poststelle nicht erhalten haben solle, sei nicht nachvollziehbar und angesichts ihres Schreibens vom 30. März 2000 auch nicht glaubhaft. Soweit sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 11. Juni 2003 erklärt habe, Anlass für ihr Schreiben sei gewesen, dass die Nachzahlung aus der Unfallversicherung aufgrund der Erhöhung der Minderung der Erwerbsfähigkeit von der Beklagten einbehalten worden sei, stehe diese Einlassung im Gegensatz zum Inhalt des Schreibens selbst. Dort erkläre sie, sie erhebe Einspruch gegen die Berechnung ihres Jahresarbeitsverdienstes.
Des Weiteren vertritt die Beklagte die Auffassung, der Bescheid vom 21. August 2000 sei entgegen der dort gegebenen Rechtsmittelbelehrung nach § 86 SGG zunächst in das Vorverfahren einbezogen und dadurch auch Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Sie habe daher gemäß dieser Einschätzung über den Widerspruch gegen diesen Bescheid nicht entschieden.
Die Entscheidung des 4. Senats des Bundessozialgerichts sei insbesondere durch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 8. Dezember 2005 im Verfahren B 13 RJ 38/04 R überholt. Dieses stütze ihre, der Beklagten, Rechtsauffassung zum Nachteil der Klägerin.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 11. August 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts.
Die Beteiligten haben jeweils auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Die die Klägerin betreffenden Rentenakten haben vorgelegen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakten wird wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten im schriftlichen Verfahren gemäß § 124 Abs. 2 SGG.
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist in der Sache auch begründet. Das Sozialgericht hätte der Klage nicht stattgeben dürfen.
Die Klage ist schon mangels Durchführung eines ordentlichen Vorverfahrens gemäß § 78 SGG nicht zulässig. Die Klägerin hat nämlich die einmonatige Widerspruchsfrist gegen den mit richtiger Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid vom 18. Februar 2000 versäumt. Der am 5. April 2000 bei der Beklagten eingegangene Widerspruch hat die Monatsfrist gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht gewahrt, da der Bescheid der Klägerin bereits vor dem 5. März 2000 bekannt gegeben worden war.
Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt bei Übermittlung durch die Post im Inland am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Zugangsfiktion tritt zwar grundsätzlich nicht ein, wenn die Akte der Behörde keinen Vermerk über den Tag der Aufgabe des Schriftstücks zur Post enthält; in diesem Fall muss die Behörde den Zugang nachweisen (von Wulffen, SGB X, Kommentar, 5. Auflage, § 37 Rdnr. 12). Im vorliegenden Falle dokumentiert nach Auffassung des Senats jedoch der auf dem Bescheid zu findende Stempel "Bescheidnachbehandlung 23. Februar 2000" im Zusammenhang mit den erklärenden Ausführungen der Beklagten hierzu ausreichend, dass der Bescheid an diesem Tag oder spätestens am nächsten Werktag über die Poststelle der Beklagten zur Post gegeben worden ist. Er hat daher jedenfalls vor dem 5. März 2000 als bekannt gegeben zu gelten. Die Behauptung der Klägerin, sie habe den Bescheid nie erhalten, überzeugt nicht, vor allem im Lichte ihres Schreibens vom 30. März 2000, in welchem es heißt, sie könne "erst jetzt" ihren Widerspruch geltend machen. Hätte die Klägerin den Bescheid nie erhalten, wäre eine solche Äußerung nicht erklärlich. Dass sich das Schreiben auf einen anderen Bescheid bezogen haben könnte, ist nicht ersichtlich, denn die Klägerin meldet sich inhaltlich gerade gegen das im Bescheid vom 18. Februar 2000 Geregelte. Wiedereinsetzungsgründe wären nicht nur im Hinblick auf das von der Beklagten im Widerspruchsbescheid Ausgeführte nicht gegeben, sondern auch mit Rücksicht auf die Behauptung der Klägerin nicht glaubhaft, sie habe den Bescheid überhaupt nicht erhalten.
Auf die von den Beteiligten hervorgehobenen materiell-rentenrechtlichen Fragen kommt es danach nicht an. Der Senat erlaubt sich jedoch den Hinweis, dass die Klage im Hinblick auf die den Beteiligten bekannte neuere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Anwendbarkeit von § 266 SGB VI in der Sache keinen Erfolg hätte haben können.
Eine nähere Stellungnahme des Senats zu den von den Beteiligten hervorgehobenen materiell-rechtlichen Fragen ist nicht deswegen erforderlich, weil der Bescheid der Beklagten vom 21. August 2000 zu § 44 SGB X Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens geworden wäre. § 96 SGG greift schon deswegen nicht ein, weil dieser Bescheid nicht erst nach Klageerhebung erlassen worden ist. Der Bescheid ist auch nicht über § 86 SGG in das Verfahren einbezogen worden. Grundsätzlich fließt der Umstand, dass die behördliche Entscheidung erst nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist, zwar eine Anwendbarkeit dieser Vorschrift nicht aus (BSG, Urteil vom 1.8.1978, BSGE Bd. 47, S. 28); dies mag möglicherweise sogar dann gelten, wenn der Widerspruch – wie hier – unzulässig gewesen ist. Gleichwohl greift § 86 SGG im vorliegenden Fall nicht ein. Die Bestimmung setzt voraus, dass während des Vorverfahrens der Verwaltungsakt "abgeändert" worden ist. An dieser Voraussetzung fehlt es, denn der Bescheid vom 21. August 2000 hat denjenigen vom 18. Februar 2000 gerade nicht geändert, sondern bestätigt. Aus der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 24. März 1992 (14b/4 REg 12/90) folgt nichts anderes. Sie betrifft einen während des Klageverfahrens erlassenen Bescheid. Hierzu hat das Bundessozialgericht ausgeführt, dass § 96 SGG die prozessuale Möglichkeit gebe, die Rechtmäßigkeit eines solchen Bescheides, der einen früheren Bescheid ändere oder ersetze, im anhängigen Klageverfahren mit zu prüfen, um das gesamte Streitverhältnis schnell und erschöpfend zu klären, wobei aus Gründen der Prozessökonomie die Vorschrift weit auszulegen und deshalb auch auf § 44 SGB X gestützte Folgebescheide einzubeziehen seien, weil hier ebenfalls über die Rechtmäßigkeit der früheren Verwaltungsakte entschieden werde und der Streitgegenstand deswegen weitgehend identisch sei. Diese Auffassung lässt sich auf die Anwendbarkeit von § 86 SGG jedoch nicht übertragen, weil dieser nicht wie § 96 SGG sowohl frühere Bescheide ändernde als auch solche Bescheide ersetzende, sondern nur frühere Bescheide ändernde Verfügungen erfasst.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, in welcher Höhe eine Rente der Klägerin aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf ihre Altersrente aus der Gesetzlichen Rentenversicherung anzurechnen ist.
Die im Jahre 1925 geborene Klägerin bezieht aufgrund einer Berufskrankheit seit 1949 Rente aus der Gesetzlichen Unfallversicherung. Mittlerweile erhält sie auch Rentenleistungen von der Beklagten.
Mit Bescheid vom 19. Januar 2000 bewilligte die Landesunfallkasse Freie und Hansestadt Hamburg mit Wirkung vom 1. Dezember 1996 der Klägerin Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 % statt zuvor 90 %. Daraufhin berechnete die Beklagte mit Rentenbescheid vom 18. Februar 2000 die Regelaltersrente der Klägerin ab 1. Dezember 1996 neu und stellte für die Zeit vom 1. Dezember 1996 bis 31. März 2000 eine Überzahlung in Höhe von 5.945,15 DM fest. Die Entscheidung ergehe nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X). Die Überzahlung für die Zeit vom 1. Dezember 1996 bis Ende Februar 2000 werde mit der Nachzahlung aus der Unfallrente verrechnet. Für März 2000 sei eine Überzahlung 50,51 DM entstanden, die die Klägerin zu erstatten habe.
Das Aktenexemplar des Rentenbescheides vom 18. Februar 2000 trägt den Stempel: "Bescheidnachbehandlung 23. Februar 2000."
Mit Schreiben vom 30. März 2000 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und führte aus, sie habe im Januar 2000 einen Unfall mit Krankenhausaufenthalt gehabt, so dass sie erst jetzt Widerspruch einlegen könne. Sie erhebe Einspruch gegen die Berechnung ihres Jahresarbeitsverdienstes, denn sie sei bis Dezember 1996 berufstätig gewesen und habe Beiträge gezahlt.
Am 20. April 2000 teilte die Beklagte der Klägerin mit, es sei leider versäumt worden, sie vor Erteilung des Bescheides vom 18. Februar 2000 anzuhören. Die Anhörung werde gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X nachgeholt. Die Klägerin hat daraufhin zur Begründung ihres Widerspruchs vorgetragen, die Voraussetzungen für eine rückwirkende Änderung des ursprünglichen Bescheides über ihre Regelaltersrente lägen nicht vor.
Mit Bescheid vom 1. August 2000 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 18. Februar 2000 zurück. In der Begründung heißt es, die Klägerin habe die einmonatige Widerspruchsfrist des § 84 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) versäumt. Der angefochtene Bescheid sei am 18. Februar 2000 zur Post gegeben worden und gelte nach § 37 Abs. 2 SGB X als am 21. Februar 2000 bekannt gegeben. Das Widerspruchsschreiben vom 30. März 2000 sei aber erst am 5. April 2000 eingegangen und somit verspätet. Krankheit rechtfertige die Wiedereinsetzung nur, wenn der Erkrankte willens- und handlungsunfähig und daher außerstande gewesen sei, die notwendigen Handlungen selbst vorzunehmen oder andere mit ihnen zu beauftragen. Es solle daher eine Überprüfung des Bescheides gemäß § 44 SGB X stattfinden.
Der Widerspruchsbescheid ist beim Bevollmächtigten der Klägerin am 7. August 2000 eingegangen.
Mit Bescheid vom 21. August 2000 lehnte die Beklagte eine der Klägerin günstige Entscheidung nach § 44 SGB X in Bezug auf den Rentenbescheid vom 18. Februar 2000 ab.
Am 6. September 2000 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Hamburg gegen den Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2000 Klage erhoben. Gleichzeitig legte die Klägerin gegen den Bescheid vom 21. August 2000 entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung bei der Beklagten Widerspruch ein und führte aus, sie habe gegen den Widerspruchsbescheid vom 1. August 2000 vorsorglich Klage vor dem Sozialgericht erhoben. Die Beklagte hat über den Widerspruch bisher nicht entschieden.
Vor dem Sozialgericht hat die Klägerin vorgetragen, sie habe den Rentenbescheid vom 18. Februar 2000 nicht erhalten. Anlass für ihr Schreiben vom 30. März 2000 sei gewesen, dass die Nachzahlung aus der Unfallversicherung von der beklagten Versicherungsanstalt einbehalten worden sei.
Mit Urteil vom 11. August 2004 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2000 aufgehoben, den vorangegangenen Rentenbescheid der Beklagten vom 19. Januar 2000 und die Folgebescheide geändert und die Beklagte verurteilt, die Altersrente der Klägerin ab dem 1. Dezember 1996 neu zu berechnen und bei der Anrechnung der Verletztenrente nur in der Summe beider Renten den Betrag der Altersrente einzustellen, um welchen diese den Grenzbetrag nach § 311 Abs. 5 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) abzüglich des Betrages nach § 93 Abs. 2 Nr. 2 a SGB VI (Grundrente nach Bundesversorgungsgesetz) übersteige, sowie den Differenzbetrag an die Klägerin auszuzahlen.
In den Entscheidungsgründen heißt es, die Klage sei zulässig und begründet. Der Widerspruchsbescheid vom 1. August 2000 sei schon deshalb aufzuheben gewesen, weil die Beklagte den Widerspruch zu Unrecht als verspätet zurückgewiesen habe. Es müsse berücksichtigt werden, dass die Klägerin vorgetragen habe, einen entsprechenden Bescheid nicht erhalten zu haben. Die Klage sei auch in der Sache begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2000, mit dem die Nachzahlung aus der Unfallrente mit der Altersrente verrechnet und ein überzahlter Betrag von der Klägerin gefordert werde, sei rechtswidrig. Auch der vorangegangene "Bescheid über eine Rentenerhöhung" vom 19. Februar 2000, mit dem die Beklagte eine Neuberechnung des Zahlbetrages der Regelaltersrente mit Wirkung ab 1. Dezember 1996 vorgenommen habe, weil die Minderung der Erwerbsfähigkeit nunmehr mit 100 % anzunehmen gewesen sei, verletze die Klägerin in ihren Rechten, da die Beklagte zu Unrecht bei der Anrechnung der Unfallversicherungsrente auf die Altersrente den Betrag nach § 93 Abs. 2 Nr. 2 a SGB VI nicht berücksichtigt habe. Dies ergebe sich aus der Entscheidung des 4. Senats des Bundessozialgerichts vom 31. März 1998 in der Sache B 4 RA 118/95 R (SozR 3-2600 § 311 Nr. 2), auf welche Bezug genommen werde.
Das Urteil des Sozialgerichts ist der Beklagten am 23. August 2004 zugestellt worden. Am 21. September 2004 hat die Beklagte Berufung eingelegt und ausgeführt, die Entscheidung des Sozialgerichts könne von ihr nicht hingenommen werden. Sie wie auch die anderen Rentenversicherungsträger folgten dem Urteil des Bundessozialgerichts nicht, auf welches das Sozialgericht seine Entscheidung gestützt habe.
Des Weiteren führt die Beklagte aus: Entgegen den Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 1. August 2000 könne von einer Absendung des Bescheides vom 18. Februar 2000 an diesem Tag nicht ausgegangen werden. Der Stempel "Bescheidnachbehandlung 23. Februar 2000" kennzeichne allerdings das Datum, an dem der zuständige Mitarbeiter den Bescheid zur Absendung an die Poststelle weitergegeben habe. Gewöhnlich erfolge die Absendung dann am gleichen Tag oder aber am Tag danach. Ein genaues Absendedatum könne nicht mitgeteilt werden, da derartige Vorgänge nicht dokumentiert würden. Selbst wenn man aber einen unrealistisch weiten Zeitrahmen bis zum 29. Februar 2000 ansetzen wollte, gälte der Bescheid nach § 37 Abs. 2 SGB X als am 3. März 2000 bekannt gegeben, so dass auch dann der erst am 5. April 2000 eingegangene Widerspruch verfristet wäre. Warum die Klägerin den Bescheid trotz der dokumentierten Abgabe zur Poststelle nicht erhalten haben solle, sei nicht nachvollziehbar und angesichts ihres Schreibens vom 30. März 2000 auch nicht glaubhaft. Soweit sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 11. Juni 2003 erklärt habe, Anlass für ihr Schreiben sei gewesen, dass die Nachzahlung aus der Unfallversicherung aufgrund der Erhöhung der Minderung der Erwerbsfähigkeit von der Beklagten einbehalten worden sei, stehe diese Einlassung im Gegensatz zum Inhalt des Schreibens selbst. Dort erkläre sie, sie erhebe Einspruch gegen die Berechnung ihres Jahresarbeitsverdienstes.
Des Weiteren vertritt die Beklagte die Auffassung, der Bescheid vom 21. August 2000 sei entgegen der dort gegebenen Rechtsmittelbelehrung nach § 86 SGG zunächst in das Vorverfahren einbezogen und dadurch auch Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Sie habe daher gemäß dieser Einschätzung über den Widerspruch gegen diesen Bescheid nicht entschieden.
Die Entscheidung des 4. Senats des Bundessozialgerichts sei insbesondere durch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 8. Dezember 2005 im Verfahren B 13 RJ 38/04 R überholt. Dieses stütze ihre, der Beklagten, Rechtsauffassung zum Nachteil der Klägerin.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 11. August 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts.
Die Beteiligten haben jeweils auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Die die Klägerin betreffenden Rentenakten haben vorgelegen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakten wird wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten im schriftlichen Verfahren gemäß § 124 Abs. 2 SGG.
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist in der Sache auch begründet. Das Sozialgericht hätte der Klage nicht stattgeben dürfen.
Die Klage ist schon mangels Durchführung eines ordentlichen Vorverfahrens gemäß § 78 SGG nicht zulässig. Die Klägerin hat nämlich die einmonatige Widerspruchsfrist gegen den mit richtiger Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid vom 18. Februar 2000 versäumt. Der am 5. April 2000 bei der Beklagten eingegangene Widerspruch hat die Monatsfrist gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht gewahrt, da der Bescheid der Klägerin bereits vor dem 5. März 2000 bekannt gegeben worden war.
Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt bei Übermittlung durch die Post im Inland am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Zugangsfiktion tritt zwar grundsätzlich nicht ein, wenn die Akte der Behörde keinen Vermerk über den Tag der Aufgabe des Schriftstücks zur Post enthält; in diesem Fall muss die Behörde den Zugang nachweisen (von Wulffen, SGB X, Kommentar, 5. Auflage, § 37 Rdnr. 12). Im vorliegenden Falle dokumentiert nach Auffassung des Senats jedoch der auf dem Bescheid zu findende Stempel "Bescheidnachbehandlung 23. Februar 2000" im Zusammenhang mit den erklärenden Ausführungen der Beklagten hierzu ausreichend, dass der Bescheid an diesem Tag oder spätestens am nächsten Werktag über die Poststelle der Beklagten zur Post gegeben worden ist. Er hat daher jedenfalls vor dem 5. März 2000 als bekannt gegeben zu gelten. Die Behauptung der Klägerin, sie habe den Bescheid nie erhalten, überzeugt nicht, vor allem im Lichte ihres Schreibens vom 30. März 2000, in welchem es heißt, sie könne "erst jetzt" ihren Widerspruch geltend machen. Hätte die Klägerin den Bescheid nie erhalten, wäre eine solche Äußerung nicht erklärlich. Dass sich das Schreiben auf einen anderen Bescheid bezogen haben könnte, ist nicht ersichtlich, denn die Klägerin meldet sich inhaltlich gerade gegen das im Bescheid vom 18. Februar 2000 Geregelte. Wiedereinsetzungsgründe wären nicht nur im Hinblick auf das von der Beklagten im Widerspruchsbescheid Ausgeführte nicht gegeben, sondern auch mit Rücksicht auf die Behauptung der Klägerin nicht glaubhaft, sie habe den Bescheid überhaupt nicht erhalten.
Auf die von den Beteiligten hervorgehobenen materiell-rentenrechtlichen Fragen kommt es danach nicht an. Der Senat erlaubt sich jedoch den Hinweis, dass die Klage im Hinblick auf die den Beteiligten bekannte neuere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Anwendbarkeit von § 266 SGB VI in der Sache keinen Erfolg hätte haben können.
Eine nähere Stellungnahme des Senats zu den von den Beteiligten hervorgehobenen materiell-rechtlichen Fragen ist nicht deswegen erforderlich, weil der Bescheid der Beklagten vom 21. August 2000 zu § 44 SGB X Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens geworden wäre. § 96 SGG greift schon deswegen nicht ein, weil dieser Bescheid nicht erst nach Klageerhebung erlassen worden ist. Der Bescheid ist auch nicht über § 86 SGG in das Verfahren einbezogen worden. Grundsätzlich fließt der Umstand, dass die behördliche Entscheidung erst nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist, zwar eine Anwendbarkeit dieser Vorschrift nicht aus (BSG, Urteil vom 1.8.1978, BSGE Bd. 47, S. 28); dies mag möglicherweise sogar dann gelten, wenn der Widerspruch – wie hier – unzulässig gewesen ist. Gleichwohl greift § 86 SGG im vorliegenden Fall nicht ein. Die Bestimmung setzt voraus, dass während des Vorverfahrens der Verwaltungsakt "abgeändert" worden ist. An dieser Voraussetzung fehlt es, denn der Bescheid vom 21. August 2000 hat denjenigen vom 18. Februar 2000 gerade nicht geändert, sondern bestätigt. Aus der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 24. März 1992 (14b/4 REg 12/90) folgt nichts anderes. Sie betrifft einen während des Klageverfahrens erlassenen Bescheid. Hierzu hat das Bundessozialgericht ausgeführt, dass § 96 SGG die prozessuale Möglichkeit gebe, die Rechtmäßigkeit eines solchen Bescheides, der einen früheren Bescheid ändere oder ersetze, im anhängigen Klageverfahren mit zu prüfen, um das gesamte Streitverhältnis schnell und erschöpfend zu klären, wobei aus Gründen der Prozessökonomie die Vorschrift weit auszulegen und deshalb auch auf § 44 SGB X gestützte Folgebescheide einzubeziehen seien, weil hier ebenfalls über die Rechtmäßigkeit der früheren Verwaltungsakte entschieden werde und der Streitgegenstand deswegen weitgehend identisch sei. Diese Auffassung lässt sich auf die Anwendbarkeit von § 86 SGG jedoch nicht übertragen, weil dieser nicht wie § 96 SGG sowohl frühere Bescheide ändernde als auch solche Bescheide ersetzende, sondern nur frühere Bescheide ändernde Verfügungen erfasst.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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