Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 10 RA 614/04
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 R 41/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 8. Februar 2006, ergänzt durch Beschluss vom 17. Februar 2006, aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 625,94 EUR zu zahlen. 2. Die Beklagte hat die Kosten des Klage- und Berufungsverfahrens zu tragen. 3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist noch ein Anspruch auf Prozesszinsen.
Die Klägerin übernahm als Integrationsamt ab 1. März 2002 für die schwer hörgeschädigte, bei der Beklagten versicherte D. R. die Kosten einer Arbeitsassistenz in Gestalt eines Gebärdendolmetschers als Hilfe zur Erlangung eines Arbeitsplatzes. Hierbei entstanden Kosten von über 30.000 EUR. Den von der Klägerin gegenüber der Beklagten geltend gemachten Erstattungsanspruch nach § 33 Abs. 8 Sätze 2 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch wies Letztere mehrfach zurück.
Am 13. September 2004 hat die Klägerin beim Sozialgericht Hamburg Klage erhoben.
Mit Schriftsatz vom 11. April 2005 hat die Beklagte den Anspruch auf Erstattung anerkannt.
Dieses Anerkenntnis hat die Klägerin angenommen (§ 101 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und danach nur noch Prozesszinsen in Höhe von 4% p.a. aus dem mit der Klageerhebung zunächst bezifferten Anteil der Erstattungsforderung in Höhe von 21.680,49 EUR ab Rechtshängigkeit bis zum Tag vor Begleichung der Forderung durch die Beklagte am 3. Juni 2005 geltend gemacht, insgesamt 625,94 EUR. Die Klägerin hat diesen Anspruch auf die analog anzuwendenden §§ 288, 291 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gestützt und sich auf die entsprechende ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowie anderer Verwaltungsgerichte in Kostenerstattungsverfahren unter Sozialhilfeträgern bezogen. Prozesszinsen könnten und müssten auch für öffentlich-rechtlich begründete Geldforderungen verlangt werden, weil die obsiegende Partei ansonsten einen Zinsverlust erleiden würde. Jede Zahlungsverweigerung mit sich anschließender mehrjähriger Prozessdauer wäre ohne Erhebung von Prozesszinsen ein Gewinn für die unterliegende Partei.
Die Beklagte hat dem unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sowie anderer Sozialgerichte widersprochen und ausgeführt, dass der in Erstattungsstreitigkeiten nicht einschlägige § 44 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) (Hinweis auf BSG 18. Dezember 1979 - 2 RU 3/79, BSGE 49, 227) eine Zinsregelung beinhalte, sodass keine generelle, durch entsprechende Anwendung der §§ 288, 291 BGB zu schließende Lücke vorliege.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 8. Februar 2006, der Klägerin zugestellt am 22. Februar 2006, abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass für die analoge Anwendung der Vorschriften aus dem BGB über Prozesszinsen angesichts der abschließenden Regelungen über Zinsen im Sozialrecht kein Raum sei. Insbesondere § 44 SGB I und § 108 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) seien vorliegend jedoch nicht einschlägig. Das Sozialgericht hat in dem Urteil hinsichtlich der Kosten (lediglich und fälschlicherweise unter Bezug auf § 193 SGG) befunden, dass außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten seien, und mit Beschluss vom 17. Februar 2006, zugestellt zusammen mit dem Urteil, nach § 197a SGG i.V.m. § 161 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) - neben der Festsetzung des Streitwerts gemäß § 197a SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) - entschieden, dass weder die Klägerin noch die Beklagte Gerichtskosten zu tragen haben.
Mit ihrer vom Sozialgericht im Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen, am 24. Februar 2006 eingelegten Berufung wiederholt die Klägerin im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen unter Bezugnahme auf die ständige verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 8. Februar 2006, ergänzt durch Beschluss vom 17. Februar 2006, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 625,94 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Hinweis auf die ständige sozialgerichtliche Rechtsprechung.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist nach ihrer Zulassung durch das Sozialgericht statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegt worden. Gegenstand ist das Urteil vom 8. Februar 2006 in der Fassung, die es durch den Beschluss vom 17. Februar 2006 hinsichtlich der Pflicht zur Tragung von Gerichtskosten gefunden hat. Trotz der fehlerhaften Form (kein Antrag, kein Vermerk auf der Urschrift des Urteils und den Ausfertigungen) handelt es sich hierbei materiell um einen Urteilsergänzungsbeschluss gemäß § 140 SGG.
Die Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die geltend gemachten Prozesszinsen in Höhe von 625,94 EUR. Der Anspruch ergibt sich in entsprechender Anwendung des § 291 BGB.
Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, wonach die allgemeinen Grundsätze über Verzinsung öffentlich-rechtlicher Ansprüche dadurch gekennzeichnet sind, dass Verzugszinsen auf Grund ausdrücklicher gesetzlicher Regelung gewährt werden, während Prozesszinsen in entsprechender Anwendung des § 291 BGB verlangt werden können, es sei denn, das geschriebene Fachrecht weist eine den allgemeinen Grundsatz derogierende Regelung auf, die aber in Anbetracht des Wesensunterschiedes zwischen Verzugs- und Prozesszinsen grundsätzlich nicht in einem lediglich Verzugszinsen ausschließenden Rechtssatz gesehen werden kann (BVerwG 22.02.2001- 5 C 34/00, BVerwGE 114, 61 mit weiteren Nachweisen). Dabei knüpft diese Rechtsprechung an Rechtsüberzeugungen an, die in Deutschland schon vor Inkrafttreten des BGB fast allgemein zur Anerkennung gelangt und im Verkehrsleben herrschend waren, wonach der Schuldner, auch wenn er sich in redlichem Glauben, zur Zahlung nicht verpflichtet zu sein, auf einen Prozess einlässt, nach dem das gesamte Rechtsleben beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben für verpflichtet gehalten wird, dem Gläubiger für die Nutzungen Ersatz zu leisten, die er ihm während der Dauer des Prozesses vorenthalten hat (BVerwG a.a.O.). Prozesszinsen sind dem Wesen nach etwas anderes als Verzugszinsen. Ihr selbstständiger Rechtsgrund ist allein die Rechtshängigkeit. Nach dem gesetzgeberischen Zweck des § 291 BGB wird der Schuldner schon deshalb einer Zinspflicht unterworfen, weil er es zum Prozess hat kommen lassen und für das eingegangene Risiko einstehen soll (BVerwG a.a.O. mit Nachweisen; so auch zuletzt: OVG Sachsen-Anhalt 8.05.2006 – 3 L 325/05, nv). Dieser verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an.
Die über Jahrzehnte anders lautende sozialgerichtliche Rechtsprechung, wonach außer für Verzugs- auch für Prozesszinsen außerhalb der speziellen und in ihrer Gesamtheit abschließenden Regelungen wie § 44 SGB I oder § 108 Abs. 2 SGB X keine Rechtsgrundlage vorhanden sei (vgl. nur Bundessozialgericht 18.12.1979 – 2 RU 3/79, BSGE 49, 227; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 51 Randziffer 39 "Zinsansprüche"), vermag demgegenüber nicht (mehr) zu überzeugen. Wesentliche Gründe für die sozialgerichtliche Rechtsprechung zu Zinsansprüchen waren die Solidarhaftung aller Versicherten, die einseitig zu Lasten der Leistungsträger getroffenen Regelungen hinsichtlich der Gerichtsgebühren sowie der Ausschluss der Erstattung außergerichtlicher Kosten an den Leistungsträger selbst im Falle seines Obsiegens (vgl. BSG 23.03.2006 – B 3 KR 6/05 R, Kurzwiedergabe in SGb 2006, 529, mit weiteren Nachweisen).
Diese Rechtsprechung ist durch die Änderung der Verhältnisse als überholt anzusehen. Spätestens mit der Neufassung des Kostenrechts im sozialgerichtlichen Verfahren zum 2. Januar 2002 können aus der Kostenregelung im SGG jedenfalls in den von § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG erfassten Streitigkeiten keine Argumente mehr für den Ausschluss von Prozesszinsen gewonnen werden. In diesen Streitigkeiten, zu denen auch der hier zu beurteilende Rechtsstreit zählt, werden Gerichtskosten erhoben und gelten im übrigen die Kostenvorschriften der VwGO mit der Folge, dass der unterliegende Beteiligte neben den Gerichtskosten die außergerichtlichen Kosten des obsiegenden Beteiligten nach dem maßgeblichen Streitwert zu tragen hat. Die Annäherung des sozialgerichtlichen Kostenrechts an dasjenige der VwGO legt es nahe, auch für den Anspruch auf Prozesszinsen analog § 291 BGB keinen Unterschied mehr zu machen (ebenso: BSG 23.03.2006 – B 3 KR 6/05 R, a.a.O., sowie BSG 04.03.2004 – B 3 KR 4/03 R, BSGE 92, 223, und BSG 28.09.2005 – B 6 KA 71/04 R, MedR 2006, 226, in denen unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung in besonderen Konstellationen ein Anspruch auf Prozesszinsen bejaht wurde ( B 3 KR 4/03 R und B 3 KR 6/05 R betreffend Forderungen von Leistungserbringern gegenüber gesetzlichen Krankenversicherungsträgern, B 6 KA 71/04 R betreffend die Gesamtvergütungsforderung einer Kassenärztlichen Vereinigung gegenüber einer Krankenkasse )).
Nicht nur die Änderung der prozessrechtlichen und insbesondere kostenrechtlichen Vorschriften hat die Rechtsprechung der Sozialgerichte überholt, sondern auch die tatsächliche Entwicklung gerade im Bereich der Sozialversicherung, die von einem zunehmenden Kostendruck und politisch gewollten Wettbewerb der Träger gekennzeichnet ist. Es ist gerichtsbekannt, dass einzelne Sozialversicherungsträger sich ohne jede Erfolgsaussicht in der Sache oder gar wider bessere Einsicht auf Erstattung verklagen lassen. Grund hierfür dürften wirtschaftliche Überlegungen sein. Unter diesen Gegebenheiten erscheint es gerechtfertigt und geboten, Sozialleistungsträger jedenfalls im Hinblick auf Prozesszinsen wie andere Gläubiger und Schuldner auch zu behandeln.
Der Herleitung der Anwendbarkeit des § 291 BGB über § 61 SGB X (zum Teil analog) in den genannten neueren Entscheidungen des Bundessozialgerichts bedarf es nach Auffassung des Senats nicht, denn § 291 BGB bringt, wie oben ausgeführt, lediglich einen allgemeinen Rechtsgrundsatz zum Ausdruck, der sich aus dem auch im Sozialrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben ableitet.
Der nach alledem auch der Klägerin in diesem Verfahren zustehende Prozesszinsenanspruch, den sie lediglich in Höhe von 4% p.a. und nur aus einem Teil des Hauptanspruchs in Höhe von 21.680,49 EUR geltend gemacht hat, besteht ab dem Tag der Rechtshängigkeit mit Eingang der Klage beim Gericht am 13. September 2004 (§ 94 SGG) bis zum Tag vor Begleichung der Forderung durch die Beklagte am 3. Juni 2005, also bis zum 2. Juni 2005, und beträgt (zumindest) 625,94 EUR.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 2, 156, 161 VwGO. Die Klägerin hat durch das angenommene Anerkenntnis hinsichtlich des geltend gemachten Hauptanspruchs und durch die erfolgreiche Berufung hinsichtlich des Zinsanspruchs voll obsiegt. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts schließt das Anerkenntnis der Beklagten nicht deren Kostentragungspflicht aus, weil sie durch ihre mehrfache vorgerichtliche Zurückweisung der Erstattungsforderung über einen Zeitraum von gut zwei Jahren, zuletzt mit Schreiben vom 13. Juli 2004, Veranlassung zur Erhebung der Klage gegeben hat.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil durch die Abweichung explizit von der Entscheidung des BSG vom 18.12.1979 - 2 RU 3/79, BSGE 49, 227 - jedenfalls die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG vorliegen.
Tatbestand:
Streitig ist noch ein Anspruch auf Prozesszinsen.
Die Klägerin übernahm als Integrationsamt ab 1. März 2002 für die schwer hörgeschädigte, bei der Beklagten versicherte D. R. die Kosten einer Arbeitsassistenz in Gestalt eines Gebärdendolmetschers als Hilfe zur Erlangung eines Arbeitsplatzes. Hierbei entstanden Kosten von über 30.000 EUR. Den von der Klägerin gegenüber der Beklagten geltend gemachten Erstattungsanspruch nach § 33 Abs. 8 Sätze 2 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch wies Letztere mehrfach zurück.
Am 13. September 2004 hat die Klägerin beim Sozialgericht Hamburg Klage erhoben.
Mit Schriftsatz vom 11. April 2005 hat die Beklagte den Anspruch auf Erstattung anerkannt.
Dieses Anerkenntnis hat die Klägerin angenommen (§ 101 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und danach nur noch Prozesszinsen in Höhe von 4% p.a. aus dem mit der Klageerhebung zunächst bezifferten Anteil der Erstattungsforderung in Höhe von 21.680,49 EUR ab Rechtshängigkeit bis zum Tag vor Begleichung der Forderung durch die Beklagte am 3. Juni 2005 geltend gemacht, insgesamt 625,94 EUR. Die Klägerin hat diesen Anspruch auf die analog anzuwendenden §§ 288, 291 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gestützt und sich auf die entsprechende ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowie anderer Verwaltungsgerichte in Kostenerstattungsverfahren unter Sozialhilfeträgern bezogen. Prozesszinsen könnten und müssten auch für öffentlich-rechtlich begründete Geldforderungen verlangt werden, weil die obsiegende Partei ansonsten einen Zinsverlust erleiden würde. Jede Zahlungsverweigerung mit sich anschließender mehrjähriger Prozessdauer wäre ohne Erhebung von Prozesszinsen ein Gewinn für die unterliegende Partei.
Die Beklagte hat dem unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sowie anderer Sozialgerichte widersprochen und ausgeführt, dass der in Erstattungsstreitigkeiten nicht einschlägige § 44 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) (Hinweis auf BSG 18. Dezember 1979 - 2 RU 3/79, BSGE 49, 227) eine Zinsregelung beinhalte, sodass keine generelle, durch entsprechende Anwendung der §§ 288, 291 BGB zu schließende Lücke vorliege.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 8. Februar 2006, der Klägerin zugestellt am 22. Februar 2006, abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass für die analoge Anwendung der Vorschriften aus dem BGB über Prozesszinsen angesichts der abschließenden Regelungen über Zinsen im Sozialrecht kein Raum sei. Insbesondere § 44 SGB I und § 108 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) seien vorliegend jedoch nicht einschlägig. Das Sozialgericht hat in dem Urteil hinsichtlich der Kosten (lediglich und fälschlicherweise unter Bezug auf § 193 SGG) befunden, dass außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten seien, und mit Beschluss vom 17. Februar 2006, zugestellt zusammen mit dem Urteil, nach § 197a SGG i.V.m. § 161 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) - neben der Festsetzung des Streitwerts gemäß § 197a SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) - entschieden, dass weder die Klägerin noch die Beklagte Gerichtskosten zu tragen haben.
Mit ihrer vom Sozialgericht im Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen, am 24. Februar 2006 eingelegten Berufung wiederholt die Klägerin im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen unter Bezugnahme auf die ständige verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 8. Februar 2006, ergänzt durch Beschluss vom 17. Februar 2006, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 625,94 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Hinweis auf die ständige sozialgerichtliche Rechtsprechung.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist nach ihrer Zulassung durch das Sozialgericht statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegt worden. Gegenstand ist das Urteil vom 8. Februar 2006 in der Fassung, die es durch den Beschluss vom 17. Februar 2006 hinsichtlich der Pflicht zur Tragung von Gerichtskosten gefunden hat. Trotz der fehlerhaften Form (kein Antrag, kein Vermerk auf der Urschrift des Urteils und den Ausfertigungen) handelt es sich hierbei materiell um einen Urteilsergänzungsbeschluss gemäß § 140 SGG.
Die Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die geltend gemachten Prozesszinsen in Höhe von 625,94 EUR. Der Anspruch ergibt sich in entsprechender Anwendung des § 291 BGB.
Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, wonach die allgemeinen Grundsätze über Verzinsung öffentlich-rechtlicher Ansprüche dadurch gekennzeichnet sind, dass Verzugszinsen auf Grund ausdrücklicher gesetzlicher Regelung gewährt werden, während Prozesszinsen in entsprechender Anwendung des § 291 BGB verlangt werden können, es sei denn, das geschriebene Fachrecht weist eine den allgemeinen Grundsatz derogierende Regelung auf, die aber in Anbetracht des Wesensunterschiedes zwischen Verzugs- und Prozesszinsen grundsätzlich nicht in einem lediglich Verzugszinsen ausschließenden Rechtssatz gesehen werden kann (BVerwG 22.02.2001- 5 C 34/00, BVerwGE 114, 61 mit weiteren Nachweisen). Dabei knüpft diese Rechtsprechung an Rechtsüberzeugungen an, die in Deutschland schon vor Inkrafttreten des BGB fast allgemein zur Anerkennung gelangt und im Verkehrsleben herrschend waren, wonach der Schuldner, auch wenn er sich in redlichem Glauben, zur Zahlung nicht verpflichtet zu sein, auf einen Prozess einlässt, nach dem das gesamte Rechtsleben beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben für verpflichtet gehalten wird, dem Gläubiger für die Nutzungen Ersatz zu leisten, die er ihm während der Dauer des Prozesses vorenthalten hat (BVerwG a.a.O.). Prozesszinsen sind dem Wesen nach etwas anderes als Verzugszinsen. Ihr selbstständiger Rechtsgrund ist allein die Rechtshängigkeit. Nach dem gesetzgeberischen Zweck des § 291 BGB wird der Schuldner schon deshalb einer Zinspflicht unterworfen, weil er es zum Prozess hat kommen lassen und für das eingegangene Risiko einstehen soll (BVerwG a.a.O. mit Nachweisen; so auch zuletzt: OVG Sachsen-Anhalt 8.05.2006 – 3 L 325/05, nv). Dieser verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an.
Die über Jahrzehnte anders lautende sozialgerichtliche Rechtsprechung, wonach außer für Verzugs- auch für Prozesszinsen außerhalb der speziellen und in ihrer Gesamtheit abschließenden Regelungen wie § 44 SGB I oder § 108 Abs. 2 SGB X keine Rechtsgrundlage vorhanden sei (vgl. nur Bundessozialgericht 18.12.1979 – 2 RU 3/79, BSGE 49, 227; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 51 Randziffer 39 "Zinsansprüche"), vermag demgegenüber nicht (mehr) zu überzeugen. Wesentliche Gründe für die sozialgerichtliche Rechtsprechung zu Zinsansprüchen waren die Solidarhaftung aller Versicherten, die einseitig zu Lasten der Leistungsträger getroffenen Regelungen hinsichtlich der Gerichtsgebühren sowie der Ausschluss der Erstattung außergerichtlicher Kosten an den Leistungsträger selbst im Falle seines Obsiegens (vgl. BSG 23.03.2006 – B 3 KR 6/05 R, Kurzwiedergabe in SGb 2006, 529, mit weiteren Nachweisen).
Diese Rechtsprechung ist durch die Änderung der Verhältnisse als überholt anzusehen. Spätestens mit der Neufassung des Kostenrechts im sozialgerichtlichen Verfahren zum 2. Januar 2002 können aus der Kostenregelung im SGG jedenfalls in den von § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG erfassten Streitigkeiten keine Argumente mehr für den Ausschluss von Prozesszinsen gewonnen werden. In diesen Streitigkeiten, zu denen auch der hier zu beurteilende Rechtsstreit zählt, werden Gerichtskosten erhoben und gelten im übrigen die Kostenvorschriften der VwGO mit der Folge, dass der unterliegende Beteiligte neben den Gerichtskosten die außergerichtlichen Kosten des obsiegenden Beteiligten nach dem maßgeblichen Streitwert zu tragen hat. Die Annäherung des sozialgerichtlichen Kostenrechts an dasjenige der VwGO legt es nahe, auch für den Anspruch auf Prozesszinsen analog § 291 BGB keinen Unterschied mehr zu machen (ebenso: BSG 23.03.2006 – B 3 KR 6/05 R, a.a.O., sowie BSG 04.03.2004 – B 3 KR 4/03 R, BSGE 92, 223, und BSG 28.09.2005 – B 6 KA 71/04 R, MedR 2006, 226, in denen unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung in besonderen Konstellationen ein Anspruch auf Prozesszinsen bejaht wurde ( B 3 KR 4/03 R und B 3 KR 6/05 R betreffend Forderungen von Leistungserbringern gegenüber gesetzlichen Krankenversicherungsträgern, B 6 KA 71/04 R betreffend die Gesamtvergütungsforderung einer Kassenärztlichen Vereinigung gegenüber einer Krankenkasse )).
Nicht nur die Änderung der prozessrechtlichen und insbesondere kostenrechtlichen Vorschriften hat die Rechtsprechung der Sozialgerichte überholt, sondern auch die tatsächliche Entwicklung gerade im Bereich der Sozialversicherung, die von einem zunehmenden Kostendruck und politisch gewollten Wettbewerb der Träger gekennzeichnet ist. Es ist gerichtsbekannt, dass einzelne Sozialversicherungsträger sich ohne jede Erfolgsaussicht in der Sache oder gar wider bessere Einsicht auf Erstattung verklagen lassen. Grund hierfür dürften wirtschaftliche Überlegungen sein. Unter diesen Gegebenheiten erscheint es gerechtfertigt und geboten, Sozialleistungsträger jedenfalls im Hinblick auf Prozesszinsen wie andere Gläubiger und Schuldner auch zu behandeln.
Der Herleitung der Anwendbarkeit des § 291 BGB über § 61 SGB X (zum Teil analog) in den genannten neueren Entscheidungen des Bundessozialgerichts bedarf es nach Auffassung des Senats nicht, denn § 291 BGB bringt, wie oben ausgeführt, lediglich einen allgemeinen Rechtsgrundsatz zum Ausdruck, der sich aus dem auch im Sozialrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben ableitet.
Der nach alledem auch der Klägerin in diesem Verfahren zustehende Prozesszinsenanspruch, den sie lediglich in Höhe von 4% p.a. und nur aus einem Teil des Hauptanspruchs in Höhe von 21.680,49 EUR geltend gemacht hat, besteht ab dem Tag der Rechtshängigkeit mit Eingang der Klage beim Gericht am 13. September 2004 (§ 94 SGG) bis zum Tag vor Begleichung der Forderung durch die Beklagte am 3. Juni 2005, also bis zum 2. Juni 2005, und beträgt (zumindest) 625,94 EUR.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 2, 156, 161 VwGO. Die Klägerin hat durch das angenommene Anerkenntnis hinsichtlich des geltend gemachten Hauptanspruchs und durch die erfolgreiche Berufung hinsichtlich des Zinsanspruchs voll obsiegt. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts schließt das Anerkenntnis der Beklagten nicht deren Kostentragungspflicht aus, weil sie durch ihre mehrfache vorgerichtliche Zurückweisung der Erstattungsforderung über einen Zeitraum von gut zwei Jahren, zuletzt mit Schreiben vom 13. Juli 2004, Veranlassung zur Erhebung der Klage gegeben hat.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil durch die Abweichung explizit von der Entscheidung des BSG vom 18.12.1979 - 2 RU 3/79, BSGE 49, 227 - jedenfalls die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG vorliegen.
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