L 1 KR 12/06

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 28 KR 1038/03
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 12/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist die Erstattung der durch eine im August 2003 durchgeführte Maßnahme der künstlichen Befruchtung entstandenen Kosten.

Die beklagte Krankenkasse übernahm hinsichtlich des bei ihr versicherten, 1972 geborenen Klägers zu 2), bei dem sich die Morphologie der Spermatozoen ausweislich der Spermiogramme des Prof. Dr. S. (Abteilung für Andrologie des Universitätsklinikums Hamburg-E.) vom 8. Mai und 10. Juli 2001 (Berichte an Dr. S1 vom 10. Mai und 7. August 2001) zu 97 % bzw. 98 % als pathologisch (3 % bzw. 2 % normal) gezeigt hatte (Diagnosen: Teratozoospermie, Oligozoospermie), mit Bescheid vom 18. Februar 2002 die Kosten für vorerst einen Versuch intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI). Die daraufhin vorgenommene ICSI-Behandlung führte bei der ebenfalls bei der Beklagten versicherten Klägerin zu 1), die mit dem Kläger seit 1999 verheiratet ist, zu einer Eileiterschwangerschaft. Diese musste im September 2002 abgebrochen werden.

Im Januar 2003 beantragten die Kläger weitere Kostenübernahme für eine ICSI-Behandlung. Sie fügten die gutachtliche Äußerung des Gynäkologen Prof. Dr. R. vom F. Center Hamburg (FCH), der mit den Gynäkologen Dres. F1 und N. eine vertragsärztliche Gemeinschaftspraxis betreibt, vom 17. Januar 2003 bei, nach der gemäß den Richtlinien des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer zwar eine Indikation zur Durchführung der In-vitro-Fertilisation (IVF) unter zusätzlicher Anwendung des ICSI-Verfahrens bestehe, die vorliegenden Spermiogramme jedoch nicht die für eine ICSI-Behandlung vorgegebenen Kriterien (Indikationen) des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (Richtlinien über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung - Künstliche BefruchtungsRL -) erfüllten. Eine Alternative zur ICSI-Behandlung bestehe gleichwohl nicht. Bei dieser sei eine hinreichende Aussicht zur Herbeiführung einer Schwangerschaft gegeben. Es handle sich um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung.

Die Beklagte trat an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung heran. In ihrem Gutachten vom 30. Januar 2003 führte die Ärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe G. aus, beim Kläger zu 2), in dessen Spermiogrammen sich eine normale Motilität zeige, bestehe eine Sterilität bei stark eingeschränkter Spermienmorphologie. Die in den Richtlinien des Bundesausschusses geforderten Kriterien seien nicht erfüllt. Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag durch Bescheid vom 4. Februar 2003 ab. Sie blieb trotz des Widerspruchs der Kläger bei ihrer Entscheidung (Bescheid vom 4. März 2003). Daraufhin beriefen sich die Kläger auf die an den Kläger zu 2) gerichteten und nachrichtlich der Beklagten übersandten Schreiben des Prof. Dr. R. vom 12. März und 1. April 2003. In dessen Schreiben vom 1. April 2003 ist ausgeführt, dass nach dem Ergebnis der elektronenmikroskopischen Untersuchung der Anteil der fehlgeformten Samenzellen beim Kläger zu 2) sehr hoch sei (1 % bis 2 % normal geformte), so dass der effektivste und sicherste Weg zur Herbeiführung einer Schwangerschaft die IVF/ICSI-Behandlung darstelle. Durch diese Methode (selektives Einbringen eines Spermiums in jeweils eine Eizelle) werde die verminderte Qualität der Spermien, die in der Natur vermutlich zu keiner Befruchtung führen würde, völlig kompensiert. Die Schwangerschaftserwartung - und damit die Prognose - sei, insbesondere wegen des noch jungen Alters der 1977 geborenen Klägerin zu 1), als äußerst günstig zu bewerten.

Die Beklagte wies den Widerspruch zurück. Sie verwies auf den für die ICSI geltenden Indikationsbefund nach Nr. 11. 5 Künstliche BefruchtungsRL, wonach die Beurteilung des Spermas nach den gültigen WHO-Vorgaben zu erfolgen habe und bestimmte Voraussetzungen bezüglich der Konzentration, Gesamtmotilität, Progressivmotilität und Normalformen (Aufbereitungsform nativ oder swim-up-Test) gegeben sein müssten. Für den Fall, dass nicht alle Kriterien gleichzeitig erfüllt seien, bilde die Progressivmotilität das entscheidende Kriterium. Liege diese unter 15% im Nativsperma oder unter 30% im swim-up-Test, so bestehe eine Indikation für die ICSI. Der Kläger zu 2) erfülle trotz der bei ihm bestehenden Einschränkung der männlichen Fertilität nicht die Voraussetzungen von Nr. 11. 5 der Richtlinien (Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2003).

Die Kläger haben am 18. Juli 2003 Klage erhoben und das Spermiogramm vom 11. März 2003 (Bericht Prof. Dr. S. an Dr. L. vom 13. März 2003) sowie die an die Klägerin zu 1) bzw. den Kläger zu 2) gerichteten Rechnungen des FCH/Prof. Dr. R. vom 3. September 2003 über 2.126,20 EUR, 87,72 EUR und 1.162,74 EUR, des Anästhesisten Dr. N1 vom 28. August 2003 über 459,72 EUR und vier auf die Klägerin zu 1) ausgestellte Privatrezepte Prof. Dr. R.’s über 2x 388,60 EUR und 2 x 32,96 EUR vorgelegt. Ihnen dürfe nicht schaden, dass beim Kläger zu 2) die Progressivmotilität nicht unterhalb der Grenzwerte liege. Darauf könne es nicht ankommen, weil er auf Grund des hohen Anteils pathologischer Samenzellen faktisch unfruchtbar und die ICSI-Behandlung die einzige Methode sei, diese Unfruchtbarkeit zu überwinden. Ihnen seien auf Grund des auf eigene Kosten im August 2003 durchgeführten ICSI-Versuchs am XXXXX 2004 Kinder (Zwillinge) geboren worden.

Auf Anfrage des Sozialgerichts vom 28. Juni 2005 hat Prof. Dr. R. mit Schreiben vom 8. Juli 2005 ausgeführt, dass Maßnahmen nach Nrn. 10.1. 10.2 und 10. 3 Künstliche BefruchtungsRL (IVF mit Embryo-Transfer) von vornherein ausgeschieden seien. Aus reproduktionsmedizinischer Sicht habe der Spermiographiebefund eindeutig die Kriterien zur Durchführung einer ICSI-Behandlung geliefert. Die Vorgaben von Nr. 11.5 der Richtlinien habe er indes nicht erfüllt.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 16. Januar 2006 abgewiesen. Die Fertilitätsstörung des Klägers zu 2) falle nicht unter die Indikationen von Nr. 11.5 Künstliche BefruchtungsRL. Deren Voraussetzungen könnten nicht auf die Art seiner individuellen Fertilitätsstörung erstreckt werden. Die Kostenzusage der Beklagten vom 18. März 2002 habe sich nur auf den damals erfolgten ersten ICSI-Versuch erstreckt.

Gegen das ihnen am 10. Februar 2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 7. März 2006 eingelegte Berufung der Kläger. Sie sind der Ansicht, die Beklagte müsse zumindest zur Erstattung hinsichtlich der für ein IVF-Verfahren angefallenen Kosten verurteilt werden, weil das IVF-Verfahren notwendiger Bestandteil des ICSI-Verfahrens sei, wie der Prozessvertreter der Beklagten im Termin des Sozialgerichts am 2. Mai 2005 geäußert habe. Im Übrigen habe der Kläger zu 2) Anspruch auf das ICSI-Verfahren gehabt, weil seine Fertilisationsstörung (auf natürlichem Wege nicht zu überwindende Unfruchtbarkeit) ebenso sicher nachgewiesen worden sei, wie es von den Kriterien der Nr. 11.5 Künstliche BefruchtungsRL gefordert werde. Zudem liege ein Ausnahmefall vor, weil die Richtlinien nicht berücksichtigten, dass der Anteil von pathologisch geformten Samenzellen so hoch sein könne, dass es auf die sonstigen Kriterien nicht mehr ankomme.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 16. Januar 2006 und die Bescheide der Beklagten vom 4. Februar 2003 und 4. März 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Klägern für die im August 2003 durchgeführte Maßnahme der künstlichen Befruchtung Kosten in Höhe von 4.677,92 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 21. Februar 2006 (B 1 KR 29/04 R, USK 200 -13). Eine Möglichkeit der Beteiligung iS einer Kostenübernahme für eine IVF bestehe nicht, weil es sich bei der IVF und der ICSI um zwei unterschiedliche Verfahren mit unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen (vgl. Nr. 8 Satz 4 Künstliche BefruchtungsRL) handele. Dies komme auch im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM) zum Ausdruck.

Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz ( SGG )).

Das Rechtsmittel ist aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Bescheide vom 4. Februar und 4. März 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2003 sind rechtmäßig. Die Beklagte hat den Leistungsantrag nicht zu Unrecht abgelehnt. Den Klägern steht der geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht zu.

Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war (§ 13 Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB V )). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Beklagte hat weder eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht noch eine Leistung zu Unrecht abgelehnt. Die Kläger hatten nämlich keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten einer kombinierten IVF-ICSI Behandlung.

Nach dem im Zeitpunkt der Antragstellung, der Leistungsablehnung und der Leistungserbringung geltenden und hier anzuwendenden § 27a Abs. 1 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung (§ 27 Abs. 1 SGB V) auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn

1. diese Maßnahmen nach ärztlicher Feststellung erforderlich sind, 2. nach ärztlicher Feststellung hinreichende Aussicht besteht, dass durch die Maßnahmen einer Schwangerschaft herbeigeführt wird; eine hinreichende Aussicht besteht in der Regel nicht mehr, wenn die Maßnahme viermal ohne Erfolg durchgeführt worden ist, 3. Personen, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiratet sind, 4. ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden und 5. sich die Ehegatten vor Durchführung der Maßnahmen von einem Arzt, der die Behandlung nicht selbst durchführt, über eine solche Behandlung unter Berücksichtigung ihrer medizinischen und psychosozialen Gesichtspunkte haben unterrichten lassen und der Arzt sie an einen der Ärzte oder eine der Einrichtungen überwiesen hat, denen eine Genehmigung nach § 121a SGB V erteilt worden ist.

Nach § 27a Ab Höhe s. 3 SGB V übernimmt die Krankenkasse nur die Kosten der Maßnahmen nach Abs. 1, die bei ihrem Versicherten durchgeführt werden. Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss) bestimmt zudem nach § 27a Abs. 4 SGB V in Richtlinien nach § 92 (Abs. 1 Satz 2 Nr. 10) SGB V die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen nach Abs. 1. Unter Anwendung der genannten gesetzlichen Vorschriften und Richtlinien hatten die Kläger keinen Anspruch auf eine medizinische Maßnahme zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, sodass ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V nicht besteht.

Der Senat kann offen lassen, ob die Voraussetzungen des § 27a Abs. 1 Nr. 5 SGB V erfüllt sind. Den Unterlagen ist nicht zu entnehmen, von welchem Arzt außerhalb des FCH, das eine Einrichtung iSd § 121a SGB V darstellt, sich die Kläger vor Durchführung/Beantragung der Maßnahme iSd § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V haben unterrichten und in das FCH überweisen lassen. Ob dies durch Dr. L., an den sich der Bericht Prof. Dr. S.’s vom 13. März 2003 über das Spermiogramm vom 11. März 2003 richtete, durch Dr. S1 oder etwa durch Prof. Dr. S. vom UKE - oder überhaupt nicht - geschehen ist, steht nicht fest, bedarf aber keiner Ermittlung, weil die Kläger auch nicht die Indikationsvoraussetzungen erfüllen, welche die Künstliche BefruchtungsRL an die Methode der ICSI iSd Nrn. 10.5, 11.5 Künstliche BefruchtungsRL idF der Bekanntmachung vom 26. Februar 2002 (BAnz. S. 10941) mWv 1. Juli 2002 stellen.

Als medizinische Indikation zur Durchführung von ärztlichen Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung gilt für die ICSI mit gegebenenfalls intratubarem Embryo-Transfer (ET bzw. EIFT) gem. Nr. 11., 11.5 Künstliche BefruchtungsRL eine männliche Fertilisationsstörung, nachgewiesen durch zwei aktuelle Spermiogramme im Abstand von mindestens 12 Wochen, welche unabhängig von der Gewinnung des Spermas bestimmte Grenzwerte - nach genau einer Form der Aufbereitung (nativ oder swim-up-Test) - unterschreiten: der eine Indikation rechtfertigende Befund muss bei der Nativ-Aufbereitung hinsichtlich des Merkmals Konzentration (Mio./ml) ( 5, bei der Gesamtmotilität (%) ( 30, bei der Progressivmotilität (WHO A in %) ( 25 und bei den Normalformen (%) ( 20 ausfallen. Alternativ muss er bei der swim-up-Aufbereitung hinsichtlich der Konzentration ( 5, bei der Gesamtmotilität ( 50, bei der Progressivmotilität ( 40 und bei den Normalformen ( 20 ergeben. Sind nicht alle Kriterien gleichzeitig erfüllt, so ist das entscheidende Kriterium die Progressivmotilität (Nr. 11.5 Satz 2 Künstliche BefruchtungsRL). Sofern diese unter 15 % im Nativsperma oder unter 30 % im swim-up-Test liegt, so liegt eine Indikation für die ICSI vor (Nr. 11.5 Satz 3 Künstliche BefruchtungsRL). Die Beurteilung des Spermas hat nach den gültigen WHO-Vorgaben zu erfolgen (Nr. 11.5 Satz 4 Künstliche BefruchtungsRL). Den Nachweis der Fertilitätsstörung nach diesen Vorgaben der Künstliche BefruchtungsRL haben die Kläger nicht geführt.

Die für einen Leistungsantrag vom Januar 2003 nicht mehr aktuellen und zudem den Mindestabstand von 12 Wochen nicht wahrenden Spermiogramme vom 08. Mai und 10. Juli 2001, auf deren Inhalt Bezug genommen wird, sowie das Spermiogramm vom 11. März 2003, zu dem kein weiteres (notwendiges) aktuelles Spermiogramm (mit einem Abstand von mindestens 12 Wochen) vorgelegt worden ist, erfüllen die Voraussetzungen der Künstliche BefruchtungsRL nicht. Insbesondere beträgt die Progressivmotilität (WHO A in %) nach dem Spermiogramm vom 11. März 2003 30% und ist damit regelhaft. Die Spermatozoenkonzentration unterschreitet mit 76,7 Mio./ml den Grenzwert nicht. Dies ist unter den Beteiligten nicht streitig. Streitig ist ferner nicht, dass die Morphologie der Spermien des Klägers zu 2), wie elektronenmikroskopische Untersuchungen ergeben haben, zu 95% (und mehr) pathologisch ist. Nur 1% bis 5% seiner Samenzellen sind normal geformt. Streitig ist zwischen den Beteiligten nur, ob dieser hochgradige Anteil fehlgeformter Samenzellen als Nachweis einer männlichen Fertilisationsstörung iSd Künstliche BefruchtungsRL genügt, d.h., ob er nach diesen Richtlinien eine medizinische Indikation für die ICSI begründet. Das ist entgegen der Auffassung der Kläger nicht der Fall.

Die Künstliche BefruchtungsRL regeln, wie das Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 3. April 2001 (B 1 KR 4/00 R, BSGE 88,62) gefordert hat, Näheres über die Indikationen für die einzelnen Befruchtungstechniken. Der Fall der ausschließlich hochgradig eingeschränkten Spermienmorphologie wird von ihnen, obwohl auch insoweit von einer Fertilitätsstörung gesprochen werden könnte, nicht erfasst. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat anlässlich seiner mit Wirkung zum 22. Januar 2004 (Bekanntmachung vom 1. Dezember 2003, BAnz. 2004, S 910) erfolgten Änderungen der Künstliche BefruchtungsRL, welche auch die ICSI betreffen (vgl. Nr. 8 Satz 2 3. und 5. Spiegelstrich, Nr. 9), die medizinischen Indikationen für die ICSI nicht geändert. Gleichwohl kann davon ausgegangen werden, dass dem Gemeinsamen Bundesausschuss nicht unbekannt ist, dass männliche Versicherte mit pathologischer Spermienmorphologie, deren Sperma ansonsten im Hinblick auf Konzentration und Motilität unauffällig ist, angesichts der in Nr. 11.5 Künstliche BefruchtungsRL ausdrücklich geforderten Kriterien für den Nachweis einer Fertilitätsstörung von ärztlichen Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung (ICSI) ausgenommen sind.

Der Senat sieht darin keinen Verstoß gegen den in § 27a SGB V grundsätzlich niedergelegten Leistungsanspruch. Ob der Gemeinsame Bundesausschuss - was das BSG im genannten Urteil für möglich erachtet hat - im Zusammenhang mit seiner 2002 getroffenen Regelung Anlass zu Beschränkungen bei der ICSI, etwa im Vergleich zur IVF oder aus Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten bzw. aus Gründen spezieller, auch genetischer Risiken und möglicher Fehlbildungen (vgl. Nr. 16 Künstliche BefruchtungsRL) gesehen und deshalb die ICSI nur unter einer strengen Indikationsstellung zugelassen hat, bedarf keiner Überprüfung durch das Gericht. Auch wenn Prof. Dr. R. und Prof. Dr. S. ausgeführt haben, dass aufgrund der Einschränkungen im morphologischen Bereich (und mangels sonstiger Alternative) die Indikation für Maßnahmen der assistierten Reproduktion gegeben sei, so ist es doch nicht Aufgabe des Gerichts, den Indikationsbereich für ICSI-Maßnahmen über die Künstliche BefruchtungsRL und die Bestimmungen des EBM hinaus zu erweitern. Durch die elektronenmikroskopische Untersuchung im UKE konnte zwar nach den Ausführungen von Prof. Dr. R. eine viel differenziertere Aussage über die Qualität der Samenzellen des Klägers zu 2) getroffen werden, als dies sonst in Deutschland möglich gewesen wäre. Nur dies erlaubte die Feststellung, dass der effektivste und sicherste Weg zur Herbeiführung einer Schwangerschaft die IVF/ICSI-Behandlung sei, weil durch diese Methode die verminderte Qualität der Spermien, die in der Natur vermutlich zu keiner Befruchtung führen würde, völlig kompensiert wird. Allein unter reproduktionsmedizinischen Gesichtspunkten mochte deshalb eine Indikation gegeben sein. Indes kann man für die hier streitige Zeit des Jahres 2003 nicht mit Recht verlangen, dass der Bundesausschuss auch die Fälle, in denen die Qualität des männlichen Spermas nach allgemeinem Erkenntnisstand einer faktischen Unfruchtbarkeit gleichkommt, so dass die Chance einer Schwangerschaft (ohne vorherige gezielte Qualitätsselektion bei der Manipulation des Befruchtungsvorgangs) auch bei der ICSI-Methode äußerst gering ist, bereits in den Indikationskatalog für ICSI aufnehmen musste. Das verlangte im Jahre 2003, auf dessen Verhältnisse es ankommt, weder der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz (GG) noch das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG oder das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit oder des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. hierzu LSG Brandenburg 31. Januar 2006 - L 24 KR 43/05). Diese Grundrechtsnormen gewähren im Allgemeinen keinen Anspruch auf eine bestimmte Sozialleistung. Die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses, den Befund einer hochgradigen pathologischen Spermienmorphologie (allein) nicht als Indikation für eine Behandlung nach § 27a SGB V (ICSI) genügen zu lassen, ist im Lichte dieser Grundrechte nicht willkürlich.

Nr. 8 Satz 5 Künstliche BefruchtungsRL, wonach medizinisch begründete Ausnahmen der Genehmigung durch die Krankenkasse bedürfen, verhilft den Klägern nicht weiter. Diese Bestimmung bezieht sich auf Ausnahmen von der grundsätzlichen Alternativität der in Nr. 8 Sätze 3 und 4 beschriebenen Indikationen. Hier liegt aber nach dem Wortlaut der Richtlinien kein Indikationsbefund vor. Ein Ermessen war der Beklagten insoweit nicht eingeräumt.

Soweit die Kläger Kostenerstattung zumindest für den das IVF-Verfahren betreffenden Teil der IVF/ICSI Behandlung begehren, dringen sie ebenfalls nicht durch. Die Gemeinsamkeit der ICSI mit der konventionellen IVF ohne ICSI erschöpft sich darin, dass die Befruchtung extrakorporal stattfindet und dass deshalb Eizellen und Spermien dem Körper entnommen sowie Embryonen in den Körper eingebracht werden müssen. Infolgedessen kann die medizinische Bewertung des Zusammenbringens von Samen- und Eizelle in einer die Befruchtung begünstigenden Umgebung bei der IVF auf den technisch völlig anderen Vorgang des Eindringens in die Eizelle mit einer Injektionsnadel bei der ICSI nicht übertragen werden. Die Mikroinjektion gibt dieser Art der künstlichen Befruchtung erst das Gepräge (BSG 21. Februar 2006 - B 1 KR 29/04 R, aaO). Abgesehen davon hat Prof. Dr. R. überzeugend dargelegt, dass eine alleinige IVF-Maßnahme (ebenso wie die Methoden nach Nr. 10. 1 und 10.2 Künstliche BefruchtungsRL) vorliegend von vornherein ausschied, da bei diesem Verfahren nicht damit zu rechnen war, dass eine Befruchtung eintritt. Auf eine unwirtschaftliche ärztliche Maßnahme zur künstlichen Befruchtung kann ein Kostenerstattungsanspruch aber nicht gestützt werden (§ 12 Abs. 1 SGB V).

Nach alledem ist die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst.
Rechtskraft
Aus
Saved