L 5 B 531/06 ER AS

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 54 AS 2052/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 5 B 531/06 ER AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 13. November 2006 aufgehoben und der Antrag abgelehnt. Die Anschlussbeschwerde wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die am 16. November 2006 durch die Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg (SG) vom 13. November 2006 eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen und die es dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat (§ 174 Sozialgerichtsgesetz - SGG), ist statthaft und zulässig (§§ 172, 173 SGG).

Sie ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin zu Unrecht im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin in den Monaten November und Dezember 2006 darlehensweise die Differenz zwischen der Wassergeldpauschale in Höhe von 17.- Euro und der tatsächlich zu leistenden Abschlagzahlung in Höhe von 43.- Euro zu bewilligen.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu dem die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Sowohl Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gem. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zumachen.

Vorliegend fehlt es bereits an einem Anordnungsgrund. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass der Antragstellerin wesentliche Nachteile drohen, wenn sie bis zur Entscheidung in der Hauptsache die Differenz zwischen der Wassergeldpauschale und der tatsächlich zu leistenden monatlichen Abschlagzahlung vorläufig selbst zu tragen hat. Es handelt sich hierbei um einen Betrag in Höhe von 26.- Euro monatlich. Das Vorliegen eines wesentlichen Nachteils ist jedoch in Fällen, in denen Geldleistungen im Streit stehen, deren Höhe weniger als 10 vom Hundert der monatlichen Regelleistung beträgt, generell zu verneinen.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG muss eine Regelungsanordnung zur ´Abwendung wesentlicher Nachteile nötig` erscheinen. Der unbestimmte, durch das Gesetz nicht näher umschriebene Rechtsbegriff des wesentlichen Nachteils ist unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks da- hingehend zu konkretisieren, dass dieser nur dann vorliegt, wenn entweder die Gefahr der Rechtsvereitelung oder jedenfalls die einer wesentlichen Erschwerung der Rechtsverwirklichung droht (Peters-Sautter-Wolff, SGG-Kommentar, § 86b RdNr. 77; vgl. auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kommentar 8. Aufl., § 86b RdNr. 28).

Die Gefahr einer Rechtsvereitelung ist, wenn – wie hier – lediglich Geldleistungen im Streit stehen, grundsätzlich nicht relevant. Etwas anderes gilt nur dann, wenn es um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens geht, weil derartige Beeinträchtigungen nicht mehr nachträglich ausgeglichen werden können, selbst wenn die im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden (vgl. BVerfG v. 12.5.2005, 1 BvR 569/05, Breith 2005, S. 803 ff., 805). Darum geht es hier jedoch nicht, weil das Existenzminimum der Antragstellerin unberührt bleibt, wie noch ausgeführt wird.

Aber auch die Gefahr einer wesentlichen Erschwerung der Rechtsverwirklichung ist vorliegend nicht erkennbar. Diese wird dann angenommen, wenn ein Antragsteller wegen der Langwierigkeit des Hauptsacheverfahrens bis zu seiner Erledigung erhebliche rechtliche, wirtschaftliche oder auch ideelle Nachteile in Kauf nehmen müsste.

Derartige ´erhebliche` wirtschaftliche Nachteile drohen der Antragstellerin vorliegend nicht. Nach Auffassung des Senats führt nicht jede – geringfügige – Unterschreitung des Regelsatzes dazu, dass ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens unzumutbar wäre (ebenso LSG Sachsen, Beschluss v. 24.10.2006, L 3 B 158/06 AS-ER, m.w.N.; a.A. LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 6.9.2006, L 13 AS 3108/06 ER-B).

Zwar wird die Auffassung vertreten, dass beim Streit um Grundsicherungsleistungen ein Anordnungsgrund in aller Regel anzunehmen sei, da diese Leistungen gerade dazu bestimmt seien, den Lebensunterhalt und damit ein menschenwürdiges Dasein zu gewährleisten (Binder in Hk-SGG, 2. Aufl., § 86b RdNr. 36). Dabei wird jedoch außer Betracht gelassen, dass die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch – Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – SGB II nach der gesetzlichen Konzeption über die Sicherung des bloßen existentiellen Bedarfs hinausgehen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Gesetzgeber für einen begrenzten Zeitraum sogar eine Absenkung der Regelleistung um 30 v.H. für zumutbar hält, wie sich aus § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II ergibt. Es spricht daher einiges dafür, die Grenze des zum Lebensunterhalt Unerlässlichen bei 70 v.H. der Regelleistung anzusetzen (so SG Dortmund, Beschluss v. 17.11.2005, S 22 AS 206/05 ER – Juris; vgl. auch LSG Sachsen, Beschluss v. 24.10.2006, L 3 B 158/06 AS-ER). Um Bedenken Rechnung zu tragen, dass es sich hierbei um eine – zudem zeitlich befristete – Sanktion handelt, hält es der Senat allerdings für sachgerechter, auf die Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II zurückzugreifen. Danach ist ein nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II im Einzelfall zur Deckung eines unabweisbaren Bedarfes gewährtes Darlehen durch monatliche Aufrechnung in Höhe von bis zu 10 vom Hundert der an den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zu zahlenden Regelleistung zu tilgen.

Wenn es der Gesetzgeber - außerhalb von Sanktionsmaßnahmen – somit für zumutbar hält, dass durch die notwendige Darlehenstilgung der Regelsatz um bis zu 10 v.H. – bei Alleinstehenden also um maximal 34,50 Euro im Monat – reduziert werden kann, ohne dass dies das Existenzminimum berührt, gibt dies zugleich einen Maßstab dafür, wann ein ´wesentlicher` Nachteil im Sinne des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG anzunehmen ist, und wann nicht. Da der hier strittige Betrag diesen Wert unterschreitet, ist es der Antragstellerin somit zumutbar, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten.

Ergänzend verweist der Senat darauf, dass es die Antragstellerin selbst in der Hand hätte, die Belastung zu verringern. Da der monatlichen Abschlagzahlung ein Wasserverbrauch im vorangegangenen Abrechnungszeitraum zugrunde liegt, der den durchschnittlichen Wasserverbrauch von 116 Litern pro Kopf und Tag (vgl. ´Fachliche Vorgabe zu § 22 SGB II`, Ziff. 2.2) mit 314 Litern fast um das Dreifache übersteigt, und keine nachvollziehbaren und anerkennenswerten Gründe erkennbar sind, die diesen Mehrverbrauch rechtfertigen, ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin die Nachteile durch schlichte Verbrauchseinschränkung und nachfolgende Reduzierung der Abschlagzahlungen vermeiden kann.

Die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin muss bereits deswegen erfolglos bleiben, weil dieser – wie ausgeführt – kein Anordnungsgrund zur Seite steht.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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