L 6 R 1/05 KN

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 39 RJ 1266/03
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 6 R 1/05 KN
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 18. November 2004 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 21. März 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. Juni 2005 wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zu gelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht ein Anspruch auf Gewährung einer Versichertenrente.

Der 1943 geborene Kläger ist chilenischer Staatsangehöriger. Vom 29. August 1969 bis zum 1. Juni 1972 war er mit Unterbrechungen als Reiniger in der deutschen Seeschiffahrt beschäftigt. Vom 2. Juni bis 22. November 1972 war er wegen Halluzinationen und einer Psychose arbeitsunfähig und wurde stationär in Deutschland behandelt; die Erkrankung wurde von der zuständigen Berufsgenossenschaft nicht als Arbeitsunfall anerkannt. Im Anschluss daran kehrte er in sein Heimatland zurück, wo er seither lebt.

Im Jahre 1975 beantragte der Kläger mit Unterstützung der deutschen Botschaft in Santiago/Chile bei der Beklagten, ihm die zur gesetzlichen Rentenversicherung geleisteten Beiträge zu erstatten; der formularmäßige Erstattungsantrag wurde von ihm am 24. September 1975 unterschrieben. Mit Bescheid vom 27. Januar 1976 erstattete ihm die Beklagte antragsgemäß Beiträge in Höhe von 859,70 DM für Versicherungszeiten vom 29. August 1969 bis 24. Februar 1970, vom 10. bis 20. März 1970, vom 26. November 1971 bis 10. März 1972 und vom 17. April bis 1. Juni 1972. Der Bescheid, der den Hinweis enthielt, dass die Erstattung weitere Ansprüche aus den bisher zurückgelegten Versicherungszeiten ausschließe, wurde dem Kläger am 24. Februar 1976 zugestellt; der Erstattungsbetrag wurde im Februar 1976 angewiesen.

Mit Schreiben vom 5. Mai 1976 wandte sich der Kläger an die Beklagte und teilte mit, dass er zwar 339 $ bekommen habe, jedoch um Prüfung bitte, warum er nicht auch für die Zeit vom 28. Dezember 1970 bis 19. August 1971 Geld erhalte. Die Beklagte verneinte weitere Erstattungsansprüche unter Hinweis darauf, dass der Kläger mit Bescheid vom 17. April 1970 für die Zeit ab dem 6. April 1970 und mit Bescheid vom 4. März 1971 für die Zeit ab dem 28. Dezember 1970 antragsgemäß von der Versicherungspflicht befreit worden sei.

In den Jahren 1992, 1999 und 2000 wandte sich der Kläger wiederholt mit der Bitte um Geld an die Beklagte; in den Jahren 2000 bis 2002 baten zudem nachfolgend fünf Hamburger Fachanwälte für Sozialrecht im Namen des Klägers um Aufklärung. In ihren an den Kläger bzw. seine Bevollmächtigten gerichteten Antwortschreiben verwies die Beklagte jeweils auf die weitere Zahlungsansprüche ausschließende Sach- und Rechtslage.

Mit einem am 8. Mai 2003 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben machte der Kläger einen Rentenanspruch mit der Begründung geltend, 1976 sei ihm lediglich die Unfallversicherung ausbezahlt worden.

Mit Schreiben vom 13. Mai 2003 wandte sich die Beklagte unter Bezugnahme auf dieses Schreiben an den Kläger. Das Schreiben hatte folgenden Inhalt: ´Wie Sie aus den beiliegenden Unterlagen sehen können, haben Sie einen Antrag auf Beitragserstattung gestellt und auch einen Bescheid darüber erhalten. Der Erstattungsbetrag wurde zur Zahlung angewiesen. Eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wurde nie beantragt. Bitte beachten Sie, dass das Versicherungsverhältnis mit der Seekasse mit der Beitragserstattung aufgelöst ist. Rentenansprüche bestehen nicht mehr. Weitere Bemühungen Ihrerseits sind zwecklos.`

Am 29. Dezember 2003 hat der Kläger beim Sozialgericht Hamburg Klage auf Zahlung einer Rente erhoben. Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 18. November 2004 abgewiesen. Bezüglich des Hauptantrages sei die Klage aufgrund des fehlenden Vorverfahrens unzulässig. Zwar sei das Schreiben des Klägers vom 8. Mai 2003 als Rentenantrag zu verstehen, doch stehe eine förmliche Entscheidung über diesen Antrag noch aus. Im Übrigen erfülle der Kläger zudem, selbst wenn man die durchgeführte Beitragserstattung außer Betracht ließe, weder die für eine Altersrente noch die für eine Erwerbsminderungsrente erforderliche Wartezeit.

Hiergegen hat der Kläger fristgerecht Berufung eingelegt. Zur Begründung führt er sinngemäß aus, er habe gegen die Beklagte Anspruch auf eine Altersrente sowie auf eine Erwerbsminderungsrente. Er habe auf deutschen Schiffen als Seemann gearbeitet und dann einen Arbeitsunfall erlitten, aufgrund dessen er nicht mehr an Bord habe arbeiten und auch nicht mehr für die Rentenversicherung habe zahlen können. Wegen des Unfalls sei er sechs Monate in einem psychiatrischen Krankenhaus in Hamburg gewesen. Er sei immer noch an Schizophrenie erkrankt. Seine Rentenversicherung in der Seekasse sei noch gültig.

Der Kläger beantragt nach dem Inhalt der Akten, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 18. November 2004, den Bescheid der Beklagten vom 13. Mai 2003 sowie den Bescheid vom 21. März 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. Juni 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Altersrente, hilfsweise Erwerbsunfähigkeitsrente bzw. Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 18. November 2004 zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 21. März 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. Juni 2005 abzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Mit Bescheid vom 21. März 2005 hat die Beklagte den Antrag des Klägers vom 8. Mai 2003, der als solcher auf Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen nach § 236a Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – SGB VI gewertet wurde, wegen Nichterfüllung der erforderlichen Wartezeit abgelehnt; der Kläger verfüge über keinerlei Beitragszeiten. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juni 2005 hat sie auch den Widerspruch des Klägers zurückgewiesen und auch einen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente verneint. Zwar habe der Kläger für insgesamt 16 Monate Beiträge zur deutschen Rentenversicherung entrichtet, doch sei das Versicherungsverhältnis mit der am 27. Januar 1976 durchgeführten Beitragserstattung gemäß § 1303 Reichsversicherungsordnung (RVO) aufgelöst worden; durch die Erstattung sei auch die Zeit der Arbeitsunfähigkeit im Jahre 1972 als rentenrechtliche Zeit untergegangen. Die für eine Altersrente und eine Erwerbsminderungsrente erforderliche Wartezeit sei daher nicht erfüllt.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift vom 1. Februar 2007 aufgeführten Akten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Die Klage ist allerdings zulässig (geworden). Sie richtet sich bei verständiger Auslegung des klägerischen Begehrens gegen das – einen mit Schreiben vom 8. Mai 2003 erhobenen Rentenanspruch ablehnende – Schreiben der Beklagten vom 13. Mai 2003, das der Senat als Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X ansieht, da alle dort genannten Merkmale gegeben sind.

Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist Verwaltungsakt ´jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist`.

Ob das Schreiben vom 13. Mai 2003 diese Voraussetzungen erfüllt, ist nach allgemeinen Auslegungsregelungen zu bestimmen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz-Kommentar 8. Aufl., Anhang § 54 Rn. 3a). Maßgebend ist, wie der Empfänger die Erklärung nach den Umständen des Einzelfalls verstehen musste (Keller a.a.O.), mithin sein objektiver Sinngehalt aus der Sicht des Empfängers (BSG v. 18.9.1997, 11 RAr 85/96 = SozR 3-4100 § 34 Nr. 4, S. 10).

Aus der Sicht des Klägers war das Schreiben der Beklagten als auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtete Regelung anzusehen. Eine Regelung liegt vor, wenn die Behörde eine potentiell verbindliche Rechtsfolge gesetzt hat, d.h., durch die Maßnahme ohne weiteren Umsetzungsakt Rechte begründet, geändert, aufgehoben oder verbindlich festgestellt hat oder die Begründung, Aufhebung, Änderung oder verbindliche Feststellung solcher Rechte abgelehnt hat (Engelmann in: v. Wulffen, SGB X 5. Aufl. , § 31 RdNr. 24; BSG v. 4.10.1994, 7 KlAr 1/93=BSGE 75, S. 97 ff., 107). Hierzu gehört ein Regelungswille, der auf die Setzung einer Rechtsfolge gerichtet ist (Engelmann a.a.O., § 31 RdNr. 25; ebenso Recht in Hauck/Noftz, SGB X, § 31 RdNr. 20 m.w.N.).

In Anbetracht der vorangegangenen zahlreichen, teilweise unter Einschaltung von Fachanwälten erfolgten Bemühungen des Klägers, von der Beklagten eine Rente zu erhalten, musste der Kläger die letzten Sätze des Schreibens ´Rentenansprüche bestehen nicht mehr. Weitere Bemühungen Ihrerseits sind zwecklos` als abschließende negative Entscheidung über seinen mit Schreiben vom 8. Mai 2003 gestellten Rentenantrag verstehen.

Der Mangel des fehlenden Vorverfahrens ist durch durch den zwischenzeitlich ergangenen Widerspruchsbescheid vom 1. Juni 2005 geheilt (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O., § 78 SGG Rn. 3 m.w.N.). Dies ist unter besonderen Voraussetzungen auch noch im Berufungsverfahren möglich (BVerwG, Urteil vom 2.9.1983 – 7 C 97/81 – Juris), etwa – wie vorliegend – bei Fehlen einer förmlichen Rechtsmittelbelehrung.

Die Beklagte hat einen Anspruch des Klägers auf eine Versichertenrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung sowohl in ihrem Bescheid vom 13. Mai 2003 als auch in dem diesen ersetzenden, nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens gewordenen, Bescheid vom 21. März 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. Juni 2005 zu Recht verneint.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Versichertenrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung, da die im Jahre 1976 erfolgte Beitragserstattung weitere Ansprüche aus den bisher zurückgelegten Versicherungszeiten ausschließt, er in deren Folge über keine auf die nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB VI erforderliche Wartezeit von fünf Jahren anrechenbaren Versicherungszeiten verfügt und im Übrigen selbst bei Außerbetrachtlassung der Beitragserstattung mit den in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegten Versicherungszeiten die Wartezeit nicht erfüllen würde.

Nach § 1303 Abs. 1 Satz 1 RVO in der seinerzeit maßgeblichen Fassung waren dem Versicherten auf Antrag die Hälfte der entrichteten Beiträge zu erstatten, wenn die Versicherungspflicht in allen Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung entfiel, ohne dass das Recht zur freiwilligen Versicherung bestand. Diese Voraussetzungen lagen vor.

Nach § 1233 Abs. 1 Satz 1 RVO setzte das Recht zur freiwilligen Versicherung voraus, dass keine Versicherungspflicht nach deutschen Rentengesetzen bestand und jemand seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich der RVO hatte. Diese Voraussetzung erfüllte der Kläger nicht, da er 1973 auf Dauer nach Chile zurückgekehrt ist. Als chilenischem Staatsbürger fand auch die für deutsche Staatsangehörige geltende Sonderregelung des § 1233 Abs. 1 Satz 2 RVO auf ihn keine Anwendung; ebenso gab es keine Gleichstellung aufgrund von Sozialversicherungsabkommen.

Der Senat hat keine Zweifel an einer ordnungsgemäßen Durchführung des Erstattungsverfahrens. Der Kläger hat ausweislich des in der Verwaltungsakte befindlichen Antragsformulars, das er am 24. September 1975 unterzeichnet hat, ausdrücklich die Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen beantragt; die Beklagte hat diesem Antrag durch Bescheid vom 27. Januar 1976 stattgegeben und den Erstattungsbetrag in Höhe von 859,70 DM angewiesen. Mit Schreiben vom 5. Mai 1976 hat der Kläger den Erhalt eines Betrages von 339 $ bestätigt.

Die Beitragserstattung schließt weitere Ansprüche aus den bisher zurückgelegten Versicherungszeiten und das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung aus (§ 1303 Abs. 7 RVO).

Dem Kläger stünden auch unabhängig von der durchgeführten Beitragserstattung keine Ansprüche auf eine Altersrente bzw. eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (bzw. der früheren Erwerbsunfähigkeitsrente) zu, da er die hierfür erforderliche allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 SGB VI) zu keinem Zeitpunkt erfüllt hat; erst recht gilt dies für die längeren Wartezeiten bei vorgezogenen Altersrenten (§ 50 Abs. 3 und 4 SGB VI). Es liegen auch keine Anhaltspunkte für eine vorzeitige Wartezeiterfüllung nach § 53 SGB VI vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Der Senat hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) oder Nr. 2 SGG (Abweichung von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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