L 1 KR 42/06

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 22 KR 1058/04
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 42/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. Juni 2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Versicherungspflicht der Klägerin in der Künstlersozialversicherung (Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung) ab 10. Juni 2004.

Die 1960 geborene Klägerin, Mitglied der Hanseatischen Krankenkasse und deren Pflegekasse, erwarb im Jahre 1987 an der Fachhochschule Hamburg (Fachbereich Gestaltung) den Grad einer Diplom-Designerin. Von 1984 bis 1998 war sie als freiberufliche Kostümbildnerin bei Film- und Fernsehproduktionen (Hauptauftraggeber: Studio Hamburg und Norddeutscher Rundfunk (NDR)) tätig. Seit Ende 1998 war sie arbeitslos und bezog Leistungen vom Arbeitsamt. Der letzte Bewilligungszeitraum von Arbeitslosenhilfe lief am 11. Juni 2004 ab.

Im Fragebogen zur Prüfung der Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) gab die Klägerin unter dem 22. April 2004 an, am 10. Juni 2004 eine selbständige Tätigkeit als Designerin für stark vergrößerte, wissenschaftlich korrekte Insektenmodelle (Modellbau, Objekte) aufzunehmen. Hierbei werde ihr von der Agentur für Arbeit gewährtes Überbrückungsgeld helfen. Sie sei für mehrere Auftraggeber/Kunden - zumeist naturkundlichen Museen, aber auch die Werbeindustrie und Privatpersonen - tätig und könne jedes Insekt in jedem gewünschten Maßstab liefern. Sie baue ein absolut detailgetreues, wissenschaftlich korrektes Modell, das sich durch eine hohe Übereinstimmung mit dem Vorbild auszeichne. Ihr Modell entspreche von der Flügeläderung bis hin zu authentischer Beborstung und Kolorierung dem Original. Man sehe dem Modell, abgesehen von der Größe, nicht an, dass es nicht echt sei. Bei der Nachgestaltung lege sie auch auf die mehr oder weniger starke Behaarung, ein wichtiges anatomisches Detail, wert, so dass ihre Modelle sehr lebendig wirkten. Diese seien aus Kunststoff und somit stabil. Sie plane, pro Jahr drei bis vier Tiere zu bauen und diese an deutsche und internationale Museen zu verkaufen. Langfristig wolle sie international die Anlaufstelle für exquisite Insektenmodelle werden. Angestellte Kräfte beschäftige sie nicht. Durch enge Zusammenarbeit mit dem Zoologischen Institut Hamburg bzw. Entomologen stelle sie sicher, dass ihre Modelle wissenschaftlich korrekt seien. Sorgfältige Auswahl der Materialien (alterungsbeständig, UV-resistent, bruchsicher) garantiere eine lange "Lebensdauer" der Modelle. Sie erhalte vom Zoologischen Institut die nötige Unterstützung in Bezug auf Beratung und Nutzung der dortigen Geräte (z. B. rasterelektronenmikroskopische Fotoanlage). Ihre Modelle würden zunächst maßstabgerecht in Ton o. ä. modelliert, dann würden die einzelnen Teile mit Silikon abgenommen und mit Kunststoff ausgegossen. Sie sei Mitglied im Verein Deutscher Präparatoren und im Deutschen Museumsbund und plane, ihre Modelle bei Leistungsschauen der Präparatorenverbände zu zeigen und in Museums-Fachzeitschriften (z. B. "Der Präparator") Artikel über die Herstellung ihrer Insektenmodelle zu veröffentlichen. Der Präparator R. vom Bremer Überseemuseum, namhaftester Insektenmodellbauer in Deutschland, habe sie in ihrem Vorhaben, Insektenmodelle auf hohem wissenschaftlichen und handwerklichen Niveau zu bauen, ermutigt. Es gebe in Deutschland allenfalls wenige Präparatoren, die einmal ein Insektenmodell bauten, selten aber auf hohem Niveau, weil ihnen dafür die Zeit fehle.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 3. Juni 2004 fest, dass die Klägerin nicht nach dem KSVG versicherungspflichtig sei. Bei der Anfertigung wissenschaftlich korrekter und stark vergrößerter Insektenmodelle handele es sich nicht um eine durch freie schöpferische Gestaltung geprägte Tätigkeit, die derjenigen eines bildenden Künstlers oder Designers entspreche. Das gestalterische Moment beschränke sich vor allem auf die geeignete Auswahl der zur Verfügung stehenden Gestaltungsmittel. Eine künstlerische Tätigkeit werde nicht ausgeübt.

Die Klägerin widersprach. Mit dem Bau von Insektenmodellen verfolge sie zwei Zielrichtungen. Sie schaffe ein durch Form und Ausdruck auf den Betrachter physisch und psychisch wirkendes Modell. Dies erfolge auf der Grundlage wissenschaftlicher Präzision. Die Kombination von ästhetischer Wirkung bei gleichzeitiger wissenschaftlicher Präzision mache auch die künstlerische Qualität ihrer Arbeiten aus und wecke das Interesse der ausstellenden Museen. Sie ziele mit dem Schaffen der Insektenmodelle in erster Linie auf eine ästhetische Wirkung. Die Entscheidung für ein abzubildendes Insekt erfolge entweder an Hand der gewünschten ästhetischen Wirkung oder auf Grund des ihr erteilten Auftrags. Anschließend recherchiere sie, fertige Mikroskopaufnahmen von mehreren Tieren und wähle aus, welche Teile der mikroskopierten Tiere für das Modell taugten. Das spätere Modell setze sich also immer aus mehreren Vorlagen zusammen. Allein darin stecke eine freie, schöpferische Auswahl und Gestaltung im Hinblick auf die zu erzielende ästhetische Wirkung. Sie zeichne bei der Arbeit am Mikroskop die Insekten maßstabsgerecht ab. Anschließend beginne sie mit dem Entwurf für ein Modell mit der gewünschten ästhetischen Wirkung. In diesem Schaffen liege der Schwerpunkt der schöpferischen Gestaltung.

Die Handwerkskammer Hamburg hatte der Klägerin unter dem 18. Oktober 2000 und 15. April 2004 mitgeteilt, dass derzeit nach Art und Umfang ihrer Tätigkeit keine Eintragungspflicht in die Handwerksrolle bestehe.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 2. September 2004 zurück. Die Tätigkeit einer Designerin für stark vergrößerte, wissenschaftlich korrekte Insektenmodelle sei nicht als künstlerische Tätigkeit einzustufen. Die gefertigten dreidimensionalen, stark vergrößerten Insektenmodelle ließen keinerlei künstlerischen Spielraum erkennen. Ein Gestaltungsspielraum sei im Wesentlichen zu verneinen. Die Klägerin habe selbst angegeben, dass sowohl die Beborstung als auch die Kolorierung dem Original entspreche und das Modell vom Original, abgesehen von der Größe, nicht zu unterscheiden sei. Daher sei nach ihren eigenen Aussagen ihrer Tätigkeit kein künstlerischer Gestaltungsspielraum immanent.

Hiergegen richtet sich die am 21. September 2004 erhobene Klage. Mit ihr hat die Klägerin, die aus ihrer selbständigen Tätigkeit in den Jahren 2004 bis 2006 jeweils zwischen ca. 8.000 EUR und 18.000 EUR Gewinn erzielt hat, ihr Vorbringen aus dem Vorverfahren wiederholt. Die von ihr gezielt geschaffene ideell-ästhetische Wirkung des Modells lasse den Zuschauer auf den ersten Blick zwar erschauern und spiele damit auf einen automatischen Reflex der meisten Menschen an, die aber die Neugierde des zweiten Blicks wecke und den Betrachter zur Auseinandersetzung mit dem Tiermodell einlade, insbesondere zum bewussten Einlassen auf die Schönheit eines Insekts und zur Auseinandersetzung mit der eigenen und zumeist völlig unbegründeten Furcht. Ihr Fall sei mit dem vom BSG am 30. Januar 2001 entschiedenen Fall (B 3 KR 11/00 R, SozR 3-5425 § 2 Nr. 13) vergleichbar. Ihr Schaffen beschränke sich nicht auf die bloße "Vergrößerung" der Insekten, sondern rufe selbst einen ästhetischen Ausdruck hervor und setze auf eine ästhetische Wirkung beim Betrachter. Zur Illustration ihrer Tätigkeit hat die Klägerin sie betreffende Artikel des Jugendmagazins "Freihafen" (4/2006) und der "Imkerlichen Rundschau" (ADIZ/db/IF 11/2005) vorgelegt.

Das Sozialgericht hat der Klage durch Urteil vom 13. Juni 2006 stattgegeben. Mit der Anfertigung wissenschaftlich korrekter stark vergrößerter Insektenmodelle erbringe die Klägerin auch eine künstlerische Leistung iSd § 2 KSVG, nicht nur eine handwerkliche oder technisch-manuelle Leistung. Durch die starke Vergrößerung des Insekts in Gestaltung des von ihr gefertigten Modells erziele sie eine von ihr angestrebte ästhetische Wirkung. Es könne dahinstehen, ob allein die Vergrößerung des Insekts durch das hergestellte Modell eine eigenschöpferische Leistung begründe, weil der Klägerin ein darüber hinaus gehender eigenschöpferischer Gestaltungsspielraum verbleibe, den sie auch ausschöpfe, indem sie die durch die Vergrößerung bereits erzielte ästhetische Wirkung ihrer Insektenmodelle durch die von ihr gekennzeichnete Weise - z. B. durch das Aufzeigen des Mutterverhaltens einer Brutwanze oder durch Hervorhebung der Fragilität der gemeinen Florfliege durch deren Platzierung auf einem vertrockneten Ast oder durch die Verdeutlichung der räuberischen Lebensweise des Sandlaufkäfers durch geöffnete Mundwerkzeuge - verstärke. Dass sie auf Grund der ihr erteilten Aufträge gehalten sei, ein wissenschaftlich korrektes Insektenmodell anzufertigen, stehe dem nicht entgegen. Mit der Tätigkeit eines Restaurators sei ihre Tätigkeit nicht vergleichbar. Sie erstrebe mit ihren Insektenmodellen die erstmalige Realisierung einer eigenen Idee, während der Restaurator bemüht sein, ein teilweise untergegangenes Kunst- oder Kulturgut originalgetreu wieder herzustellen. Dem Restaurator gehe es nicht um die freie Gestaltung einer ästhetischen Wirkung, sondern um die Wiederherstellung eines Objektes und das Aufzeigen der von diesem bekannter Weise ausgehenden Wirkung. Im Übrigen spreche der Umstand, dass die Klägerin überwiegend für Museen arbeite, in denen typischerweise Künstler tätig seien (§ 24 Abs. 1 Nr. 8 KSVG), für ihre Qualifizierung als Künstlerin iSd KSVG.

Gegen das ihr am 5. September 2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19. September 2006 Berufung eingelegt. Das angegriffene Urteil verstoße gegen § 2 KSVG. Die Klägerin schaffe weder darstellende noch bildende Kunst. Bei ihren Insektenmodellen handele es sich um die Herstellung von Ausstellungselementen, welche sie plane und konzipiere, denen aber lediglich eine dienende Funktion bei der Vermittlung naturkundlicher bzw. ökologischer Bildungsziele zukomme (Hinweis auf BSG 26.01.2006 - B 3 KR 1/05, SozR 4-5425 § 2 Nr. 6). Die Insektenmodellbauten hätten insoweit eindeutig pädagogischen Charakter, weil dem Betrachter zum Beispiel die fragilen Körperformen des entsprechenden Insekts nahe gebracht werden sollen. Eine freie Gestaltung der Insektenmodelle "in ideell-ästhetischer Wirkung", welche das BSG dem Kläger des Verfahrens B 3 KR 11/00 R (a. a. O.) zugestanden habe, sei damit nicht verbunden. Bei der Klägerin stehe die eigene Kreativität hinter der eigentlichen Aufgabe zurück, ein vollständig naturgetreues- wenn auch mehrfach vergrößertes- Objekt zu schaffen. Im Übrigen reiche allein der Anspruch, eine ideell-ästhetische Wirkung erreichen zu wollen, für die Bejahung der Künstlereigenschaft nicht aus. Vorliegend sei die Tätigkeit vornehmlich als handwerklich-wissenschaftliche zu qualifizieren. Die Klägerin sei nicht in einem Wirkbereich der bildenden Kunst, sondern für Biologiezentren und Naturkundemuseen tätig. Nicht jegliche Gestaltungsmöglichkeit sei schon eine künstlerische Tätigkeit.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. Juni 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und hat Fotografien von Originalflorfliegeneiern, einer Brutwanze mit grünlich gefärbten Nymphen, einer schwarzbraunen Wegameise und Fotografien der von ihr gestalteten gemeinen Florfliege mit Gelege, Brutwanze mit Nymphen auf Blatt und schwarzbraunen Wegameise, einen DVD-TV-Mitschnitt des NDR ("Rund um den Michel" vom Januar 2007 mit einem Beitrag über sie) und - in der mündlichen Verhandlung - Originalmodelle (Florfliege mit Gelege; Brutwanze) zur Anschauung vorgelegt. Ihre gestalterische Freiheit bestehe einerseits in der gestalteten Szenerie und andererseits in Details der Farbwahl und der individuellen Darstellung. Dem stehe nicht entgegen, dass Kopfform und Anatomie des Körpers des betreffenden Insekts weitgehend durch die Natur vorgegeben seien. Denn es verbleibe immer noch ein ausreichender Gestaltungsspielraum für eine ästhetische und dramaturgische Darstellung.

Aus von der Klägerin vorgelegten Rechnungen geht hervor, dass sie in den Jahren 2004 bis 2006 Modelle eines Sandlaufkäfers, einer Heuschrecke, einer Stechmücke, einer Libelle, einer Brutwanze mit Nymphen auf Birkenblatt, einer Stubenfliege und einer Duboisia-Pflanze entworfen und gestaltet, auch Heuschreckenmodelle repariert hat. Die Arbeiten gingen u. a. an das Biologiezentrum/Oberösterreichische Landesmuseen, N. P. AG Basel, Naturhistorisches Museum Genf und an den Schönbrunner Tiergarten Wien, nach den Angaben der Klägerin auf ihrer homepage ) außerdem an das Bündner Naturmuseum Chur, die Inatura Erlebnis Naturschau Dornbirn, das Museum Mensch und Natur München, das Reiss-Engelhorn-Museum Mannheim, das Zoologische Museum Hamburg, das Staatliche Museum für Naturkunde Görlitz, das Naturkundemuseum Flensburg, das Lübbecke-Museum/Aquazoo Düsseldorf und an e + p C1. H ...

Ergänzend wird auf den Inhalt der Prozessakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz ( SGG )). Ausschließungsgründe liegen nicht vor.

Das Rechtsmittel ist auch begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Bescheid der Beklagten vom 3. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. September 2004 ist rechtmäßig. Die Klägerin unterliegt nicht der Versicherungspflicht nach dem KSVG.

Gem. § 1 Nr. 1 KSVG werden selbstständige Künstler und Publizisten in der allgemeinen Rentenversicherung, in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung versichert, wenn sie eine künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben. Nach § 2 Satz 1 KSVG ist Künstler iS dieses Gesetzes, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausgeübt oder lehrt.

Vorliegend geht es allein darum, ob die Klägerin als Insektenmodellbauerin bildende Kunst schafft. Was unter Schaffung bildender Kunst zu verstehen ist, hat das KSVG im Hinblick auf die Vielfalt, Komplexität und Dynamik der Erscheinungsformen künstlerischer Betätigungsfelder nicht festgelegt. Es spricht nur von Künstlern und künstlerischen Tätigkeiten, verzichtet aber auf eine materielle Definition des Kunstbegriffs. Dieser Begriff ist deshalb aus dem Regelungszweck des KSVG unter Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsauffassung und der historischen Entwicklung zu erschließen.

Der Kunstbegriff des KSVG setzt in jedem Fall eine eigenschöpferische Leistung voraus, für die angesichts des Zwecks der Künstlersozialversicherung - Schutz gerade auch des weniger erfolgreichen Künstlers - allerdings ein relativ geringes Niveau ausreicht. Diese eigenschöpferische Leistung sieht der Senat im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Zwar verkennt der Senat nicht, dass es sich bei dem Bau der Insekten(und Arthropo- den-)modelle um eine auf hohem Niveau stehende handwerkliche, technisch-manuelle Leistung handelt. Gleichwohl stellt sich der individuelle, eigenschöpferische (originäre) Anteil der Klägerin an dieser Arbeit, die künstlerische Gestaltungsfreiheit, eher als nebensächlich dar, tritt hinter die hauptsächliche Intention, nämlich die möglichst naturgetreue Abbildung eines noch existierenden Insekts/Arthropoden, zurück. Diese Intention schränkt naturgemäß den eigenschöpferischen Gestaltungsspielraum in hohem Maße ein. Der Auftraggeber gibt der Klägerin mit der Auswahl des nachzubauenden Insekts im Wesentlichen schon das Ergebnis des Schaffensprozesses vor. Und sie ist, weil die durch Raster-Elektronen-Mikroskop vom nachzubildenden Insekt gewonnenen Fotos eine Überprüfung ihres Modells mit der Wirklichkeit ermöglichen, gehalten, ihre Arbeit - abgesehen von der maßstabgerechten Vergrößerung - so herzustellen, dass eine größtmögliche Übereinstimmung mit dem lebenden Original erreicht wird.

Diese "Naturgetreuheit" des Modells mit dem Original - dem lebenden Tier - herzustellen, ist das erklärte und vorrangige Ziel der Arbeit Klägerin. Das ergibt sich sowohl aus den von ihr vorgelegten Zeitungsartikeln als auch aus ihrer homepage ).

Die Klägerin hat auf Frage des Senats, der in Erfahrung gebracht hatte, dass in Berlin ebenfalls ein Modellbauer von Insekten wirkt, bestätigt, dass dort ein ihr namentlich bekannter Kollege, zu dem sie auch Kontakt hat, auf gleichem Gebiet wie sie tätig ist. Auch dieser Kollege habe es sich zur Aufgabe gemacht, seine Modelle so gut wie möglich mit dem natürlichen Insekt - abgesehen von der Vergrößerung - in Übereinstimmung zu bringen. Während es im herkömmlichen Kunstbetrieb aber gewöhnlich, von besonderen Fallgestaltungen vielleicht abgesehen, die Absicht eines Künstlers ist, sich von anderen Künstlern abzuheben, indem er einen eigenen, ganz individuellen, unverkennbaren Stil entwickelt, der seine höchstpersönliche Kreativität widerspiegelt und nicht nachahmbar erscheint, kann dies von der Arbeit der Klägerin und ihres Berliner Kollegen gerade nicht gesagt werden. Im Idealfall müssten beide nämlich, was die Herstellung des Insektenmodells anbelangt, zum gleichen, identischen Ergebnis kommen, weil die Wirklichkeit des lebenden Insekts feststeht und die bestmögliche Wiedergabe dieser Wirklichkeit im Modell theoretisch nur auf eine ganz bestimmte Weise erreicht werden kann.

Der Fall der Klägerin unterscheidet sich trotz mancher Übereinstimmung im Einzelnen von dem vom BSG im Urteil vom 30. Januar 2001 entschiedenen (B 3 KR 11/00 R, SozR 3-5425 § 2 Nr. 13), auf den sie sich beruft, in einem nach Auffassung des Senats rechtserheblichen Punkt. Das BSG hat in dem genannten Urteil ausgeführt, mit der Rekonstruktion eines ausgestorbenen Tieres - d. h. dem Herstellen eines plastischen Modells dieses Tieres (in Originalgröße oder verkleinert) - erbringe der dortige Tiermodellbauer nicht eine lediglich handwerkliche oder technisch-manuelle, sondern eine künstlerische Leistung iSd § 2 Abs. 1 KSVG. Er müsse zunächst die verfügbaren (natur-) wissenschaftlichen Unterlagen wie aufgefundene Versteinerungen oder entsprechende Funde von verwandten Tieren heranziehen und wissenschaftliche Abhandlungen über das Tier, seine natürliche Umwelt und seine Lebensweise auswerten. Mithilfe dieser Unterlagen müsse er sich eine Vorstellung von den wissenschaftlich gesicherten oder wahrscheinlichen Grundstrukturen des Tieres wie ungefähre Gestalt, Größe und Proportionen verschaffen. Danach müsse er sich Gedanken machen, wie diejenigen Elemente ausgesehen haben könnten, über welche die Wissenschaft nur wenig oder nichts aussagen kann - weil sie in den Versteinerungen nicht oder kaum zum Vorschein kommen - , wie etwa Beschaffenheit der Haut, Augen, Körperhaltung, Gesamtaussehen und -ausdruck. Schließlich müsse er alles in eine dreidimensionale Form umsetzen (unter Verwendung von gießbaren Materialien, Metallen und Kunststoffen) und dabei handwerkliches Geschick sowie ein erhebliches Maß an Gestaltungskraft und Phantasie entwickeln. Sein Ziel sei es, dem Modell "Leben einzuhauchen", d. h. eine anschauliche Gestalt zu finden, bei der auch ein objektiver Be-trachter die Überzeugung gewinnt, dass das Tier so ausgesehen haben könnte. Diese Tätigkeit könne nicht als bloß handwerklich eingestuft werden, gehe auch über die technisch-manuelle, im Wesentlichen konservierende Arbeit eines "Präparationstechnischen Assistenten" hinaus.

Soweit die Klägerin vorbringt, die Annahme des BSG, dass das genaue Aussehen der Dinosaurier unbekannt sei, treffe nicht zu, kann dahingestellt bleiben, ob ihr Einwand stimmt. Entscheidend ist, dass das BSG bei dem Modellbauer ausgestorbener Tiere die Künstlereigenschaft damit bejaht hat, dass er, obwohl er auf der Grundlage sicherer wissenschaftlicher Erkenntnisse baue, im Übrigen versuche, mit seinen Werken in freier Gestaltung eine ideell-ästhetische Wirkung zu erreichen und dass bei ihm das verlangte Mindestmaß an eigenschöpferischer, freier Gestaltung festzustellen war. Diesen Gesichtspunkt hat das BSG auch in seinem Urteil vom 26. Januar 2006 (B 3 KR 1/05 R ( Ausstellungsmacher ), a. a. O.) herausgestellt, indem es dort ausführt: "Soweit der Senat mit Urteil vom 30. Januar 2001 (SozR-3-5425 § 2 Nr 13 S 55 ( Tiermodellbauer )) die Künstlereigenschaft eines Modellbauers von ausgestorbenen Tieren, die in naturwissenschaftlichen Museen ausgestellt werden, bejaht hat, bestand der entscheidende Unterschied zum vorliegenden Fall (= B 3 KR 1/05 R, a. a. O.) gerade darin, das der damalige Kläger in seinen Werken eine eigenständige ideell-ästhetische Wirkung zu erreichen suchte und seine Tätigkeit allein darauf beschränkt hat". Im Urteil vom 25. September 2001 (B 3 KR 18/00 R, SozR 3-5425 § 2 Nr. 14) hat das BSG unter Hinweis auf seine Entscheidung vom 30. Januar 2001 (B 3 KR 11/00 R, a. a. O.) ausgeführt, der Textilrestaurator versuche gerade nicht, worauf in der Entscheidung zum Tiermodellbauer abgestellt worden sei, mit seinen Werken in freier Gestaltung eine ideell-ästhetische Wirkung zu erreichen, sondern lediglich ein bereits existierendes Werk und die von ihm ausgehende Wirkung wiederherzustellen.

Nach Auffassung des Senats beschäftigt sich die Klägerin hauptsächlich mit der möglichst realistischen Abbildung der Insekten nach der Natur, also von real existierenden Tieren. Die der Klägerin - von den Auftraggebern und ihr selbst - gestellte Aufgabe der maßstabgetreuen, strengen Abbildung nach der Natur bedingt, dass sie ihre eigene Kreativität weitgehend hinter dem Ziel, ein Höchstmaß an Übereinstimmung mit der Natur zu erreichen, zurückstellen muss.

Die Tätigkeit der Klägerin wird auch nicht dadurch zu einem eigenschöpferischen (kreativen) künstlerischen Vorhaben, dass sie sich zuweilen die Freiheit nimmt, die Modelle in einer selbst entworfenen Umgebung in Szene zu setzen, indem sie, um etwa die Fragilität eines Insekts hervorzuheben, die Florfliege statt auf einem weichen grünen Blatt auf einem trockenen, dicken braunen Ast platziert, das Florfliegengelege statt an der Unterseite eines grünen Blattes an diesem Ast darstellt oder die räuberische Lebensweise des Sandlaufkäfers durch geöffnete Mandiblen (Mundwerkzeuge) verdeutlicht. Diese gestalterische Freiheit bzw. dieses eigenschöpferische Element bildet nicht den Schwerpunkt der Gesamttätigkeit, gibt ihr nicht das Gepräge, sondern steht im Hintergrund, ist von untergeordneter Bedeutung. Soweit die Klägerin als weiteres Beispiel anführt, dass sie das soziale Mutterverhalten einer (Brut-)Wanze, welche sie nach dem Inhalt des Auftrages auf einem Birkenblatt mit 20 Larven darzustellen hatte (vgl. "Imkerliche Rundschau"), dadurch verdeutlicht habe, dass sie abweichend von der Natur, in der die Jungtiere dicht in einem Pulk zusammen sitzen, ein Jungtier außerhalb der Gruppe gesetzt und im Übrigen für die Jungtiere (Nymphen) statt einer tendenziell eher grünlichen eine zwar mögliche, aber bisher noch nicht nachgewiesene bräunliche Farbgebung gewählt habe, um den Kontrast zu dem grünen Blatt zu verstärken, gilt nichts anderes. Diese Abweichungen von der in der Wirklichkeit vorhandenen Kolorierung bzw. Lokation - ebenso diejenige der Reduzierung der Anzahl längerer Borsten bei der schwarzbraunen Wegameise zur Förderung des Gesamteindrucks - sind kein Beleg für einen erheblichen künstlerischen Gestaltungsspielraum. Durch sie wird der Fall der Klägerin noch nicht zu einem Einzelfall, in dem die Tätigkeit eines Modellbauers künstlerisch sein kann (vgl. Finke/Brachmann/Nordhausen, KSVG, 3. Aufl., 2004, § 2 Rdnr 22). Dass die Klägerin insoweit (ausnahmsweise) nicht nach der Natur - wie nach vorgegebenem Muster - arbeitet, sondern um das Hauptwerk - das vergrößert wiedergegebene Insekt - eine Szene frei gestaltet, macht ihre Tätigkeit nicht schon künstlerisch.

Soweit die Klägerin meint, allein durch die Vergrößerung/Dimensionierung des Insektenmodells erzeuge sie eine - beabsichtigte - ideell-ästhetische Wirkung, was für die Annahme einer künstlerischen Tätigkeit ausreiche, vermag der Senat ihr nicht beizutreten. Zum einen beschränkt die Tätigkeit der Klägerin sich nicht auf das Erreichen einer eigenständigen ideell-ästhetischen Wirkung (vgl. BSG 26.01.2006, B 3 KR 1/05 R, a. a. O.). Letztere tritt hinter die Intention, ein möglichst wissenschaftlich-exaktes Modell zu präsentieren, vielmehr eindeutig zurück. Im Übrigen ist die bloße Vergrößerung nicht mit der erforderlichen Gestaltungsfreiheit gleichzusetzen. In ihr verkörpert sich lediglich eine gute Geschäftsidee, durch deren Umsetzung nicht bereits bildende Kunst iSd § 2 Satz 1 KSVG geschaffen wird.

Schließlich ist die Klägerin auch nicht deshalb als Künstlerin iSd § 2 Satz 1 KSVG anzusehen, weil ihre Insektenmodelle in Museen ausgestellt sind bzw. in Hamburg ("Rosenkäfermodell") in einer Insektenausstellung bzw. im Jahre 2005 in München in der Ausstellung "insektenkosmos. de" ausgestellt waren. Zum einen ist es nur bei Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen (Kunst-) Handwerk einerseits und Kunst andererseits erforderlich, auch die Einschätzung einschlägiger Künstlerkreise zu ermitteln. Diese Ermittlung ist aber dann nicht notwendig, wenn es sich - wie vorliegend - nicht um eine Leistung handelt, die üblicherweise im Rahmen eines Handwerks, insbesondere Kunsthandwerks, erbracht wird (BSG 20.03.1997 - 3 RK 15/96, BSGE 80,136 = SozR 3-5425 § 2 Nr. 5). Zum anderen ist mit der Ausstellung der Insektenmodelle in Naturkundlichen Museen bzw. in spezifischen Ausstellungen über Insekten eine Anerkennung der Klägerin durch Fachkreise der bildenden Kunst nicht verbunden. Eine hohe Wertschätzung bei den Kunden/Auftraggebern oder die Abbildung ihrer Insektenmodelle in einer Imkerzeitschrift reichen dafür nicht aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil er der Sache grundsätzliche Bedeutung beimisst.
Rechtskraft
Aus
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