L 1 R 176/05

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 26 RJ 1247/03
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 R 176/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 19. August 2005 aufgehoben. 2. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2003 verurteilt, der Klägerin ab 7. August 2002 kleine Witwenrente und ab 26. März 2004 große Witwenrente zu gewähren. 3. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. 4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist der Anspruch der Klägerin auf Witwenrente nach dem am XX.XXXXX 1958 geborenen und am XX.XXXXXX 2002 an einer Krebserkrankung verstorbenen B. C. (im Folgenden: Versicherter).

Die am XX.XXXXX 1959 geborene Klägerin hatte den Versicherten am 16. Juni 2002 zum zweiten Mal geheiratet. Ihre erste, am 15. August 1977 geschlossene Ehe war durch Urteil vom 4. März 1993 geschieden worden. Zwischen diesen beiden Ehen mit der Klägerin war der Versicherte vom 22. Juli 1993 bis zur Scheidung am 2. Mai 2002 (Urteil vom 25. April 2002) mit Frau S. B1. (im Folgenden: Zeugin) verheiratet.

Den Witwenrentenantrag der Klägerin vom 23. September 2002 lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 17. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2003 unter Hinweis auf die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ab.

Mit der hiergegen am 23. Dezember 2003 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, sie und der Versicherte hätten auch während der Zeit seiner Ehe mit der Zeugin tatsächlich durchgehend eine Lebensgemeinschaft gebildet. Ihre erneute Ehe habe nach der Scheidung der Ehe des Versicherten mit der Zeugin diesen tatsächlichen Gegebenheiten Rechnung tragen sollen. Wegen des Sachverhalts bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens wird Bezug auf den Tatbestand des Urteils des Sozialgerichts genommen. Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 19. August 2005 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass dem Anspruch der Klägerin auf kleine wie große Witwenrente die Vermutungsregelung des § 46 Abs. 2a SGB VI entgegenstehe. Die zweite Ehe der Klägerin mit dem Versicherten habe nicht einmal zwei Monate gedauert. Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe sei nicht widerlegt. Die Kammer habe sich nicht die erforderliche hinreichend sichere Überzeugung bilden können, dass die Absicherung der Klägerin mit Ansprüchen auf Hinterbliebenenversorgung nicht der alleinige oder zumindest überwiegende Zweck ihrer erneuten Eheschließung mit dem Versicherten war.

Gegen das am 12. September 2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12. Oktober 2005 Berufung eingelegt. Mit dieser trägt sie unter anderem vor, ihre erste Ehe mit dem Versicherten sei auf Druck von dessen Eltern gelöst worden, weil sie kinderlos blieb. Doch habe sich der Versicherte nach der von den Eltern geforderten Eheschließung mit der Zeugin dem Druck seiner Eltern weitestgehend entziehen können, den Kontakt mit ihr wieder hergestellt und sodann durchgehend mit ihr als Partner zusammen gelebt. Eine gefestigte häusliche und eheliche Gemeinschaft des Versicherten mit der Zeugin habe zu keinem Zeitpunkt bestanden. Nur zur Aufrechterhaltung des äußeren Bildes gegenüber der Familie in der Türkei habe der Versicherte die Ehe mit der Zeugin bestehen lassen. Ab Ende 1996 habe sich der Versicherte von der Zeugin scheiden lassen wollen, was diese jedoch ablehnte. Erst im Frühsommer 2001 hätten sie, der Versicherte und die Zeugin sich darauf verständigen können, dass diese eine Scheidungsklage in der Türkei einreichen werde, damit nach rechtskräftiger Scheidung sie, die Klägerin, und der Versicherte erneut heiraten könnten. So sei es dann auch durch den Scheidungsantrag vom 31. August 2001 geschehen. Spätestens im Zeitpunkt der Einreichung der Scheidungsklage in der Türkei seien sie und der Versicherte zur erneuten Liebesheirat fest entschlossen gewesen. Die erneute Heirat habe daher keine Versorgungsehe begründet, sondern sie habe auf ihrem und des Versicherten Entschluss beruht, ihre durchgehende Liebesbeziehung wieder offiziell zu leben und dies für die Familie, Verwandten und Freunde zu dokumentieren. Zum Zeitpunkt der erneuten Heirat wäre ihr und dem Versicherten zwar dessen Erkrankung, nicht aber der nah bevorstehende Tod bekannt gewesen. Nach Auskunft der Ärzte hätte der Versicherte mit seiner Erkrankung auch noch Jahre leben können.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 19. August 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 17. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Witwenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat entgegnet, sie halte die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI nicht für widerlegt. Zum einen sei zum Zeitpunkt der erneuten Heirat die unheilbare Erkrankung des Versicherten bereits bekannt gewesen. Zum anderen stimme der Vortrag im Berufungsverfahren nicht mit den Gründen des türkischen Scheidungsurteils vom 25. April 2002 überein.

Das Gericht hat die Personalakte des Versicherten, der als Betriebsarbeiter bei der Freien und Hansestadt Hamburg beschäftigt war, beigezogen. Es hat in der mündlichen Verhandlung am 13. Juni 2007 die Klägerin gehört und Frau S. B1. als Zeugin vernommen. Auf die Niederschrift über die Sitzung wird insoweit verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift zum Gegenstand der Beratung und Entscheidung des Senats gemachten Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben. Sie ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 17. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2003 ist rechtswidrig. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Witwenrente. Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwenrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat; dieser Anspruch besteht längstens für 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist (§ 46 Abs. 1 SGB VI). Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet haben (§ 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI).

Auf kleine wie große Witwenrente haben Witwen keinen Anspruch, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen (§ 46 Abs. 2a SGB VI). Mit dieser Vorschrift ist die gesetzliche Vermutung begründet, dass bei dem Tod des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung Ziel der Eheschließung war.

Vorliegend hat die Klägerin nach dem Tod des Versicherten nicht wieder geheiratet und hatte der Versicherte die allgemeine Wartezeit erfüllt. Doch bestand deren Ehe – deutlich – weniger als ein Jahr und greift die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe nach § 46 Abs. 2a SGB VI also ein.

Doch ist die Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI widerlegbar. Sie ist widerlegt, wenn besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer trotz kurzer Ehedauer die Annahme einer Versorgungsehe nicht gerechtfertigt ist. Die Widerlegung der Vermutung erfordert den vollen Beweis des Gegenteils, d. h. zumindest einen der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit. Dieser Beweis ist erbracht, wenn alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon oder einen so hohen Grad an Wahrscheinlichkeit zu begründen, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (vgl. LSG Schleswig-Holstein 7.12.2006 – L 1 R 99/06, NZS 2007, 321).

Der Senat ist nach einer entsprechenden Abwägung zu der Überzeugung gelangt, dass vorliegend die Annahme einer Versorgungsehe nicht gerechtfertigt und die Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI widerlegt ist. Der sich aus den Akten ergebende und durch die Anhörung der Klägerin und Vernehmung der Zeugin in der mündlichen Verhandlung ermittelte Sachverhalt weist so zahlreiche Besonderheiten auf, dass der Senat die volle richterliche Überzeugung davon bilden konnte, dass trotz kurzer Dauer der zweiten Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten die Annahme einer Versorgungsehe nicht gerechtfertigt ist.

Zwar kommt es rechtlich nicht in Betracht, auf die Jahresfrist des § 46 Abs. 2a SGB VI die erste, langjährige Ehe der Klägerin mit dem Versicherten anzurechnen. Doch bezeichnet schon der Umstand, dass beide von 1977 bis 1993 miteinander verheiratet waren, eine erhebliche Besonderheit des vorliegenden Falles.

Von besonderer Bedeutung sind die Umstände der Scheidung dieser Ehe. Sie ging auf das Drängen der Eltern des Versicherten zurück, die diesen deshalb zur Trennung von der Klägerin veranlassten, weil seine Ehe mit ihr kinderlos blieb, und sie unbedingt Enkel haben wollten. Glaubhaft hat die Klägerin angegeben, dass sie, die nach einer Operation 1978 keine Kinder mehr habe bekommen können, gegen diese Scheidung nichts habe tun können. Scheidung und Schließung der Ehe des Versicherten mit der Zeugin folgten dann zeitlich in engem Zusammenhang. Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten war in der Türkei durch Urteil vom 4. März 1993 geschieden worden, bereits am 22. Juli 1993 heiratete der Versicherte die Zeugin. Diese hatte er erst während seines Türkeiurlaubs im Sommer 1993 auf Vermittlung seiner Eltern kennengelernt. Die Zeugin war zu diesem Zeitpunkt 33 Jahre alt und hatte bereits zwei 1979 und 1985 geborene Kinder, die sie mit in die Ehe brachte. Die Heirat ist sogleich noch während des Urlaubs des Versicherten vollzogen worden, weil der in Hamburg beschäftigte Versicherte wieder zurück nach Deutschland musste.

In Deutschland haben der Versicherte und die Zeugin allenfalls kurzzeitig eine eheliche Gemeinschaft auch tatsächlich gelebt. Nach der Heirat im Sommer 1993 kehrte der Versicherte nur mit der Klägerin und ohne die Zeugin nach Hamburg zurück. Hier lebte er weiterhin mit der Klägerin gemeinsam in einer Wohnung. Die Zeugin kam erst im Oktober des folgenden Jahres – 1994 – nach Hamburg, nachdem der Versicherte ihr und ihren Kindern hier eine Wohnung angemietet hatte.

Diese Umstände haben die Klägerin und die Zeugin übereinstimmend bekundet. Unabhängig voneinander und mit je eigenen Worten beschrieben sie jeweils in sich stimmig und ohne wesentliche inhaltliche Differenz untereinander die tatsächlichen Umstände der Scheidung des Versicherten von der Klägerin und seiner Eheschließung mit der Zeugin.

Eine Differenz weisen die Angaben der Klägerin und der Zeugin hinsichtlich der Frage auf, ob und wie lange der Versicherte nach der Ankunft der Zeugin in Hamburg bei dieser lebte. Die Klägerin hat angegeben, er sei bei ihr wohnen geblieben und nur zeitweise bei der Zeugin gewesen, die Zeugin hat bekundet, dass sie ein Jahr mit dem Versicherten zusammengelebt habe. Doch können die genauen zeitlichen Abläufe insoweit dahingestellt bleiben. Aus der Differenz ist letztlich zum einen nur ein Argument für die Glaubwürdigkeit der Klägerin und der Zeugin zu ziehen, weil in ihren Angaben eben nicht alles perfekt aufeinander abgestimmt ist.

Zum anderen aber ist selbst nach den Bekundungen der Zeugin es so, dass jedenfalls seit 1995 der Versicherte nicht mehr bei und mit ihr lebte. Sie habe gehört, der Versicherte sei wieder mit seiner früheren Ehefrau – der Klägerin – zusammen. Glaubhaft hat die Klägerin vorgetragen, dass sie, die den Versicherten trotz der Scheidung immer noch geliebt habe, und der Versicherte wieder in partnerschaftlicher Gemeinschaft zusammen gelebt hätten. Die Ehe des Versicherten mit der Zeugin bestand seither zur Überzeugung des Senats nur noch auf dem Papier. Die Zeugin hat insoweit bekundet, in der Zeit seit 1995 habe sie der Versicherte zwar noch regelmäßig besucht, sich nach ihr und ihren Kindern erkundigt, auch gelegentliche Besorgungen gemacht und den Kindern mal Geld gegeben, aber er habe nie mehr bei ihr übernachtet.

Auch insoweit hat der Senat seine Überzeugung aus den Bekundungen der Klägerin und der Zeugin in der mündlichen Verhandlung schöpfen können. Deren Überzeugungskraft im Rahmen der Beweiswürdigung hält der Senat auch deshalb für hoch, weil beider Vortrag im Termin nach dem Eindruck des Senats unbeeinflusst voneinander war und gleichwohl in den Kernaussagen keine wesentlichen Differenzen aufwies.

Die Überzeugungsbildung des Senats gründet gleichwohl nicht allein auf den Angaben der Klägerin und der Zeugin im Termin am 13. Juni 2007. Zusätzlich ergeben sich aus den Akten zahlreiche Hinweise darauf, dass der Versicherte bereits lange vor Eingehung der erneuten Ehe mit der Klägerin mit dieser zusammen lebte. So gab der Versicherte gegenüber dem Krankenhaus G. schon im Juli 2000 und bei seinem Antrag auf eine Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit gegenüber der Rechtsvorgängerin der Beklagten im November 2000 als seine Anschrift die der Klägerin an. Bei seiner Begutachtung im Rahmen dieses Rentenantrags am 14. Dezember 2000 wurde er von der Klägerin begleitet, die als seine Ehefrau auftrat. Auch schlossen der Versicherte und die Klägerin am 3. Mai 2001 einen gemeinsamen Kreditvertrag unter Angabe der Anschrift der Klägerin und mit der – falschen – Angabe, sie seien verheiratet. Zudem ergibt eine Durchsicht der Personalakte des Versicherten, dass er während der Zeit seiner Ehe mit der Zeugin ganz überwiegend unter den Anschriften der Klägerin firmierte und sowohl von seinem Arbeitgeber als auch von dritten Stellen (Krankenkasse, Gläubiger etc.) unter diesen Anschriften angeschrieben worden war.

Die fortbestehende enge, "eheähnliche" Bindung der Klägerin und des Versicherten während der Zeit seiner Ehe mit der Zeugin wird auch dadurch in besonderer Weise deutlich, dass in deren Haushalt der Sohn des Bruders des Versicherten, E. C. (geboren X.XXXXXXX 1978), lebte und beide für ihn sorgten. Hierzu passt, dass noch heute ein Enkelkind des Bruders des Versicherten, Y. C. (geboren XX.XXXXXXX 1996), im Haushalt der Klägerin lebt.

Aus den geschilderten Umständen ist für den Senat der Vortrag der Klägerin nachvollziehbar und stimmig, die erneute Eheschließung mit dem Versicherten sei allererst von beider Absicht getragen gewesen, ihre langjährige Liebesbeziehung zu legalisieren, um sie gegenüber der Familie sowie gegenüber Verwandten und Freunden dokumentieren zu können.

Angesichts dieser Umstände ist es letztlich allein die zeitliche Abfolge der Ereignisse – Feststellung der Krebserkrankung des Versicherten im Februar 2002, Scheidung des Versicherten von der Zeugin mit Ablauf des 2. Mai 2002, Eheschließung der Klägerin mit dem Versicherten am 16. Juni 2002, der kurz danach am 7. August 2002 verstirbt –, die gegen die Klägerin und für eine Versorgungsehe spricht. Diese zeitliche Abfolge aber vermag im Rahmen einer Abwägung aller Umstände die zahlreichen und belastbaren Belege für eine Liebesheirat nach langjährigem partnerschaftlichen Zusammenleben nicht zu überwiegen. Dies auch deshalb nicht, weil es der Klägerin und dem Versicherten zeitlich früher nicht möglich war, erneut zu heiraten. Die Ehe des Versicherten mit der Zeugin ist erst durch das türkische Scheidungsurteil vom 25. April 2002 mit Ablauf des 2. Mai 2002 geschieden worden. Zwar war auch zu diesem Zeitpunkt die Krebserkrankung des Versicherten bereits bekannt, die Prognose der Erkrankung mit den Angehörigen besprochen und mit einer Heilung des Versicherten schon nicht mehr zu rechnen. Doch ist dem Umstand entscheidende Bedeutung beizumessen, dass der Antrag auf Scheidung ihrer Ehe mit dem Versicherten durch die Zeugin bereits am 31. August 2001 in der Türkei gestellt und dies im Frühsommer 2001 mit der Klägerin und dem Versicherten abgesprochen worden war. Zu diesem Zeitpunkt war die Erkrankung des Versicherten noch unbekannt und der Senat ist im Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass schon zu dieser Zeit die Klägerin und der Versicherte zur erneuten Heirat fest entschlossen waren. Versorgungsabsichten mit Blick auf eine Hinterbliebenenversorgung spielten seinerzeit keine Rolle.

Dies unterscheidet den vorliegenden Fall von dem durch das Landessozialgericht Schleswig-Holstein am 7. Dezember 2006 entschiedenen (L 1 R 99/06, NZS 2007, 321). Denn dort meldeten der Versicherte und die Klägerin, die seit 22 Jahren eheähnlich zusammen lebten und keine aktuellen Heiratspläne hegten, die Eheschließung bei dem Standesamt an und heirateten, nachdem wenige Tage zuvor eine Krebserkrankung bei dem Versicherten festgestellt worden war und wenige Tage später eine Operation erfolgen sollte. Aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falls ist hinsichtlich der Kenntnis von einer lebensbedrohlichen Erkrankung auf den Zeitpunkt des mit der Klägerin und dem Versicherten abgesprochenen Scheidungsantrags der Zeugin abzustellen, denn die Scheidung war Voraussetzung der erneuten Heirat und die Klägerin und der Versicherte waren zu diesem Zeitpunkt zur Heirat fest entschlossen. Zu diesem Zeitpunkt aber war die Krebserkrankung des Versicherten unbekannt. Anders also als im durch das Landessozialgericht Schleswig-Holstein entschiedenen Fall fehlt es vorliegend am erkennbaren sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen der Terminierung der Eheschließung und der Krebserkrankung des Versicherten.

Im Übrigen zeigt der aus den Akten ersichtliche zeitliche Ablauf auch, dass die erneute Einweisung des Versicherten wegen Verschlechterung seines Zustands in das Krankenhaus G. erst am 24. Juni 2002 und also nach der Heirat mit der Klägerin am 16. Juni 2002 erfolgte. Nach Auskunft des Krankenhauses G. konnte noch im Juni 2002 aufgrund der laufenden Therapien keine sichere Einschätzung der Lebenserwartung des Versicherten vorgenommen werden. Es sei zwar ärztlicherseits nicht mehr mit einer Heilung zu rechnen gewesen, doch hätte durchaus eine Lebenserwartung von mehreren Monaten bis zu einem Jahr möglich sein können. Grundsätzlich gelte zudem, dass mit den Patienten über die Prognose der Erkrankung gesprochen werde, ohne zeitliche Angaben zu machen. Vor diesem Hintergrund ist nicht einmal gewiss, dass die Klägerin und der Versicherte überhaupt in Kenntnis einer nur noch unter einjährigen Lebenserwartung des Versicherten erneut heirateten.

Es vermag der Klägerin nicht zum Nachteil zu gereichen, dass sie im Rahmen ihrer Anhörung in der mündlichen Verhandlung auch angegeben hat, der Versicherte habe auf jeden Fall gewollt, dass sie seinen Namen trage, auch wenn er sterben würde. Der Senat wertet dies nicht als einen entscheidenden Anhaltspunkt für eine Versorgungsehe. Vielmehr stimmt diese Angabe der Klägerin bruchlos mit ihrem übrigen Vortrag überein: Eben weil die Klägerin und der Versicherte trotz ihrer fortdauernden Liebesbeziehung diese über viele Jahre hinweg nicht auch offiziell leben konnten, war es ihnen und war es nachvollziehbar insbesondere dem Versicherten, der die Scheidung von der Klägerin auf Drängen seiner Eltern veranlasst hatte, ein Anliegen, ihre Liebe und ihr gemeinsames Leben auch nach außen dokumentieren zu können, sobald dies nach Scheidung der Ehe des Versicherten mit der Zeugin möglich war.

Der Tatbestand des türkischen Scheidungsurteils vom 25. April 2002 steht der dargestellten Überzeugung des Senats nicht entgegen. Er ist entgegen der Auffassung der Beklagten schon nicht zu verwerten. Soweit die dortigen Zeugen aussagten, dass der Versicherte ständig trinken, die Zeugin manchmal schlagen und nicht arbeiten würde, sind diese Bekundungen offenkundig falsch. Sowohl der Versicherte als auch die Zeugin lebten in Hamburg, so dass die dortigen Zeugen eine eigene Anschauung von Tätlichkeiten nicht besitzen konnten, über einen Alkoholabusus lässt sich den vorliegenden Arztberichten nichts entnehmen und der Versicherte war seit 1. März 1988 bis zu seinem Tod als Betriebsarbeiter bei der Freien und Hansestadt Hamburg beschäftigt.

Da es der Klägerin zur Überzeugung des Senat gelungen ist, die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe zu widerlegen, hat sie Anspruch auf die am 23. September 2002 beantragte kleine Witwenrente und auf große Witwenrente. Der Anspruch auf die kleine Witwenrente beginnt am Todestag, den 7. August 2002 (§ 99 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB VI), und er endet noch vor Ablauf von 24 Kalendermonaten am 25. März 2004. Denn der Anspruch auf die große Witwenrente der am XX.XXXXX 1959 geborenen Klägerin beginnt am 26. März 2004 und ist von Amts wegen umzuwandeln (§ 115 Abs. 3 Satz 2 SGB VI).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved