Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
15 RJ 1246/99
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 RJ 96/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit ist der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Der 1951 geborene Kläger ist 1973 aus Portugal nach Deutschland zugezogen. Er war hier seit 1979 als Hafenarbeiter erwerbstätig. Aufgrund eines Arbeitsunfalls vom 9. Dezember 1997, bei dem er sich eine Verletzung am rechten Fuß zuzog, schied er aus dem Erwerbsleben aus. Im Anschluss an den Unfall bestand Arbeitsunfähigkeit und der Kläger bezog Verletztengeld von der Berufsgenossenschaft vom 9. Dezember 1997 bis 7. Juni 1999. Am 7. April 1999 beantragte er auf Anraten der Berufsgenossenschaft und veranlasst durch das nahende Auslaufen des Verletztengeldes bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Die Beklagte lehnte den Antrag durch die mit der Klage angefochtenen Bescheide ab, weil der Kläger noch über ein vollschichtiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verfüge.
Die gegen die ablehnenden Bescheide der Beklagten erhobene Klage vor dem Sozialgericht Hamburg blieb erfolglos. Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 27. April 2004 abgewiesen. Wegen des Sachverhalts bis zum Abschluss der ersten Instanz wird Bezug auf das Urteil des Sozialgerichts genommen.
Das Sozialgericht hat sich gestützt auf die von ihm veranlassten Gutachten des Chirurgen Dr. E. und des Neurologen/Psychiaters Dr. L., der auch im Termin zur mündlichen Verhandlung gehört worden war. Es hat festgestellt, dass der Kläger keinen Anspruch auf die begehrte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit habe, denn er verfüge über ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Gegen das am 4. Oktober 2004 zugestellte Urteil des Sozialgerichts hat der Kläger am 26. Oktober 2004 Berufung eingelegt. Mit dieser trägt er unter anderem vor, dass insbesondere das Gutachten von Dr. L. einer Überprüfung nicht standhalte. Dieser habe seine Schmerzsymptomatik nicht richtig zur Kenntnis genommen und deswegen bei der Bewertung des Leistungsvermögens auch nicht berücksichtigt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 27. April 2004 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 1999 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. Mai 1999 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Das Berufungsgericht hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte – vom Chirurgen Dr. S. und von der Fachärztin für Psychiatrie Dr. W. – eingeholt. Es hat sodann ein psychosomatisches Fachgutachten durch den Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin Prof. Dr. Dr. A. veranlasst, der den Kläger am 17. August 2006 untersucht und unter dem 4. September 2006 – unter Hinzuziehung von Frau Dr. M. – sein Gutachten erstattet hat. Prof. Dr. Dr. A. hat die Leistungsfähigkeit des Klägers durch eine reaktive Depression und eine somatoforme Schmerzstörung beeinträchtigt gesehen. Das Erbringen einer regelmäßigen Arbeitsleistung sei nicht zu erwarten. Der Kläger, der für die Anerkennung seiner Beschwerden sowie Wiedergutmachung und Versorgung kämpfe, könnte erhebliche (unbewusste) Widerstände gegen eine ihm abverlangte, körperlich zumutbare Arbeit entwickeln, welche zu einer Symptomverschlechterung führen könnten. Von einer Auflösung seiner Widerstände sei nicht auszugehen. Die Einschränkungen bestünden seit der Antragstellung, die allmähliche Verstärkung der reaktiven Depression habe die Chance auf Heilung weiter erschwert. Eine Besserung sei unwahrscheinlich, weil die reale Situation des Arbeitsmarktes keine Hoffnung auf Verbesserung gestatte und die Auflösung der beschriebenen Widerstände auch unter psychotherapeutischer Behandlung nicht zu erwarten sei, da sie dem Interesse an der Versorgung/Rente konträr laufe. Eine Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des Klägers ganz oder teilweise sei auch durch Rehabilitationsmaßnahmen nicht zu erwarten.
Ein in ihrer Stellungnahme zu diesem Gutachten von der Beklagten unterbreitetes Vergleichsangebot hat der Kläger nicht angenommen. An seiner Ablehnung des Angebots hat er auch im durch den Berichterstatter am 23. Mai 2007 durchgeführten Erörterungstermin festgehalten. Auf den Hinweis des Berichterstatters, dass ein weiteres Gutachten eingeholt werde und bei einer erneuten Begutachtung im Ergebnis für den Kläger auch herauskommen könne, dass ein einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit begründender Leistungsfall gar nicht vorliege, hat der Kläger erklärt, dass ihm dies klar sei.
Im Auftrag des Gerichts hat anschließend der Neurologe/Psychiater Dr. F. den Kläger am 23. August 2007 untersucht und unter dem 29. August 2007 sein Gutachten erstattet. Er hat die Leistungsfähigkeit des Klägers auf nervenärztlichem Gebiet durch die Erkrankungen beeinträchtigt gesehen, die bereits Dr. L. herausgearbeitet habe. Es ergebe sich das im Urteil des Sozialgerichts benannte Leistungsvermögen. Dr. F. hat Zweifel nur insoweit angemeldet, ob auch mittelschwere Tätigkeiten ausgeübt werden könnten. Leichte Tätigkeiten aber hat er in jedem Fall für durch den Kläger leistbar erachtet. Eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens bestehe nicht. Der Kläger sei auch noch wegefähig; der – insoweit im Zusammenwirken mit dem Chirurgen Dr. K. – erhobene klinische Befund stütze die Angaben des Klägers nicht, dass er beschwerlich und langsam zu gehen habe. Seine seelische Störung sei nicht derart tiefgreifend, dass er dadurch außerstande gesetzt würde, Hemmungen gegenüber einer Wiederaufnahme von Erwerbstätigkeiten krankheitsbedingt bei zumutbarer Willensanspannung zu überwinden. Die Einschränkungen des Klägers auf nervenärztlichem Fachgebiet seien niemals schwerer wiegend gewesen als zum Zeitpunkt der Begutachtung am 23. August 2007.
Zu seinem Gutachten hat der Senat Dr. F. im Termin zur mündlichen Verhandlung am 5. September 2007 gehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der zum Gegenstand der Beratung und Entscheidung des Senats gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben. Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 1999 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Auf den geltend gemachten Anspruch sind noch die Vorschriften des § 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (aF) anzuwenden, da der Rentenantrag im Jahre 1999 gestellt worden und Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auch für die Zeit vor dem 1. Januar 2001 – Inkrafttreten der Neufassung des § 43 SGB VI nach dem Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1827) – im Streit ist (§ 300 Abs. 2 SGB VI).
Versicherte haben nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VI aF bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wenn sie erwerbsunfähig sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Erwerbsunfähig sind nach § 44 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB VI aF Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das monatlich 630 Deutsche Mark übersteigt. Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI aF). Dass der Kläger seit Antragstellung im April 1999 nicht mehr in der Lage ist, vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig zu sein, lässt sich nicht feststellen. Sein Leistungsvermögen ist nach den durch die Gutachten von Dr. E., Dr. L. und Dr. F. festgestellten Gesundheitsstörungen zwar eingeschränkt. Doch ist es nach den von den Gutachtern formulierten Leistungseinschätzungen in zeitlicher Hinsicht nicht aufgehoben oder auch nur insoweit eingeschränkt, und es ist danach auch durch qualitative Einschränkungen nicht derart begrenzt, dass hieraus eine Erwerbsunfähigkeit des Klägers zu folgen vermöchte. Der Senat hält diese Einschätzungen für nachvollziehbar, stimmig und überzeugend und folgt ihnen. Jedenfalls leichte körperliche Tätigkeiten mit weiteren qualitativen Einschränkungen kann der Kläger zur Überzeugung des Senats seit Rentenantragstellung vollschichtig und regelmäßig verrichten.
Der insoweit abweichenden, auch zeitliche Einschränkungen bereits seit Rentenantragstellung formulierenden Leistungsbeurteilung im Gutachten von Prof. Dr. Dr. A. folgt der Senat nicht. Das Gutachten vermag diese Beurteilung nicht zu tragen. Es argumentiert mit der Diskrepanz zwischen der Einschätzung der Vorgutachter und der behandelnden Ärztin Dr. W., die imponiere. Aus dieser, in Rentenstreitverfahren nicht unüblichen Diskrepanz folgt jedoch nichts für die rentenmedizinische Leistungseinschätzung. Zudem kennt Dr. W. den Kläger erst seit 2005, liegen die Vorgutachten zeitlich früher und bieten einen tauglichen, über mehrere Jahre reichenden Längsschnittbefund. Diesem entgegen werden aus den – wie eingeräumt wird – "kargen Informationen des Klägers" durch Prof. Dr. Dr. A. weitreichende Annahmen abgeleitet. Die Befunde in den bislang eingeholten Berichten und Gutachten bieten für diese Annahmen keinen hinreichenden Anhalt. Die überraschende, weil durch Prof. Dr. Dr. A. nur knapp begründete Aussage, die Einschränkungen hinsichtlich der Erbringung regelmäßiger Arbeitsleistungen bestünden seit der Antragstellung, passt nicht zu der anderen Aussage des Gutachtens, der Kläger habe im Kampf um die Rente seine reaktive Depression entwickelt. Es enthält insoweit einen unübersehbaren Widerspruch: Wenn die Erkrankung des Klägers durch seinen Kampf um die Rente ausgelöst und/oder verstärkt wurde, kann sie nicht die Aufhebung des Leistungsvermögens von Rentenantragstellung an rechtfertigen. Dieser Leistungsbeurteilung liegt auch ein entsprechender psychopathologischer Befund nicht zugrunde. Sie leitet sich vielmehr wesentlich aus der Beschreibung der Psychodynamik der Erkrankung des Klägers ab, lässt sich aber nicht einmal mit den aus den bislang eingeholten Berichten und Gutachten ersichtlichen eigenanamnestischen Angaben bruchlos vereinbaren. Demgegenüber sind die Ausführungen von Dr. F., der den Kläger anschließend begutachtet hat, nachvollziehbar und stimmig. Sie sind schlüssig auch in der Zusammenschau mit den übrigen Vorgutachten. Im Rahmen seiner umfangreichen Anamnese- und Befunderhebung hat er die Ausführungen von Dr. W. und von Prof. Dr. Dr. A. bei dem Kläger nicht bestätigt gefunden, wohl aber hat sich bei ihm nahezu dasselbe Bild ergeben, wie es Dr. L. gezeichnet hatte. Angesichts der bei Dr. F. gemachten eigenanamnestischen Angaben kann in Übereinstimmung mit ihm von sozialem Rückzug, Antriebsarmut und einem leistungsmindernd depressiven Lebensgefühl des Klägers keine Rede sein.
Überzeugend auch hat Dr. F. die Diagnosen von Dr. W. in Zweifel gezogen. Die Ausführungen von Prof. Dr. Dr. A. zur Psychodynamik der Erkrankung des Klägers hat er zwar nicht in Abrede stellen wollen, aber zu Recht die Frage gestellt, wie im Zusammenhang mit ihnen das Leistungsvermögen des Klägers herabgesenkt sei bzw. eine Herabsenkung desselben begründet werden sollte. Zutreffend hat er zunächst darauf hingewiesen, dass schon nach den Gutachten von Dr. E. und Dr. L. das Sozialgericht nur ein qualitativ deutlich eingeschränktes Leistungsvermögen angenommen habe. Eine auch quantitative Einschränkung lässt sich nach Dr. F. aus den Ausführungen von Prof. Dr. Dr. A. nicht herleiten. Keiner der mit der Situation des Klägers befassten Ärzte habe Symptome körperlicher oder seelischer Erkrankung in derart hohem Umfang niedergelegt, dass allein das Symptom dem Kläger verunmöglichen würde, einer Tätigkeit nachzugehen bzw. dies nur in zeitlich eingeschränktem Umfang. Deshalb sei die Willensfähigkeit, seien die komplexen Ich-Funktionen des Klägers in den Blick zu nehmen, die sich in einer Gutachtensituation gut auf der Befundebene wahrnehmen ließen und damit den anamnestischen Angaben eines Menschen gegenüber gestellt werden könnten. Dabei hat sich für Dr. F. ergeben, es möge sein, dass der Kläger Leiden und Beeinträchtigung in psychosozialen Funktionszusammenhängen als Folge seiner seelischen Störung hinzunehmen habe, er werde aber nicht durch eine dadurch bedingte Einschränkung der Willensfähigkeit daran gehindert, Hemmungen gegenüber einer Wiederaufnahme von Erwerbstätigkeiten zu überwinden. Diesen fundierten und überzeugenden Darlegungen schließt sich der Senat an.
Soweit Dr. F. in seinem Gutachten bezweifelt hat, dass der Kläger noch mittelschwere Tätigkeiten ausüben könne, wie es das Sozialgericht festgestellt hatte, bedarf es der von ihm ins Gespräch gebrachten chirurgisch-orthopädischen Begutachtung zur näheren Abklärung nicht. Denn auch Dr. F. hat in jedem Fall leichte Tätigkeiten für leistbar erachtet. Mehr aber wird dem Kläger durch den Senat auch nicht zugemutet. Ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte körperliche Tätigkeiten schließt jedoch den Leistungsfall der Erwerbsunfähigkeit aus.
Nichts anderes vermag aus den Einschränkungen des Klägers durch den Teilverlust des rechten Zeige- und Mittelfingers zu folgen, auf die sein Bevollmächtigter zuletzt erneut hingewiesen hat. Schon durch die Gutachten von Dr. E. und Dr. L. ist zur Überzeugung des Senats geklärt worden, dass der Kläger an diesen seit seinem 14. Lebensjahr bestehenden Zustand adaptiert ist. Eine nennenswerte Störung der Greiffunktion der rechten Hand ist hieraus durch die beiden Gutachter nicht zu beobachten gewesen.
Einer Prüfung und Entscheidung anhand des neuen, ab 1. Januar 2001 geltenden § 43 SGB VI bedarf es vorliegend nicht. Die Beklagte hat hierüber in den angegriffenen Bescheiden nicht entschieden. Vor dem Sozialgericht ist eine Rente auch wegen Erwerbsminderung nicht beantragt worden. Dass das Sozialgericht am Ende seines Urteils auch die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente nach neuem Recht abgelehnt hat, ist zwar zutreffend, aber nicht Streitgegenstand.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Im Streit ist der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Der 1951 geborene Kläger ist 1973 aus Portugal nach Deutschland zugezogen. Er war hier seit 1979 als Hafenarbeiter erwerbstätig. Aufgrund eines Arbeitsunfalls vom 9. Dezember 1997, bei dem er sich eine Verletzung am rechten Fuß zuzog, schied er aus dem Erwerbsleben aus. Im Anschluss an den Unfall bestand Arbeitsunfähigkeit und der Kläger bezog Verletztengeld von der Berufsgenossenschaft vom 9. Dezember 1997 bis 7. Juni 1999. Am 7. April 1999 beantragte er auf Anraten der Berufsgenossenschaft und veranlasst durch das nahende Auslaufen des Verletztengeldes bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Die Beklagte lehnte den Antrag durch die mit der Klage angefochtenen Bescheide ab, weil der Kläger noch über ein vollschichtiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verfüge.
Die gegen die ablehnenden Bescheide der Beklagten erhobene Klage vor dem Sozialgericht Hamburg blieb erfolglos. Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 27. April 2004 abgewiesen. Wegen des Sachverhalts bis zum Abschluss der ersten Instanz wird Bezug auf das Urteil des Sozialgerichts genommen.
Das Sozialgericht hat sich gestützt auf die von ihm veranlassten Gutachten des Chirurgen Dr. E. und des Neurologen/Psychiaters Dr. L., der auch im Termin zur mündlichen Verhandlung gehört worden war. Es hat festgestellt, dass der Kläger keinen Anspruch auf die begehrte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit habe, denn er verfüge über ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Gegen das am 4. Oktober 2004 zugestellte Urteil des Sozialgerichts hat der Kläger am 26. Oktober 2004 Berufung eingelegt. Mit dieser trägt er unter anderem vor, dass insbesondere das Gutachten von Dr. L. einer Überprüfung nicht standhalte. Dieser habe seine Schmerzsymptomatik nicht richtig zur Kenntnis genommen und deswegen bei der Bewertung des Leistungsvermögens auch nicht berücksichtigt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 27. April 2004 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 1999 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. Mai 1999 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Das Berufungsgericht hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte – vom Chirurgen Dr. S. und von der Fachärztin für Psychiatrie Dr. W. – eingeholt. Es hat sodann ein psychosomatisches Fachgutachten durch den Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin Prof. Dr. Dr. A. veranlasst, der den Kläger am 17. August 2006 untersucht und unter dem 4. September 2006 – unter Hinzuziehung von Frau Dr. M. – sein Gutachten erstattet hat. Prof. Dr. Dr. A. hat die Leistungsfähigkeit des Klägers durch eine reaktive Depression und eine somatoforme Schmerzstörung beeinträchtigt gesehen. Das Erbringen einer regelmäßigen Arbeitsleistung sei nicht zu erwarten. Der Kläger, der für die Anerkennung seiner Beschwerden sowie Wiedergutmachung und Versorgung kämpfe, könnte erhebliche (unbewusste) Widerstände gegen eine ihm abverlangte, körperlich zumutbare Arbeit entwickeln, welche zu einer Symptomverschlechterung führen könnten. Von einer Auflösung seiner Widerstände sei nicht auszugehen. Die Einschränkungen bestünden seit der Antragstellung, die allmähliche Verstärkung der reaktiven Depression habe die Chance auf Heilung weiter erschwert. Eine Besserung sei unwahrscheinlich, weil die reale Situation des Arbeitsmarktes keine Hoffnung auf Verbesserung gestatte und die Auflösung der beschriebenen Widerstände auch unter psychotherapeutischer Behandlung nicht zu erwarten sei, da sie dem Interesse an der Versorgung/Rente konträr laufe. Eine Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des Klägers ganz oder teilweise sei auch durch Rehabilitationsmaßnahmen nicht zu erwarten.
Ein in ihrer Stellungnahme zu diesem Gutachten von der Beklagten unterbreitetes Vergleichsangebot hat der Kläger nicht angenommen. An seiner Ablehnung des Angebots hat er auch im durch den Berichterstatter am 23. Mai 2007 durchgeführten Erörterungstermin festgehalten. Auf den Hinweis des Berichterstatters, dass ein weiteres Gutachten eingeholt werde und bei einer erneuten Begutachtung im Ergebnis für den Kläger auch herauskommen könne, dass ein einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit begründender Leistungsfall gar nicht vorliege, hat der Kläger erklärt, dass ihm dies klar sei.
Im Auftrag des Gerichts hat anschließend der Neurologe/Psychiater Dr. F. den Kläger am 23. August 2007 untersucht und unter dem 29. August 2007 sein Gutachten erstattet. Er hat die Leistungsfähigkeit des Klägers auf nervenärztlichem Gebiet durch die Erkrankungen beeinträchtigt gesehen, die bereits Dr. L. herausgearbeitet habe. Es ergebe sich das im Urteil des Sozialgerichts benannte Leistungsvermögen. Dr. F. hat Zweifel nur insoweit angemeldet, ob auch mittelschwere Tätigkeiten ausgeübt werden könnten. Leichte Tätigkeiten aber hat er in jedem Fall für durch den Kläger leistbar erachtet. Eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens bestehe nicht. Der Kläger sei auch noch wegefähig; der – insoweit im Zusammenwirken mit dem Chirurgen Dr. K. – erhobene klinische Befund stütze die Angaben des Klägers nicht, dass er beschwerlich und langsam zu gehen habe. Seine seelische Störung sei nicht derart tiefgreifend, dass er dadurch außerstande gesetzt würde, Hemmungen gegenüber einer Wiederaufnahme von Erwerbstätigkeiten krankheitsbedingt bei zumutbarer Willensanspannung zu überwinden. Die Einschränkungen des Klägers auf nervenärztlichem Fachgebiet seien niemals schwerer wiegend gewesen als zum Zeitpunkt der Begutachtung am 23. August 2007.
Zu seinem Gutachten hat der Senat Dr. F. im Termin zur mündlichen Verhandlung am 5. September 2007 gehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der zum Gegenstand der Beratung und Entscheidung des Senats gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben. Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 1999 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Auf den geltend gemachten Anspruch sind noch die Vorschriften des § 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (aF) anzuwenden, da der Rentenantrag im Jahre 1999 gestellt worden und Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auch für die Zeit vor dem 1. Januar 2001 – Inkrafttreten der Neufassung des § 43 SGB VI nach dem Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1827) – im Streit ist (§ 300 Abs. 2 SGB VI).
Versicherte haben nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VI aF bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wenn sie erwerbsunfähig sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Erwerbsunfähig sind nach § 44 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB VI aF Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das monatlich 630 Deutsche Mark übersteigt. Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI aF). Dass der Kläger seit Antragstellung im April 1999 nicht mehr in der Lage ist, vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig zu sein, lässt sich nicht feststellen. Sein Leistungsvermögen ist nach den durch die Gutachten von Dr. E., Dr. L. und Dr. F. festgestellten Gesundheitsstörungen zwar eingeschränkt. Doch ist es nach den von den Gutachtern formulierten Leistungseinschätzungen in zeitlicher Hinsicht nicht aufgehoben oder auch nur insoweit eingeschränkt, und es ist danach auch durch qualitative Einschränkungen nicht derart begrenzt, dass hieraus eine Erwerbsunfähigkeit des Klägers zu folgen vermöchte. Der Senat hält diese Einschätzungen für nachvollziehbar, stimmig und überzeugend und folgt ihnen. Jedenfalls leichte körperliche Tätigkeiten mit weiteren qualitativen Einschränkungen kann der Kläger zur Überzeugung des Senats seit Rentenantragstellung vollschichtig und regelmäßig verrichten.
Der insoweit abweichenden, auch zeitliche Einschränkungen bereits seit Rentenantragstellung formulierenden Leistungsbeurteilung im Gutachten von Prof. Dr. Dr. A. folgt der Senat nicht. Das Gutachten vermag diese Beurteilung nicht zu tragen. Es argumentiert mit der Diskrepanz zwischen der Einschätzung der Vorgutachter und der behandelnden Ärztin Dr. W., die imponiere. Aus dieser, in Rentenstreitverfahren nicht unüblichen Diskrepanz folgt jedoch nichts für die rentenmedizinische Leistungseinschätzung. Zudem kennt Dr. W. den Kläger erst seit 2005, liegen die Vorgutachten zeitlich früher und bieten einen tauglichen, über mehrere Jahre reichenden Längsschnittbefund. Diesem entgegen werden aus den – wie eingeräumt wird – "kargen Informationen des Klägers" durch Prof. Dr. Dr. A. weitreichende Annahmen abgeleitet. Die Befunde in den bislang eingeholten Berichten und Gutachten bieten für diese Annahmen keinen hinreichenden Anhalt. Die überraschende, weil durch Prof. Dr. Dr. A. nur knapp begründete Aussage, die Einschränkungen hinsichtlich der Erbringung regelmäßiger Arbeitsleistungen bestünden seit der Antragstellung, passt nicht zu der anderen Aussage des Gutachtens, der Kläger habe im Kampf um die Rente seine reaktive Depression entwickelt. Es enthält insoweit einen unübersehbaren Widerspruch: Wenn die Erkrankung des Klägers durch seinen Kampf um die Rente ausgelöst und/oder verstärkt wurde, kann sie nicht die Aufhebung des Leistungsvermögens von Rentenantragstellung an rechtfertigen. Dieser Leistungsbeurteilung liegt auch ein entsprechender psychopathologischer Befund nicht zugrunde. Sie leitet sich vielmehr wesentlich aus der Beschreibung der Psychodynamik der Erkrankung des Klägers ab, lässt sich aber nicht einmal mit den aus den bislang eingeholten Berichten und Gutachten ersichtlichen eigenanamnestischen Angaben bruchlos vereinbaren. Demgegenüber sind die Ausführungen von Dr. F., der den Kläger anschließend begutachtet hat, nachvollziehbar und stimmig. Sie sind schlüssig auch in der Zusammenschau mit den übrigen Vorgutachten. Im Rahmen seiner umfangreichen Anamnese- und Befunderhebung hat er die Ausführungen von Dr. W. und von Prof. Dr. Dr. A. bei dem Kläger nicht bestätigt gefunden, wohl aber hat sich bei ihm nahezu dasselbe Bild ergeben, wie es Dr. L. gezeichnet hatte. Angesichts der bei Dr. F. gemachten eigenanamnestischen Angaben kann in Übereinstimmung mit ihm von sozialem Rückzug, Antriebsarmut und einem leistungsmindernd depressiven Lebensgefühl des Klägers keine Rede sein.
Überzeugend auch hat Dr. F. die Diagnosen von Dr. W. in Zweifel gezogen. Die Ausführungen von Prof. Dr. Dr. A. zur Psychodynamik der Erkrankung des Klägers hat er zwar nicht in Abrede stellen wollen, aber zu Recht die Frage gestellt, wie im Zusammenhang mit ihnen das Leistungsvermögen des Klägers herabgesenkt sei bzw. eine Herabsenkung desselben begründet werden sollte. Zutreffend hat er zunächst darauf hingewiesen, dass schon nach den Gutachten von Dr. E. und Dr. L. das Sozialgericht nur ein qualitativ deutlich eingeschränktes Leistungsvermögen angenommen habe. Eine auch quantitative Einschränkung lässt sich nach Dr. F. aus den Ausführungen von Prof. Dr. Dr. A. nicht herleiten. Keiner der mit der Situation des Klägers befassten Ärzte habe Symptome körperlicher oder seelischer Erkrankung in derart hohem Umfang niedergelegt, dass allein das Symptom dem Kläger verunmöglichen würde, einer Tätigkeit nachzugehen bzw. dies nur in zeitlich eingeschränktem Umfang. Deshalb sei die Willensfähigkeit, seien die komplexen Ich-Funktionen des Klägers in den Blick zu nehmen, die sich in einer Gutachtensituation gut auf der Befundebene wahrnehmen ließen und damit den anamnestischen Angaben eines Menschen gegenüber gestellt werden könnten. Dabei hat sich für Dr. F. ergeben, es möge sein, dass der Kläger Leiden und Beeinträchtigung in psychosozialen Funktionszusammenhängen als Folge seiner seelischen Störung hinzunehmen habe, er werde aber nicht durch eine dadurch bedingte Einschränkung der Willensfähigkeit daran gehindert, Hemmungen gegenüber einer Wiederaufnahme von Erwerbstätigkeiten zu überwinden. Diesen fundierten und überzeugenden Darlegungen schließt sich der Senat an.
Soweit Dr. F. in seinem Gutachten bezweifelt hat, dass der Kläger noch mittelschwere Tätigkeiten ausüben könne, wie es das Sozialgericht festgestellt hatte, bedarf es der von ihm ins Gespräch gebrachten chirurgisch-orthopädischen Begutachtung zur näheren Abklärung nicht. Denn auch Dr. F. hat in jedem Fall leichte Tätigkeiten für leistbar erachtet. Mehr aber wird dem Kläger durch den Senat auch nicht zugemutet. Ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte körperliche Tätigkeiten schließt jedoch den Leistungsfall der Erwerbsunfähigkeit aus.
Nichts anderes vermag aus den Einschränkungen des Klägers durch den Teilverlust des rechten Zeige- und Mittelfingers zu folgen, auf die sein Bevollmächtigter zuletzt erneut hingewiesen hat. Schon durch die Gutachten von Dr. E. und Dr. L. ist zur Überzeugung des Senats geklärt worden, dass der Kläger an diesen seit seinem 14. Lebensjahr bestehenden Zustand adaptiert ist. Eine nennenswerte Störung der Greiffunktion der rechten Hand ist hieraus durch die beiden Gutachter nicht zu beobachten gewesen.
Einer Prüfung und Entscheidung anhand des neuen, ab 1. Januar 2001 geltenden § 43 SGB VI bedarf es vorliegend nicht. Die Beklagte hat hierüber in den angegriffenen Bescheiden nicht entschieden. Vor dem Sozialgericht ist eine Rente auch wegen Erwerbsminderung nicht beantragt worden. Dass das Sozialgericht am Ende seines Urteils auch die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente nach neuem Recht abgelehnt hat, ist zwar zutreffend, aber nicht Streitgegenstand.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
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