L 1 KR 15/07

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 23 KR 492/05
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 15/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Beitrages für die freiwillige Krankenversicherung im Streit.

Der Kläger war bis zum 15. Mai 2005 freiwilliges Mitglied der Beklagten. Seit Juni 2004 ist er als Rechtsanwalt selbständig tätig. Unter dem 20. Dezember 2004 erbaten die Beklagten Angaben zu seinen Einkommensverhältnissen. Diese machte er mit Schreiben vom 7. Januar 2005, indem er angab, zurzeit selbständig zu sein und zwei Kinder zu haben. Seine Nettoeinnahmen für das Jahr 2004 hätten 3.650,00 EUR betragen. Der Betrag sei allerdings vorläufig. Er sei den Umsatzsteuervoranmeldungen entnommen; die Einkommen¬steuererklärung für 2004 habe er noch nicht abgegeben. Einnahmen aus Beschäftigung bestünden nicht. Auf telefonische Rückfrage der Beklagten am 13. Januar 2005 erklärte der Versicherte, seine selbständige Tätigkeit vollzeitig auszuüben.

Mit Bescheid vom 18. Januar 2005 setzten die Beklagten unter Hinweis auf diese An¬gaben den monatlichen Beitrag zur Krankenversicherung auf 235,46 EUR und denjenigen zur Pflegeversicherung auf 30,80 EUR fest und errechneten eine Nachzahlung von 1.035,44 EUR, die sie gleichzeitig anforderten. Mit weiterem Bescheid vom 27. Januar 2005 korrigierten die Beklagten – unter Beibehaltung der Summen für den laufenden Beitrag – den Nachzahlungsbetrag auf 1.301,70 EUR. Hiergegen wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 30. Januar 2005 und trug vor, einen Beitrag in der festgesetzten Höhe in der gegenwärtigen Gründungsphase seiner Selbständigkeit nicht tragen zu können. Auch müsse er seine Angaben berichtigend mitteilen, dass es "nicht richtig" gewesen sei, sich am Telefon mit Vollzeittätigkeit zu brüsten. Tatsächlich sei seine Lebensgefährtin an drei Tagen der Woche berufstätig. An diesen Tagen obliege ihm die Kinderbetreuung. Eine anwaltliche Tätigkeit "in Vollzeit" finde insofern lediglich an den übrigen zwei Tagen in der Woche statt, "an den anderen Tagen nur sehr eingeschränkt bis gar nicht". Er bitte daher um einen Vorschlag, der entweder die zeitlich eingeschränkte Berufsausübung bei der Beitragsbemessung berücksichtige oder eine angemessene Härteregelung treffe. Auf jeden Fall müssten seine persönlichen Umstände berücksichtigt werden. Nachdem die Beklagten an der Beitragseinstufung unter Hinweis auf das Berufsbild des Anwaltes, welchem nach allgemeiner Auffassung immer eine hauptberufliche Tätigkeit entspreche, und mit dem Angebot einer Ratenzahlung festgehalten hatten, erhob der Kläger mit am 28. Februar 2005 bei den Beklagten eingegangenem Schreiben vom 24. Februar "Widerspruch gegen den Beitragsbescheid vom 27. Januar 2005, welchen er am 28. Januar 2005 erhalten habe". Es sei für die zu treffende Ermessensentscheidung unerheblich, ob der Beruf des Rechtsanwalts üblicherweise in Vollzeit ausgeübt werde. Darüber hinaus seien die zugrunde gelegten Grenzen vor dem Hintergrund der heutigen Wirtschaftslage völlig lebensfremd. Soweit eine Härtefallregelung in dem Normenwerk der Beklagten nicht vorgesehen sei, erweise sich die Entscheidung schon deshalb als verfassungswidrig und sei aufzuheben. Falls eine solche Härtefallregelung vorgesehen sei, sei die Entscheidung ermessensfehlerhaft, weil ihre Anwendung noch nicht einmal erwogen worden sei. Sozial angemessen sei ausschließlich der vormalige Beitragssatz in Höhe von 118,34 EUR. Diesen werde er auch weiterhin zahlen.

Einem Antrag des Klägers auf Aussetzung der Vollziehung aus dem Beitragsbescheid gaben die Beklagten nicht statt, wiesen vielmehr auf die Folgen der Säumnis in Gestalt der Beendigung der Mitgliedschaft hin. Mit Widerspruchsbescheid vom 15. April 2005 wiesen sie den Widerspruch zurück. Die Beitragsberechnung entspreche dem Gesetz. Bei hauptberuflich Selbständigen, welche Einnahmen unterhalb der Beitrags¬bemessungsgrenze erzielten, sei der 40. Teil der monatlichen Bezugsgröße, 1.811,25 EUR, anzusetzen. Dem entspreche ein monatlicher Beitrag 235,46 EUR.

Das Sozialgericht hat die daraufhin unter Wiederholung und Vertiefung des bisherigen Vorbringens fristgerecht erhobene Klage durch am 24. Februar 2007 zugestellten Gerichtsbescheid vom 22. Februar 2007 abgewiesen und zur Begründung unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 2001 (1 BvL 4/96, SozR 3-2500 § 240 Nr. 39) ausgeführt, der Beitragsberechnung für den Kläger sei aufgrund zwingender gesetzlicher Bestimmung zutreffend 30/40 der monatlichen Bezugsgröße, die für 2004 2.415,25 EUR betragen habe, das seien 1.811,25 EUR, zugrunde gelegt und hiervon ausgehend der Beitrag zutreffend berechnet worden. Auf den Gerichtsbescheid (Blatt 20 ff. der Gerichtsakte) wird Bezug genommen.

Mit seiner am 23. März 2007 eingelegten Berufung verfolgt der Kläger sein Anfechtungsbegehren weiter. Seit dem 1. April 2007 sei die Mindestbeitragsbemessungsgrenze auf 1.255,00 EUR abgesenkt worden. Die ursprüngliche Grenze sei lebensfremd zu hoch angesetzt gewesen. Nun habe er Anspruch auf rückwirkende Bemessung nach der neuen Grenze. Das sei auch möglich, weil die Bescheide nicht bestandskräftig seien. Hinzu komme, dass er lediglich an zwei Tagen in der Woche jeweils bis zu acht Stunden arbeite. Eine Wochenarbeitszeit von 20 Stunden werde nicht erreicht. Auch dies sei bei der rückwirkenden Bemessung zu berücksichtigen. Es seien auch die Grundsätze einer Härtefallregelung keinesfalls entbehrlich gewesen. Wenn der Gesetzgeber Pflichtbeiträge lebensfremd zu hoch ansetze und dadurch (Klein-) Unternehmertum von vornherein unmöglich gemacht werde, bestehe die Verpflichtung des Gesetzgebers, Härtefällen durch entsprechende Regelungen zu begegnen. Erforderlichenfalls müssten bestehende Regelungen verfassungskonform ausgelegt werden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid vom 22. Februar 2007 und die Bescheide der Beklagten vom 18. Januar 2005 und vom 27. Januar 2005, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 2005 aufzuheben

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Argumentation des Klägers könne nicht gefolgt werden. Die angesprochene Mindestbemessungsgrundlage von derzeit 1.225,00 EUR sei nur bei denjenigen freiwilligen Mitgliedern anzuwenden, die Anspruch auf einen Gründungszuschuss nach § 57 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), einen Existenzgründerzuschuss nach § 421 Abs. 1 SGB III oder eine entsprechende Leistung nach § 16 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) hätten. Darüber hinaus enthalte die Satzung der Beklagten seit dem 1. April 2007 eine Härtefallregelung für hauptberuflich Selbständige. Eine solche Regelung habe vorher nicht bestanden. Vorliegend sei indessen lediglich die Einstufung für den Zeitraum 1. Juni 2004 bis 15. Mai 2005 im Streit.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gemachten Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist nach §§ 105 Abs. 2, 143, 144 SGG statthaft. Sie ist im Übrigen auch zulässig, namentlich fristgerecht (§ 105 Abs. 2 SGG) erhoben worden. Nachdem der Kläger in der Berufungsinstanz klargestellt hat, dass er sich bereits mit seiner Klage auch gegen die Beitragseinstufung zur Pflegeversicherung gewandt hat, hat das Berufungsgericht die Pflegekasse der BKK Axel Springer Verlag als Trägerin der Pflegeversicherung auch ausdrücklich in das Passivrubrum aufgenommen. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die zulässige Anfechtungsklage, mit der sich der Kläger sowohl gegen den Bescheid vom 18., als auch gegen denjenigen vom 27. Januar 2005 wendet, zu Recht als unbegründet abgewiesen. Die Beitragsfestsetzung der beklagten Kassen lässt Rechtsfehler zu Lasten des Klägers nicht erkennen.

Nach § 223 Abs. 1, 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) sind die Beiträge der Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen für jeden Kalendertag der Mitgliedschaft zu zahlen und hierbei nach den beitrags¬pflichtigen Einnahmen der Mitglieder bemessen. Während bei versicherungspflichtigen Beschäftigten der Beitragsbemessung das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung zugrunde gelegt wird, gilt nach § 240 Abs. 4 SGB V (jeweils in der bis zum 31. März 2007 geltenden Fassung) als beitragspflichtige Einnahme für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind, für den Kalendertag der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze, bei Nachweis niedrigerer Einnahmen jedoch mindestens der vierzigste Teil. Hiervon ausgehend haben die Beklagten den Beitrag des Klägers für den Zeitraum seiner selbständigen Tätigkeit dem Grunde und der Höhe nach zutreffend festgesetzt und ihn auf der Grundlage seiner Angaben als hauptberuflich Selbständigen bei gleichzeitigem Nachweis niedrigerer Einnahmen als 30/30 der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze von seinerzeit 2.415 EUR eingestuft nach dem Mindesteinkommen von 1.811,25 EUR zu Beiträgen veranlagt.

Zu beanstanden ist namentlich nicht, dass die Beklagten von einer "hauptberuflichen" Selbständigkeit ausgegangen sind, obwohl der Kläger angibt, lediglich an zwei Tagen der Woche 8 Stunden und damit nicht vollzeitig zu arbeiten. Diese Tätigkeit ist gleichwohl sein einziger Beruf, und damit sein Hauptberuf. Denn einem anderen Beruf geht der Kläger eigenen Angaben zufolge nicht nach, so dass diese Tätigkeit den Mittelpunkt seiner Erwerbstätigkeit bildet (vgl. Peters in Kasseler Kommentar, § 240 SGB V, Rn. 154 f.). Überdies erhalten Selbständige ihre Erwerbschance regelmäßig auch dann aufrecht, wenn sie sich nur im Betrieb aufhalten. Auf einen Arbeitseinsatz und dessen Höhe kommt es bei ihnen nicht an. Dies trifft auch auf den Kläger zu, der nach Aktenlage Privatwohnung und Kanzlei unter derselben Anschrift unterhält und selbst angibt, an drei Tagen in der Woche seine Kinder zu betreuen und dann "nur sehr eingeschränkt bis gar nicht" arbeiten zu können.

Die von den Beklagten sonach zutreffend angewandte Regelung ist auch von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber durfte hauptberuflich Selbständige, die Einnahmen unterhalb der gesetzlich festgelegten Mindestbemessungsgrenze erzielen, gegenüber pflichtversicherten Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung und deren übrigen freiwillig versicherten Mitgliedern dadurch benachteiligen, dass er die Möglichkeit der Berücksichtigung niedrigerer Einnahmen ausschloss. Diese Ungleichbehandlung ist gerechtfertigt, weil die Einkommensermittlung für Selbständige grundsätzlich anders erfolgt, als für die übrigen freiwilligen Mitglieder. Ihnen erwächst durch die Art der Gewinnermittlung und hier namentlich durch die Möglichkeit der Abschreibung langlebiger Wirtschaftsgüter ein Vorteil. Diesen durfte der Gesetzgeber zulässigerweise typisierend durch Festsetzung einer besonderen Mindestbeitragsbemessungsgrenze ausgleichen. Sie vermeidet überdies praktische Schwierigkeiten der Einkommensbestimmung. Auch dies rechtfertigt die angegriffene Regelung. Dies entspricht der durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. v. 22. Mai 2001, SozR 3-2500 § 240 Nr. 39) gebilligten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (v. 26.09.1996, SozR 3-2500 § 240 Nr. 27), welcher der erkennende Senat folgt.

Dass der Gesetzgeber mit Wirkung vom 1. April 2007 (Gesetz vom 26.03.2007, BGBl I 378) eine andere Regelung geschaffen und den Krankenkassen nunmehr aufgegeben hat, auch weitergehende Härtefallregelungen in die Satzung aufzunehmen, führt zu keinem anderen Ergebnis, weil der Gesetzgeber dieser Regelung Rückwirkung nicht beigemessen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Der Senat hat die Revision gegen diese Entscheidung nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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