L 5 KA 50/13

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 3 KA 160/12
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 5 KA 50/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Juni 2013 sowie der Beschluss des Beklagten vom 14. März 2012 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Zulassung des Klägers zur vertragsärztlichen Versorgung in H. über den 2. November 2011 hinaus fortbesteht. 2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten jeweils selbst tragen, in beiden Rechtszügen. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über das Fortbestehen der Zulassung des Klägers zur vertragsärztlichen Versorgung in H. über den 2. November 2011 hinaus und dabei über die Fragen, ob der Kläger wirksam auf seine Zulassung verzichtet bzw. ggf. den Verzicht wirksam widerrufen hat.

Der 1945 geborene Kläger ist Facharzt für Radiologie. Er war am 12. Juli 1993 zur vertragsärztlichen Versorgung ab 1. Januar 1994 zugelassen worden. Sein Vertragsarztsitz war zuletzt im A1, H ... Leistungen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung erbrachte er hier zuletzt nicht mehr; eine funktionsfähige radiologische Praxis war an diesem Vertragsarztsitz im Jahr 2011 nicht eingerichtet. Der Zulassungsausschuss für Ärzte –H. – lehnte deshalb auch durch Beschluss vom 7. September 2011 den Antrag des Klägers und zweier weiterer Ärzte – unter ihnen Dr. G. – vom 20. Juni 2011 auf gemeinsame vertragsärztliche Tätigkeit im Rahmen einer Jobsharing-Berufsausübungsgemeinschaft aufgrund des geringen Umfangs der vertragsärztlichen Tätigkeit des Klägers ab. Seit dem vom Beklagten festgestellten Ende seiner Zulassung verfügte der Kläger über keine Praxis mehr und erbrachte keine ärztlichen Leistungen mehr.

Mit Schreiben vom 14. September 2011, bei der Beigeladenen zu 6 eingegangen am 19. September 2011, stellte der Kläger den Antrag auf Verlegung seiner Vertragsarztpraxis mit Wirkung ab 7. November 2011 von A1, H., nach M., H ...

Mit Faxschreiben vom 27. September 2011, eingegangen am selben Tag bei der Beigeladenen zu 6, übermittelte Herr H1 von der A. GmbH, S., H2, den Antrag auf Ausschreibung des Vertragsarztsitzes sowie die dazugehörige Verzichtserklärung des Klägers "nach Absprache mit Herrn Dr. R. und Herrn K.". Herr Rechtsanwalt K., K2, war bereits in früheren vertragsarztrechtlichen Verfahren für den Kläger aufgetreten und von diesem bevollmächtigt. Die A. GmbH war bereits zuvor für Dr. G1 aufgetreten und von diesem mandatiert. Noch am 27. September 2011 leitete die Beigeladene zu 6 diese Unterlagen an die Geschäftsstelle des Zulassungsausschusses weiter. Das dem Faxschreiben zu Grunde liegende Original ging dort zu keinem Zeitpunkt ein.

In dem mit Datum vom 24. September 2011 versehenen und vom Kläger unterschriebenen Antrag auf Ausschreibung seines Vertragsarztsitzes nach § 103 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) – einem ausgefüllten Vordruck – hieß es:

"Hiermit stelle ich den Antrag auf Ausschreibung meiner Praxis im Hamburger Ärzteblatt zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Ich beabsichtige meine Praxis am nächstmöglichen Termin an eine/n Nachfolger/in weiterzugeben. Es handelt sich um eine Einzelpraxis. Meine Verzichtserklärung auf die vertragsärztliche Zulassung mit sofortiger Wirkung habe ich diesem Antrag beigefügt."

In der mit Datum vom 24. September 2011 versehenen und vom Kläger unterschriebenen Verzichtserklärung – einem ausgefüllten Vordruck des Zulassungsausschusses – hieß es:

" hierdurch teile ich mit, dass ich mit sofortiger Wirkung auf meine Zulassung als Vertragsarzt/ärztin verzichte. Ich habe bei der Kassenärztlichen Vereinigung H. einen Antrag auf Ausschreibung meines Vertragsarztsitzes gestellt. Der Verzicht erfolgt ohne Bedingung."

Nicht angekreuzt war stattdessen das Textfeld:

"Der Verzicht erfolgt mit der Bedingung, dass im Rahmen des Praxisnachfolgeverfahrens ein rechtskräftig zugelassene/r Nachfolger/in für meine Praxis gefunden wird."

Das Formular enthielt unter anderem den Hinweis:

"Der Verzicht ist unwiderruflich. Um aber dennoch zu gewährleisten, dass die Zulassung erhalten bleibt, wenn das Praxisübergabeverfahren scheitert, kann der Verzicht unter der Bedingung erklärt werden, dass die Zulassung nur enden soll, wenn ein/e Nachfolger/in auch tatsächlich rechtskräftig zugelassen wird. Es ist jedoch nicht möglich, die Wirksamkeit des Verzichts davon abhängig zu machen, dass ein bestimmte/r Nachfolger/in die Zulassung erhält."

Die vorab ausgefüllten Formulare waren dem Kläger von Rechtsanwalt Kimmig am 1. August 2011 per Telefax übermittelt, vom Kläger ohne Angabe eines Datums unterschrieben und im Original an Rechtsanwalt Kimmig zurück geschickt worden. In beiden Formularen waren offenbar zunächst andere Daten eingetragen gewesen (Praxisweitergabe am 8. Dezember 2011, hilfsweise 1. Januar 2012; Verzicht mit Ablauf des 7. Dezember 2011, hilfsweise 31. Dezember 2011/des 4. Quartals 2011), die maschinenschriftlich "ausgeixt" worden und durch "nächstmöglichen Termin" und "sofortiger Wirkung" ersetzt worden waren. Unverändert geblieben war der ohne Bedingung erfolgte Verzicht.

Der Zulassungsausschuss teilte dem Kläger den Eingang des Ausschreibungsantrags und der Verzichtserklärung nicht schriftlich mit.

Offenbar nachdem der Kläger im Rahmen eines Telefongesprächs mit der Geschäftsstelle des Zulassungsausschusses hiervon Kenntnis erlangt hatte, widerrief er mit Schreiben vom 13. Oktober 2011, eingegangen am selben Tag, gegenüber dem Zulassungsausschuss seinen Antrag auf Ausschreibung seines Vertragsarztsitzes.

Am 2. November 2011 beriet und entschied der Zulassungsausschuss über den Verlegungsantrag des Klägers vom 14. September 2011 und in diesem Zusammenhang auch über die Verzichtserklärung vom 24. September 2011, lehnte den Verlegungsantrag ab und teilte dem Kläger durch Bescheid vom selben Tag mit, dass aufgrund dessen Mitteilung vom 24. September 2011 (Verzicht auf den vollen Versorgungsauftrag) seine Zulassung als Facharzt für Radiologie mit Vertragsarztsitz A1, H., gemäß § 28 Abs. 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) mit dem 2. November 2011 ende. Die Verzichtserklärung sei mit Eingang am 27. September 2011 wirksam geworden und könne nicht zurückgenommen werden. Der Verzicht sei eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die keiner Annahme bedürfe und mit Zugang beim Zulassungsausschuss wirksam werde (§ 130 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB). Der Kläger könne sich von seiner Erklärung nicht mehr lösen. Der gegenüber dem Zulassungsausschuss erklärte Verzicht werde auch dann wirksam, wenn sich der Vertragsarzt über die Wirksamkeit der Entscheidung nicht im Klaren gewesen sei. Einer Verkürzung der Frist für den Verzicht habe zugestimmt werden können.

Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch trug der Kläger unter anderem vor, die dem Zulassungsausschuss am 27. September 2011 zugegangene Verzichtserklärung sei dort ohne sein Wissen und Wollen eingereicht und zuvor offenbar nach seiner Unterschrift durch einen Dritten ohne seine Kenntnis und Weisung verändert worden. Ihm sei mitgeteilt worden, dass die Verzichtserklärung nur für Verhandlungen mit der kreditgebenden Bank des Dr. G1, mit dem er Vertragsverhandlungen geführt habe, benötigt werde.

Durch Beschluss vom 14. März 2012 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und stellte fest, dass der Kläger aufgrund seiner Verzichtserklärung vom 24. September 2011 – eingegangen am 27. September 2011 – auf seine Zulassung mit sofortiger Wirkung und ohne Bedingung verzichtet habe. Der Verzicht auf die vertragsärztliche Zulassung sei wirksam. Aus dem Gesamtzusammenhang werde deutlich, dass der Kläger eine – möglicherweise in Teilen blanko ausgestellte – Verzichtserklärung ausgefüllt und aus der Hand gegeben habe. Er habe nicht darauf vertrauen können und dürfen, dass er den Zweck und die Tragweite seiner Verzichtserklärung nicht oder nicht voll überblickt habe. Die Sicherheit im Rechtsverkehr, besonders bei rechtsgestaltenden einseitigen Willenserklärungen von der Tragweite einer Verzichtserklärung, gebiete es vielmehr, sich notfalls rechtzeitig und unmissverständlich dem potentiellen Empfänger gegenüber davon zu lösen. Der Kläger habe ausreichend Zeit dafür gehabt, rechtzeitig Klarheit gegenüber dem Zulassungsausschuss zu schaffen. Soweit er sich der Tragweite seines Handelns nicht bewusst gewesen sei, sei dies seiner eigenen Sphäre zuzurechnen.

Gegen diesen ihm am 31. Mai 2012 zugegangenen Beschluss hat der Kläger am 2. Juli 2012, einem Montag, Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben und unter anderem vorgetragen, ihm sei nicht bekannt, warum die A. GmbH die Verzichtserklärung an den Zulassungsausschuss gesandt habe. Dies sei nicht mit seinem Wissen und Wollen erfolgt. Er habe hiervon erst am 13. Oktober 2011 in einem Telefonat mit Frau Bock vom Zulassungsausschuss Kenntnis erhalten.

Der Beklagte hat erwidert, der Kläger habe mit seiner per Fax am 27. September 2011 bei der Beigeladenen zu 6 – der Geschäftsstelle des Zulassungsausschusses – eingegangenen Verzichtserklärung wirksam mit sofortiger Wirkung auf seine Zulassung verzichtet. Die Wirksamkeit des vom Kläger erklärten Verzichts sei am 27. September 2011 eingetreten, während der Verzicht am 2. November 2011 aufgrund des Beschlusses des Zulassungsausschusses am selben Tag wirksam geworden sei.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt und sich nicht geäußert.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 19. Juni 2013 abgewiesen. Die Klage sei zwar zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden. Der Klagebefugnis und Aktivlegitimation des Klägers stehe nicht entgegen, dass über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist (Hinweis auf BSG, Urteil vom 21. März 2012 – B 6 KA 22/11 R, SozR 4-2500 § 95 Nr. 24, juris Rn. 21). Er habe auch ein Rechtsschutzbedürfnis mit dem Vortrag geltend machen können, bei einem Erfolg seiner Klage die Zulassung wieder nutzen und vertragsärztlich tätig sein zu wollen, auch, um seine "Zulassung", der Sache nach den mit einer Praxis verbundenen Vertragsarztsitz, wirtschaftlich verwerten zu können. Streitgegenstand sei allein der Beschluss des Beklagten vom 14. März 2012 und damit die in diesem Beschluss getroffene Feststellung, dass der Kläger aufgrund seiner Verzichtserklärung vom 24. September 2011, eingegangen am 27. September 2011, auf seine Zulassung mit sofortiger Wirkung und ohne Bedingung verzichtet habe. Festgestellt sei damit in der Sache das Wirksamwerden des Verzichts am 2. November 2011, denn der Beklagte habe den Widerspruch des Klägers gegen den diese Feststellung treffenden Beschluss des Zulassungsausschusses vom 2. November 2011 zurückgewiesen. Diese Feststellung sei zutreffend und die Klage daher unbegründet. Nach § 95 Abs. 7 Satz 1 SGB V ende die Zulassung unter anderem mit dem Wirksamwerden eines Verzichts. Es handele sich um den Tatbestand eines Endes der Zulassung von Gesetzes wegen, ohne dass es einer Entziehung der Zulassung bedürfe. Bei dem Verzicht auf eine Zulassung handele es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung im Sinne von § 130 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 BGB an den Zulassungsausschuss bzw. dessen Geschäftsstelle bei der Kassenärztlichen Vereinigung, die keiner Annahme bedürfe und deshalb mit Zugang beim Zulassungsausschuss wirksam werde. Diese allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen fänden vorliegend Anwendung, weil das Vertragsarztrecht mit Blick auf die Erklärung des Verzichts auf die Zulassung zwar eigene Regelungen für den Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Verzichts, nicht aber eigene Regelungen über die Wirksamkeit der Erklärung selbst enthalte. Die vorliegend abgegebene Verzichtserklärung sei dem Zulassungsausschuss zugegangen. Der Kläger selbst habe eine ausgefüllte und unterschriebene Verzichtserklärung in den Verkehr gebracht, und die Erklärung sei über seinen Bevollmächtigten durch einen Dritten dem Empfänger zugeleitet worden. Der Kläger habe es aufgrund eigenen Verhaltens nicht mehr in der Hand gehabt, ob die Verzichtserklärung vorgelegt werde und ob der Erklärungsinhalt unverändert bleibe. Die vorliegende Verzichtserklärung mit sofortiger Wirkung und ohne Bedingung müsse er daher gegen sich als von ihm abgegebene Erklärung gelten lassen. Diese Erklärung sei am 27. September 2011 als Faxschreiben bei der Beigeladenen zu 6 eingegangen, bei der die Geschäfte des Zulassungsausschusses geführt werden und daher auch die Geschäftsstelle des Zulassungsausschusses geführt werde (vgl. § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB V). Der Eingang per Telefax bei der Beigeladenen zu 6 sei deshalb zugleich der Eingang beim Zulassungsausschuss. Wirksamkeitshindernisse bestünden nicht. Insbesondere habe die Übersendung der Verzichtserklärung per Telefax genügt, da für den Verzicht auf die Zulassung nicht im Sinne von § 126 Abs. 1 BGB durch Gesetz die schriftliche Form vorgeschrieben sei. Eine Analogie zu § 18 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV, der für den Antrag auf Zulassung Schriftlichkeit verlange, sei unzulässig, denn es gebe keine planwidrige Regelungslücke. Vielmehr erhelle der Unterschied von § 18 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV zu § 28 Abs. 1 Ärzte-ZV, dass hier eine andere Regelung als dort getroffen sei. Es könne daher offen bleiben, ob es der Praxis des Zulassungsausschusses in H. entspreche, wie der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgetragen habe, Verzichtserklärungen nur per Telefax nicht genügen zu lassen und jedenfalls im Zeitpunkt der Sitzung des Ausschusses die Vorlage des Originals zu verlangen. Sollte es diese Praxis geben und hier von ihr abgewichen worden sein, folge hieraus nicht ein rechtliches Schriftformerfordernis im Sinne von § 126 Abs. 1 BGB. Auch dass die Übersendung per Telefax nicht durch den Kläger selbst, sondern durch einen Dritten erfolgt sei, begründe kein Wirksamkeitshindernis. Schließlich hindere nicht eine teilweise Veränderung des Erklärungsinhalts nach der Unterzeichnung durch den Kläger die Wirksamkeit der Erklärung. Denn ungeachtet dessen, dass die näheren Umstände insoweit letztlich ungewiss seien, sei rechtlich maßgebend ohnehin allein der Empfängerhorizont. Der Kläger seit daher an die dem Zulassungsausschuss zugegangene Willenserklärung gebunden, weil er deren wirksamen Zugang zurechenbar veranlasst habe und der sie empfangende Zulassungsausschuss auf den Inhalt der Erklärung habe vertrauen dürfen. Denn eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die keiner Annahme bedürfe, werde nur dann nicht wirksam, wenn dem Erklärungsempfänger vor dem Zugang oder zumindest gleichzeitig mit diesem ein Widerruf zugehe (§ 130 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 BGB). Daran fehle es hier. Die wirksame Verzichtserklärung habe auch weder nach ihrem Zugang wirksam widerrufen noch wirksam angefochten werden können. Der mit sofortiger Wirkung erklärte Verzicht auf die Zulassung sei ex nunc durch die entsprechende Feststellung des Zulassungsausschusses am 2. November 2011 wirksam geworden, und dies sei auch im angefochtenen Beschluss des Beklagten zwar nicht ausdrücklich, aber doch der Sache nach zutreffend so festgestellt worden. Denn der Bescheid des Zulassungsausschusses vom 2. November 2011, gegen den der Kläger den Beklagten angerufen habe, weise ausdrücklich ein Zulassungsende am 2. November 2011 aus. Die Klage müsse deshalb ohne Erfolg bleiben. Die Zulassung des Klägers bestehe nicht fort.

Mit seiner gegen dieses seinen Prozessbevollmächtigten am 31. Mai 2013 zugestellte Urteil am 25. Juli 2013 eingelegten Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen. Das Urteil des Sozialgerichts Hamburg sei in drei wesentlichen Punkten unrichtig und bedürfe einer Korrektur. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts bestehe für den Verzicht auf die vertragsärztliche Zulassung als actus contrarius zum Antrag auf Zulassung ein Schriftformerfordernis, dem die Abgabe per Telefax nicht genüge. Der Gesetzgeber hätte vor dem Hintergrund des Actus-contrarius-Gedankens das fehlende Schriftformerfordernis in § 28 Ärzte-ZV positiv formulieren müssen, wenn er nicht gewollt hätte, dass der Verzicht auf die Zulassung ebenso wie der Antrag auf Erteilung der Zulassung der Schriftform bedürfe. Zudem regele § 28 Ärzte-ZV nur die Rechtsfolgen (Wirksamwerden zum Quartalsende) und nicht die Voraussetzungen des Zulassungsverzichts. Da die Voraussetzungen des Verzichts nicht ausdrücklich geregelt seien, sei es erforderlich, die Voraussetzungen aus anderen Vorschriften wie § 18 Ärzte-ZV abzuleiten, der die Schriftform fordere. Hinzu komme, dass auch nach § 19a Abs. 2 Ärzte-ZV bereits ein Antrag auf die bloße Beschränkung der Zulassung nur schriftlich möglich sei. Für den vollständigen Verzicht auf die Zulassung könne dann erst recht nichts anderes gelten. Der Bedeutung der grundgesetzlich geschützten Berufsfreiheit des Klägers, die auch den Verzicht auf die vertragsärztliche Zulassung umfasse, würde nicht ausreichend Rechnung getragen, wenn ein Verzicht nicht der Schriftform bedürfe, so dass § 28 Ärzte-ZV entsprechend verfassungskonform auszulegen sei. Dies entspreche im Übrigen auch der vom Kläger behaupteten Praxis des Zulassungsausschusses, Verzichtserklärungen nur per Telefax nicht genügen zu lassen und jedenfalls im Zeitpunkt der Sitzung des Ausschusses die Vorlage des Originals verlangen. Insoweit liege eine Selbstbindung des Zulassungsausschusses vor, von der nicht zulasten des Klägers abgewichen werden dürfe. Ein Abweichen von der ständigen Verwaltungspraxis scheide auch deswegen aus, weil es sich dem Zulassungsausschuss habe aufdrängen müssen, den näher bezeichneten festgestellten Auffälligkeiten und Besonderheiten im Schriftbild der seitens der A. GmbH übersandten Verzichtserklärung und weiterer Umstände nachzugehen. Der Grundsatz von Treu und Glauben gebiete es, Nachforschungen anzustellen, wenn eine Verzichtserklärung durch einen Dritten nur per Fax mit auffälligen Überschreibungen eingehe und kein Original nachgereicht werde. Der vorliegende Sachverhalt zeige, dass bei einem fehlenden Schriftformerfordernis hinsichtlich des Zulassungsverzichts dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet sei. Gehe man entgegen aller verfassungsrechtlichen Bedenken dennoch davon aus, dass eine Schriftform für den Zulassungsverzicht nicht erforderlich sei, so sei dieser entgegen der Ansicht des Sozialgerichts jedenfalls wirksam widerrufen worden. Eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung wie die Verzichtserklärung sei anders als eine Willenserklärung im Rahmen eines Vertragsschlusses nicht aus Verkehrsschutzgründen von der Möglichkeit des Widerrufs ausgeschlossen. Soweit das Sozialgericht als Argument für eine fehlende Anfechtungsmöglichkeit die Nachbesetzbarkeit der Praxis ins Feld führe und dass die Entscheidung des Zulassungsausschusses nicht mit der Ungewissheit der Anfechtung bzw. des Widerrufs belastet werden dürfe, so stehe dem schon entgegen, dass tatsächlich keine Nachbesetzungsmöglichkeit bestanden habe, weshalb auch eine Nachbesetzung nicht erfolgt sei. Mit dem Widerruf des Ausschreibungsantrags seines Vertragsarztsitzes am 13. Oktober 2011 habe der Kläger konkludent auch den Verzicht auf die vertragsärztliche Zulassung widerrufen. Jede andere Auslegung wäre bürokratische Förmelei. Schließlich habe es dem Kläger bei der einem Grundrechtsverzicht gleichkommenden Weitergabe der von ihm unterschriebenen Verzichtserklärung an der erforderlichen Einsichtsfähigkeit gefehlt. Die Verzichtserklärung habe nur zur Vorlage bei einer potentiell kreditfinanzierenden Bank im Rahmen von Vertragsverhandlungen mit Dr. G1 gedient, und er sei von Rechtsanwalt Kimmig und der A. GmbH über die Verwendungsabsicht der Verzichtserklärung getäuscht worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Juni 2013 sowie den Beschluss des Beklagten vom 14. März 2012 aufzuheben und festzustellen, dass die Zulassung des Klägers zur vertragsärztlichen Versorgung in H. über den 2. November 2011 hinaus fortbesteht.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er schließt sich hinsichtlich der Formalien einer Verzichtserklärung dem seiner Ansicht nach ausführlich und überzeugend begründeten erstinstanzlichen Urteil an. Er halte die Verzichtserklärung auch nicht wegen grundrechtlicher Belange des Klägers für unwirksam oder widerruflich. Weder Berufsfreiheit noch Eigentum würden nach den hier im Herbst 2011 bestehenden tatsächlichen Verhältnissen vom Verzicht berührt. Der Kläger habe seit dem Quartal I/2011 keine vertragsärztlichen Leistungen mehr abgerechnet. Eine fortführungsfähige Praxis habe nicht mehr existiert. Er habe keine vertragsärztliche Tätigkeit mehr ausgeübt. Die ihm noch verbliebene – nach § 95 Abs. 6 Satz 1 SGB V an sich zu entziehende – "isolierte" Zulassung sei nicht nach Art. 14 Grundgesetz geschützt. Ein etwa beabsichtigter Verkauf an ein MVZ sei unzulässiger Zulassungshandel.

Die Beigeladenen haben sich in der Sache nicht geäußert und stellen keine Anträge.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts, die Sitzungsniederschrift vom 20. Mai 2015, die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Inhalt der Gerichts- sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten (BA-W 45/11 und BA-W 1/12) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat zwar zutreffende Ausführungen zur Zulässigkeit der Klage und deren Gegenstand gemacht, auf die der Senat entsprechend § 153 Abs. 2 SGG Bezug nimmt, die Klage jedoch zu Unrecht abgewiesen. Der den Widerspruch des Klägers gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 2. November 2011 zurückweisende Beschluss des Beklagten vom 14. März 2012, mit dem der Sache nach das Ende der Zulassung des Klägers zur vertragsärztlichen Versorgung in H. mit dem 2. November 2011 aufgrund der Verzichtserklärung vom 24. September 2011 festgestellt wurde, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in dessen Rechten. Ein wirksamer Verzicht liegt entgegen der Auffassung des Beklagten und des Sozialgerichts nicht vor.

Die Erklärung über den Verzicht auf die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung nach § 28 Ärzte-ZV bedarf als actus contrarius zum Antrag auf Zulassung nach § 18 Ärzte-ZV der Schriftform im Sinne des § 126 BGB. Die diesbezüglichen Ausführungen des Klägers in der Berufungsbegründung, die der Senat sich zu Eigen macht, sind überzeugend. Auch der vom Beklagten in der Berufungserwiderung zu den Formalien einer Verzichtserklärung herangezogene Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 5. Juli 2013 (S 7 KA 6/13 ER, juris) vermag dem nichts entgegenzusetzen, da er sich zum Schriftformerfordernis bereits deshalb nicht verhält, weil im dortigen Sachverhalt ein schriftlicher Verzicht erklärt wurde. Außer aus der Actus-contrarius-Theorie folgt das Schriftformerfordernis für Zulassungsverzichtserklärungen daraus, dass ein solches nach § 19a Abs. 2 und 3 Ärzte-ZV für Anträge auf Beschränkungen des Versorgungsauftrags bzw. deren Aufhebung besteht. Dann muss dies erst recht für einen umfassenden Zulassungsverzicht gelten. In der Tat sprechen auch die erhebliche Bedeutung eines Zulassungsverzichts für grundrechtlich geschützte Belange und die damit verbundene Warnfunktion für ein Erfordernis der Schriftlichkeit. Nach der unwidersprochenen Behauptung des Klägers dürfte von den Zulassungsgremien daher in ständiger Verwaltungspraxis auch eine schriftliche Verzichtserklärung verlangt worden sein.

Die am 27. September 2011 bei der Beigeladenen zu 6 ausschließlich per Telefax eingegangene, vom Kläger unter dem Datum vom 24. September 2011 unterschriebene Verzichtserklärung genügt diesem Schriftformerfordernis nicht. Empfangsbedürftige Willenserklärungen, die der Schriftform bedürfen, werden nur wirksam, wenn die formgerecht errichtete Erklärung dem Erklärungsempfänger zugeht; anderenfalls fehlt es an der eigenhändigen Unterschrift (Ellenberger in: Palandt, BGB, 71. Aufl. 2012, § 126 Rn. 12; BGH, Urteil vom 14. März 2006 – VI ZR 335/04, NJW 2006, 2482; jeweils m.w.N.). Ausnahmen hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 126 BGB bestehen vor allem im Prozessrecht (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 5. April 2000 – GmS-OGB 1/98, BGHZ 144, 160; BSG, Urteil vom 21. Juni 2011 – B 13 RJ 5/01 R, juris), nicht jedoch bei rechtsgeschäftlichen oder geschäftsähnlichen Handlungen. Um eine solche handelt es sich bei der Zulassungsverzichtserklärung. Mangels eigener Formvorschriften in der Ärzte-ZV und angesichts von Sinn und Zweck des in §§ 18, 19a Abs. 2 und Ärzte-ZV konstituierten Schriftformerfordernisses finden die diesbezüglichen Regelungen des BGB vorliegend auch entsprechende Anwendung, wie es im öffentlichen Recht z.B. ausdrücklich in §§ 56, 61 SGB X für öffentlich-rechtliche Verträge geregelt ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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