L 2 R 2/17

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 9 R 513/13
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 R 2/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Berufung wird als unzulässig verworfen. 2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Streitig ist ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Beklagte bewilligte dem am xxxxx 1967 geborenen Kläger mit Bescheid vom 30. Oktober 2012 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer beginnend am 1. Juni 2004 und erkannte auf eine Nachzahlung von 60.483,54 Euro für die Zeit vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Oktober 2012. Den hiergegen eingelegten Widerspruch, mit dem der Kläger eine Nachzahlung auch für vor dem 1. Januar 2007 liegende Zeiträume begehrte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. April 2013 zurück.

Hiergegen hat der Kläger – vertreten durch seinen damaligen Prozessbevollmächtigten – am 8. Mai 2013 Klage erhoben. Das Sozialgericht hat den Rechtsstreit am 26. Oktober 2016 mündlich verhandelt. Die Terminsmitteilung ist dem Kläger ausweislich einer in der Prozessakte befindlichen Postzustellungsurkunde am 28. September 2016 zugestellt worden.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 26. Oktober 2013 abgewiesen. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich dessen Empfangsbekenntnisses am 4. November 2016 zugestellt worden. Es ist mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, wonach das Urteil mit der Berufung angefochten werden könne und diese innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Landessozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder schriftlich bei der Gemeinsamen Annahmestelle einzulegen sei. Die Berufungsfrist sei auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht Hamburg schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt werde. Die Berufungsschrift müsse innerhalb der Frist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie solle das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Am 20. Dezember 2016 hat sich der Kläger per E-Mail an die gemeinsame Poststelle von Sozialgericht und Landessozialgericht gewandt und unter dem Betreff "Urteilsanfechtung – Berufung in nächster Instanz – anderes Bundesland" ausgeführt, das Urteil sei ihm erst jetzt bekannt geworden, da er nicht mehr in H. wohne. Er habe es bislang nicht einmal "sehen können". Mit dem Urteil sei er nicht einverstanden. Er werde es nach einer Zuständigkeitsbestimmung durch das Bundessozialgericht an dem nunmehr zuständigen Gericht anfechten. Am 30. Januar 2017 hat der Kläger sodann per Fax mitgeteilt, sein "Schreiben" vom 20. Dezember 2016 solle als Berufung aufgefasst werden.

Dem Vorbringen der Klägerin ist der Antrag zu entnehmen,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 26. Oktober 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 30. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2013 zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung auch für den Zeitraum vom 1. Juli 2004 bis zum 31. Dezember 2006 zu gewähren.

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt und sich im Berufungsverfahren auch sonst nicht geäußert.

Mit Schreiben vom 7. Februar 2017 hat der Senat den Kläger darauf hingewiesen, dass die Berufung erst nach Ablauf der Berufungsfrist am 4. Dezember 2016 eingegangen sei und sie deswegen als unzulässig verworfen werden müsse, sofern keine Tatsachen vorlägen, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigten. Dies wäre der Fall, wenn der Kläger ohne Verschulden verhindert gewesen wäre, rechtzeitig Berufung einzulegen. Die Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags seien glaubhaft zu machen.

Der Kläger hat daraufhin erklärt, auf eine nur sechzehntägige Verspätung könne es schon deswegen nicht ankommen, weil er mehr als 4200 Tage auf die Bewilligung seiner Rente habe warten müssen. Im sozialgerichtlichen Verfahren habe er vier Jahre auf seine Verhandlung warten müssen, sei dann aber mit einer Frist von nur drei Wochen geladen worden. Wegen seiner Krankheit habe er sich nicht früher an das Gericht wenden können. Er könne nicht dauerhaft pünktlich sein und verpasse daher ständig Fristen. Die "Post" sei ihm zu spät bekannt geworden, da er "in der betreffenden Zeit" unterwegs gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten und den weiteren Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

II.

Der Senat verwirft die statthafte (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz, SGG) Berufung gemäß § 158 Satz 1 zweite Alternative, Satz 2 SGG durch Beschluss als unzulässig, da sie nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt worden ist und auch die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren war. Nach § 158 Satz 1 SGG ist die Berufung bei Versäumnis der gesetzlichen Frist als unzulässig zu verwerfen. Der Senat hat, wenn er ein Fristversäumnis feststellt und auch die Gründe für eine Wiedereinsetzung nicht vorliegen, keinerlei Ermessen oder sonstige Gestaltungsmöglichkeiten, die es ihm ermöglichten, die Berufung dennoch als zulässig zu behandeln und in der Sache zu entscheiden. Auf andere Umstände, wie insbesondere die Laufzeit des Verfahrens insgesamt, kommt es insoweit nicht an.

Die Berufungsfrist hat mit Ablauf des 5. Dezember 2016 geendet; erhoben hat der Kläger seine Berufung jedoch erst am 30. Januar 2017. Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Das mit der Berufung angefochtene Urteil des Sozialgerichts vom 26. Oktober 2016, das mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehen ist, ist dem damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich des in den Akten befindlichen Empfangsbekenntnisses am 4. November 2016 zugestellt worden. Diese Zustellung hat den Lauf der Berufungsfrist auch gegenüber dem Kläger selbst in Gang gesetzt, wie sich aus § 73 Abs. 6 Satz 6 SGG ergibt. Geendet hat die Berufungsfrist mit Ablauf des 5. Dezember 2016, da der 4. Dezember 2016 auf einen Sonntag fiel und sich die Frist gemäß § 64 Abs. 3 SGG entsprechend verlängerte. Wirksam erhoben hat der Kläger die Berufung erst mit seinem Schreiben vom 30. Januar 2017, das vorab per Fax am selben Tag bei Gericht eingegangen ist. Im Übrigen wäre die Berufung auch dann verfristet, wenn die E-Mail des Klägers vom 20. Dezember 2016 zur wirksamen Einlegung der Berufung ausgereicht hätte (zum Problem Sommer in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 151 Rn. 23 f.).

Dem Kläger war auch nicht etwa Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 SGG auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach § 67 Abs. 2 Satz 2 SGG sollen die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft gemacht werden. Im vorliegenden Fall ist nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Berufungsfrist gehindert gewesen wäre. Der Beteiligte muss alle ihm im Einzelfall zumutbaren Anstrengungen unternehmen, um eine Frist zu wahren oder ein Hindernis zu vermeiden bzw. zu beseitigen (von Albedyll, in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 6. Aufl. 2014, § 60 Rn. 5); er muss einen sicheren Weg gehen, um die Frist zu wahren (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 233 Rn. 14 zu den Anforderungen an Bevollmächtigte). Hierbei darf er die ihm vom Gesetz eingeräumten prozessualen Fristen bis zu ihrer Grenze auszunutzen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. Mai 1991 – 2 BvR 215/90, NJW 1991, 2076 f.), allerdings treffen ihn umso höhere Sorgfaltspflichten, je mehr sich die Frist ihrem Ende nähert (von Abedyll, a.a.O.).

Der Kläger hat keine Tatsachen im Sinne von § 67 Abs. 2 Satz 2 SGG glaubhaft gemacht, die eine krankheitsbedingte unverschuldete Verhinderung im Sinne von § 67 Abs. 1 Satz 1 SGG begründen könnten. Eine krankheitsbedingte unverschuldete Verhinderung im Sinne von § 67 Abs. 1 Satz 1 SGG setzt den Verlust der Handlungsfähigkeit voraus, an den hohe Anforderungen zu stellen sind (BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2008 – 5 B 50/08, juris; BVerwG, Beschluss vom 27. September 1993 – BVerwG 4 NB 35.93, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 185). Dies lässt sich erst feststellen, wenn der Betroffene nicht in der Lage ist, seine Angelegenheiten – ggf. auch unter Einsatz moderner Kommunikationsmittel – zu regeln oder einen Dritten damit zu beauftragen (BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2008 – 5 B 50/08, juris; Jung, in Roos/Wahrendorf, SGG, § 67 Rn. 34 m.w.N.; aus neuerer Zeit LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Februar 2016 – L 25 AS 435/14, juris). Selbst eine mit Bettlägerigkeit einhergehende Erkrankung genügt im Allgemeinen nicht zur Gewährung der Wiedereinsetzung (Bayerisches LSG, Urteil vom 22. November 2012 – L 19 R 588/12, juris, Rn. 19). Auch eine psychische Ausnahmesituation genügt zur Begründung der Wiedereinsetzung nur, wenn der Betroffene außer Stande ist, unter Abwägung des Für und Wider einen sachgemäßen Entschluss über die Einlegung des Rechtsmittels zu treffen und dementsprechend zu handeln (aus neuerer Zeit LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Oktober 2016 – L 22 R 488/16 B PKH, juris, Rn.37).

Soweit der Kläger ausführt, er verpasse aus gesundheitlichen Gründen ständig Fristen, genügt dies daher nicht zur Glaubhaftmachung einer krankheitsbedingten unverschuldeten Verhinderung. Der Kläger hat weder überhaupt ein Krankheitsbild benannt noch auch nur ansatzweise dargelegt, wieso er aufgrund dessen daran gehindert gewesen wäre, fristgerecht Berufung einzulegen.

Auch soweit sich der Kläger der Sache nach darauf beruft, er habe wegen Ortsabwesenheit erst zu spät von dem Urteil erfahren, genügt dies nicht zur Glaubhaftmachung einer unverschuldeten Verhinderung. Er hat nicht einmal dargelegt, wann er davon Kenntnis erhalten haben will, dass das Urteil ergangen war. Im Übrigen ist von einem Prozessbeteiligten zu verlangen, dass er für seinen Prozessbevollmächtigten hinreichend erreichbar bleibt. Dies gilt umso mehr, wenn der Beteiligte – wie hier – Kenntnis davon hatte, dass eine mündliche Verhandlung anberaumt ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 in Verbindung mit § 158 Satz 3 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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