L 2 R 87/16

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 10 R 26/16
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 R 87/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 23. Juli 2016 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor der Entscheidung in der Hauptsache wie folgt gefasst wird: Es wird festgestellt, dass die Klageverfahren mit den Aktenzeichen S 10 R 1264/11 und S 10 R 1535/12 durch Klagerücknahme erledigt sind. 2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt eine höhere Rente.

Der am xxxxx 1943 geborene Kläger bezog von der Beklagten zunächst Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, dann ab Dezember 2008 Regelaltersrente, beides einschließlich eines Zuschusses zu den Beiträgen zur freiwilligen Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung. Den an das Sozialgericht Hamburg (zum Aktenzeichen S 4 R 759/09) gerichteten und dort am 9. August 2011 eingegangenen Antrag des Klägers auf Überprüfung aller vorangehenden Bescheide lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26. September 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2011 mit der Begründung ab, die Rentenberechnung sei korrekt erfolgt. Der Kläger hat hiergegen am 2. Dezember 2011 Klage erhoben und erklärt, die Rente sei unter Berücksichtigung der von ihm geleisteten Beiträge zu niedrig. Die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung seien zu hoch. Die Beklagte hat an ihrer Rentenberechnung festgehalten, jedoch darauf hingewiesen, dass laut der zuständigen Krankenkasse – der I.-Krankenkasse – eine Mitgliedschaft in der Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner in Betracht komme. Die nicht am Klageverfahren beteiligte I.-Krankenkasse nahm den Kläger im März 2014 rückwirkend zum 3. Oktober 2008 in die Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner auf, wogegen der Kläger ebenfalls Widerspruch einlegte.

Der Kläger legte außerdem gegen die vom 1. Juni 2012 datierende Rentenanpassungsmitteilung der Beklagten zum 1. Juli 2012 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 2012 zurückwies. Hiergegen hat der Kläger am 27. November 2012 Klage erhoben. Auch in diesem Verfahren hat er sich darauf berufen, in der Krankenversicherung der Rentner versichert zu sein.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 16. November 2015 hat der Kläger erklärt, es gehe ihm nur noch um die Frage, warum die I.-Krankenkasse das durch Zahlung freiwilliger Beiträge entstandene Guthaben noch nicht an ihn ausgekehrt habe. Ausweislich der Sitzungsniederschrift hat der Kläger sodann geäußert, er erkläre die Verfahren mit den Aktenzeichen S 10 R 1264/11 und S 10 R 1535/12 für erledigt. Die Erklärung ist vorläufig aufgezeichnet, laut vorgespielt und vom Kläger genehmigt worden. Eine Prozesserklärung der Beklagten vermerkt die Niederschrift nicht.

Der Kläger hat am 10. Dezember 2015 eine "Beschwerde" an den erkennenden Senat gerichtet gegen die "Entscheidung" des Sozialgerichts, wonach er 500 Euro zu zahlen gehabt hätte, falls er die genannten Klageverfahren nicht für erledigt erklärt hätte.

Nachdem der Senat den Schriftsatz zuständigkeitshalber an das Sozialgericht abgegeben hat, hat dieses das Verfahren mit dem Aktenzeichen S 10 R 1264/11 unter dem Aktenzeichen S 10 R 26/16 weitergeführt, das mit dem Aktenzeichen S 10 R 1535/12 unter dem Aktenzeichen S 10 R 27/16. Es hat die Verfahren durch Beschluss vom 29. Juli 2016 zur gemeinsamen Entscheidung unter dem Aktenzeichen S 10 R 26/16 verbunden und mit Gerichtsbescheid vom selben Tag (dem Kläger zugestellt am 5. August 2016) die Klage abgewiesen. Die Klageverfahren mit den Aktenzeichen S 10 R 1264/11 und S 10 R 1535/12 seien durch Klagerücknahme erledigt. Der Kläger habe beide Klagen in der mündlichen Verhandlung am 16. November 2015 für erledigt erklärt, was im gerichtskostenfreien Verfahren eine Rücknahmeerklärung darstelle (Hinweis auf Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 102 Rn. 3). Die Klagerücknahme könne als Prozesserklärung grundsätzlich nicht in entsprechender Anwendung der §§ 119 ff. Bürgerliches Gesetzbuch angefochten oder widerrufen werden (Hinweis auf BSG, Urteil vom 20. Dezember 1995 – 6 RKa 18/95; BSG, Beschluss vom 4. November 2009 – B 14 AS 81/08 B; beide juris). Ausnahmsweise sei ein Widerruf unter den Voraussetzungen der Nichtigkeits- oder Restitutionsklage nach den §§ 579, 580 Zivilprozessordnung (ZPO) möglich, deren Voraussetzungen hier aber nicht erfüllt seien. Insbesondere liege kein Fall des § 580 Nr. 5 ZPO vor. Danach finde die Restitutionsklage statt, wenn ein Richter bei dem Urteil mitgewirkt habe, der sich in Beziehung auf den Rechtsstreit einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten gegen die Partei schuldig gemacht habe. Der Kläger werfe dem Vorsitzenden in der Sache eine Nötigung zur Abgabe der Rücknahmeerklärung vor. Nach § 581 Abs. 1 ZPO finde jedoch im Falle des § 580 Nr. 5 ZPO eine Restitutionsklage nur statt, wenn wegen der Straftat eine rechtskräftige Verurteilung ergangen sei oder wenn die Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweisen nicht erfolgen könne. Keine der genannten Tatbestandsalternativen liege hier indes vor, sodass schon aus diesem Grund ein Widerruf der Rücknahmeerklärung nicht in Betracht komme. Nur ergänzend werde angemerkt, dass der Vortrag des Klägers, der Vorsitzende habe auf die Möglichkeit der Auferlegung von Verschuldenskosten bei Fortführung des Rechtsstreits nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen, auch nach Erinnerung des Vorsitzenden zutreffe, auch wenn sich dies nicht im Verhandlungsprotokoll wiederfinde. Hinsichtlich der Höhe der Kosten sei aber nach Rechtsprechung der Kammer regelmäßig die Pauschgebühr nach § 184 Abs. 2 SGG in Höhe von 150 Euro anzusetzen. Die zunächst erfolgte Weigerung des Klägers, die Klageverfahren für erledigt zu erklären, habe sich auch als rechtsmissbräuchlich dargestellt, was der Vorsitzende ebenfalls dargelegt gehabt habe. Denn der Kläger habe ausdrücklich erklärt, es gehe ihm jetzt nur noch um die Frage, wohin die Erstattung der I.-Krankenkasse überwiesen worden sei. Dabei habe es sich um einen Sachverhalt gehandelt, der die Streitgegenstände der Verfahren S 10 R 1264/11 und S 10 R 1535/12 nicht betroffen habe. Abschließend werde darauf hingewiesen, dass die gesamte Klärung des Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnisses des Klägers ohnehin nur durch den nicht mehr als Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG geschuldeten Einsatz des Vorsitzenden insbesondere gegenüber der I.-Krankenkasse habe erfolgen können.

Am 23. August 2016 hat der Kläger Berufung eingelegt. Er hat ein Konglomerat von Unterlagen eingereicht, bestehend aus diversen Bescheiden der Beklagten sowie Schriftverkehr aus den ursprünglichen Klageverfahren.

Im Januar 2017 hat die I.-Krankenkasse an den Kläger einen Betrag von 5.520,63 Euro gezahlt und ausgeführt, dieser ergebe sich aus seinem Beitragsguthaben (9.633,03 Euro) abzüglich eines im Wege eines Verrechnungsersuchens geltend gemachten Anspruchs der Beklagten (4.112,40 Euro).

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 23. Juli 2016, den Bescheid der Beklagten vom 26. September 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2011 und die Rentenanpassungsmitteilung der Beklagten vom 1. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Oktober 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm höhere Rente zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Durch Beschluss vom 29. November 2016 hat der Senat die Berufung nach § 153 Abs. 5 SGG auf den Berichterstatter zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

In dieser Besetzung hat der Senat sodann am 10. Mai 2017 über die Berufung mündlich verhandelt. Auf das Sitzungsprotokoll wird verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte, die Prozessakten der Verfahren mit den Aktenzeichen S 10 R 1264/11 und S 10 R 1535/12 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entscheiden, da der Senat das Verfahren nach § 153 Abs. 5 SGG übertragen hatte.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG). Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat in dem mit der Berufung angegriffenen Gerichtsbescheid zutreffend darauf erkannt, dass über die Klage in der Sache nicht mehr zu entscheiden ist. Zwar hat das Sozialgericht im Tenor des Gerichtsbescheides die Klage ausdrücklich abgewiesen, allerdings ergibt sich aus den Entscheidungsgründen eindeutig, dass es die Klage als durch Rücknahme erledigt angesehen und deswegen eine inhaltliche Entscheidung darüber abgelehnt hat. Dass es die Erledigung nicht auch im Tenor festgestellt hat, begründet keine eigene Beschwer auf Seiten des Klägers und eröffnet insbesondere keine erneute Prüfung in der Sache. Vielmehr war im Berufungsverfahren lediglich klarzustellen, dass die im Tenor bezeichneten Klageverfahren erledigt sind.

Was den Eintritt der Erledigung der Klageverfahren S 10 R 1264/11 und S 10 R 1535/1 angeht, weist der Senat die Berufung gemäß § 153 Abs. 2 SGG aus den Gründen der angefochtenen Gerichtsbescheides als unbegründet zurück und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Der Kläger hat im Berufungsverfahren nicht einmal ansatzweise deutlich gemacht, warum die hohen Anforderungen, unter denen eine Prozesserklärung als unwirksam zu werten ist, erfüllt sein sollten.

Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass auch die Voraussetzungen nicht verwirklicht sind, unter denen der Widerruf einer Klagerücknahme ausnahmsweise als zulässig angesehen wird. Für die insoweit anerkannte Fallkonstellationen eines für das Gericht und für den Prozessgegner erkennbaren Versehens (dazu BVerwG, Urteil vom 6. Dezember 1996 – 8 C 33/95, juris, Rn. 14 m.w.N.) oder eines unzutreffenden gerichtlichen Hinweises auf die Unzulässigkeit der Klage (dazu BFH, Urteil vom 6. Juli 2005 – XI R 15/04, BFHE 210, 4) liegen keinerlei Anhaltspunkte vor. Soweit der Kläger sich auf die Androhung von Verschuldenskosten bezieht, macht er der Sache nach die Widerruflichkeit der Klagerücknahme wegen unzulässigen Drucks durch das Gericht (dazu W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Rn. 15 vor § 40 m.w.N.) geltend, deren Voraussetzungen indes ebenfalls nicht gegeben sind. Auch wenn der Senat zugunsten des Klägers als wahr unterstellt, dass der Kammervorsitzende den Kläger auf die Absicht hingewiesen hat, ihm Verschuldenskosten gemäß § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG aufzuerlegen, kann dies allein naturgemäß nicht dazu führen, dass die vom Kläger daraufhin abgegebene Prozesserklärung unwirksam oder anfechtbar wäre. Das geltende Recht sieht Verschuldenskosten für den Fall einer missbräuchlichen Rechtsverfolgung ausdrücklich vor und macht ihre Auferlegung ebenso ausdrücklich von einem vorherigen Hinweis des Gerichts abhängig (§ 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 letzter Satzteil SGG). Von unzulässigem Druck durch das Sozialgericht kann daher keine Rede sein (vgl. im weiteren Zusammenhang auch Bayerisches LSG, Beschluss vom 9. Januar 2017 – L 3 SF 290/16 AB, juris, Rn. 15). Dies gilt auch dann, wenn – was keinesfalls erwiesen ist – der Kammervorsitzende hierbei von den sich aus den §§ 192 Abs. 1 Satz 3, 184 Abs. 2 SGG ergebenden Mindestbeträgen abgewichen sein sollte. Schon die Ausgestaltung der dort genannten Beträge als Untergrenzen lässt es zu, im Einzelfall höhere Kosten anzunehmen, ohne dass darin ein prozessrechtlich unzulässiges Verhalten läge. Es ist auch weder dargetan noch ansatzweise erkennbar, dass der Kammervorsitzende im Einzelfall von der ihm durch § 192 SGG eingeräumten Möglichkeit in willkürlicher, weil sachwidriger Weise Gebrauch gemacht hätte. Hierbei kann dahinstehen, welchen Maßstab das Berufungsgericht in der vorliegenden Konstellation an das Verhalten des erstinstanzlichen Gerichts anzulegen hätte, denn aus dem Sachverhalt ergibt sich nicht der geringste Hinweis in diese Richtung. Vielmehr verkennt der Kläger ganz offensichtlich die Reichweite des Streitgegenstandes sowie den Umstand, dass sich sein Anspruch auf Erstattung gezahlter Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bereits von vornherein nicht gegen die hiesige Beklagte richten kann. Schon vor diesem Hintergrund erscheint die Androhung von Kosten nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG nicht einmal ansatzweise als unzulässige Rechtsausübung durch das Sozialgericht.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Gründe die für Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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