L 2 U 22/15

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 36 U 201/12
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 U 22/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung einer Berufskrankheit nach der Ziffer 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Der Kläger ist seit 2004 bei dem Unternehmen "L. GmbH" in L1 beschäftigt, bis zum 30. Juni 2011 als Produktionshelfer und Maschinenführer in der industriellen Bäckerei. Bereits im Jahre 2003 klagte er über Schmerzen in der Halswirbelsäule. Im Jahr 2011 begab sich der Kläger wegen Beschwerden im Lendenwirbelsäulenbereich in medizinische Behandlung. Anhand der durchgeführten Untersuchungen stellten die Ärzte einen Bandscheibenschaden im Bereich der Lendenwirbelsäule L5/S1 fest.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 27. März 2012 die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nummer 2108 der Anlage zur BKV ab. Es liege kein Krankheitsbild vor, welches einer BK entspreche. Den gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juli 2012 zurück. Bei dem Kläger liege zwar ein Bandscheibenschaden im Bereich der Lendenwirbelsäule L5/S1vor. Belastungsindizierte Veränderungen im Sinne einer Begleitspondylose könnten jedoch nicht nachgewiesen werden. Ermittlungen zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen seien daher nicht erforderlich gewesen.

Mit seiner dagegen am 9. August 2012 erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, dass er seit dem Jahre 2003 an Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule leide. Der im Verwaltungsverfahren beteiligte Arzt O. habe erklärt, dass unabhängig von der definitiven Zuordnung im Rahmen der Konsensempfehlung zu den Konstellationen B3 bis B6 bei völlig fehlenden Veränderungen im Sinne einer Begleitspondylose ein Zusammenhang mit körperlichen Belastungen nicht wahrscheinlich sei. Damit widerspreche er aber den Konsensempfehlungen. Dort werde bei den Konstellationen B2 und B4 ein Zusammenhang als wahrscheinlich angesehen, obwohl diese keine Begleitspondylose enthielten. Zu Unrecht werde zudem ein längerer Trageweg für die von ihm getragenen schweren Gegenstände nicht in den arbeitstechnischen Stellungnahmen bei der Berechnung der Gesamtdosis berücksichtigt.

Die Beklagte hat dem entgegengehalten, auch die Konstellation B2 könne nicht angenommen werden, da bei Fehlen einer Begleitspondylose keines der weiter aufgeführten Kriterien vorliege. So fänden sich weder Höhenminderungen und/oder Prolapse in mindestens zwei weiteren Segmenten noch wurden in der kurzen beruflichen Tätigkeit des Versicherten bis zur ersten Behandlungsbedürftigkeit der LWS-Beschwerden vom Arbeitgeber Arbeitsspitzen oder ein besonderes Gefährdungspotenzial entsprechend der geforderten Kriterien angegeben. Im Rahmen weiterer arbeitstechnischer Ermittlungen vom 16. Mai 2013 kam der Präventionsdienst der Beklagten zu dem Ergebnis, dass sich unter Zugrundelegung der Angaben des Versicherten nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD-Modell) eine Gesamtdosis für den Zeitraum vom 1. März 2004 bis heute von 3,06 x 10&8310; Nh ergebe. Damit betrage die Gesamtdosis lediglich 12 % des Orientierungswertes von 25 x 10&8310; Nh.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstattete der Facharzt für Orthopädie Dr. A. ein medizinisches Sachverständigengutachten vom 31. Januar 2014. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass die Beschwerden des Klägers auf den Bandscheibenvorfall in Höhe L5/S1 mit Bedrängung der Nervenwurzel S1 links zurückzuführen seien. Obwohl der Versicherte zum Zeitpunkt der Untersuchung am 15. Oktober 2013 keine wesentlichen Beeinträchtigungen aufgewiesen habe, sei bei Vorliegen der kernspintomographischen Befunde, der nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeitszeiten, der vorliegenden ärztlichen Unterlagen und der Schilderung der Beschwerden und des Beschwerdeverlaufs durch den Probanden von einer erheblichen Bewegungseinschränkung im Bereich der Lendenwirbelsäule auszugehen, die sich bei Einnahme von Zwangshaltungen und bei Heben und Tragen von Gewichten verstärkten. Diese Erkrankung sei nicht auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen.

Die Technische Aufsichtsbeamtin der Beklagten kam in einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 1. Juli 2014 zu dem Ergebnis, dass zu Gunsten des Klägers nach der Konstellation B2 die Belastungsspitzen betrachtet worden seien. Hierbei habe sich gezeigt, dass die als Belastungsspitzen definierte Druckkraft von mindestens 6000 Newton im betrachteten Zeitraum in keiner Schicht des Jahres erreicht bzw. überschritten worden sei.

Der Kläger hat ergänzend vorgetragen, dass es anhand der Stellungnahme nicht nachvollziehbar sei, wie der Präventionsdienst zu dem Ergebnis der Gesamtdosis gelangt sei. Es könne ohne eigenes Nachrechnen nicht festgestellt werden, ob überhaupt alle angegebenen Tätigkeiten bei der Berechnung der Gesamtdosis Berücksichtigung gefunden hätten. Das Sozialgericht hat daraufhin eine weitere erläuternde Stellungnahme der Technischen Aufsichtsbeamtin vom 18. Februar 2015 im Rahmen einer Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition eingeholt. Unter Berücksichtigung des weiteren Vortrags des Klägers errechnete diese eine Gesamtdosis von 5,72 x 10&8310; Nh.

Mit Urteil vom 25. Juni 2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, da der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung einer BK nach der Ziffer 2108 der Anlage zur BKV habe, da deren Voraussetzungen bei dem Kläger nicht erfüllt seien. Es stehe bereits auch mit der geänderten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Hinweis auf BSG, Urteil vom 30. Oktober 2007 – B 2 U 4/06 R) fest, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine Anerkennung der BK 2108 nicht gegeben seien. Das Bundessozialgericht habe in seiner Entscheidung ausgeführt, dass im Grundsatz am MDD-Modell zur Ermittlung der kritischen Belastungsdosis beim Heben und Tragen sowie bei Arbeiten in Rumpfbeugehaltung zunächst festgehalten werden müsse, weil derzeit kein den Vorgaben der BK 2108 gerecht werdendes Alternativmodell zur Verfügung stehe. Gleichzeitig müssten die Grenzwerte, ab denen von einem erhöhten Krankheitsrisiko durch die in der Nr. 2108 der Anlage zur BKV genannten Einwirkungen auszugehen sei, deutlich niedriger als bisher angesetzt werden. Der untere Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen bandscheibenbedingter Erkrankung der Lendenwirbelsäule ausgeschlossen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen verzichtet werden könne, sei auf die Hälfte des im Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) vorgeschlagenen Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis von 25 x 10&8310; Nh herabzusetzen. Der sich nach diesen Überlegungen ergebende Wert einer Gesamtbelastungsdosis von 12,5 x 10&8310; Nh erreiche der Kläger aufgrund der von ihm ausgeübten Tätigkeiten nicht. Nachvollziehbar habe die Präventionsabteilung der Beklagten ausgeführt, dass aufgrund der von dem Kläger sowie des Produktionsleiters und des Schichtführers geschilderten Art und Ausführung seiner Tätigkeiten nach dem MDD-Modell eine Gesamtdosis von 5,72 x 10&8310; Nh errechnet werden konnte. Der Kläger habe nicht darlegen können, dass diese Berechnung in sich falsch oder unschlüssig sei. Die von dem Kläger vorgetragene Arbeitsweise könne nicht berücksichtigt werden, da sie nicht der gebräuchlichen Arbeitsweise entspreche.

Da bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach der Ziffer 2108 der Anlage zur BKV nicht erfüllt seien, komme es auf das medizinische Krankheitsbild der Berufskrankheit nicht mehr an. Letztlich käme sogar der nach § 109 SGG gehörte Gutachter Dr. A. zu dem Ergebnis, dass das erforderliche medizinische Krankheitsbild nicht vorliege. Insbesondere sei nicht von einer sogenannten Konstellation "B2" nach den Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 auszugehen, da die entsprechenden Zusatzkriterien nicht erfüllt seien.

Der Kläger hat gegen diese seinem Prozessbevollmächtigten am 10. Juli 2015 zugestellte Entscheidung am 24. Juli 2015 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, dass Sozialgericht hätte seiner Entscheidung nicht allein das Ergebnis der Befragung der technischen Aufsichtsbeamtin der Beklagten zugrunde legen dürfen, zumal die von ihr befragten Mitarbeiter der Bäckerei als Leitungspersonal möglicherweise ein Interesse hätten, die tatsächlichen Verhältnisse zu verschleiern. Auch hätte seiner unter Beweis gestellten Behauptung, dass er bei Störungen der Anlage die 50 kg schweren Kastenformverbände gemeinsam mit einem Kollegen fünf Meter habe tragen müssen, nachgegangen werden müssen. Das Gutachten des Sachverständigen Dr. A. sei deshalb möglicherweise von falschen Voraussetzungen ausgegangen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 25. Juni 2015 und den Bescheid der Beklagten vom 27. März 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Juli 2012 aufzuheben und festzustellen, dass seine Erkrankung eine Berufskrankheit nach der Ziffer 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wendet ein, trotz Berücksichtigung der vom Kläger vorgetragenen Arbeitsplatzbelastungen werde die Grenzdosis des MDD-Modells bei weitem nicht erreicht. Da schon die medizinischen Voraussetzungen der BK nicht vorlägen, erübrigten sich weitere Beweiserhebungen.

Der früher zuständige 3. Senat des Landessozialgerichts Hamburg hat gemäß Beweisanordnung vom 6. Januar 2016 ein medizinisches Gutachten der Chirurgin Dr. W. zu der Frage eingeholt, ob bei dem Kläger eine von Nr. 2108 der Anlage zur BKV Gesundheitsstörung vorliegt, wobei das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen zu unterstellen sei. In ihrem Gutachten vom 25. Februar 2016 kommt die Sachverständige Dr. W. zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger seit 2011 eine monosegmentale, altersvorauseilende Bandscheibendegeneration im Segment L5/1 nachzuweisen sei. Belastungsadaptive Reaktionen in Form von Begleitspondylosen oder Sklerosierungen der Abschlussplatten seien ebenso wenig nachzuweisen wie die medizinischen Voraussetzungen einer Konstellation "B2" der Konsensempfehlungen mit dem Nachweis von "black disc" in zwei angrenzenden Segmenten und fehlendem Nachweis der arbeitstechnischen Voraussetzung der Konstellation "B2" mit besonders intensiven Belastungsspitzen oder Erfüllen des Orientierungswertes in weniger als zehn Jahren. Damit seien die medizinischen Grundvoraussetzungen für die Anerkennung einer BK Nr. 2108 nicht erfüllt.

Der Kläger hat gegen das Ergebnis der Begutachtung eingewandt, dass die Sachverständige entgegen der gerichtlichen Vorgabe die Messungen des technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten zugrunde gelegt habe, die jedoch von falschen Tatsachen ausgingen. Ohne weitere Ermittlungen der arbeitstechnischen Voraussetzungen könne das Fehlen der medizinischen Voraussetzungen nicht sicher festgesellt werden.

Das Gericht hat daraufhin eine ergänzende Stellungnahme des technischen Aufsichtsdienstes einholen lassen. Darin sollte die Wirbelsäulenbelastung des Klägers unter – fiktiver – Berücksichtigung der von ihm beschriebenen Tragetätigkeit (Tragestrecke 5 Meter) berechnet werden. Nach der entsprechenden Stellungnahme der Dipl. Ing. M. vom 30. Juni 2016 errechne sich nach den geänderten Erhebungsdaten eine berufliche Gesamtdosis für den Kläger für den Zeitraum vom 1. März 2004 bis 30. Juni 2011 in Höhe von 7,6 x10&8310; Nh. Das entspreche einem Anteil von 30% des Orientierungswertes für Männer (25x10&8310; Nh). Eine besonders intensive Belastung (Erreichen des MDD-Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als zehn Jahren) liege ebenso wenig vor wie ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Berichterstatters an-stelle des Senats erteilt (§§ 155 Abs. 3 und 4 SGG).

Das Gericht hat über die Berufung am 16. Oktober 2017 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird ebenso Bezug genommen wie auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 27. März 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Juli 2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in dessen Rechten.

1. Die erhobene Klage ist als Anfechtungsklage gegen die ablehnende Entscheidung verbunden mit der auf Feststellung einer BK gerichteten Feststellungsklage zulässig (BSG, Urteil vom 15. September 2011 – B 2 U 22/10 R, NZS 2012, 151 ff.).

2. Rechtsgrundlage für die Anerkennung der streitigen BK ist § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) i.V.m. Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV vom 31. Oktober 1997 (BGBl I 2623), die lautet:

"Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können".

2. Für die Feststellung einer Listen-BK ist erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) sowie dass eine Krankheit vorliegt. Außerdem muss die Krankheit durch die Einwirkungen verursacht worden sein (haftungsbegründende Kausalität). Schließlich ist Anerkennungsvoraussetzung, dass der Versicherte deshalb seine Tätigkeit aufgeben musste sowie alle gefährdenden Tätigkeiten unterlässt. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die BK nicht anzuerkennen (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2007 – B 2 U 4/06 R, BSGE 99, 162). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt bereits die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 4. Juli 2013 – B 2 U 11/12 R, BSGE 114, 90).

3. Im Streitfall war der Kläger zwar seit 1. März 2004 in einer Brotfabrik las Arbeitnehmer tätig und damit als "Beschäftigter" im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versichert. Jedoch sind die Voraussetzungen einer "schädigenden Einwirkung" nicht erfüllt:

a) Die Belastungen erfolgten schon nicht langjährig, wie der Tatbestand der BK 2108 voraussetzt. Langjährig bedeutet, dass zehn Berufsjahre als im Durchschnitt untere Grenze der belastenden Tätigkeit zu fordern sind (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2015 – B 2 U 6/13 R, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 7; Ricke in Kasseler Kommentar, Stand 5/2014, § 9 SGB VII Rn. 42). Im Streitfall ist der bandscheibenbedingten Erkrankung eine nur siebenjährige bandscheibenbelastende Tätigkeit vorausgegangen.

b) Nach der ergänzenden Stellungnahme des technischen Aufsichtsdienstes vom 30. Juni 2016 unterlag der Kläger in diesem Zeitraum bei der Ausübung der Beschäftigung einer Einwirkungs-Belastung in Form von Hebe- und Tragevorgängen iHv 7,6 x10&8310; Nh. Der Senat hat dabei zugunsten des Klägers dessen Vortrag, dass er bei Störungen im Ofenauslauf 50 kg schwere Lasten über fünf Meter habe tragen müssen, unterstellt. Die festgestellten Belastung bleibt damit so deutlich unter dem sogen. Orientierungswert, dass sich eine weitere Prüfung zur haftungsbegründenden Kausalität erübrigt.

aa) Das MDD - Modell ist auch nach der jüngeren Rechtsprechung des BSG weiterhin eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung der im Text der BK 2108 mit den unbestimmten Rechtsbegriffen "langjähriges" Heben und Tragen "schwerer" Lasten oder "langjährige" Tätigkeit in "extremer Rumpfbeugehaltung" nur richtungweisend umschriebenen Einwirkungen (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2007 – B 2 U 4/06 R, a.a.O.) Allerdings legt das MDD selbst für die Belastung durch Heben und Tragen keine Mindestwerte fest, die erreicht werden müssen, damit von einem erhöhten Risiko von Bandscheibenschäden durch die berufliche Tätigkeit ausgegangen werden kann. Die auf Grund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis sind nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge zu verstehen. Von diesem Verständnis geht auch das aktuelle Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung zur BK 2108 aus, das für eine zusammenfassende Bewertung der Wirbelsäulenbelastung auf das MDD verweist (BArbBl 2006, Heft 10 S. 30 ff.). Danach sind zwar die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK 2108 zu bejahen, wenn die Richtwerte im Einzelfall erreicht oder überschritten werden (ASUMed 1999, 112, 119); umgekehrt schließt aber ein Unterschreiten dieser Werte das Vorliegen der BK nicht von vornherein aus (dazu BSG, Urteil vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 4/08, a.a.O. Rn. 18).

bb) Orientierungswerte sind nach der Rechtsprechung des BSG andererseits keine unverbindlichen Größen, die beliebig unterschritten werden können. Ihre Funktion besteht in dem hier interessierenden Zusammenhang darin, zumindest die Größenordnung festzulegen, ab der die Wirbelsäule belastende Tätigkeiten als potentiell gesundheitsschädlich einzustufen sind. Die Mindestbelastungswerte müssen naturgemäß niedriger angesetzt werden, weil sie ihrer Funktion als Ausschlusskriterium auch noch in besonders gelagerten Fällen, etwa beim Zusammenwirken des Hebens und Tragens mit anderen schädlichen Einwirkungen, gerecht werden müssen. Werden die Orientierungswerte jedoch so deutlich unterschritten, dass das Gefährdungsniveau nicht annähernd erreicht wird, so ist das Vorliegen einer BK 2108 zu verneinen, ohne dass es weiterer Feststellungen zum Krankheitsbild und zum medizinischen Kausalzusammenhang im Einzelfall bedarf (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 4/06 R, a.a.O, Rn. 19). Um den Ergebnissen der Deutschen Wirbelsäulenstudie Rechnung zu tragen, hat das BSG den unteren Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der Lendenwirbelsäule ausgeschlossen werden kann, auf die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis von 25 x 10&8310; Nh herabgesetzt. Auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen kann in diesem Fall verzichtet werden. Der untere Grenzwert hat damit die Funktion eines "Abschneidekriteriums", bei dem sich eine weitere Prüfung zur haftungsbegründenden Kausalität erübrigt (vgl. Römer in: Hauck/Noftz, SGB, 07/17, BKV Anlage 3, Rn. 9). Dieser untere Grenzwert von 12,5 x 10&8310; Nh ist hier deutlich unterschritten, so dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht vorliegen.

3. Die haftungsbegründende Kausalität ist danach zwar nicht weiter zu prüfen. Ergänzend wird aber darauf hingewiesen, dass auch das vor der ergänzenden Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes eingeholte Sachverständigengutachten der Chirurgin Dr. W. vom 25. Februar 2016 zu dem Ergebnis gelangt, dass die festgestellte Erkrankung nicht durch die Exposition am Arbeitsplatz entstanden sein kann. Gerade im Fall einer kurzen Belastungszeit von sieben Jahren seien größere Anforderungen an ein belastungskonformes Schadensbild zu richten. Das sei bei dem hier bestehenden monosegmentalen Bandscheibenschaden ohne jegliche Zeichen der belastungsadaptiven Reaktionen nicht zu unterstellen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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