S 9 P 5/13

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 9 P 5/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 P 4/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 P 23/16 B
Datum
Kategorie
Gerichtsbescheid
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Herabsetzung von Leistungen der Pflegeversicherung von Pflegestufe III auf Pflegestufe II.

Die 1996 geborene Klägerin erhielt ab 01.06.1998 Pflegegeld nach Pflegestufe III. Die Wiederholungsbegutachtungen im Jahre 2002 und 2007 ergaben weiterhin das Vorliegen der Voraussetzungen der Pflegestufe III. Am 20.12.2011 erfolgte eine erneute Wiederholungsbegutachtung. Der MDK stellte nunmehr einen Hilfebedarf bei der Grundpflege von 206 Minuten pro Tag zuzüglich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 60 Minuten pro Tag fest. Mit Schreiben vom 02.01.2012 hörte die Beklagte die Klägerin zur Herabsetzung der Pflegestufe auf Pflegestufe II an und gewährte mit Bescheid vom 14.03.2012 Leistungen nach Pflegestufe II ab 01.04.2012. Die medizinische Begutachtung habe ergeben, dass nur noch die Voraussetzungen für die Pflegestufe II erfüllt seien. Das Pflegegeld verringere sich somit. Den Leistungsbescheid vom 27.07.1998 hob die Beklagte auf.

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Eine Begründung des Widerspruchs erfolgte nicht und eine erneute Wiederholungsbegutachtung konnte nicht durchgeführt werden. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.01.2013 zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, in den tatsächlichen Verhältnissen im Vergleich zum Bewilligungszeitpunkt sei eine wesentliche Änderung eingetreten. Der Hilfebedarf bei der Grundpflege erfülle nicht mehr die Voraussetzungen für die Pflegestufe III, der Hilfebedarf der Klägerin habe sich in allen Bereichen der Grundpflege verringert. Grund dafür sei eine weitere Gesundheitsstabilisierung. So benötige die Klägerin beispielsweise gegenwärtig lediglich Hilfe bei Toilettengängen. Zum Zeitpunkt der Begutachtung am 27.07.1998 sei sie jedoch noch auf ein regelmäßiges Toilettentraining und auf das nächtliche Tragen von Windeln angewiesen gewesen. Auch habe sich der Hilfebedarf für das Verlassen/Wiederaufsuchen der Wohnung aktuell reduziert.

Mit der am 21.02.2013 beim Sozialgericht Gießen eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Weitergewährung von Pflegegeld nach Pflegestufe III. Die Klägerin macht geltend, die im Gutachten angegebenen Pflegezeiten seien zu niedrig angesetzt worden. Aufgrund der Einnahme des Medikaments Topamax zur Anfallsprophylaxe sei sie psychomotorisch verlangsamt. Der Hilfebedarf habe sich in allen Bereichen der Grundpflege erhöht.

Die Kammer hat die Arztbriefe des sozialpädiatrischen Zentrums der Städtischen Klinik Frankfurt/Höchst, einen Befundbericht von Dr. F. vom 03.08.2013 nebst diversen Arztbriefen und einen Befundbericht von Dr. D. vom 03.09.2013 angefordert.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 14.03.2012 abzuändern und den Widerspruchsbescheid vom 16.01.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, weiter Leistungen nach Pflegestufe III zu gewähren, hilfsweise ein Gutachten bei Dr. F. einzuholen und die Mutter der Klägerin, Frau B., als Zeugin zu vernehmen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Die Kammer hat ein Gutachten bei Frau A. eingeholt. In ihrem Gutachten vom 14.02.2014 kommt Frau A. zu dem Ergebnis, dass die Klägerin im Bereich der Grundpflege einen Hilfebedarf von 194 Minuten pro Tag benötigt und zusätzlich für die hauswirtschaftliche Versorgung 70 Minuten pro Tag anzunehmen seien. Damit seien die Voraussetzungen der Pflegestufe II gegeben und die Pflegebedürftigkeit in diesem Ausmaß bestehe seit ca. zwei Jahren. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten von Frau A., Bl. 55 der Akten, Bezug genommen.

Der für das Gutachten nach § 109 SGG angeforderte Kostenvorschuss ist von der Klägerin nicht gezahlt worden.

Die Kammer hat die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid mit Schreiben vom 15.09.2014 angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Parteien, wird auf die Gerichts- und die Beklagtenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 14.03.2012 ist rechtmäßig. Der Klägerin stehen nur noch Leistungen nach Pflegestufe II zu.

Gemäß § 48 Abs. 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Bei dem Bescheid über die Gewährung von Pflegeleistungen der sozialen Pflegeversicherung handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Gegenüber den bestandskräftigen Bescheiden zur Gewährung von Pflegestufe III ist eine wesentliche Änderung eingetreten. Der Hilfebedarf der Klägerin hat sich im Bereich der Grundpflege wesentlich verringert. Dies steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund des Gutachtens von Frau A. vom 14.02.2014 sowie dem Gutachten des MDK vom 22.12.2011 fest. Die Klägerin leidet an einer bilateralen spastischen Cerebralparese mit Hüft- und Beugespastik, beidseitiger Spitzfußstellung und Fehlstellung der Füße, einer geistigen Behinderung, einem Hirnanfallsleiden und die Klägerin ist blind. Nach den Feststellungen von Frau A., die die Kammer für nachvollziehbar hält, benötigt die Klägerin volle Hilfe bei der Ganzkörperwäsche morgens sowie beim abendlichen Baden. Außerdem benötigt sie Vollhilfe beim dreimal täglichen Zähneputzen. Die Klägerin kann die Zähne sich mit der angereichten Zahnbürste selber putzen, eine Nachreinigung ist jedoch notwendig. Außerdem besteht eine Vollhilfe beim zweimal täglichen Kämmen und beim zweimal täglichen Stuhlgang. Auch beim viermal täglichen Wasserlassen wird Fremdhilfe benötigt sowie bei der Verrichtung als auch beim Richten der Bekleidung anschließend. Im Bereich der Körperpflege ermittelte Frau A. einen Hilfebedarf von 100 Minuten täglich und berücksichtige dabei für die Ganzkörperwäsche morgens 20 Minuten, für das Baden abends 20 Minuten, 15 Minuten für die tägliche Zahnpflege, vier Minuten für zweimal tägliches Kämmen, für die Darmentleerung zweimal täglich je acht Minuten, für das Wasserlassen viermal täglich je drei Minuten, für das Richten der Bekleidung sechsmal je zwei Minuten pro Tag sowie eine Minute pro Tag für die Menstruationshygiene. Bei der Hilfe beim Stuhlgang ging Frau A. von einem höheren Zeitaufwand wegen des häufiger vorkommenden Stuhlschmierens aus.

Im Bereich der Ernährung benötigt die Klägerin volle Hilfe bei der mundgerechten Nahrungszubereitung. Die Klägerin ist in der Lage, belegte Brotstücke, Gurke oder Paprika sich selber in den Mund zu stecken, ggf. ist Anleitung, Unterstützung oder Beaufsichtigung erforderlich. Die Klägerin benötigt Hilfe beim Anreichen der Nahrung, insbesondere bei den Hauptmahlzeiten bei Suppen oder anderen dünnflüssigen Speisen. Bei breiiger oder fester Kost muss der Löffel von der Pflegeperson befüllt werden, den die Klägerin dann selbst zum Mund führen kann. Beim Trinken ist keine Hilfe erforderlich. Die Klägerin kann einen Becher mit zwei Händen halten und selbständig an den Mund führen. Im Bereich der Ernährung stellte Frau A. daher einen Hilfebedarf von 39 Minuten täglich fest und berücksichtigte dabei neun Minuten für die mundgerechte Nahrungszubereitung und 30 Minuten für die Nahrungsaufnahme.

Im Bereich der Mobilität benötigt die Klägerin nach den Feststellungen von Frau A. Hilfe beim Treppensteigen und Gehen (insbesondere nachts). Das Aufstehen und Zubettgehen gelingt selbständig. Beim Entkleiden ist die Klägerin zwar bei einigen Verrichtungen selbständig, wie z. B. beim Ausziehen der Strümpfe und sie versucht auch, beim Ausziehen des Pullis mitzuhelfen. Für das Ankleiden benötigt die Klägerin vollständige Hilfe. Frau A. nahm daher einen Hilfebedarf im Bereich der Mobilität von 55 Minuten pro Tag an und berücksichtigte dabei zweimal tägliche Vollhilfe beim Ankleiden mit 20 Minuten, zweimal tägliche Vollhilfe beim Entkleiden mit insgesamt zehn Minuten, zweimal Transfer zwei Minuten, Beaufsichtigung nachts beim Gehen fünf Minuten und Beaufsichtigung viermal täglich je zwei Minuten beim Treppensteigen, insgesamt acht Minuten. Außerdem war noch ein Hilfebedarf beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung zu Arztterminen und Krankengymnastik von zehn Minuten pro Tag zu berücksichtigen.

Der Hilfebedarf der Klägerin hat sich folglich insgesamt verringert, da die Entwicklung der Klägerin vorangeschritten ist, sich der Gesundheitszustand stabilisiert hat und eine Adaption an die Funktionsdefizite stattgefunden hat, wie Frau A. in ihrem Gutachten ausführte. Der Hilfebedarf der Klägerin hat sich wesentlich verringert, denn gegenüber den Vorgutachten ist die Klägerin im Bereich der Nahrungsaufnahme wesentlich selbständiger geworden, da die Klägerin kleingeschnittene Brotstücke selbst essen kann und auch mit Löffel selber essen kann, wenn ihr die feste Nahrung auf den Löffel gelegt wird. Außerdem besteht kein Hilfebedarf mehr bei der Aufnahme von Getränken. Auch der Zeitbedarf für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung hat sich verringert, da nur einmal pro Woche Krankengymnastik durchgeführt wird.

Aufgrund der Feststellungen von Frau A. liegen nur noch die Voraussetzungen für die Pflegestufe II vor, da der Grundpflegebedarf 194 Minuten beträgt und der Hilfebedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung 70 Minuten. Für die Pflegestufe III müsste der Hilfebedarf fünf Stunden pro Tag betragen, wobei auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen müssten (§ 15 Abs. 3 Satz 1 SGB XI).

Aus den vorgenannten Gründen konnte die Klage keinen Erfolg haben.

Die Kammer musste dem Antrag gemäß § 109 SGG auf Einholung eines Gutachtens bei Dr. F. nicht folgen, da der angeforderte Kostenvorschuss von der Klägerin nicht eingezahlt worden ist.

Die Kammer musste auch nicht die Mutter der Klägerin, Frau B., als Zeugin vernehmen, da Frau B. als Zeugin nur aussagen sollte, dass die festgestellten Zeitwerte wesentlich höher liegen würden, als durch die gerichtlich bestellte Gutachterin angenommen. Die von Frau B. subjektiv empfundenen höheren Zeitwerte sind für die Frage der Höhe der Pflegestufe aber nicht zu berücksichtigen, da dies allein an den objektiven Kriterien gemessen wird, die die Gutachter feststellen.

Die Kammer konnte durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG, die Zulässigkeit der Berufung aus § 143 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved