Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 1 U 74/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 124/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1) Unter Aufhebung des Bescheids vom 19.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.04.2012 wird die Beklagte verurteilt, bei dem verstorbenen Versicherten Herrn C. eine Berufskrankheit nach Nr. 4105 der Anlage zur BKV anzuerkennen und der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu gewähren.
2) Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten wegen der Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 4105 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (Mesotheliom des Rippenfells durch Asbest) und Gewährung der gesetzlichen Entschädigungsleistungen an die Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten.
Die Klägerin ist die Witwe des 1934 geborenen und 2011 verstorbenen Versicherten Herrn C. Dieser war von 1948 bis 1993 als Elektriker bei Firma E. im Werk F. beschäftigt und in dieser Tätigkeit bei der Beklagten im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Erstmals am 12.07.2011 ging bei der Beklagten eine Berufskrankheiten-Verdachtsanzeige der Klinik G. ein. Die Beklagte leitete unverzüglich ein Verwaltungsverfahren ein und nahm telefonisch Kontakt mit dem Versicherten auf und befragte diesen insbesondere zum beruflichen Werdegang und seinem Umgang mit belastenden Materialien. Der Versicherte gab darin an, er habe Asbestplatten schneiden müssen und habe Lötarbeiten mit Asbestband in größerem Umfang durchgeführt. Aufgrund dessen führte die Beklagte umfangreiche Ermittlungen wegen der Schwere der Erkrankung des Versicherten sehr zügig durch; u.a. zog sie einen histologischen Untersuchungsbefund der Zentralklinik H-Stadt bei, in dem ausgeführt wird, der Befund spreche für ein Pleuramesotheliom. Außerdem zog die Beklagte einen Operationsbericht bei und holte weitere berufliche Auskünfte bei der Firma E. ein. Aus einem im weiteren Verfahren beigezogenen Arztbrief des Referenzzentrums für Weichgewebetumoren der Uni I-Stadt geht hervor, dass sich die dort untersuchenden Ärzte nicht genau festlegen konnten, ob ein Mesotheliom oder ein sarkomatoides Karzinom vorliege. Die weitere Untersuchung am Institut für Pathologie der Uni J-Stadt, Leiterin Prof. K., führte ebenfalls zu keinem eindeutigen Ergebnis. Die Untersucher hatten hier Zweifel, ob ein Mesotheliom im Vollbeweis gesichert werden könnte. Mit Bescheid vom 19.10.2011 lehnte die Beklagte deshalb die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 4105 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) ab. Hiergegen legte der Versicherte, der sich zwischenzeitlich im Koma befand, über seine Tochter rechtzeitig Widerspruch ein. Im Verlauf des Widerspruchsverfahrens verstarb der Versicherte 2011 und wurde ohne Obduktion beigesetzt. Die Beklagte zog im Widerspruchsverfahren die weiteren Krankenunterlagen über die Behandlung des Versicherten bei. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.04.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen erhob die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten am 25.05.2012 Klage vor dem Sozialgericht Gießen. Sie ist der Ansicht, bei ihrem verstorbenen Ehemann sei ein Mesotheliom im Vollbeweis gesichert. Es seien deshalb die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu zahlen.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Bescheids vom 19.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.04.2012 die Beklagte zu verurteilen, bei dem verstorbenen Versicherten Herrn C. eine Berufskrankheit nach Nr. 4105 der Anlage zur BKV anzuerkennen und ihr als Sonderrechtsnachfolgerin die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen. Ergänzend legt sie eine weitere Stellungnahme von Frau Prof. Dr. K., J-Stadt, vor. Diese kommt in ihrer Stellungnahme vom 07.02.2013 zu dem Ergebnis, nach nochmaliger Prüfung des Untersuchungsmaterials könne nur ein undifferenzierter maligner spindelzelliger Tumor diagnostiziert werden. Aus pathologisch-anatomischer Sicht erlaube der vorliegende Befund nicht den Vollbeweis eines malignen Mesothelioms. Die von den auswärtigen Zweitgutachtern, insbesondere von Herrn Prof. L., angeführten diagnostischen Überlegungen seien aus ihrer Sicht nicht geeignet, den Vollbeweis eines Mesothelioms zu erbringen. Diese Diagnose gründe sich lediglich auf die von Prof. L. nachgewiesene Zytokeratin-Expression. Dasselbe gelte für die im Gerichtsverfahren eingeholten Gutachten.
Das Gericht hat von Amts wegen Beweis erhoben durch Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens bei Prof. B., Universitätsklinikum B-Stadt, mit pathologischem Zusatzgutachten von Prof. M., ebenfalls Universitätsklinikum B-Stadt. Der pathologische Zusatzgutachter Prof. M. kommt in seinem Gutachten vom 08.11.2012 zu dem Ergebnis, unter Berücksichtigung aller klinischer und histopathologischer Befunde könne das Vorliegen eines primären Pleuramesothelioms nach Typ B nach CEC Panel mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Dem schließt sich der Hauptgutachter Prof. B. in seinem Gutachten vom 15.11.2012 vollinhaltlich an. Er führt hierin aus, ein Karzinom anderer Genese der Lunge sei von sämtlichen Pathologen eindeutig ausgeschlossen worden. Hinweise für Metastasen eines Tumors anderer Entität waren klinisch nicht nachweisbar. Daher sei klinisch der hochgradige Verdacht auf ein Mesotheliom gestellt worden. An dieser Diagnose bestünden demzufolge keine begründeten Zweifel. Zusammenfassend bestehe bei dem Versicherten ein histologisch gesichertes Pleuramesotheliom Typ B nach CEC Panel. Der Vollbeweis der Diagnose eines malignen Mesothelioms sei damit gemäß S2-Leitlinie gegeben. Eine außerberufliche Exposition gegenüber Asbest sei nicht im Vollbeweis gesichert worden. Die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer Berufskrankheit lägen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vor.
Mit einem während des Gerichtsverfahrens ergangenen Bescheid vom 15.07.2013 lehnte die Beklagte die Anerkennung weiterer Berufskrankheiten nach Nr. 4103 und 4104 der Anlage zur BKV ab. Dieser Bescheid ist nicht Gegenstand des Streitverfahrens geworden.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen, insbesondere wegen des Inhalts der medizinischen Gutachten im Detail, wird auf die Klage- und Verwaltungsakte der Beklagten über den Versicherten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 14.03.2014 gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist zulässig.
Sachlich ist die Klage auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 19.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.04.2012 war aufzuheben, denn bei dem verstorbenen Versicherten Herrn C. ist eine Berufskrankheit nach Nr. 4105 der Anlage zur BKV anzuerkennen und der Klägerin als seiner Sonderrechtsnachfolgerin sind die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu gewähren.
Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird dabei nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übliche Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht sind, oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Die diesen Kriterien entsprechenden Berufskrankheiten sind in der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) vom 31.10.1997, zuletzt geändert durch Verordnung vom 11.06.2009 (BGBl. I Seite 1273), aufgeführt. Unter Nr. 4105 der Anlage zur BKV ist als Berufskrankheit ein "durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Pericards" als Berufskrankheit bezeichnet. Die genaueren Voraussetzungen zur Anerkennung dieser Berufskrankheit sind in der Berufskrankheiten-Verordnung nicht geregelt, sie werden in den zur jeweiligen Berufskrankheit ergangenen Merkblättern des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung aufgeführt.
Grundsätzliche Voraussetzung für die Feststellung einer BK ist, dass die versicherte Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen sowie die Erkrankung, wegen der Entschädigungsleistungen beansprucht werden, nachgewiesen sind (BSGE 61, 127, 128; 45, 285, 287). Dagegen genügt für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge schädigender Einwirkungen die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (BSGE 61, 127, 128; 58, 76, 78).
Streitig ist vorliegend, ob die beim Versicherten zum Tode führende maligne Erkrankung die Voraussetzungen nach Nr. 4105 der Anlage zur BKV erfüllt, ob also ein Mesotheliom im Vollbeweis gesichert ist. Dabei ist in der medizinischen Wissenschaft anerkannt, dass insbesondere die Sicherung eines Mesothelioms im Vollbeweis häufig Schwierigkeiten bereitet. Um dieser Problematik der Sicherung bzw. des Ausschlusses eines malignen diffusen Mesothelioms Rechnung zu tragen, sind vom Europäischen Mesotheliom Panel (Commission of the European Community = CEC) Wertungsschemen vorgeschlagen worden, die zwischenzeitlich bei der Anerkennung dieser Berufskrankheit allgemein angewandt werden. Danach kann, obwohl Gesetzgeber und Rechtsprechung der Obergerichte grundsätzlich für alle Berufskrankheitenfolgen den Vollbeweis fordern, auch ein wahrscheinliches Mesotheliom (mangelnde Gewebsgröße, schlechte Qualität, mangelnde Differenzierung, Fehlen gewisser histologischer Details) als Typ B nach CEC Panel anerkannt werden. Die im Gerichtsverfahren auf pathologischem und arbeitsmedizinischem Gebiet gehörten Gutachter Prof. B. und Prof. M. haben in ihren Gutachten für die Kammer ausführlichst, widerspruchsfrei und überzeugend dargestellt, dass sie von einem Mesotheliom Typ B nach CEC Panel ausgehen. Prof. M. hat in seinem Gutachten dabei die einzelnen zuvor durchgeführten Untersuchungen an den verschiedenen Instituten miteinander ausführlich verglichen und ihre differenzierten Ergebnisse bewertet. Er kommt zu dem Ergebnis, basierend auf den histopathologischen Befunden sei festzustellen, dass drei von vier Gutachtern die Diagnose einer malignen spindelzelligen Neoplasie im Bereich der Pleura stellen (Dr. A., Prof. L., Prof. K.), wo hingegen am Institut für Pathologie und Zytologie die Diagnose einer chronischen fibrinösen Pleuritis favorisiert werde. Hinsichtlich des oben angeführten und sehr ausführlich beschriebenen immunhistochemischen Markerprofils sei schließlich festzustellen, dass die Tumorzellen offenbar eine Positivität für Pan-Cytokeratin-Marker aufwiesen, jedoch überwiegend negativ für weitere Mesotheliom assoziierte Marker blieben. Allein aufgrund des immunhistochemischen Expressionsmusters und insbesondere vor dem Hintergrund einer negativen Reaktion für den sehr spezifischen Endothel-Marker CD34 erscheine die Diagnose eines Angiosarkoms wenig wahrscheinlich. Zur entscheidenden Frage, ob ein wahrscheinliches Mesotheliom nach Typ B oder ein mögliches Mesotheliom nach Typ C vorliege, müsse zunächst festgestellt werden, dass bei einer geringen Anzahl von Tumoren trotz des Ansatzes aller verfügbaren Methoden und Techniken keine eindeutige Klassifikation möglich sei. Diese sollte deshalb in jedem Fall im Kontext und wenn möglich im Einklang mit der klinischen Gesamtkonstellation getroffen werden. Unter Berücksichtigung aller, auf der Aktenlage basierender klinischer und histopatholgischer Befunde könne das Vorliegen eines primären wahrscheinlichen Pleuramesothelioms (Typ B nach CEC Panel) angenommen werden. Prof. B. hat hierzu in seinem Gutachten vom 15.11.2012 unterstützend insbesondere die klinische Diagnostik noch einmal ausführlich dargestellt und ist zum selben Ergebnis gekommen wie Prof. M. Dies ist für die Kammer überzeugend. Danach ist zwar ein Pleuramesotheliom nicht im Vollbeweis gesichert, es liegt aber ein wahrscheinliches Pleuramesotheliom nach Typ B des CEC Panels vor. Dies muss bei dieser Berufskrankheit zur Anerkennung ausreichen.
Im Ergebnis werden diese Feststellungen auch durch die im Verfahren durch die Beklagte letztlich eingeführte weitere Stellungnahme von Frau Prof. Dr. K., J-Stadt, vom 07.02.2013 bestätigt. Frau Prof. K. führt hierin aus, dass der Vollbeweis nicht geführt werden könne. Insoweit stimmt sie mit den Feststellungen der Gerichtsgutachter und, wie oben dargestellt, der Kammer überein. Entscheidend ist für die Kammer hier, dass sie auf Seite 8 ihrer genannten Stellungnahme ausführt, die bloße Argumentation von Prof. M. aus pathologisch-anatomischer Sicht sei ihrer Meinung "in dieser Form so nicht uneingeschränkt haltbar". Die von Herrn Prof. B. dargelegte Argumentationskette könne aus diesem Grund ebenfalls nicht "ohne weiteres kritiklos übernommen werden". Soweit Prof. K. zusammenfassend feststellt, dass pathologisch-anatomischerseits der Vollbeweis nicht zu erbringen sei, folgt zur Überzeugung der Kammer im Umkehrschluss aber hier gleichzeitig aus den zuvor zitierten Passagen, dass auch Prof. K. den Beweismaßstab der Wahrscheinlich für erfüllt ansieht, soweit sie lediglich ausführt, sie könne sich nicht "uneingeschränkt" anschließen.
Letztlich hätte der Vollbeweis nur geführt werden können, wenn nach dem Tod des Versicherten eine Leichenöffnung durchgeführt worden wäre. Hierauf hat insbesondere auch Frau Prof. K. nochmals verwiesen. Es ist für die Kammer aus der Akte nicht ersichtlich, warum die Beklagte diesen offensichtlichen Schritt bei vorheriger Meldung des Verdachts der Berufskrankheit unterlassen hat. Im Rahmen des Amtsermittlungsprinzipes wäre sie gehalten gewesen, diesen Schritt zumindest mit den Angehörigen des Versicherten abzustimmen. Dies ist zwar unterblieben, führt aber dennoch nicht zu einer Beweislastumkehr. Letztlich war es Aufgabe der Sachverständigen und im Rahmen der Beweiswürdigung der Kammer festzustellen, mit welchem Überzeugungsgrad ein Mesotheliom beim verstorbenen Versicherten bestanden haben muss. In Auswertung aller möglichen Kriterien ist die Kammer, wie schon dargestellt, davon überzeugt, dass mit dem Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit ein Mesotheliom bestand und deshalb die Berufskrankheit dem Grunde nach anzuerkennen ist. Die gesetzlichen Entschädigungsleistungen sind deshalb der Sonderrechtsnachfolgerin zu gewähren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
2) Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten wegen der Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 4105 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (Mesotheliom des Rippenfells durch Asbest) und Gewährung der gesetzlichen Entschädigungsleistungen an die Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten.
Die Klägerin ist die Witwe des 1934 geborenen und 2011 verstorbenen Versicherten Herrn C. Dieser war von 1948 bis 1993 als Elektriker bei Firma E. im Werk F. beschäftigt und in dieser Tätigkeit bei der Beklagten im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Erstmals am 12.07.2011 ging bei der Beklagten eine Berufskrankheiten-Verdachtsanzeige der Klinik G. ein. Die Beklagte leitete unverzüglich ein Verwaltungsverfahren ein und nahm telefonisch Kontakt mit dem Versicherten auf und befragte diesen insbesondere zum beruflichen Werdegang und seinem Umgang mit belastenden Materialien. Der Versicherte gab darin an, er habe Asbestplatten schneiden müssen und habe Lötarbeiten mit Asbestband in größerem Umfang durchgeführt. Aufgrund dessen führte die Beklagte umfangreiche Ermittlungen wegen der Schwere der Erkrankung des Versicherten sehr zügig durch; u.a. zog sie einen histologischen Untersuchungsbefund der Zentralklinik H-Stadt bei, in dem ausgeführt wird, der Befund spreche für ein Pleuramesotheliom. Außerdem zog die Beklagte einen Operationsbericht bei und holte weitere berufliche Auskünfte bei der Firma E. ein. Aus einem im weiteren Verfahren beigezogenen Arztbrief des Referenzzentrums für Weichgewebetumoren der Uni I-Stadt geht hervor, dass sich die dort untersuchenden Ärzte nicht genau festlegen konnten, ob ein Mesotheliom oder ein sarkomatoides Karzinom vorliege. Die weitere Untersuchung am Institut für Pathologie der Uni J-Stadt, Leiterin Prof. K., führte ebenfalls zu keinem eindeutigen Ergebnis. Die Untersucher hatten hier Zweifel, ob ein Mesotheliom im Vollbeweis gesichert werden könnte. Mit Bescheid vom 19.10.2011 lehnte die Beklagte deshalb die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 4105 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) ab. Hiergegen legte der Versicherte, der sich zwischenzeitlich im Koma befand, über seine Tochter rechtzeitig Widerspruch ein. Im Verlauf des Widerspruchsverfahrens verstarb der Versicherte 2011 und wurde ohne Obduktion beigesetzt. Die Beklagte zog im Widerspruchsverfahren die weiteren Krankenunterlagen über die Behandlung des Versicherten bei. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.04.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen erhob die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten am 25.05.2012 Klage vor dem Sozialgericht Gießen. Sie ist der Ansicht, bei ihrem verstorbenen Ehemann sei ein Mesotheliom im Vollbeweis gesichert. Es seien deshalb die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu zahlen.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Bescheids vom 19.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.04.2012 die Beklagte zu verurteilen, bei dem verstorbenen Versicherten Herrn C. eine Berufskrankheit nach Nr. 4105 der Anlage zur BKV anzuerkennen und ihr als Sonderrechtsnachfolgerin die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen. Ergänzend legt sie eine weitere Stellungnahme von Frau Prof. Dr. K., J-Stadt, vor. Diese kommt in ihrer Stellungnahme vom 07.02.2013 zu dem Ergebnis, nach nochmaliger Prüfung des Untersuchungsmaterials könne nur ein undifferenzierter maligner spindelzelliger Tumor diagnostiziert werden. Aus pathologisch-anatomischer Sicht erlaube der vorliegende Befund nicht den Vollbeweis eines malignen Mesothelioms. Die von den auswärtigen Zweitgutachtern, insbesondere von Herrn Prof. L., angeführten diagnostischen Überlegungen seien aus ihrer Sicht nicht geeignet, den Vollbeweis eines Mesothelioms zu erbringen. Diese Diagnose gründe sich lediglich auf die von Prof. L. nachgewiesene Zytokeratin-Expression. Dasselbe gelte für die im Gerichtsverfahren eingeholten Gutachten.
Das Gericht hat von Amts wegen Beweis erhoben durch Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens bei Prof. B., Universitätsklinikum B-Stadt, mit pathologischem Zusatzgutachten von Prof. M., ebenfalls Universitätsklinikum B-Stadt. Der pathologische Zusatzgutachter Prof. M. kommt in seinem Gutachten vom 08.11.2012 zu dem Ergebnis, unter Berücksichtigung aller klinischer und histopathologischer Befunde könne das Vorliegen eines primären Pleuramesothelioms nach Typ B nach CEC Panel mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Dem schließt sich der Hauptgutachter Prof. B. in seinem Gutachten vom 15.11.2012 vollinhaltlich an. Er führt hierin aus, ein Karzinom anderer Genese der Lunge sei von sämtlichen Pathologen eindeutig ausgeschlossen worden. Hinweise für Metastasen eines Tumors anderer Entität waren klinisch nicht nachweisbar. Daher sei klinisch der hochgradige Verdacht auf ein Mesotheliom gestellt worden. An dieser Diagnose bestünden demzufolge keine begründeten Zweifel. Zusammenfassend bestehe bei dem Versicherten ein histologisch gesichertes Pleuramesotheliom Typ B nach CEC Panel. Der Vollbeweis der Diagnose eines malignen Mesothelioms sei damit gemäß S2-Leitlinie gegeben. Eine außerberufliche Exposition gegenüber Asbest sei nicht im Vollbeweis gesichert worden. Die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer Berufskrankheit lägen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vor.
Mit einem während des Gerichtsverfahrens ergangenen Bescheid vom 15.07.2013 lehnte die Beklagte die Anerkennung weiterer Berufskrankheiten nach Nr. 4103 und 4104 der Anlage zur BKV ab. Dieser Bescheid ist nicht Gegenstand des Streitverfahrens geworden.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen, insbesondere wegen des Inhalts der medizinischen Gutachten im Detail, wird auf die Klage- und Verwaltungsakte der Beklagten über den Versicherten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 14.03.2014 gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist zulässig.
Sachlich ist die Klage auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 19.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.04.2012 war aufzuheben, denn bei dem verstorbenen Versicherten Herrn C. ist eine Berufskrankheit nach Nr. 4105 der Anlage zur BKV anzuerkennen und der Klägerin als seiner Sonderrechtsnachfolgerin sind die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu gewähren.
Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird dabei nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übliche Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht sind, oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Die diesen Kriterien entsprechenden Berufskrankheiten sind in der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) vom 31.10.1997, zuletzt geändert durch Verordnung vom 11.06.2009 (BGBl. I Seite 1273), aufgeführt. Unter Nr. 4105 der Anlage zur BKV ist als Berufskrankheit ein "durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Pericards" als Berufskrankheit bezeichnet. Die genaueren Voraussetzungen zur Anerkennung dieser Berufskrankheit sind in der Berufskrankheiten-Verordnung nicht geregelt, sie werden in den zur jeweiligen Berufskrankheit ergangenen Merkblättern des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung aufgeführt.
Grundsätzliche Voraussetzung für die Feststellung einer BK ist, dass die versicherte Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen sowie die Erkrankung, wegen der Entschädigungsleistungen beansprucht werden, nachgewiesen sind (BSGE 61, 127, 128; 45, 285, 287). Dagegen genügt für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge schädigender Einwirkungen die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (BSGE 61, 127, 128; 58, 76, 78).
Streitig ist vorliegend, ob die beim Versicherten zum Tode führende maligne Erkrankung die Voraussetzungen nach Nr. 4105 der Anlage zur BKV erfüllt, ob also ein Mesotheliom im Vollbeweis gesichert ist. Dabei ist in der medizinischen Wissenschaft anerkannt, dass insbesondere die Sicherung eines Mesothelioms im Vollbeweis häufig Schwierigkeiten bereitet. Um dieser Problematik der Sicherung bzw. des Ausschlusses eines malignen diffusen Mesothelioms Rechnung zu tragen, sind vom Europäischen Mesotheliom Panel (Commission of the European Community = CEC) Wertungsschemen vorgeschlagen worden, die zwischenzeitlich bei der Anerkennung dieser Berufskrankheit allgemein angewandt werden. Danach kann, obwohl Gesetzgeber und Rechtsprechung der Obergerichte grundsätzlich für alle Berufskrankheitenfolgen den Vollbeweis fordern, auch ein wahrscheinliches Mesotheliom (mangelnde Gewebsgröße, schlechte Qualität, mangelnde Differenzierung, Fehlen gewisser histologischer Details) als Typ B nach CEC Panel anerkannt werden. Die im Gerichtsverfahren auf pathologischem und arbeitsmedizinischem Gebiet gehörten Gutachter Prof. B. und Prof. M. haben in ihren Gutachten für die Kammer ausführlichst, widerspruchsfrei und überzeugend dargestellt, dass sie von einem Mesotheliom Typ B nach CEC Panel ausgehen. Prof. M. hat in seinem Gutachten dabei die einzelnen zuvor durchgeführten Untersuchungen an den verschiedenen Instituten miteinander ausführlich verglichen und ihre differenzierten Ergebnisse bewertet. Er kommt zu dem Ergebnis, basierend auf den histopathologischen Befunden sei festzustellen, dass drei von vier Gutachtern die Diagnose einer malignen spindelzelligen Neoplasie im Bereich der Pleura stellen (Dr. A., Prof. L., Prof. K.), wo hingegen am Institut für Pathologie und Zytologie die Diagnose einer chronischen fibrinösen Pleuritis favorisiert werde. Hinsichtlich des oben angeführten und sehr ausführlich beschriebenen immunhistochemischen Markerprofils sei schließlich festzustellen, dass die Tumorzellen offenbar eine Positivität für Pan-Cytokeratin-Marker aufwiesen, jedoch überwiegend negativ für weitere Mesotheliom assoziierte Marker blieben. Allein aufgrund des immunhistochemischen Expressionsmusters und insbesondere vor dem Hintergrund einer negativen Reaktion für den sehr spezifischen Endothel-Marker CD34 erscheine die Diagnose eines Angiosarkoms wenig wahrscheinlich. Zur entscheidenden Frage, ob ein wahrscheinliches Mesotheliom nach Typ B oder ein mögliches Mesotheliom nach Typ C vorliege, müsse zunächst festgestellt werden, dass bei einer geringen Anzahl von Tumoren trotz des Ansatzes aller verfügbaren Methoden und Techniken keine eindeutige Klassifikation möglich sei. Diese sollte deshalb in jedem Fall im Kontext und wenn möglich im Einklang mit der klinischen Gesamtkonstellation getroffen werden. Unter Berücksichtigung aller, auf der Aktenlage basierender klinischer und histopatholgischer Befunde könne das Vorliegen eines primären wahrscheinlichen Pleuramesothelioms (Typ B nach CEC Panel) angenommen werden. Prof. B. hat hierzu in seinem Gutachten vom 15.11.2012 unterstützend insbesondere die klinische Diagnostik noch einmal ausführlich dargestellt und ist zum selben Ergebnis gekommen wie Prof. M. Dies ist für die Kammer überzeugend. Danach ist zwar ein Pleuramesotheliom nicht im Vollbeweis gesichert, es liegt aber ein wahrscheinliches Pleuramesotheliom nach Typ B des CEC Panels vor. Dies muss bei dieser Berufskrankheit zur Anerkennung ausreichen.
Im Ergebnis werden diese Feststellungen auch durch die im Verfahren durch die Beklagte letztlich eingeführte weitere Stellungnahme von Frau Prof. Dr. K., J-Stadt, vom 07.02.2013 bestätigt. Frau Prof. K. führt hierin aus, dass der Vollbeweis nicht geführt werden könne. Insoweit stimmt sie mit den Feststellungen der Gerichtsgutachter und, wie oben dargestellt, der Kammer überein. Entscheidend ist für die Kammer hier, dass sie auf Seite 8 ihrer genannten Stellungnahme ausführt, die bloße Argumentation von Prof. M. aus pathologisch-anatomischer Sicht sei ihrer Meinung "in dieser Form so nicht uneingeschränkt haltbar". Die von Herrn Prof. B. dargelegte Argumentationskette könne aus diesem Grund ebenfalls nicht "ohne weiteres kritiklos übernommen werden". Soweit Prof. K. zusammenfassend feststellt, dass pathologisch-anatomischerseits der Vollbeweis nicht zu erbringen sei, folgt zur Überzeugung der Kammer im Umkehrschluss aber hier gleichzeitig aus den zuvor zitierten Passagen, dass auch Prof. K. den Beweismaßstab der Wahrscheinlich für erfüllt ansieht, soweit sie lediglich ausführt, sie könne sich nicht "uneingeschränkt" anschließen.
Letztlich hätte der Vollbeweis nur geführt werden können, wenn nach dem Tod des Versicherten eine Leichenöffnung durchgeführt worden wäre. Hierauf hat insbesondere auch Frau Prof. K. nochmals verwiesen. Es ist für die Kammer aus der Akte nicht ersichtlich, warum die Beklagte diesen offensichtlichen Schritt bei vorheriger Meldung des Verdachts der Berufskrankheit unterlassen hat. Im Rahmen des Amtsermittlungsprinzipes wäre sie gehalten gewesen, diesen Schritt zumindest mit den Angehörigen des Versicherten abzustimmen. Dies ist zwar unterblieben, führt aber dennoch nicht zu einer Beweislastumkehr. Letztlich war es Aufgabe der Sachverständigen und im Rahmen der Beweiswürdigung der Kammer festzustellen, mit welchem Überzeugungsgrad ein Mesotheliom beim verstorbenen Versicherten bestanden haben muss. In Auswertung aller möglichen Kriterien ist die Kammer, wie schon dargestellt, davon überzeugt, dass mit dem Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit ein Mesotheliom bestand und deshalb die Berufskrankheit dem Grunde nach anzuerkennen ist. Die gesetzlichen Entschädigungsleistungen sind deshalb der Sonderrechtsnachfolgerin zu gewähren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
HES
Saved