S 20 AL 58/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 20 AL 58/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 16/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Kläger gewährten Arbeitslosengeldes.

Der Kläger stand vom 1. Januar 1997 bis 31. Januar 2016 bei der C-GmbH in einem Arbeitsverhältnis. Die Arbeitgeberin hatte dem Kläger am 28. Januar 2015 zum 31. August 2015 ordentlich gekündigt. Er hatte gegen die Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben. Der Kläger war ab 1. Mai 2015 unwiderruflich freigestellt worden. Im arbeitsgerichtlichen Vergleich vom 7. April 2015 (AZ.: 8 Ca 30/15, Arbeitsgericht Gießen) einigten sich die Parteien auf eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Januar 2016 und Freistellung ab dem 1. Mai 2015 und Weiterzahlung eines Arbeitsentgelts ab 1. April 2015 in Höhe von 5.340,00 Euro monatlich. Die Beklagte gewährte dem Kläger durch Bewilligungsbescheid vom 29. Januar 2016 Arbeitslosengeld ab dem 1. Februar 2016 für 540 Kalendertage in Höhe von 57,46 Euro täglich. Der Kläger legte hiergegen am 20. Februar 2016 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, dass das von ihm erzielte Entgelt in den letzten 12 Monate vor Ende des Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen sei, also auch das während der Freistellung verdiente Entgelt. Es ergebe sich sodann ein höheres Arbeitslosengeld. Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 3. März 2016 zurück. Sie führte aus, dass der Bemessungszeitraum nur die abgerechneten Entgeltzeiträume vor dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses umfassten, so dass der Zeitraum vom 1. Februar 2014 bis 30. Januar 2016 laufe, da im Jahreszeitraum vom 1. Februar 2015 bis 31. Januar 2016 keine 150 Tage mit Arbeitsentgelt vorhanden seien. Das Entgelt, welches der Kläger im Zeitraum vom 1. Mai 2015 bis 31. Januar 2016 verdient habe, könne nicht berücksichtigt werden, da es beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis noch nicht abgerechnet gewesen sei. Der Kläger habe im relevanten Zeitraum an 454 Tagen ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt in Höhe von 77.953,39 Euro erzielt. Hieraus ergebe sich ein Bemessungsentgelt in Höhe von 171,70 Euro, ein Leistungsentgelt in Höhe von 96,67 Euro und ein täglicher Anspruch in Höhe von 57,46 Euro.

Der Kläger hat am 21. März 2016 Klage vor dem Sozialgericht Gießen erhoben.

Der Kläger ist der Ansicht, dass auch in der Freistellungsphase das Beschäftigungsverhältnis fortgesetzt worden sei. Er verweist auf die Besprechung des GKV-Spitzenverbandes, der DRV Bund und der Beklagten über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs vom 30./31. März 2009. Hiernach ende das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis nicht bereits mit Beginn einer vereinbarten Freistellung von der Arbeitsleistung, sondern erst mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses.

Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 29. Januar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2016 zu verurteilen, dem Kläger Arbeitslosengeld nach einem Bemessungsentgelt in Höhe von 176,17 Euro zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Entscheidung des BSG vom 30. November 2010, Az.: B 11 AL 160/09 R und den Widerspruchsbescheid.

Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 6. Dezember 2016 zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung angehört worden.

Es wird zum weiteren Sach- und Streitstand auf die Gerichtsakte und die Leistungsakte des Klägers bei der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) treffen, da die Beteiligten hierzu ihre Zustimmung am 9. und 20. Dezember 2016 erteilt haben.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2016 war nicht aufzuheben, da er rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld nach einem Bemessungsentgelt in Höhe von 176,17 Euro.

Nach § 149 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) beträgt das Arbeitslosengeld
1. für Arbeitslose, die mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Absatz 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes haben, sowie für Arbeitslose, deren Ehegattin, Ehegatte, Lebenspartnerin oder Lebenspartner mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Absatz 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes hat, wenn beide Ehegatten oder Lebenspartner unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben, 67 Prozent (erhöhter Leistungssatz),
2. für die übrigen Arbeitslosen 60 Prozent (allgemeiner Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt).
Der Bemessungszeitraum umfasst nach § 150 Abs. 1 SGB III die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs. Der Bemessungsrahmen wird nach § 150 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III auf zwei Jahre erweitert, wenn der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält. Der Bemessungsrahmen läuft bei dem Kläger grundsätzlich vom 1. Februar 2015 bis 31. Januar 2016. Allerdings hat der Kläger in diesem Zeitraum nur im Zeitraum vom 1. Februar 2015 bis 30. April 2015 tatsächlich eine Beschäftigung für den Arbeitgeber ausgeübt. Er war ab dem 1. Mai 2015 unwiderruflich freigestellt. Nach § 150 Abs. 1 Satz 1 SGB III umfasst der Bemessungszeitraum jedoch nur die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Maßgeblich ist hier das Ausscheiden aus der tatsächlichen Beschäftigung, also aus dem leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis. Es ist nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 8. Juli 2009, B 11 AL 14/08 R, SozR 4-4300 § 130 Nr. 6; Beschluss vom Beschluss vom 30. April 2010, B 11 AL 160/09 B, juris) nicht auf das versicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis abzustellen. Das BSG führte aus, dass maßgeblich der Zeitpunkt des Ausscheidens aus der Beschäftigung entsprechend der Rechtsprechung des BSG zum leistungsrechtlichen Begriff des Beschäftigungsverhältnisses sei, unabhängig vom rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses. Danach sei maßgebend, dass die Arbeitsleistung tatsächlich nicht mehr erbracht werde, weil der Arbeitgeber auf seine Verfügungsbefugnis verzichte. Das BSG führte aus im zitierten Beschluss: "Wird der Arbeitnehmer nach betriebsbedingter Kündigung bereits vor Ablauf der Kündigungsfrist bzw. vor dem Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses von der Arbeit freigestellt, so ist als Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Beschäftigungsverhältnis i. S. des § 130 Abs. 1 S 1 SGB III nicht das rechtliche Ende des Arbeitsverhältnisses, sondern das Ende des leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses für die Ermittlung der abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume maßgeblich." Zuletzt hatte das Bayerische LSG am 18. Juli 2016 diese Rechtsansicht erneut bestätigt (Az.: L 10 AL 133/16 NZB). In der Kommentarliteratur wird der höchstrichterlichen Rechtsprechung ebenfalls gefolgt (siehe z. B. Behrend, in: Eicher/Schlegel, SGB III, Stand: Januar 2014, § 150 Rn. 59; BeckOK SozR/Michalla-Munsche, SGB III, § 150 Rn. 9). Die seitens des Klägers zitierten Ausführungen aus der Vereinbarung der Spitzenverbände der Sozialversicherung kommen daher nicht zum Tragen, denn sie beziehen sich nur auf die Frage der Versicherungspflicht bzw. Beitragspflicht. Die Frage der Leistungsgewährung regelt jeder Leistungsträger in seinem Rechtskreis autonom. Im Rechtskreis des SGB III wird hinsichtlich der Frage des Vorliegens von Arbeitslosigkeit auf das leistungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis abgestellt. Gleiches gilt aus Praktikabilitätserwägungen heraus auch für die Berechnung des Arbeitslosengeldes, weil somit zum frühestmöglichen Zeitpunkt der Gewährung von Arbeitslosengeld ("Gleichwohlgewährung" – auch schon während der Freistellungsphase) die Berechnung möglich ist, ohne dass weitere Abrechnungen berücksichtigt werden müssten. Somit kann das Arbeitsentgelt für die Zeiträume ab dem 1. Mai 2015 keine Berücksichtigung finden, denn diese Zeiträume waren bei dem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis nicht abgerechnet, so dass im Bemessungsrahmen keine 150 Tage mit Arbeitsentgelt enthalten sind. Der Bemessungsrahmen war daher auf zwei Jahre zu erweitern und läuft daher vom 1. Februar 2014 bis 31. Januar 2016. Die Beklagte hat die hierin enthaltenen Entgelte berücksichtigt, Rechenfehler wurden weder geltend gemacht, noch sind sie ersichtlich. Es errechnet sich daher ein Bemessungsentgelt in Höhe von 171,80 Euro täglich.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG und die Rechtsmittelbelehrung folgt aus § 143 SGG.
Rechtskraft
Aus
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