L 5 ER 189/06 KR

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
S 12 ER 136/06 KR
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 ER 189/06 KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Zum Umfang der Bindungswirkung von Beitragsbescheiden.
2. Der Versicherte ist nicht gemäß § 191 Satz 1 Nr 3 SGB V aus der freiwilligen Mitgliedschaft bei der Krankenkasse ausgeschieden, wenn er auf einem rechtswidrigen Beitragsbescheid beruhende Beiträge nicht entrichtet hat, sofern die Rechtswidrigkeit in den Verantwortungsbereich der Krankenkasse fällt.
1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Koblenz vom 14.7.2006 wie folgt abgeändert: Hinsichtlich des Bescheides vom 23.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.12.2005 wird die aufschiebende Wirkung der Klage insoweit angeordnet, als mit diesem Bescheid höhere Beiträge als 109,24 EUR zur gesetzlichen Krankenversicherung für die Zeit ab 1.1.2004 festgesetzt wurden sowie eine Neufestsetzung des Beitrags in der sozialen Pflegeversicherung erfolgt ist. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 11.5.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.12.2005 wird angeordnet.

2. Im Wege einer einstweiligen Anordnung wird vorläufig festgestellt, dass der Antragsteller nicht zum 15.2.2006 aus der Mitgliedschaft bei der Antragsgegnerin ausgeschieden ist.

3. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

4. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen Beitragsbescheide der Antragsgegnerin, in denen diese seine Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung neu festgesetzt hat. Außerdem wendet er sich ua gegen eine von der Antragsgegnerin eingeleitete Zwangsvollstreckung wegen nicht gezahlter Beiträge sowie gegen die Feststellung der Antragsgegnerin, er sei wegen Nichtzahlung von Beiträgen zum 15.2.2006 aus der Versicherung bei dieser ausgeschieden.

Der 1954 geborene Antragsteller, der seit Dezember 2000 freiwilliges Mitglied der Antragsgegnerin war, bezieht seit Oktober 1994 wegen eines Arbeitsunfalls eine Verletztenrente der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft, sowie ab Juli 2002 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von der (jetzigen) Deutschen Rentenversicherung Bund. Die Antragsgegnerin berechnete die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab Dezember 2000 ausgehend von der Mindestbemessungsgrundlage des § 240 Abs 4 Satz 1 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V). Sie erließ Beitragsbescheide vom 27.12.2000, 6.9.2001 und 13.11.2002. In dem folgenden Bescheid vom 20.1.2004 setzte sie ab dem 1.1.2004 einen Beitrag in der Krankenversicherung von 109,64 EUR monatlich und in der sozialen Pflegeversicherung von 13,68 EUR (insgesamt 123,32 EUR) monatlich fest. Sie legte in diesem Bescheid der Berechnung "Rente/Versorgungsbezüge/Arbeitseinkommen" von 694,24 EUR (mit allgemeinem Beitragssatz von 13,8 %) und sonstige Einkünfte von 110,76 EUR (mit ermäßigtem Beitragssatz von 12,5 %) zugrunde.

Nachdem die Antragsgegnerin Kenntnis von dem Bezug der Erwerbsunfähigkeitsrente des Antragstellers aus der gesetzlichen Rentenversicherung (Höhe 878, EUR monatlich) erhalten hatte, berechnete sie durch Bescheid vom 23.12.2004 die Beiträge für die Zeit ab 1.7.2003 neu (Beitragshöhe ab 1.7.2003 Krankenversicherung 109,76 EUR unter Berücksichtigung des ermäßigten Beitragssatzes von 12,5 %; Pflegeversicherung 14,92 EUR = insgesamt 124,68 EUR monatlich, ab 1.1.2004 Krankenversicherung 121,16 EUR unter Berücksichtigung des allgemeinen Beitragssatzes von 13,8 %; Pflegeversicherung 14,92 EUR = insgesamt 136,08 EUR monatlich); sie berücksichtigte hierbei als Einkommen 20 % des Rentenwertes der Unfallrente und ging davon aus, dass die Erwerbsunfähigkeitsrente im Zeitraum vom 1.7.2002 bis 30.6.2003 keine Auswirkungen auf die Beitragshöhe habe, weil sie zusammen mit den übrigen Einkünften die Mindestbemessungsgrenze nicht übersteige. Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller Widerspruch ein.

Nachdem die Antragsgegnerin zur Auffassung gelangt war, dass sie die Verletztenrente bei der Beitragsbemessung zu niedrig angerechnet habe, erließ sie unter dem 11.5.2005 einen weiteren Bescheid, in dem sie ausführte: Die Verletztenrente sei nur insoweit nicht als Einnahme zum Lebensunterhalt zu berücksichtigen, als sie bei gleicher Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) einem Beschädigten nach dem sozialen Entschädigungsrecht als Grundrente zu gewähren wäre. Nach § 45 Abs 1 und 2 Satz 1 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) könne ein rechtswidriger Verwaltungsakt für die Zukunft nur zurückgenommen werden, sofern der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut habe und sein Vertrauen schützwürdig sei. Der Antragsteller möge erstmals ab dem 1.7.2005 den monatlichen Gesamtbeitrag für die Krankenversicherung von 440,80 EUR (Krankenversicherung 381,64 EUR; Pflegeversicherung 59,16 EUR) entrichten. Auch gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller Widerspruch ein.

Unter dem 7.11.2005 erließ die Widerspruchsstelle der Antragsgegnerin einen Widerspruchsbescheid, wonach der Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.12.2004 zurückgewiesen wurde. Die Begründung des Widerspruchsbescheides enthält auch Ausführungen zur Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 11.5.2005 Am 12.12.2005 hat der Antragsteller Klage beim Sozialgericht (SG) Koblenz erhoben (Az 12 KR 250/05).

Nach fruchtlosen Mahnungen teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller den Ausschluss aus der freiwilligen Versicherung gemäß § 191 Satz 1 Nr 3 SGB V mit Wirkung ab 16.2.2006 mit. Bei einem Zahlungsrückstand von 2.471,17 EUR gab sie am 11.5.2006 die Zwangsvollstreckung in Auftrag. Mit Schreiben vom 29.3.2006 kündigte der Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin seine Mitgliedschaft zum 31.5.2006.

Das Sozialgericht (SG) hat durch Beschluss vom 14.7.2006 den am 8.6.2006 gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage. Denn die angefochtenen Verwaltungsakte erwiesen sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig. Die Antragsgegnerin habe die Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zutreffend der Beitragsbemessung zugrunde gelegt (Hinweis auf Bundessozialgericht BSG 6.9.2001 B 12 KR 14/00 R). Der Antragsteller könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass pflichtversicherte Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung aus Unfallrenten keine Krankenversicherungsbeiträge zu leisten hätten. Zwar erwecke diese Ungleichbehandlung verfassungsrechtliche Bedenken (Hinweis auf BSG aaO; SG Reutlingen 9.11.2005 S 3 KR 476/05). Da jedoch in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ausscheide und die Kammer letztlich nicht von der Verfassungswidrigkeit der Ungleichbehandlung überzeugt sei, sei nicht aus diesem Grunde die aufschiebende Wirkung anzuordnen gewesen, zumal das BVerfG (Hinweis auf 15.3.2000 1 BVL 16/96, NJW 2000, 2730, 2732) dem Gesetzgeber bei der Neuregelung der Beitragsbemessung in der gesetzlichen Krankenversicherung einen weiten Gestaltungsspielraum zugebilligt habe. Auch die Zugrundelegung des nicht ermäßigten allgemeinen Beitragssatzes hinsichtlich der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung sei nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin habe auch den Pflegeversicherungsbeitrag zutreffend erhoben; die gesetzliche Festlegung eines höheren Pflegeversicherungsbeitrages für Kinderlose sei verfassungsgemäß.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 14.8.2006 eingelegte Beschwerde des Antragstellers, der das SG nicht abgeholfen hat. Der Antragsteller hat im Beschwerdeverfahren ua auch beantragt, die "Zwangsvollstreckung einzustellen" und den "Ausschluss mit Wirkung vom 15.2.2006 aus der freiwilligen Versicherung zurückzunehmen".

II.

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers (§§ 172, 173 SGG) ist teilweise begründet. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Bescheide vom 23.12.2004 und 11.5.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.11.2005 ist gemäß § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang herzustellen. Außerdem ist im Wege der einstweiligen Anordnung festzustellen, dass die Mitgliedschaft des Antragstellers bei der Antragsgegnerin nicht am 15.2.2006 geendet hat.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist nach § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG zulässig. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Gemäß § 86a Abs 2 Nr 1 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Bei der im Rahmen des § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG erforderlichen Abwägungsentscheidung ist nach den Kriterien des § 86a Abs 3 Satz 2 SGG vorzugehen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 86b, Rz 12b). Nach dieser Vorschrift soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel iSd § 86a Abs 3 Satz 2 SGG bestehen, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als der Misserfolg (vgl LSG Berlin, Breithaupt 99, 653; LSG Sachsen-Anhalt, 27.1.2003 L 3 B 31/02 RJ ER, SGb 03, 522).

Die Antragsgegnerin hat in den Bescheiden vom 23.12.2004 und 11.5.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.11.2005 der Bindungswirkung der zuvor ergangenen Beitragsfestsetzung nicht hinreichend Rechnung getragen. Soweit durch Bescheid der Beitrag für die Zukunft ohne zeitliche Begrenzung festgesetzt wird, handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung iSd § 48 SGB X (BSG SozR 3 3100 § 48 Nr 13). Dessen Bindungswirkung erstreckt sich nur auf den Verfügungssatz; falsch ermittelte Berechnungsfaktoren nehmen an ihr nicht teil (BSG 11.2.1981 2 RU 87/79). Die Bindungswirkung des zuletzt vor dem Bescheid vom 23.12.2004 ergangenen Bescheides vom 20.1.2004 bezog sich demgemäß darauf, dass der Antragsteller einen monatlichen Beitrag zur Krankenversicherung von 109,64 EUR und zur Pflegeversicherung von 13,68 EUR zu zahlen hatte, nicht jedoch darauf, ob und (bejahendenfalls) zu welchem Prozentsatz die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der gesetzlichen Unfallversicherung bei der Ermittlung der Beitragshöhe zu berücksichtigen waren.

Mit dem Bescheid vom 23.12.2004 änderte die Antragsgegnerin die Beitragsbemessung zum Nachteil des Antragstellers ab dem 1.7.2003. Da damit in die Bindungswirkung der früheren Festsetzungen vom 13.11.2002 (für die Zeit vom 1.7. bis 31.12.2003) und 20.1.2004 (für die Zeit ab 1.1.2004) eingegriffen wurde, bedurfte es hierfür einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. § 48 SGB X kommt als solche nur insoweit in Betracht, als im Zeitpunkt des Bescheides vom 23.12.2004 seit dem Zeitpunkt der Bescheide vom 13.11.2002 und 20.1.2004 eine wesentliche Änderung eingetreten war. Dies war bezüglich der Leistungen vom 1.7. bis 31.12.2003 im Verhältnis zu dem Zeitpunkt des Bescheides vom 13.11.2002 insoweit der Fall, als der Antragsteller ausgehend von der seinerzeitigen Anrechnungshöhe hinsichtlich der Unfallrente erst ab Juli 2003 mit Auswirkungen auf die Höhe der Krankenversicherungsbeiträge (vgl Bescheid vom 23.12.2004) die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezog. Auch bei rechtswidrig (hier: wegen der unzureichenden Berücksichtigung der Unfallrente) zu gering erhobenen Beiträgen kommt eine Neufestsetzung im Falle einer wesentlichen Änderung in Betracht (vgl Steinwedel, aaO Rz 25). Die Antragsgegnerin war hinsichtlich dieser Änderung im Bescheid vom 23.12.2004 gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X zur Aufhebung für die Vergangenheit befugt; eine atypische Fallgestaltung, bei der Ermessen hätte ausgeübt werden müssen (vgl Steinwedel in KassKomm, aaO, § 48 SGB X Rz 45), liegt nicht vor.

Soweit die Antragsgegnerin im Bescheid vom 23.12.2004 (im Vergleich zum Bescheid vom 13.11.2002) höhere Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung für die Zeit vom 1.7. bis 31.12.2003 festgesetzt hat, ist dieser Bescheid rechtswidrig. Die Antragsgegnerin durfte nämlich keine Bescheide über die Beitragshöhe in der sozialen Pflegeversicherung erteilen. Für die Entscheidungen über die Höhe des Beitrags in diesem Versicherungszweig ist die Pflegekasse zuständig. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass gemäß § 46 Abs 2 Satz 2 des Elften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) Organe der Pflegekassen die Organe der Krankenkassen sind, bei denen sie errichtet sind (BSG 6.11.1997 12 RP 1/97, SozR 3 3300 § 55 Nr 2). Zwar mag im Einzelfall, wenn nicht zweifelhaft ist, dass die Pflegekasse die Entscheidung jedenfalls im Widerspruchsbescheid getroffen hat, eine ausdrückliche Angabe im Bescheid, dass er von der Pflegekasse stammt, entbehrlich sein (BSG 6.11.1997 12 RP 1/96, SozR 3 3300 § 20 Nr 2). Dieser Gesichtspunkt greift aber im vorliegenden Fall nicht zu Gunsten der Antragsgegnerin ein, weil die den Antragsteller betreffenden Verwaltungsakte in denen es auch um Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung ging, unzweifelhaft nicht von der Pflegekasse, sondern von der Antragsgegnerin (Krankenkasse) erlassen wurden.

Die im Bescheid vom 23.12.2004 erfolgte Neufestsetzung im Verhältnis zu dem Bescheid vom 20.1.2004 hinsichtlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit ab 1.1.2004 war nicht rechtmäßig. Bezüglich der Beiträge zur Pflegeversicherung ergibt sich dies bereits daraus, dass die Antragsgegnerin wie dargelegt für deren Festsetzung nicht zuständig war. Der Bescheid vom 23.12.2004 ist aber in Bezug auf die Beiträge ab 1.1.2004 unabhängig davon insgesamt rechtswidrig. Seit dem Zeitpunkt des Bescheides vom 20.1.2004 war bezüglich der für die Beitragsfestsetzung maßgebenden Faktoren keine wesentliche Änderung iSd § 48 SGB X eingetreten. Der Bescheid vom 23.12.2004 wäre daher hinsichtlich des in diesem Bescheid im Vergleich zu dem Bescheid vom 20.1.2004 festgesetzten höheren Beitrags (136,08 EUR 123,32 EUR = 12,76 EUR monatlich) für die Zeit ab 1.1.2004 nur rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen des § 45 SGB X erfüllt wären. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Antragsgegnerin hat im Bescheid vom 23.12.2004 den früheren Bescheid vom 20.1.2004 nicht einmal ausdrücklich teilweise aufgehoben, geschweige denn das im Rahmen des § 45 SGB X erforderliche Ermessen (dazu ausführlich Steinwedel aaO, § 45 Rz 50 ff) ausgeübt. Von dieser Ermessensentscheidung war die Antragsgegnerin nicht deshalb enthoben, weil der Antragsteller zuvor die Rente nicht angegeben hatte; Anhaltspunkte dafür, dass er dies vorsätzlich nicht getan hatte in diesem Fall käme eine Ermessensreduzierung auf Null in Betracht (vgl BSG 26.9.1990 9b/7 RAr 30/89, SozR 3 4100 § 155 Nr 2; Steinwedel aaO Rz 61) , sind nicht ersichtlich. Die gänzlich fehlende Ermessensausübung kann nicht gemäß § 41 Abs 2 SGB X während des Gerichtsverfahrens nachgeholt werden (Wiesner in von Wulffen, SGB X, 5. Auflage, § 41 Rz 7). Vielmehr bedarf es hierzu eines neuen Verwaltungsverfahrens und evtl anschließenden Widerspruchsverfahrens. Bei einer Beitragsbemessung nach den Grundsätzen, wie sie in dem Bescheid vom 20.1.2004 zugrundegelegt worden waren, hätte der Beitrag in dem Bescheid vom 23.12.2004 für die Zeit ab 1.1.2004 weiter in der im Bescheid vom 20.1.2004 festgestellten Höhe (Krankenversicherung mit allgemeinem Beitragssatz 95,80 EUR; Krankenversicherung mit ermäßigtem Beitragssatz 13,84 EUR; Pflegeversicherung 13,68 EUR) festgesetzt werden müssen (vgl Schreiben der Antragsgegnerin vom 13.10.2006).

Soweit die Antragsgegnerin in dem Bescheid vom 11.5.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.11.2005 im Hinblick auf eine für den Antragsteller ungünstigere Anrechnung der Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab Juni 2005 einen höheren Krankenversicherungsbeitrag erhoben hat, ist dieser Bescheid ebenfalls rechtswidrig. Auch insoweit richtet sich die rechtliche Beurteilung nach § 45 SGB X und nicht etwa nach § 48 SGB X. Denn seit dem Zeitpunkt des Bescheides vom 23.12.2004 war im Zeitpunkt des Bescheides vom 11.5.2005 hinsichtlich der Umstände, die für die Höhe des Krankenversicherungsbeitrages maßgebend waren, keine wesentliche Änderung eingetreten. Auch der Bescheid vom 11.5.2005 erfüllt jedoch wegen fehlender Ermessensausübung nicht die Anforderungen des § 45 SGB X. Diese war ungeachtet dessen erforderlich, dass die Antragsgegnerin die frühere Beitragsfestsetzung nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben hat. Soweit die Antragsgegnerin in dem Bescheid vom 11.5.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.11.2005 über einen höheren Beitrag zur sozialen Pflegeversicherung entschieden hat, ist dieser Bescheid rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin wie aufgezeigt nur für Verwaltungsakte in der gesetzlichen Krankenversicherung, nicht jedoch in der sozialen Pflegeversicherung zuständig ist.

Auf die Beanstandung des Antragstellers, die Antragsgegnerin habe zu Unrecht bezüglich der Beiträge aus der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung den erhöhten Beitragssatz in Ansatz gebracht, kommt es für die vorliegend zu treffende Entscheidung nicht an. Im Übrigen sieht der Senat die Berücksichtigung des erhöhten Beitragssatzes für diese Rente bei summarischer Prüfung als zutreffend an, da die Satzung der Krankenkasse bei der Beitragsbemessung der freiwilligen Mitglieder mindestens die Einnahmen eines vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten zu Grunde legen muss (§ 240 Abs 2 Satz 1 SGB V) und bei Versicherungspflichtigen für die Bemessung der Beiträge aus Renten der allgemeine Beitragssatz gilt (§ 247 Abs 1 Satz 1 SGB V).

Der Senat stellt klar, dass die Antragsgegnerin weitere Vollstreckungsmaßnahmen, welche die rechtswidrige Beitragsfestsetzung betreffen, zu unterlassen hat. Anhaltspunkte dafür, dass bereits Vollstreckungsmaßnahmen vollzogen wurden, sind nicht ersichtlich. Sollte dies dennoch der Fall sein, hat die Antragsgegnerin diese rückgängig zu machen (vgl § 86b Abs 2 Satz 1 SGG).

Auch hinsichtlich des Ausschlusses aus der freiwilligen Krankenversicherung hat der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz Erfolg. Insoweit handelt es sich um eine zulässige Antragserweiterung iSd § 99 SGG, der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entsprechend anwendbar ist (vgl LSG Nordrhein-Westfalen 17.1.2005 L 2 B 9/03 KR ER), weil die Antragsgegnerin in diese eingewilligt hat, indem sie sich auf den erweiterten Antrag in ihrem Schriftsatz vom 2.10.2006 rügelos eingelassen hat (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 99, Rz 9).

In Bezug auf den Ausschluss aus der gesetzlichen Krankenversicherung kommt nur ein vorläufiger Rechtsschutz nach § 86b Abs 2 SGG in Betracht, da nicht kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung besteht (Beschluss des Senats vom 2.10.2006 L 5 ER 185/06 KR unter Aufgabe von LSG Rheinland-Pfalz 17.6.2005 L 5 ER 37/05 KR). Der Senat erlässt hinsichtlich der Feststellung, dass die Mitgliedschaft des Antragstellers bei der Antragsgegnerin nicht am 15.2.2006 geendet hat, eine einstweilige Anordnung. Bei summarischer Prüfung des Sach- und Streitstandes neigt der Senat zu der Auffassung, dass der Antragsteller über diesen Zeitpunkt hinaus bis zur Wirksamkeit seiner eigenen Kündigung zum 31.5.2006 Mitglied der Antragsgegnerin war. Nach § 191 Satz 1 Nr 3 SGB V endet die freiwillige Mitgliedschaft mit Ablauf des nächsten Zahltages, wenn für zwei Monate die fälligen Beiträge trotz Hinweises auf die Folgen nicht entrichtet wurden. Der Antragsteller hat bis zur Wirksamkeit seiner eigenen Kündigung laufend Beiträge in Höhe von 124,68 EUR monatlich gezahlt. Ein höherer Beitrag wurde von der Antragsgegnerin wie dargelegt nicht rechtmäßig festgesetzt. Ob die Nichtzahlung rechtswidrig festgesetzter Beiträge, ohne dass Widerspruch bzw Klage aufschiebende Wirkung haben, für das Ende der Mitgliedschaft aus der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 191 Satz 1 Nr 3 SGB V genügt, ist zweifelhaft (offen gelassen im Urteil des Senats vom 3.8.2006 L 5 KR 55/05; zur Bejahung dieser Frage neigend: LSG Mecklenburg-Vorpommern 30.1.2002 L 4 KR 6/01). Jedenfalls bei einem Sachverhalt wie dem vorliegenden, bei dem die Fehler in den Bescheiden vom 23.12.2004 und 11.5.2005 in den Verantwortungsbereich der Antragsgegnerin fallen, spricht bei vorläufiger Würdigung mehr dafür, diese Frage zu verneinen. Deren abschließende Beantwortung bleibt einem Hauptsacheverfahren überlassen; ob dieses bereits anhängig ist, ist für die Möglichkeit einer einstweiligen Anordnung nicht entscheidend (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 86b Rz 26d). Darauf, ob die übrigen Voraussetzungen eines Endes der Versicherung nach § 191 Satz 1 Nr 3 SGB V vorliegen, kommt es bei dieser Sachlage nicht an.

Es ist auch ein ausreichender Anordnungsgrund für die einstweilige Anordnung gegeben, obwohl der Antragsteller mittlerweile durch seine eigene wirksame Kündigung zum 31.5.2006 aus der Versicherung bei der Antragsgegnerin ausgeschieden ist (§ 191 Satz 1 Nr 4 iVm § 176 Abs 4 SGB V). Denn die Rechtsfolgen der eigenen Kündigung unterscheiden sich von denjenigen des Endes der Versicherung nach § 191 Satz 1 Nr 3 SGB V dadurch, dass der Versicherte bei eigener Kündigung wieder freiwilliges Mitglied eines anderen gesetzlichen Krankenversicherungsträgers werden kann, wie sich aus § 175 Abs 4 SGB V ergibt. Eine solche Mitgliedschaft ist nach einem Ende der Versicherung nach § 191 Satz 1 Nr 3 SGB V ausgeschlossen (§ 191 Satz 2 SGB V).

Soweit der Antragsteller mit seiner Beschwerde "Umwandlung der freiwilligen Versicherung in eine Pflichtversicherung", "Verfassungsbeschwerde und Satzungsbeschwerde gegen die Satzung der Antragsgegnerin", "immateriellen Schadensersatz" und "Feststellung, in welchen Kanälen die Sozialabgaben versickern" beantragt hat, ist dieser Antrag unzulässig, da ein derartiger Anspruch im Hauptsacheverfahren ersichtlich nicht in Betracht kommt.

Von einer Beiladung der Pflegekasse, wie sie im Hauptsacheverfahren notwendig sein wird (§ 75 Abs 2 SGG), hat der Senat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wegen dessen Eilbedürftigkeit abgesehen.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde beim Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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