Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 1 U 28/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Es gibt keine medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse im Sinne einer gesicherten herrschenden Ansicht, nach denen die Anerkennung einer Hüfterkrankung bei Handballspielern als Berufskrankheit im Verfahren nach § 9 Abs. 2 SGB VII in Betracht kommt. Das Gericht geht dabei in Anwendung der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 18.6.2013 – B 2 U 6/12 R) davon aus, dass diese medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse durch epidemiologische Studien nachgewiesen sein müssten.
2. Soweit zwischen Aufnahme der versicherten Tätigkeit als professioneller Handballspieler und der erstmaligen Diagnose der Hüfterkrankung ein Zeitraum von nicht einmal zwei Jahren liegt, besteht auch kein „Anfangsverdacht“ eines kausalen Zusammenhanges, der Anlass für weitere Ermittlungen des Gerichts von Amts wegen bieten würde.
3. Die unversicherten Zeiten als Jugendspieler in einer Sportart, die später beruflich ausgeübt wird, finden bei der Beurteilung von Expositionen im Berufskrankheitenrecht keine Berücksichtigung.
2. Soweit zwischen Aufnahme der versicherten Tätigkeit als professioneller Handballspieler und der erstmaligen Diagnose der Hüfterkrankung ein Zeitraum von nicht einmal zwei Jahren liegt, besteht auch kein „Anfangsverdacht“ eines kausalen Zusammenhanges, der Anlass für weitere Ermittlungen des Gerichts von Amts wegen bieten würde.
3. Die unversicherten Zeiten als Jugendspieler in einer Sportart, die später beruflich ausgeübt wird, finden bei der Beurteilung von Expositionen im Berufskrankheitenrecht keine Berücksichtigung.
1) Die Klage wird abgewiesen.
2) Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten wegen der Anerkennung einer Hüfterkrankung als sogenannte "Wie-Berufskrankheit" im Verfahren nach § 9 Abs. 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) aus einer Tätigkeit als professioneller Handballspieler.
Der 1985 geborene Kläger spielte seit seiner Jugend Handball, teilweise als Profi und war in dieser professionellen Tätigkeit bei der Beklagten im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Am 20. November 2014 ging bei der Beklagten ein Antrag auf Anerkennung einer so genannten "Wie-BK" über die Prozessbevollmächtigten des Klägers ein; eine ärztliche Berufskrankheit-Verdachtanzeige lag und liegt nicht vor. Der über die Prozessbevollmächtigten erstatteten Berufskrankheiten-Verdachtanzeige lagen mehrere medizinische Befunde bei, unter anderem des Orthopäden Dr. C., C-Stadt, der selbst viele Jahre als Handballtrainer im professionellen Bereich tätig gewesen ist. Er stellte darin dar, bei dem Kläger läge eine Hüfterkrankung im Sinne einer schweren Arthrose vor. Seines Erachtens sei diese Erkrankung typisch für Leistungssportler, speziell im Handball, mit sehr viel gleitenden Seitwärtsbewegungen, vielen Sprüngen und Landungen, sehr viel Arbeiten im Körperschwerpunkt Fixation. Die Beklagte leitete daraufhin ein Verwaltungsverfahren ein und ermittelte zunächst zum beruflichen Werdegang. Der Kläger führte hierzu aus, er habe seit seinem vierten Lebensjahr Handball gespielt und habe alle Jugendmannschaften in der D. D-Stadt/E-Stadt absolviert. Mit diesem Verein habe er in der B-Jugend den deutschen Meistertitel erworben. Professionell sei er als Handballer ab 2002 tätig gewesen. Einen ersten schriftlichen Vertrag habe er bei der D. D-Stadt/E-Stadt ab 1. August 2003 erhalten. Die professionelle Tätigkeit als Handballer stellt sich insgesamt wie folgt dar:
2002 – 2004 D. D-Stadt/E-Stadt, jetzt D. F-Stadt
2004 – 2008 G./G-Stadt, x. Liga
2008 – 2010 H. A-Stadt
2010 – 2011 I. I-Stadt und
2011 – 2012 J. J-Stadt
Im Übrigen hat der Kläger während seiner Tätigkeit als Handballspieler für die G./G-Stadt 2005 einen Arbeitsunfall mit Anpralltrauma im Bereich des Beckens und der Hüfte erlitten. Hier hat er über seine Prozessbevollmächtigten einen Antrag auf Entschädigung gestellt, der mit Bescheid vom 28. Oktober 2014 zurückgewiesen worden ist. Einen weiteren Arbeitsunfall hat er im Jahr 2008 erlitten, auch hierzu hat die Beklagte mit Bescheid vom 10. August 2015 Entschädigungsleistungen abgelehnt. Beide Arbeitsunfälle sind nicht Gegenstand des Verfahrens.
Im weiteren Verwaltungsverfahren hat die Beklagte zahlreiche Krankenunterlagen beigezogen und eine Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr. K. angefordert. Der Beratungsarzt kam in seiner Stellungnahme vom 12. März 2015 zu dem Ergebnis, in Auswertung der aktuellen Literatur könne keine "Wie-BK" anerkannt werden. Es fehle hierzu jegliche Epidemiologie, die belege, dass die Personengruppe der Handballspieler durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Maße als die Bevölkerung betroffen wäre. Im konkreten Fall werde dies zusätzlich noch durch die äußerst kurze Anamnese gestützt. Bei dem Kläger sei es innerhalb von weniger als zwei Jahren nach Aufnahme der versicherten Tätigkeit zu einer verschleißbedingten Erkrankung des Hüftgelenks gekommen. Ein Zusammenhang sei deshalb allein aufgrund des Zeitfaktors nicht belegbar. Aufgrund dieser beratungsärztlichen Stellungnahme hat die Beklagte die Akte dem Landesgewerbearzt vorgelegt. Dieser hat mit Stellungnahme vom 28. April 2015 die Ansicht vertreten, die Erkrankung sei nicht als "Wie-BK" anzuerkennen. Mit Bescheid vom 11. Mai 2015 hat die Beklagte sodann die Anerkennung des Hüftschadens als Krankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII abgelehnt. Hiergegen hat der Kläger am 27. Mai 2015 Widerspruch eingelegt, der mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2016, zur Post gegeben am selben Tag, zurückgewiesen wurde.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 29. Februar 2016 beim Sozialgericht Gießen eingegangenen Klage. Er ist der Ansicht, der bei ihm operativ behandelte Hüftschaden sei kausal auf seine Tätigkeit als Handballspieler zurückzuführen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2016 zu verurteilen, bei ihm eine Hüftgelenkserkrankung als so genannte "Wie-Berufskrankheit" anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf ihre im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen, insbesondere auf die Stellungnahme ihres Beratungsarztes und des Landesgewerbearztes. Im Übrigen gebe es bei Berufssportlern, für die sie bundesweit die alleinige Zuständigkeit habe, insgesamt nur vier Berufskrankheiten-Verdachtanzeigen. Drei davon (einschließlich des Klägers) beträfen Handballer, ein Fall sei der Fall eines Volleyballers.
In der mündlichen Verhandlung vom 10. November 2017 hat das Gericht Beweis erhoben zum Zugang des Widerspruchsbescheides. Die Prozessbevollmächtigte hat hierzu ausgeführt, dieser sei am 28. Januar 2016 zugestellt worden. Sie hat dem Gericht eine Fotokopie des Posteingangs mit Poststempel der Kanzlei vom 28. Januar 2016 vorgelegt.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Klage- und Verwaltungsakte der Beklagten über den Kläger Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 10. November 2017 gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und nach der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist zulässig.
Die Klage ist sachlich unbegründet. Zu Recht hat die Beklagte mit dem angegriffenen Bescheid vom 11. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2016 die Anerkennung der Hüfterkrankung des Klägers als so genannte "Wie-Berufskrankheit" abgelehnt, denn die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor.
Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird dabei nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übliche Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht sind, oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Die diesen Kriterien entsprechenden Berufskrankheiten sind in der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) vom 31.10.1997, zuletzt geändert durch Verordnung vom 10. Juli 2017 (BGBl. I Seite 2299), aufgeführt.
In der Anlage zur BKV sind unter der Obergruppe 2 Krankheiten durch physikalische Einwirkungen erfasst. Von Seiten des Gerichts ist hierzu anzumerken, dass unter den Ziffern 2101 – 2112 für keine einzige Berufsgruppe Hüftgelenkserkrankungen als Berufskrankheiten erfasst sind. Des Weiteren wird auch bei keiner dieser anerkannten Berufskrankheiten die Tätigkeit des Berufssportlers, im Speziellen des Handballspielers, erfasst.
Die Beklagte hat deshalb dem Antrag der Prozessbevollmächtigten des Klägers folgend zu Recht ihre Ermittlungen auf die so genannten "Wie-Berufskrankheiten" beschränkt. Die gesetzlichen Voraussetzungen zur Anerkennung einer derartigen Krankheit regelt abschließend § 9 Abs. 2 SGB VII. Danach haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind. Mit dem Verweis auf § 9 Absatz 1 Satz 2 wird klargestellt, dass sämtliche Voraussetzungen zur Anerkennung der Erkrankung nach der Anlage 1 zur BKV vorliegen müssen, lediglich die Aufnahme in der Rechtsverordnung noch nicht erfolgt ist. Allein aus diesem Verweis folgt, dass die Anerkennung nach § 9 Abs. 2 SGB VII nicht als Härteklausel zu verstehen ist, nach der bereits deshalb zu entschädigen wäre, wenn die Nichtentschädigung für den Betroffenen eine individuelle Härte bedeuten würde (vgl. BSG, Urteil vom 23.6.1977 – BSGE 44, 93; BSG, Urteil vom 30.1.1986 – BSGE 59, 297; Lauterbach, Kommentar zum SGB VII, § 9 Rdnr. 248). Die Feststellung einer Wie-Berufskrankheit setzt auch bei sehr kleinen Berufsgruppen medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse über den generellen Ursachenzusammenhang zwischen besonderer Einwirkung und Erkrankung voraus, selbst wenn epidemiologische Studien wegen der geringen Zahl der betroffenen Personen möglicherweise nicht möglich sind (vgl. BSG, Urteil vom 18.6.2013 – B 2 U 6/12 R). Dies ist nach Ansicht des BSG (a.a.O.) auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die genannten Voraussetzungen liegen zur Überzeugung des Gerichts nicht vor. Insbesondere gibt es keine medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse im Sinne einer gesicherten herrschenden Ansicht, die Anerkennung einer Hüfterkrankung nicht bei Berufssportlern allgemein, sondern bei Handballspielern, nachweisen. Die Kammer geht dabei in Anwendung der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 18.6.2013 – B 2 U 6/12 R) davon aus, dass diese medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse durch epidemiologische Studien nachgewiesen sein müssten. Bei der Gruppe der professionellen Handballspieler in Deutschland (1. Bundesliga, 2. Bundesliga und teilweise Regionalliga) handelt es sich um keine kleine Zahl von Versicherten. Insgesamt werden wohl allein im Männerbereich über 50 Vereine in Deutschland mit durchschnittlich ca. 15 Vertragsspielern hier zu erfassen seien. Rechnet man hier noch den Gesamtzeitraum, in dem in Deutschland professionell Handball gespielt wird, und die seit dem hier versicherten Spielergenerationen hoch, so ist sicherlich von einer mittleren vierstelligen Zahl von Versicherten auszugehen. Bei dieser Anzahl von Versicherten mit derselben Tätigkeit können zur Überzeugung der Kammer Berufskrankheiten nur Anerkennungsreife entwickeln, wenn zuvor epidemiologische Reihenuntersuchungen durchgeführt worden sind. Diese liegen nach den Ermittlungen der Beklagten im Verwaltungsverfahren nicht vor. Dies haben der Beratungsarzt der Beklagten, aber auch der Landesgewerbearzt des Landes Hessen hier eindeutig festgestellt. Auch der Kläger kann mit seinem Vortrag dies nicht erschüttern. Er hat insbesondere mit dem Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 15. April 2016 hier einige Aufsätze aus dem medizinischen Schrifttum vorgelegt. Zur Überzeugung der Kammer ist aber gerade durch diese Aufsätze praktisch bewiesen, dass eben keine "Wie-BK" vorliegt. Nirgends wird hier auf epidemiologische Erkenntnisse verwiesen, es handelt sich dabei um Einzelansichten, die höchstens den Verdacht eines Zusammenhangs belegen wollen. Dies reicht nach den oben genannten Voraussetzungen jedoch keinesfalls zur Anerkennung nach § 9 Abs. 2 SGB VII aus.
Hinzu kommt, dass nach den glaubhaften Ausführungen der Beklagten, denen im Verfahren vom Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht widersprochen wurde, insgesamt nur vier Anzeigenfälle vorliegen. Zu berücksichtigen ist hierbei insbesondere auch, dass gerade die Prozessbevollmächtigten des Klägers mehrere Handballer im Bundesgebiet vertreten und auch hierzu einen Überblick haben müssten. Es ist zur Überzeugung des Gerichts deshalb davon auszugehen, dass es hier bisher tatsächlich nur diese vier Verdachtsfälle gibt. Epidemiologisch ist deshalb bei der großen Anzahl der Berufshandballer davon auszugehen, dass auch gerade durch diese geringe Zahl von Verdachtsfällen ein epidemiologischer Zusammenhang nicht vermutet werden kann. Hinzu kommt erschwerend für die Durchsetzung des klägerischen Anspruchs, dass im konkreten Fall die Hüfterkrankung des Klägers nach den Angaben seines eigenen Prozessbevollmächtigten diese zuerst im Jahr 2004 manifest geworden ist. Geht man vom ersten schriftlichen Vertrag des Klägers als professioneller Handballspieler (1. August 2003) aus, so war er hier nur einer versicherten Exposition von einem Jahr ausgesetzt. Geht man zugunsten des Klägers von seinen eigenen Angaben aus, nämlich der Tatsache, dass er ab dem Jahr 2002 Profi und damit Versicherter bei der Beklagten gewesen sei, so handelt es sich um eine Exposition von lediglich zwei Jahren. Auch hierauf hat der Beratungsarzt der Beklagten im Verwaltungsverfahren hingewiesen. Auch hierzu wäre bei der Anerkennung einer Wie-BK von einer Exposition in vergleichbaren Zeiträumen wie bei den anerkannten orthopädischen Listen-Berufskrankheiten auszugehen. Bei diesen anerkannten Berufskrankheiten wird zumeist eine Exposition von mindestens einem Jahrzehnt zugrunde gelegt. Auch diese erreicht der Kläger bei weitem nicht. Seine nichtversicherte Tätigkeit als Jugendhandballspieler kann hierbei nicht berücksichtigt werden.
Nach all diesen vorliegenden aufgezählten Indizien, die gegen das Bestehen einer Erkrankung vorliegen, die praktisch Berufskrankheitenreife hat (vgl. § 9 Abs. 2 SGB VII), sah die Kammer keinen Anlass zur Erhebung weiteren Beweises von Amts wegen. Ein individuelles medizinisches Gutachten wäre hierzu ungeeignet. Aber auch eine Nachfrage beim zuständigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das die entsprechende Berufskrankheitenverordnung erlässt, war entbehrlich. Bei einer Anzahl von insgesamt vier gemeldeten Verdachtsfällen bei der Beklagten ist nicht davon auszugehen, dass der medizinische Ausschuss beim BMAS sich hiermit überhaupt befasst hat. Aus allen dargelegten Gründen war die Klage deshalb abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
2) Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten wegen der Anerkennung einer Hüfterkrankung als sogenannte "Wie-Berufskrankheit" im Verfahren nach § 9 Abs. 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) aus einer Tätigkeit als professioneller Handballspieler.
Der 1985 geborene Kläger spielte seit seiner Jugend Handball, teilweise als Profi und war in dieser professionellen Tätigkeit bei der Beklagten im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Am 20. November 2014 ging bei der Beklagten ein Antrag auf Anerkennung einer so genannten "Wie-BK" über die Prozessbevollmächtigten des Klägers ein; eine ärztliche Berufskrankheit-Verdachtanzeige lag und liegt nicht vor. Der über die Prozessbevollmächtigten erstatteten Berufskrankheiten-Verdachtanzeige lagen mehrere medizinische Befunde bei, unter anderem des Orthopäden Dr. C., C-Stadt, der selbst viele Jahre als Handballtrainer im professionellen Bereich tätig gewesen ist. Er stellte darin dar, bei dem Kläger läge eine Hüfterkrankung im Sinne einer schweren Arthrose vor. Seines Erachtens sei diese Erkrankung typisch für Leistungssportler, speziell im Handball, mit sehr viel gleitenden Seitwärtsbewegungen, vielen Sprüngen und Landungen, sehr viel Arbeiten im Körperschwerpunkt Fixation. Die Beklagte leitete daraufhin ein Verwaltungsverfahren ein und ermittelte zunächst zum beruflichen Werdegang. Der Kläger führte hierzu aus, er habe seit seinem vierten Lebensjahr Handball gespielt und habe alle Jugendmannschaften in der D. D-Stadt/E-Stadt absolviert. Mit diesem Verein habe er in der B-Jugend den deutschen Meistertitel erworben. Professionell sei er als Handballer ab 2002 tätig gewesen. Einen ersten schriftlichen Vertrag habe er bei der D. D-Stadt/E-Stadt ab 1. August 2003 erhalten. Die professionelle Tätigkeit als Handballer stellt sich insgesamt wie folgt dar:
2002 – 2004 D. D-Stadt/E-Stadt, jetzt D. F-Stadt
2004 – 2008 G./G-Stadt, x. Liga
2008 – 2010 H. A-Stadt
2010 – 2011 I. I-Stadt und
2011 – 2012 J. J-Stadt
Im Übrigen hat der Kläger während seiner Tätigkeit als Handballspieler für die G./G-Stadt 2005 einen Arbeitsunfall mit Anpralltrauma im Bereich des Beckens und der Hüfte erlitten. Hier hat er über seine Prozessbevollmächtigten einen Antrag auf Entschädigung gestellt, der mit Bescheid vom 28. Oktober 2014 zurückgewiesen worden ist. Einen weiteren Arbeitsunfall hat er im Jahr 2008 erlitten, auch hierzu hat die Beklagte mit Bescheid vom 10. August 2015 Entschädigungsleistungen abgelehnt. Beide Arbeitsunfälle sind nicht Gegenstand des Verfahrens.
Im weiteren Verwaltungsverfahren hat die Beklagte zahlreiche Krankenunterlagen beigezogen und eine Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr. K. angefordert. Der Beratungsarzt kam in seiner Stellungnahme vom 12. März 2015 zu dem Ergebnis, in Auswertung der aktuellen Literatur könne keine "Wie-BK" anerkannt werden. Es fehle hierzu jegliche Epidemiologie, die belege, dass die Personengruppe der Handballspieler durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Maße als die Bevölkerung betroffen wäre. Im konkreten Fall werde dies zusätzlich noch durch die äußerst kurze Anamnese gestützt. Bei dem Kläger sei es innerhalb von weniger als zwei Jahren nach Aufnahme der versicherten Tätigkeit zu einer verschleißbedingten Erkrankung des Hüftgelenks gekommen. Ein Zusammenhang sei deshalb allein aufgrund des Zeitfaktors nicht belegbar. Aufgrund dieser beratungsärztlichen Stellungnahme hat die Beklagte die Akte dem Landesgewerbearzt vorgelegt. Dieser hat mit Stellungnahme vom 28. April 2015 die Ansicht vertreten, die Erkrankung sei nicht als "Wie-BK" anzuerkennen. Mit Bescheid vom 11. Mai 2015 hat die Beklagte sodann die Anerkennung des Hüftschadens als Krankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII abgelehnt. Hiergegen hat der Kläger am 27. Mai 2015 Widerspruch eingelegt, der mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2016, zur Post gegeben am selben Tag, zurückgewiesen wurde.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 29. Februar 2016 beim Sozialgericht Gießen eingegangenen Klage. Er ist der Ansicht, der bei ihm operativ behandelte Hüftschaden sei kausal auf seine Tätigkeit als Handballspieler zurückzuführen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2016 zu verurteilen, bei ihm eine Hüftgelenkserkrankung als so genannte "Wie-Berufskrankheit" anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf ihre im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen, insbesondere auf die Stellungnahme ihres Beratungsarztes und des Landesgewerbearztes. Im Übrigen gebe es bei Berufssportlern, für die sie bundesweit die alleinige Zuständigkeit habe, insgesamt nur vier Berufskrankheiten-Verdachtanzeigen. Drei davon (einschließlich des Klägers) beträfen Handballer, ein Fall sei der Fall eines Volleyballers.
In der mündlichen Verhandlung vom 10. November 2017 hat das Gericht Beweis erhoben zum Zugang des Widerspruchsbescheides. Die Prozessbevollmächtigte hat hierzu ausgeführt, dieser sei am 28. Januar 2016 zugestellt worden. Sie hat dem Gericht eine Fotokopie des Posteingangs mit Poststempel der Kanzlei vom 28. Januar 2016 vorgelegt.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Klage- und Verwaltungsakte der Beklagten über den Kläger Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 10. November 2017 gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und nach der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist zulässig.
Die Klage ist sachlich unbegründet. Zu Recht hat die Beklagte mit dem angegriffenen Bescheid vom 11. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2016 die Anerkennung der Hüfterkrankung des Klägers als so genannte "Wie-Berufskrankheit" abgelehnt, denn die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor.
Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird dabei nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übliche Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht sind, oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Die diesen Kriterien entsprechenden Berufskrankheiten sind in der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) vom 31.10.1997, zuletzt geändert durch Verordnung vom 10. Juli 2017 (BGBl. I Seite 2299), aufgeführt.
In der Anlage zur BKV sind unter der Obergruppe 2 Krankheiten durch physikalische Einwirkungen erfasst. Von Seiten des Gerichts ist hierzu anzumerken, dass unter den Ziffern 2101 – 2112 für keine einzige Berufsgruppe Hüftgelenkserkrankungen als Berufskrankheiten erfasst sind. Des Weiteren wird auch bei keiner dieser anerkannten Berufskrankheiten die Tätigkeit des Berufssportlers, im Speziellen des Handballspielers, erfasst.
Die Beklagte hat deshalb dem Antrag der Prozessbevollmächtigten des Klägers folgend zu Recht ihre Ermittlungen auf die so genannten "Wie-Berufskrankheiten" beschränkt. Die gesetzlichen Voraussetzungen zur Anerkennung einer derartigen Krankheit regelt abschließend § 9 Abs. 2 SGB VII. Danach haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind. Mit dem Verweis auf § 9 Absatz 1 Satz 2 wird klargestellt, dass sämtliche Voraussetzungen zur Anerkennung der Erkrankung nach der Anlage 1 zur BKV vorliegen müssen, lediglich die Aufnahme in der Rechtsverordnung noch nicht erfolgt ist. Allein aus diesem Verweis folgt, dass die Anerkennung nach § 9 Abs. 2 SGB VII nicht als Härteklausel zu verstehen ist, nach der bereits deshalb zu entschädigen wäre, wenn die Nichtentschädigung für den Betroffenen eine individuelle Härte bedeuten würde (vgl. BSG, Urteil vom 23.6.1977 – BSGE 44, 93; BSG, Urteil vom 30.1.1986 – BSGE 59, 297; Lauterbach, Kommentar zum SGB VII, § 9 Rdnr. 248). Die Feststellung einer Wie-Berufskrankheit setzt auch bei sehr kleinen Berufsgruppen medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse über den generellen Ursachenzusammenhang zwischen besonderer Einwirkung und Erkrankung voraus, selbst wenn epidemiologische Studien wegen der geringen Zahl der betroffenen Personen möglicherweise nicht möglich sind (vgl. BSG, Urteil vom 18.6.2013 – B 2 U 6/12 R). Dies ist nach Ansicht des BSG (a.a.O.) auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die genannten Voraussetzungen liegen zur Überzeugung des Gerichts nicht vor. Insbesondere gibt es keine medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse im Sinne einer gesicherten herrschenden Ansicht, die Anerkennung einer Hüfterkrankung nicht bei Berufssportlern allgemein, sondern bei Handballspielern, nachweisen. Die Kammer geht dabei in Anwendung der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 18.6.2013 – B 2 U 6/12 R) davon aus, dass diese medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse durch epidemiologische Studien nachgewiesen sein müssten. Bei der Gruppe der professionellen Handballspieler in Deutschland (1. Bundesliga, 2. Bundesliga und teilweise Regionalliga) handelt es sich um keine kleine Zahl von Versicherten. Insgesamt werden wohl allein im Männerbereich über 50 Vereine in Deutschland mit durchschnittlich ca. 15 Vertragsspielern hier zu erfassen seien. Rechnet man hier noch den Gesamtzeitraum, in dem in Deutschland professionell Handball gespielt wird, und die seit dem hier versicherten Spielergenerationen hoch, so ist sicherlich von einer mittleren vierstelligen Zahl von Versicherten auszugehen. Bei dieser Anzahl von Versicherten mit derselben Tätigkeit können zur Überzeugung der Kammer Berufskrankheiten nur Anerkennungsreife entwickeln, wenn zuvor epidemiologische Reihenuntersuchungen durchgeführt worden sind. Diese liegen nach den Ermittlungen der Beklagten im Verwaltungsverfahren nicht vor. Dies haben der Beratungsarzt der Beklagten, aber auch der Landesgewerbearzt des Landes Hessen hier eindeutig festgestellt. Auch der Kläger kann mit seinem Vortrag dies nicht erschüttern. Er hat insbesondere mit dem Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 15. April 2016 hier einige Aufsätze aus dem medizinischen Schrifttum vorgelegt. Zur Überzeugung der Kammer ist aber gerade durch diese Aufsätze praktisch bewiesen, dass eben keine "Wie-BK" vorliegt. Nirgends wird hier auf epidemiologische Erkenntnisse verwiesen, es handelt sich dabei um Einzelansichten, die höchstens den Verdacht eines Zusammenhangs belegen wollen. Dies reicht nach den oben genannten Voraussetzungen jedoch keinesfalls zur Anerkennung nach § 9 Abs. 2 SGB VII aus.
Hinzu kommt, dass nach den glaubhaften Ausführungen der Beklagten, denen im Verfahren vom Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht widersprochen wurde, insgesamt nur vier Anzeigenfälle vorliegen. Zu berücksichtigen ist hierbei insbesondere auch, dass gerade die Prozessbevollmächtigten des Klägers mehrere Handballer im Bundesgebiet vertreten und auch hierzu einen Überblick haben müssten. Es ist zur Überzeugung des Gerichts deshalb davon auszugehen, dass es hier bisher tatsächlich nur diese vier Verdachtsfälle gibt. Epidemiologisch ist deshalb bei der großen Anzahl der Berufshandballer davon auszugehen, dass auch gerade durch diese geringe Zahl von Verdachtsfällen ein epidemiologischer Zusammenhang nicht vermutet werden kann. Hinzu kommt erschwerend für die Durchsetzung des klägerischen Anspruchs, dass im konkreten Fall die Hüfterkrankung des Klägers nach den Angaben seines eigenen Prozessbevollmächtigten diese zuerst im Jahr 2004 manifest geworden ist. Geht man vom ersten schriftlichen Vertrag des Klägers als professioneller Handballspieler (1. August 2003) aus, so war er hier nur einer versicherten Exposition von einem Jahr ausgesetzt. Geht man zugunsten des Klägers von seinen eigenen Angaben aus, nämlich der Tatsache, dass er ab dem Jahr 2002 Profi und damit Versicherter bei der Beklagten gewesen sei, so handelt es sich um eine Exposition von lediglich zwei Jahren. Auch hierauf hat der Beratungsarzt der Beklagten im Verwaltungsverfahren hingewiesen. Auch hierzu wäre bei der Anerkennung einer Wie-BK von einer Exposition in vergleichbaren Zeiträumen wie bei den anerkannten orthopädischen Listen-Berufskrankheiten auszugehen. Bei diesen anerkannten Berufskrankheiten wird zumeist eine Exposition von mindestens einem Jahrzehnt zugrunde gelegt. Auch diese erreicht der Kläger bei weitem nicht. Seine nichtversicherte Tätigkeit als Jugendhandballspieler kann hierbei nicht berücksichtigt werden.
Nach all diesen vorliegenden aufgezählten Indizien, die gegen das Bestehen einer Erkrankung vorliegen, die praktisch Berufskrankheitenreife hat (vgl. § 9 Abs. 2 SGB VII), sah die Kammer keinen Anlass zur Erhebung weiteren Beweises von Amts wegen. Ein individuelles medizinisches Gutachten wäre hierzu ungeeignet. Aber auch eine Nachfrage beim zuständigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das die entsprechende Berufskrankheitenverordnung erlässt, war entbehrlich. Bei einer Anzahl von insgesamt vier gemeldeten Verdachtsfällen bei der Beklagten ist nicht davon auszugehen, dass der medizinische Ausschuss beim BMAS sich hiermit überhaupt befasst hat. Aus allen dargelegten Gründen war die Klage deshalb abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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