Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 2 RJ 847/00
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 12 RJ 32/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RJ 28/02 R
Datum
Kategorie
Urteil
1. Die Bescheide vom 27.12.1999 und 18.01.2000 sowie der Widerspruchsbescheid vom 18.04.2000 werden aufgehoben.
2. Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, mit dem die Beklagte die Bewilligung von Übergangsgeld für die Zeit einer Umschulungsmaßnahme wegen gleichzeitig erzielten Arbeitsentgelt zurückgenommen hat.
Der Kläger nahm seit dem 01.02.1994 an einer Umschulung zum Techniker (Bau) teil, die von der Beklagten als berufsfördernde Maßnahme zur Rehabilitation gefordert wurde. Für die Dauer der Maßnahme wurde dem Kläger zunächst mit Bescheid vom 15.03.1994 Übergangsgeld in Höhe von 85,20 DM täglich bewilligt; diese Entscheidung änderte die Beklagte mit Bescheid vom 20.05.1994 dahin ab, dass das tägliche Übergangsgeld 97,26 DM betrage. Der Bescheid verwies auf die Verpflichtung des Klägers, den Bezug von Erwerbseinkommen und anderen Leistungen der Beklagten mitzuteilen. Das dem Kläger gewährte Übergangsgeld wurde in der Folgezeit mehrfach angepasst und betrug ab dem 01.02.1995 100,22 DM, ab dem 01.02.1996 100,50 DM und ab dem 01.02.1997 100,97 DM. Zum 30.01.1997 schloss der Kläger die Maßnahme erfolgreich ab.
Im Oktober 1998 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger in der Zeit vom 01.01.1995 bis 31.01.1997 in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bei der Firma D. GmbH gestanden hatte. Hierauf ließ sich die Beklagte von der Firma D. GmbH die Entgelde für die Zeit vom 01.01.1995 bis 31.01.1997 mitteilen und hob sodann - nach vorheriger Anhörung des Klägers - mit Bescheid vom 07.01.1999 den Übergangsgeldbescheid vom 15.03.1994 mit Wirkung vom 01.01.1995 auf; gleichzeitig forderte sie von dem Kläger zu Unrecht gezahltes Übergangsgeld in Höhe von 45.835,80 DM für die Zeit vom 01.01.1995 bis 31.01.1997 zurück. Das Übergangsgeld habe wegen Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung und dem hieraus erzielten Entgeld nicht zugestanden.
Der Kläger erhob am 14.01.1999 Widerspruch. Die mitgeteilten Beträge habe er von der Firma D. nicht erhalten, sondern lediglich eine Vergütung von pauschal 1.500 DM netto für eine beratende Tätigkeit. Hierzu teilte die Steuerberaterin der Firma D. mit, laut Aussage ihres Mandanten habe der Kläger die Auszahlung entsprechend der korrekt abgewickelten Lohn- und Gehaltsabrechnungen erhalten.
Am 25.08.1999 erließ die Beklagte einen neuen, mit dem Bescheid vom 07.01.1999 inhaltsgleichen Bescheid, mit dem sie nunmehr den Übergangsgeldbescheid vom 20.05.1994 aufhob; den Rückforderungsbescheid vom 07.01.1999 nahm sie zurück. Im Rahmen des hiergegen eingelegten Widerspruches bemerkte die Beklagte, dass der Kläger bereits seit dem 01.01.1994 bei der Firma D. GmbH beschäftigt gewesen war. Nachdem seitens der Firma D. GmbH am 02.12.1998 ein Lohnkonto für das Jahr 1994 vorgelegt worden war, nahm die Beklagte - ohne weitere Anhörung des Klägers - mit Bescheid vom 27.12.1999 den Übergangsgeldbescheid vom 20.05.1994 zurück und begehrte von dem Kläger für die Zeit vom 01.02.1994 bis 31.01.1997 Übergangsgeld in Höhe von 69.257,40 DM erstattet; gleichzeitig nahm sie ihren Bescheid vom 25.08.1999 zurück. Der Bescheid vom 20.05.1994 sei wegen des gleichzeitigen Bezugs von Entgeld aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, welches auf das Übergangsgeld anzurechnen sei, rechtswidrig. Der Kläger habe auch im rechtserheblichen Sinne Kenntnis von der Überzahlung gehabt, weil er dem Bescheid vom 20.05.1994 habe entnehmen können, dass während des Bezugs von Übergangsgeld jede Änderung in den Einkünften mitzuteilen sei. Im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens sei der Verwaltungsakt daher zurückzunehmen, da die derzeitigen bzw. zukünftigen wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers einer Rückforderung nicht entgegenstünden. Der Bescheid werde gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens.
Mit Schreiben vom 18.01.2000 änderte die Beklagte den Bescheid vom 27.12.1999 dahingehend ab, dass eine erneute Berechnung eine Überzahlung in Höhe von 69.256,46 DM ergeben habe. Sodann wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 18.04.2000 den Widerspruch zurück.
Der Kläger hat am 05.05.2000 Klage zum Sozialgericht Gießen erhoben.
Er bleibt bei seiner Behauptung, er habe von der Firma D. GmbH die in den Lohnabrechnungen ausgewiesenen Beträge nie erhalten. Vielmehr habe er als Gegenleistung für seine beratende Tätigkeit immer nur eine Vergütung von 1500,00 DM netto in bar ausgezahlt bekommen.
Der Bescheid der Beklagten sei auch aus verfahrensrechtlichen Gründen rechtswidrig. Zum Einen stehe ihm Übergangsgeld aus dem Bescheid vom 15.03.1994 zu, denn diesen Bescheid habe die Beklagte zwar ursprünglich aufgehoben, durch den Bescheid vom 25.08.1999 den Aufhebungsbescheid aber wieder zurückgenommen, so dass der Bescheid vom 15.03.1994 wieder auflebe. Zum Anderen habe die Beklagte die Ausschlussfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X versäumt, da sie den Verwaltungsakt vom 20.05.1994 nicht innerhalb eines Jahres nach Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen aufgehoben habe. Bereits im Oktober 1998 habe die Beklagte von den maßgeblichen Tatsachen - nämlich der Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt während der berufsfördernden Maßnahme - Kenntnis gehabt. Hierzu habe sie ihn bereits im November 1998 angehört; spätestens ab diesem Zeitpunkt habe die Jahresfrist zu laufen begonnen, weshalb der Bescheid vom 27.12.1999 verspätet sei.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 27.12.1999, den Bescheid vom 18.01.2000 und den Widerspruchsbescheid vom 18.04.2000 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, die Jahresfrist § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X habe sie eingehalten. Die hierfür erforderliche positive Kenntnis der Tatsachen, die die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 20.05.1994 ausgemacht hätten, habe sie erst aufgrund der am 02.12.1999 übersandten Lohnunterlagen der Firma D. GmbH für das Jahr 1994 gehabt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt in der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind aus verfahrensrechtlichen Gründen rechtswidrig und daher aufzuheben.
Bevor ein Verwaltungsakte erlassen wird, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem nach § 24 Abs. 1 SGB X Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern; nach Abs. 2 kann davon nur unter bestimmten, im Gesetz abschließend (BSGE 44, 207, 209; SozR 1200 § 34 Nr. 9) aufgezählten Ausnahmen abgesehen werden. Wird die Anhörung unterlassen, führt dies gemäß § 42 Satz 2 i. V. m. Satz 1 SGB X zur Aufhebung des Verwaltungsaktes, wenn der Verfahrensfehler auch nicht durch Nachholung der unterbliebenen Anhörung im Widerspruchsverfahren (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. Abs. 2 SGB X) geheilt worden ist.
Bei dem Bescheid vom 27.12.1999 handelt es sich um einen in die Rechte des Klägers eingreifenden Verwaltungsakt; denn dieser beinhaltete die Rücknahme des Bescheids vom 20.05.1994 bereits mit Wirkung ab dem 01.02.1994 und die Rückforderung von Übergangsgeld in Höhe von 69.257,40 DM, ging also in seinen den Kläger belastenden Rechtsfolgen über den Bescheid vom 25.08.1999 hinaus.
Vor Erlass des Bescheides vom 27.12.1999 hat die Beklagte den Kläger nicht angehört. Hiervon konnte sie auch nach § 24 Abs. 2 SGB X nicht absehen. Insbesondere wurde durch die gebotene Anhörung des Klägers die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist nicht in Frage gestellt (Abs. 2 Nr. 2). Ein Fristablauf war vorliegend nur in Hinblick auf § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X denkbar, wonach die Behörde innerhalb eines Jahres sei Kenntnis der Tatsachen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen, die Rücknahme verfügen muss. Es ist bereits fraglich, ob die in § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X normierte Frist zum Tätigwerden überhaupt eine im Sinne von § 24 Abs. 2 Nr. 2 SGB X "für die Entscheidung maßgebliche Frist" darstellt; denn dies würde im Ergebnis bedeuten, dass ein Verfahrensgrundrecht des Bürgers nicht aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls, sondern zu Gunsten einer säumigen Verwaltung ausgehebelt würde. Indes kann dies dahinstehen, denn im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 27.12.1999 stand die Einhaltung der Jahresfrist nicht in Frage. Die Ausschlussfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X beginnt nämlich zu laufen, wenn die Behörde von allen die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen positiv Kenntnis erlangt hat. Hinsichtlich der Rücknahme des Bescheids vom 20.05.1994 mit Wirkung ab dem 01.02.1994 bedurfte es in Hinblick auf § 45 Abs. 1 SGB X also der positiven Kenntnis der Beklagten, dass der Kläger bereits im Zeitpunkt der Übergangsgeldbewilligung anrechenbares Erwerbseinkommen erzielte; darüber hinaus war für die Berechnung die Kenntnis der genauen Höhe des erzielten Erwerbseinkommens erforderlich (vgl. § 27 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI). Diese Informationen gingen der Beklagten jedoch erst am 06.12.1999 zu, als ihr von der Firma D. GmbH das Lohnkonto des Klägers für 1994 vorgelegt wurde.
Die erforderliche Anhörung des Klägers hat die Beklagte auch nicht wirksam nachgeholt. Eine Heilung des Anhörungsmangels setzt voraus, dass die Verwaltung, die den Betroffenen rechtswidrig mit einer Überraschungsentscheidung überzogen hat, ihm bis zum Abschluss des Vorverfahrens Gelegenheit gibt, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (BSG, SozR 3 - 1300 § 24 Nr. 4). Dies hat die Beklagte nicht getan, sondern nach Erlass des Bescheides vom 27.12.1999 (und des Abänderungsbescheides vom 18.01.2000) ohne weitere Verfahrensschritte den Widerspruchsbescheid vom 18.04.2000 erlassen.
Nach der Rechtssprechung des 7. Senats des BSG ist der Verfahrensmangel der fehlenden Anhörung vor Erlass eines Bescheides allerdings ohne gesonderte Nachholungshandlung im Rahmen des Widerspruchverfahrens heilbar, wenn die Begründung des mit dem Widerspruch angefochtenen Bescheides selbst alle Tatsachen enthält, auf die es - nach der Rechtsansicht der Behörde - für den Verfügungssatz objektiv ankommt (BSG, SozR 3 - 4100 § 117 Nr. 11; offengelassen in BSG, SozR 3 - 1300 § 24 Nr. 4). Diese Rechtssprechung kann indes auf den vorliegenden Sachverhalt keine Anwendung finden. Sie rechtfertigt sich aus der Überlegung, dass den Betroffenen zwar nicht durch eine gesonderte Anhörung, aber durch den Bescheid selbst der entscheidungserhebliche Sachverhalt bekannt gegeben wird und gleichzeitig die Rechtsbehelfsbelehrung über die Möglichkeit des Widerspruchs dem Betroffenen verdeutlicht, dass eventuelle Einwände gegen den Bescheid im Rahmen des weiteren Verwaltungsverfahrens vorgebracht werden können. Ein solcher, äußerlich erkennbarer Hinweis auf die Möglichkeit, sich im Rahmen des weiteren Verwaltungsverfahrens äußern zu können, ist jedoch nach Auffassung der Kammer Voraussetzung dafür, um von einer erfolgreichen Nachholung der Anhörung ausgehen zu können; denn nur in diesem Fall wird dem Betroffenen durch die Behörde tatsächlich - wie es § 24 Abs. 1 SGB X verlangt - die Gelegenheit gegeben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.
Hieran fehlt es in vorliegenden Fall. Weder der Bescheid vom 27.12.1999 noch der Ergänzungsbescheid vom 18.01.2000 enthielten einen Hinweis auf die Möglichkeit zur Gegenäußerung. In diesem Fall kann die bloße Möglichkeit, dass der Betroffene von seinem Recht zur Äußerung tatsächlich Gebrauch macht, den Verfahrensmangel nicht beseitigen. Denn anderenfalls liefe § 24 Abs. 1 SGB X leer.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
2. Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, mit dem die Beklagte die Bewilligung von Übergangsgeld für die Zeit einer Umschulungsmaßnahme wegen gleichzeitig erzielten Arbeitsentgelt zurückgenommen hat.
Der Kläger nahm seit dem 01.02.1994 an einer Umschulung zum Techniker (Bau) teil, die von der Beklagten als berufsfördernde Maßnahme zur Rehabilitation gefordert wurde. Für die Dauer der Maßnahme wurde dem Kläger zunächst mit Bescheid vom 15.03.1994 Übergangsgeld in Höhe von 85,20 DM täglich bewilligt; diese Entscheidung änderte die Beklagte mit Bescheid vom 20.05.1994 dahin ab, dass das tägliche Übergangsgeld 97,26 DM betrage. Der Bescheid verwies auf die Verpflichtung des Klägers, den Bezug von Erwerbseinkommen und anderen Leistungen der Beklagten mitzuteilen. Das dem Kläger gewährte Übergangsgeld wurde in der Folgezeit mehrfach angepasst und betrug ab dem 01.02.1995 100,22 DM, ab dem 01.02.1996 100,50 DM und ab dem 01.02.1997 100,97 DM. Zum 30.01.1997 schloss der Kläger die Maßnahme erfolgreich ab.
Im Oktober 1998 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger in der Zeit vom 01.01.1995 bis 31.01.1997 in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bei der Firma D. GmbH gestanden hatte. Hierauf ließ sich die Beklagte von der Firma D. GmbH die Entgelde für die Zeit vom 01.01.1995 bis 31.01.1997 mitteilen und hob sodann - nach vorheriger Anhörung des Klägers - mit Bescheid vom 07.01.1999 den Übergangsgeldbescheid vom 15.03.1994 mit Wirkung vom 01.01.1995 auf; gleichzeitig forderte sie von dem Kläger zu Unrecht gezahltes Übergangsgeld in Höhe von 45.835,80 DM für die Zeit vom 01.01.1995 bis 31.01.1997 zurück. Das Übergangsgeld habe wegen Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung und dem hieraus erzielten Entgeld nicht zugestanden.
Der Kläger erhob am 14.01.1999 Widerspruch. Die mitgeteilten Beträge habe er von der Firma D. nicht erhalten, sondern lediglich eine Vergütung von pauschal 1.500 DM netto für eine beratende Tätigkeit. Hierzu teilte die Steuerberaterin der Firma D. mit, laut Aussage ihres Mandanten habe der Kläger die Auszahlung entsprechend der korrekt abgewickelten Lohn- und Gehaltsabrechnungen erhalten.
Am 25.08.1999 erließ die Beklagte einen neuen, mit dem Bescheid vom 07.01.1999 inhaltsgleichen Bescheid, mit dem sie nunmehr den Übergangsgeldbescheid vom 20.05.1994 aufhob; den Rückforderungsbescheid vom 07.01.1999 nahm sie zurück. Im Rahmen des hiergegen eingelegten Widerspruches bemerkte die Beklagte, dass der Kläger bereits seit dem 01.01.1994 bei der Firma D. GmbH beschäftigt gewesen war. Nachdem seitens der Firma D. GmbH am 02.12.1998 ein Lohnkonto für das Jahr 1994 vorgelegt worden war, nahm die Beklagte - ohne weitere Anhörung des Klägers - mit Bescheid vom 27.12.1999 den Übergangsgeldbescheid vom 20.05.1994 zurück und begehrte von dem Kläger für die Zeit vom 01.02.1994 bis 31.01.1997 Übergangsgeld in Höhe von 69.257,40 DM erstattet; gleichzeitig nahm sie ihren Bescheid vom 25.08.1999 zurück. Der Bescheid vom 20.05.1994 sei wegen des gleichzeitigen Bezugs von Entgeld aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, welches auf das Übergangsgeld anzurechnen sei, rechtswidrig. Der Kläger habe auch im rechtserheblichen Sinne Kenntnis von der Überzahlung gehabt, weil er dem Bescheid vom 20.05.1994 habe entnehmen können, dass während des Bezugs von Übergangsgeld jede Änderung in den Einkünften mitzuteilen sei. Im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens sei der Verwaltungsakt daher zurückzunehmen, da die derzeitigen bzw. zukünftigen wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers einer Rückforderung nicht entgegenstünden. Der Bescheid werde gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens.
Mit Schreiben vom 18.01.2000 änderte die Beklagte den Bescheid vom 27.12.1999 dahingehend ab, dass eine erneute Berechnung eine Überzahlung in Höhe von 69.256,46 DM ergeben habe. Sodann wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 18.04.2000 den Widerspruch zurück.
Der Kläger hat am 05.05.2000 Klage zum Sozialgericht Gießen erhoben.
Er bleibt bei seiner Behauptung, er habe von der Firma D. GmbH die in den Lohnabrechnungen ausgewiesenen Beträge nie erhalten. Vielmehr habe er als Gegenleistung für seine beratende Tätigkeit immer nur eine Vergütung von 1500,00 DM netto in bar ausgezahlt bekommen.
Der Bescheid der Beklagten sei auch aus verfahrensrechtlichen Gründen rechtswidrig. Zum Einen stehe ihm Übergangsgeld aus dem Bescheid vom 15.03.1994 zu, denn diesen Bescheid habe die Beklagte zwar ursprünglich aufgehoben, durch den Bescheid vom 25.08.1999 den Aufhebungsbescheid aber wieder zurückgenommen, so dass der Bescheid vom 15.03.1994 wieder auflebe. Zum Anderen habe die Beklagte die Ausschlussfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X versäumt, da sie den Verwaltungsakt vom 20.05.1994 nicht innerhalb eines Jahres nach Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen aufgehoben habe. Bereits im Oktober 1998 habe die Beklagte von den maßgeblichen Tatsachen - nämlich der Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt während der berufsfördernden Maßnahme - Kenntnis gehabt. Hierzu habe sie ihn bereits im November 1998 angehört; spätestens ab diesem Zeitpunkt habe die Jahresfrist zu laufen begonnen, weshalb der Bescheid vom 27.12.1999 verspätet sei.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 27.12.1999, den Bescheid vom 18.01.2000 und den Widerspruchsbescheid vom 18.04.2000 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, die Jahresfrist § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X habe sie eingehalten. Die hierfür erforderliche positive Kenntnis der Tatsachen, die die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 20.05.1994 ausgemacht hätten, habe sie erst aufgrund der am 02.12.1999 übersandten Lohnunterlagen der Firma D. GmbH für das Jahr 1994 gehabt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt in der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind aus verfahrensrechtlichen Gründen rechtswidrig und daher aufzuheben.
Bevor ein Verwaltungsakte erlassen wird, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem nach § 24 Abs. 1 SGB X Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern; nach Abs. 2 kann davon nur unter bestimmten, im Gesetz abschließend (BSGE 44, 207, 209; SozR 1200 § 34 Nr. 9) aufgezählten Ausnahmen abgesehen werden. Wird die Anhörung unterlassen, führt dies gemäß § 42 Satz 2 i. V. m. Satz 1 SGB X zur Aufhebung des Verwaltungsaktes, wenn der Verfahrensfehler auch nicht durch Nachholung der unterbliebenen Anhörung im Widerspruchsverfahren (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. Abs. 2 SGB X) geheilt worden ist.
Bei dem Bescheid vom 27.12.1999 handelt es sich um einen in die Rechte des Klägers eingreifenden Verwaltungsakt; denn dieser beinhaltete die Rücknahme des Bescheids vom 20.05.1994 bereits mit Wirkung ab dem 01.02.1994 und die Rückforderung von Übergangsgeld in Höhe von 69.257,40 DM, ging also in seinen den Kläger belastenden Rechtsfolgen über den Bescheid vom 25.08.1999 hinaus.
Vor Erlass des Bescheides vom 27.12.1999 hat die Beklagte den Kläger nicht angehört. Hiervon konnte sie auch nach § 24 Abs. 2 SGB X nicht absehen. Insbesondere wurde durch die gebotene Anhörung des Klägers die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist nicht in Frage gestellt (Abs. 2 Nr. 2). Ein Fristablauf war vorliegend nur in Hinblick auf § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X denkbar, wonach die Behörde innerhalb eines Jahres sei Kenntnis der Tatsachen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen, die Rücknahme verfügen muss. Es ist bereits fraglich, ob die in § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X normierte Frist zum Tätigwerden überhaupt eine im Sinne von § 24 Abs. 2 Nr. 2 SGB X "für die Entscheidung maßgebliche Frist" darstellt; denn dies würde im Ergebnis bedeuten, dass ein Verfahrensgrundrecht des Bürgers nicht aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls, sondern zu Gunsten einer säumigen Verwaltung ausgehebelt würde. Indes kann dies dahinstehen, denn im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 27.12.1999 stand die Einhaltung der Jahresfrist nicht in Frage. Die Ausschlussfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X beginnt nämlich zu laufen, wenn die Behörde von allen die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen positiv Kenntnis erlangt hat. Hinsichtlich der Rücknahme des Bescheids vom 20.05.1994 mit Wirkung ab dem 01.02.1994 bedurfte es in Hinblick auf § 45 Abs. 1 SGB X also der positiven Kenntnis der Beklagten, dass der Kläger bereits im Zeitpunkt der Übergangsgeldbewilligung anrechenbares Erwerbseinkommen erzielte; darüber hinaus war für die Berechnung die Kenntnis der genauen Höhe des erzielten Erwerbseinkommens erforderlich (vgl. § 27 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI). Diese Informationen gingen der Beklagten jedoch erst am 06.12.1999 zu, als ihr von der Firma D. GmbH das Lohnkonto des Klägers für 1994 vorgelegt wurde.
Die erforderliche Anhörung des Klägers hat die Beklagte auch nicht wirksam nachgeholt. Eine Heilung des Anhörungsmangels setzt voraus, dass die Verwaltung, die den Betroffenen rechtswidrig mit einer Überraschungsentscheidung überzogen hat, ihm bis zum Abschluss des Vorverfahrens Gelegenheit gibt, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (BSG, SozR 3 - 1300 § 24 Nr. 4). Dies hat die Beklagte nicht getan, sondern nach Erlass des Bescheides vom 27.12.1999 (und des Abänderungsbescheides vom 18.01.2000) ohne weitere Verfahrensschritte den Widerspruchsbescheid vom 18.04.2000 erlassen.
Nach der Rechtssprechung des 7. Senats des BSG ist der Verfahrensmangel der fehlenden Anhörung vor Erlass eines Bescheides allerdings ohne gesonderte Nachholungshandlung im Rahmen des Widerspruchverfahrens heilbar, wenn die Begründung des mit dem Widerspruch angefochtenen Bescheides selbst alle Tatsachen enthält, auf die es - nach der Rechtsansicht der Behörde - für den Verfügungssatz objektiv ankommt (BSG, SozR 3 - 4100 § 117 Nr. 11; offengelassen in BSG, SozR 3 - 1300 § 24 Nr. 4). Diese Rechtssprechung kann indes auf den vorliegenden Sachverhalt keine Anwendung finden. Sie rechtfertigt sich aus der Überlegung, dass den Betroffenen zwar nicht durch eine gesonderte Anhörung, aber durch den Bescheid selbst der entscheidungserhebliche Sachverhalt bekannt gegeben wird und gleichzeitig die Rechtsbehelfsbelehrung über die Möglichkeit des Widerspruchs dem Betroffenen verdeutlicht, dass eventuelle Einwände gegen den Bescheid im Rahmen des weiteren Verwaltungsverfahrens vorgebracht werden können. Ein solcher, äußerlich erkennbarer Hinweis auf die Möglichkeit, sich im Rahmen des weiteren Verwaltungsverfahrens äußern zu können, ist jedoch nach Auffassung der Kammer Voraussetzung dafür, um von einer erfolgreichen Nachholung der Anhörung ausgehen zu können; denn nur in diesem Fall wird dem Betroffenen durch die Behörde tatsächlich - wie es § 24 Abs. 1 SGB X verlangt - die Gelegenheit gegeben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.
Hieran fehlt es in vorliegenden Fall. Weder der Bescheid vom 27.12.1999 noch der Ergänzungsbescheid vom 18.01.2000 enthielten einen Hinweis auf die Möglichkeit zur Gegenäußerung. In diesem Fall kann die bloße Möglichkeit, dass der Betroffene von seinem Recht zur Äußerung tatsächlich Gebrauch macht, den Verfahrensmangel nicht beseitigen. Denn anderenfalls liefe § 24 Abs. 1 SGB X leer.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
HES
Saved