Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Trier (RPF)
Aktenzeichen
S 5 KR 118/06
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 KR 100/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Versorgung mit dem Mittel "Algonot Plus" bei Multipler Sklerose fällt nicht in die Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung.
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 16.7.2008 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die an Multipler Sklerose (MS) erkrankte Klägerin begehrt von der beklagten Krankenkasse die Übernahme der Kosten für das Mittel "Algonot plus".
Die seit 1996 an einer sekundär progredienten MS erkrankte Klägerin war bis 28.2.2009 bei der Beklagten krankenversichert. Unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung vom 1.3.2005 und einer Apothekenabrechnung vom 22.3.2005 bean-tragte die Klägerin am 20.4.2006 bei der Beklagten unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/098 - die Übernahme der Kosten für das Mittel "Algonot plus" in Höhe von 132 EUR pro Quartal ab 1.3.2005. Der von der Beklagten beteiligte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) teilte in seiner Stellungnahme vom 2.8.2006 (Arzt im MDK Dr. S ) mit, "Algonot plus" werde in den USA als Nahrungsergänzungsmittel in speziellen Vitaminshops verkauft und solle gegen alle möglichen Erkrankungen, u.a. auch MS, helfen; in Deutschland sei es weder als Nahrungsergänzungsmittel noch als zugelassenes Arzneimittel auf dem Markt; qualifizierte Studien über seine Wirksamkeit lägen nicht vor. Unter Berufung auf die Stellungnahme des MDK lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab (Bescheid vom 4.8.2006, Widerspruchsbescheid vom 20.11.2006). Die hiergegen am 20.12.2006 erhobene Klage hat das Sozialgericht Trier mit Urteil vom 16.7.2008 abgewiesen.
Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 29.7.2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19.8.2008 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Erweiterung des Leistungsanspruchs lägen vor, weil bei ihr auf Grund der MS jederzeit die Gefahr bestehe, dass ein Organverlust ein-trete oder eine Körperfunktion ausfalle; in der Vergangenheit sei es vermehrt zu zeitweisen Totalausfällen der Gehfunktion und zu gravierenden Einschränkungen des Sehvermögens gekommen. Die vom Sozialgericht zitierte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Erforderlichkeit einer notstandsähnlichen Situation könne nicht überzeugen, da sie sich lediglich auf statistische Erhebungen stütze und den Einzelfall nicht berücksichtige. Zudem sei der Gemeinsame Bundesaus-schuss (GBA) seiner Verpflichtung nach § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB V, der therapeu-tischen Vielfalt Rechnung zu tragen, nicht nachgekommen. In den Richtlinien des GBA werde lediglich die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln nach ihren Wirk- und Inhaltsstoffen beurteilt; der auf die konkrete Erkrankung bezogenen Therapiefreiheit der Ärzteschaft werde nicht ausreichend Rechnung getragen. MS werde in den Richtlinien des GBA nicht erwähnt. Das zeige, dass die Herangehensweise des GBA falsch sei, sie führe zwangsläufig zu lückenhaften und daher fehlerhaften Regelungen in den Arzneimittelrichtlinien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 16.7.2008 und den Bescheid der Beklagten vom 4.8.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.11.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für das selbst beschaffte Mittel "Algonot plus" seit 1.3.2005 bis 28.2.2009 in Höhe von 2112,- EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts verweist der Senat auf die Gerichtsakten, die Akte des Parallelverfahrens L 5 KR 99/08 und die Verwaltungsakten der Beklagten. Ihr Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten des in der Zeit vom 1.3.2005 bis zum Ende ihrer Mitgliedschaft bei der Beklagten selbst beschafften Mittels "Algonot plus".
Als Anspruchsgrundlage für die Erstattung der Kosten des Mittels kommt allein § 13 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) in Betracht. Hiernach sind, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
Die Versorgung mit dem Mittel "Algonot plus" war keine unaufschiebbare Leistung. Dies wird von der Klägerin nicht geltend gemacht; hierfür liegen auch keine Anhaltspunkte vor. Für einen Kostenerstattungsanspruch wegen rechtswidriger Ab-lehnung der Leistung, fehlt es für den Zeitraum von der erstmaligen Beschaffung, die laut der von der Klägerin vorgelegten Apothekenabrechnung am 22.3.2005 erfolgte, bis zur ablehnenden Entscheidung der Beklagten vom 4.8.2006 an dem erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen der ablehnenden Entscheidung der Beklagten und den entstandenen Kosten. Zwischen der rechtswidrigen Ablehnung und der Kostenlast des Versicherten muss ein Ursachenzusammen-hang bestehen, an dem es fehlt, wenn die Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre. Eine vorherige Entscheidung der Krankenkasse ist auch dann erforderlich, wenn die Ablehnung des Leistungsbegehrens - etwa aufgrund von Erfahrungen aus anderen Fällen - von vornherein feststeht oder wenn es um Leistungen geht, die kraft Gesetzes ausgeschlossen sind (st. Rspr. vgl. BSG 21.2.2008 - B 1 KR 123/07 B, juris Rn. 5 m.w.N.; BSG 2.11.2007 - B 1 KR 14/07 R, juris Rn. 24 m.w.N.). Im vorliegenden Fall sind keine Gründe ersichtlich, die es der Klägerin unmöglich gemacht hätten, vor der Beschaffung des Mittels "Algonot plus" eine Entscheidung der Beklagten über deren Leistungspflicht herbeizuführen. Es fehlt daher an dem erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Kostenlast der Klägerin und der ablehnenden Entscheidung der Beklagten.
Für die anschließende Zeit ab 4.8.2006 besteht ebenfalls kein Anspruch auf Er-stattung der Kosten. Denn der Anspruch auf Kostenerstattung reicht nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (st. Rspr. BSG 16.12.2008 - B 1 KR 11/08 R, juris Rn. 12 m.w.N.). Die Klägerin hatte jedoch keinen Anspruch auf eine entsprechende Naturalleistung nach § 31 SGB V. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei dem Mittel "Algonot plus" um ein Arzneimittel oder ein Lebensmittel handelt.
Handelt es sich bei "Algonot plus" um ein Arzneimittel, dann fällt es mangels arzneimittelrechtlicher Zulassung nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung. Ein Arzneimittel, das nach den arzneimittelrechtlichen Vorschriften der arzneimittelrechtlichen Zulassung bedarf (§ 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz - AMG), unterfällt der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nur, wenn die erforderliche Zulassung erteilt wurde. Ohne die erforderliche arzneimit-telrechtliche Zulassung fehlt es - auch unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 6.12.2005 (- 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 24) - an der krankenversicherungsrechtlichen Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Therapie mit diesem Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 und des § 12 Abs. 1 SGB V (BSG 16.12.2008 - B 1 KN 3/07 KR R, juris Rn. 29 m.w.N.). Da "Algonot plus" im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht wird, ist es, wenn es überhaupt als Arzneimittel zu werten wäre, ein Fertigarzneimittel (§ 4 Abs. 1 AMG), das gemäß § 21 Abs. 1 AMG der deutschen bzw. europäischen Zulassung bedürfte. Eine solche Zulassung liegt nach den unwidersprochenen Feststellungen des MDK nicht vor.
Bei MS handelt es sich auch nicht um den sog. Seltenheitsfall einer Krankheit, die weltweit nur extrem selten auftritt und die deshalb im nationalen wie im internationalen Rahmen weder systematisch erforscht noch systematisch behandelt werden kann und bei der deshalb eine erweiterte Leistungspflicht der Krankenkassen in Betracht zu ziehen wäre (BSG 27.3.2007 - B 1 KR 17/06 R, juris Rn. 17 m.w.N.).
Ungeachtet der Schwere der Erkrankung liegt bei der Klägerin auch keine besonders schwere Erkrankung vor, die einen arzneimittelrechtlich zulässigen Einzelim-port nach § 73 Abs. 3 AMG von "Algonot plus" als Fertigarzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung durch grundrechtsorientierte Auslegung ermög-lichen würde. Gerechtfertigt ist eine solche verfassungskonforme Auslegung nur, wenn eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt und zudem eine notstandsähnliche Situation besteht, in der nach den konkreten Umständen des Falles die Gefahr besteht, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Ähnliches kann für den ggf. gleichzustellenden, nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten. Weiter muss eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht wenigstens auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krank-heitsverlauf bestehen (zum Ganzen BSG a.a.O Rn. 23). Daran fehlt es bei der Klägerin.
Nach dem Vorbringen der Klägerin ist bisher auf Grund der MS ein Verlust der Gehfunktion nur zeitweise eingetreten, es sind nur Einschränkungen des Sehvermögens eingetreten. Dass ein dauerhafter Verlust der Gehfunktion oder ein dauerhafter vollständiger Verlust des Sehvermögens innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit drohen würde, ist von der Klägerin nicht geltend gemacht. Aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen und der Art der Erkrankung ergeben sich hierfür ebenfalls keine Anhaltspunkte (vgl. auch BSG 27.3.2007 - B 1 KR 17/06, juris Rn. 23 ff.). Ungeachtet der bei der Klägerin vorliegenden erheblichen krankheitsbedingten Beeinträchtigungen sind daher die besonderen Voraussetzungen für eine notstandsähnliche Situation nicht erfüllt. Zudem liegen nach den Feststellungen des MDK keine qualifizierten Stu-dien über die Wirksamkeit von "Algonot plus" vor. Es fehlt daher auch an einer nicht ganz fern liegenden Aussicht auf eine positive Einwirkung des Mittels auf den Krankheitsverlauf.
Ist das Mittel "Algonot plus" nicht als Arzneimittel, sondern stattdessen als Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel zu werten, unterfällt die Versorgung damit ebenfalls nicht der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Versorgung mit Lebensmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln, sogenannter Krankenkost und diätetischen Lebensmitteln fällt, auch wenn damit therapeutische Nebeneffekte verbunden sind, grundsätzlich nicht in die Leistungspflicht der ge-setzlichen Krankenversicherung (BSG 16.12.2008 - B 1 KN 3/07 KR R, juris Rn. 38 ff.; vgl. Nr. 15.1 Arzneimittel-Richtlinie - AM-RL - , in der im streitgegen-ständlichen Zeitraum maßgeblichen Fassung vom 31.8.1993, BAnz. Nr. 246 S. 11155, geändert am 25.8.2005, BAnz. 2005 S. 13241, in Kraft getreten zum 1.10.2005). Etwas anderes gilt nur dann, wenn dies durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes ausdrücklich bestimmt ist. Soweit nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V (in den hier maßgeblichen bis 30.6.2008 geltenden Fassungen) in Verbindung mit den Bestimmungen der AM-RL für Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate, Elementardiäten und Sondennahrung Ausnahmen galten, sind diese für das hier fragliche Mittel "Algonot plus" nicht einschlägig (zur hier nicht erheblichen Nichtig-keit der AM-RL, soweit sie die Leistungspflicht der Krankenkassen gegenüber dem zuvor geltenden Recht ausdehnen: BSG a.a.O Rn. 43 ff.). Nach den Herstellerangaben (www.algonot.com/ products.php recherchiert am 14.8.2009) enthält "Algonot plus" Glucosamin- und Chondroitin-Sulfate sowie Quercetin und Olivenkernöl. Diese Bestandteile fallen nicht unter die in den Richtlinien genannten Ausnahmen; bei dem Mittel handelt es sich auch nicht um eine Elementardiät oder eine Sondennahrung.
Eine weitergehende Leistungspflicht ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6.12.2005 (- 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 24). Auch das Bundesverfassungsgericht hält eine verfassungskonforme Erweiterung der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nur in einer notstandsähnlichen Situation für geboten, die - wie bereits ausgeführt - im vorliegenden Fall nicht vorlag.
Die Bedenken der Klägerin gegen die Rechtmäßigkeit der Arzneimittel-Richtlinie vermag der Senat nicht zu teilen. Insbesondere war der Gemeinsame Bundesausschuss weder durch das SGB V noch von Verfassungs wegen verpflichtet, "Algonot plus" als Lebensmittel oder als arzneimittelrechtlich in Deutschland nicht zuge-lassenes Arzneimittel in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversiche-rung zu übernehmen (vgl. dazu ausführlich BSG 16.12.2008 a.a.O. Rn. 50 ff. m.w.N. auch zur verfassungsrechtlichen Rechtsprechung).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die an Multipler Sklerose (MS) erkrankte Klägerin begehrt von der beklagten Krankenkasse die Übernahme der Kosten für das Mittel "Algonot plus".
Die seit 1996 an einer sekundär progredienten MS erkrankte Klägerin war bis 28.2.2009 bei der Beklagten krankenversichert. Unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung vom 1.3.2005 und einer Apothekenabrechnung vom 22.3.2005 bean-tragte die Klägerin am 20.4.2006 bei der Beklagten unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/098 - die Übernahme der Kosten für das Mittel "Algonot plus" in Höhe von 132 EUR pro Quartal ab 1.3.2005. Der von der Beklagten beteiligte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) teilte in seiner Stellungnahme vom 2.8.2006 (Arzt im MDK Dr. S ) mit, "Algonot plus" werde in den USA als Nahrungsergänzungsmittel in speziellen Vitaminshops verkauft und solle gegen alle möglichen Erkrankungen, u.a. auch MS, helfen; in Deutschland sei es weder als Nahrungsergänzungsmittel noch als zugelassenes Arzneimittel auf dem Markt; qualifizierte Studien über seine Wirksamkeit lägen nicht vor. Unter Berufung auf die Stellungnahme des MDK lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab (Bescheid vom 4.8.2006, Widerspruchsbescheid vom 20.11.2006). Die hiergegen am 20.12.2006 erhobene Klage hat das Sozialgericht Trier mit Urteil vom 16.7.2008 abgewiesen.
Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 29.7.2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19.8.2008 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Erweiterung des Leistungsanspruchs lägen vor, weil bei ihr auf Grund der MS jederzeit die Gefahr bestehe, dass ein Organverlust ein-trete oder eine Körperfunktion ausfalle; in der Vergangenheit sei es vermehrt zu zeitweisen Totalausfällen der Gehfunktion und zu gravierenden Einschränkungen des Sehvermögens gekommen. Die vom Sozialgericht zitierte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Erforderlichkeit einer notstandsähnlichen Situation könne nicht überzeugen, da sie sich lediglich auf statistische Erhebungen stütze und den Einzelfall nicht berücksichtige. Zudem sei der Gemeinsame Bundesaus-schuss (GBA) seiner Verpflichtung nach § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB V, der therapeu-tischen Vielfalt Rechnung zu tragen, nicht nachgekommen. In den Richtlinien des GBA werde lediglich die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln nach ihren Wirk- und Inhaltsstoffen beurteilt; der auf die konkrete Erkrankung bezogenen Therapiefreiheit der Ärzteschaft werde nicht ausreichend Rechnung getragen. MS werde in den Richtlinien des GBA nicht erwähnt. Das zeige, dass die Herangehensweise des GBA falsch sei, sie führe zwangsläufig zu lückenhaften und daher fehlerhaften Regelungen in den Arzneimittelrichtlinien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 16.7.2008 und den Bescheid der Beklagten vom 4.8.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.11.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für das selbst beschaffte Mittel "Algonot plus" seit 1.3.2005 bis 28.2.2009 in Höhe von 2112,- EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts verweist der Senat auf die Gerichtsakten, die Akte des Parallelverfahrens L 5 KR 99/08 und die Verwaltungsakten der Beklagten. Ihr Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten des in der Zeit vom 1.3.2005 bis zum Ende ihrer Mitgliedschaft bei der Beklagten selbst beschafften Mittels "Algonot plus".
Als Anspruchsgrundlage für die Erstattung der Kosten des Mittels kommt allein § 13 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) in Betracht. Hiernach sind, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
Die Versorgung mit dem Mittel "Algonot plus" war keine unaufschiebbare Leistung. Dies wird von der Klägerin nicht geltend gemacht; hierfür liegen auch keine Anhaltspunkte vor. Für einen Kostenerstattungsanspruch wegen rechtswidriger Ab-lehnung der Leistung, fehlt es für den Zeitraum von der erstmaligen Beschaffung, die laut der von der Klägerin vorgelegten Apothekenabrechnung am 22.3.2005 erfolgte, bis zur ablehnenden Entscheidung der Beklagten vom 4.8.2006 an dem erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen der ablehnenden Entscheidung der Beklagten und den entstandenen Kosten. Zwischen der rechtswidrigen Ablehnung und der Kostenlast des Versicherten muss ein Ursachenzusammen-hang bestehen, an dem es fehlt, wenn die Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre. Eine vorherige Entscheidung der Krankenkasse ist auch dann erforderlich, wenn die Ablehnung des Leistungsbegehrens - etwa aufgrund von Erfahrungen aus anderen Fällen - von vornherein feststeht oder wenn es um Leistungen geht, die kraft Gesetzes ausgeschlossen sind (st. Rspr. vgl. BSG 21.2.2008 - B 1 KR 123/07 B, juris Rn. 5 m.w.N.; BSG 2.11.2007 - B 1 KR 14/07 R, juris Rn. 24 m.w.N.). Im vorliegenden Fall sind keine Gründe ersichtlich, die es der Klägerin unmöglich gemacht hätten, vor der Beschaffung des Mittels "Algonot plus" eine Entscheidung der Beklagten über deren Leistungspflicht herbeizuführen. Es fehlt daher an dem erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Kostenlast der Klägerin und der ablehnenden Entscheidung der Beklagten.
Für die anschließende Zeit ab 4.8.2006 besteht ebenfalls kein Anspruch auf Er-stattung der Kosten. Denn der Anspruch auf Kostenerstattung reicht nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (st. Rspr. BSG 16.12.2008 - B 1 KR 11/08 R, juris Rn. 12 m.w.N.). Die Klägerin hatte jedoch keinen Anspruch auf eine entsprechende Naturalleistung nach § 31 SGB V. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei dem Mittel "Algonot plus" um ein Arzneimittel oder ein Lebensmittel handelt.
Handelt es sich bei "Algonot plus" um ein Arzneimittel, dann fällt es mangels arzneimittelrechtlicher Zulassung nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung. Ein Arzneimittel, das nach den arzneimittelrechtlichen Vorschriften der arzneimittelrechtlichen Zulassung bedarf (§ 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz - AMG), unterfällt der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nur, wenn die erforderliche Zulassung erteilt wurde. Ohne die erforderliche arzneimit-telrechtliche Zulassung fehlt es - auch unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 6.12.2005 (- 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 24) - an der krankenversicherungsrechtlichen Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Therapie mit diesem Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 und des § 12 Abs. 1 SGB V (BSG 16.12.2008 - B 1 KN 3/07 KR R, juris Rn. 29 m.w.N.). Da "Algonot plus" im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht wird, ist es, wenn es überhaupt als Arzneimittel zu werten wäre, ein Fertigarzneimittel (§ 4 Abs. 1 AMG), das gemäß § 21 Abs. 1 AMG der deutschen bzw. europäischen Zulassung bedürfte. Eine solche Zulassung liegt nach den unwidersprochenen Feststellungen des MDK nicht vor.
Bei MS handelt es sich auch nicht um den sog. Seltenheitsfall einer Krankheit, die weltweit nur extrem selten auftritt und die deshalb im nationalen wie im internationalen Rahmen weder systematisch erforscht noch systematisch behandelt werden kann und bei der deshalb eine erweiterte Leistungspflicht der Krankenkassen in Betracht zu ziehen wäre (BSG 27.3.2007 - B 1 KR 17/06 R, juris Rn. 17 m.w.N.).
Ungeachtet der Schwere der Erkrankung liegt bei der Klägerin auch keine besonders schwere Erkrankung vor, die einen arzneimittelrechtlich zulässigen Einzelim-port nach § 73 Abs. 3 AMG von "Algonot plus" als Fertigarzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung durch grundrechtsorientierte Auslegung ermög-lichen würde. Gerechtfertigt ist eine solche verfassungskonforme Auslegung nur, wenn eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt und zudem eine notstandsähnliche Situation besteht, in der nach den konkreten Umständen des Falles die Gefahr besteht, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Ähnliches kann für den ggf. gleichzustellenden, nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten. Weiter muss eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht wenigstens auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krank-heitsverlauf bestehen (zum Ganzen BSG a.a.O Rn. 23). Daran fehlt es bei der Klägerin.
Nach dem Vorbringen der Klägerin ist bisher auf Grund der MS ein Verlust der Gehfunktion nur zeitweise eingetreten, es sind nur Einschränkungen des Sehvermögens eingetreten. Dass ein dauerhafter Verlust der Gehfunktion oder ein dauerhafter vollständiger Verlust des Sehvermögens innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit drohen würde, ist von der Klägerin nicht geltend gemacht. Aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen und der Art der Erkrankung ergeben sich hierfür ebenfalls keine Anhaltspunkte (vgl. auch BSG 27.3.2007 - B 1 KR 17/06, juris Rn. 23 ff.). Ungeachtet der bei der Klägerin vorliegenden erheblichen krankheitsbedingten Beeinträchtigungen sind daher die besonderen Voraussetzungen für eine notstandsähnliche Situation nicht erfüllt. Zudem liegen nach den Feststellungen des MDK keine qualifizierten Stu-dien über die Wirksamkeit von "Algonot plus" vor. Es fehlt daher auch an einer nicht ganz fern liegenden Aussicht auf eine positive Einwirkung des Mittels auf den Krankheitsverlauf.
Ist das Mittel "Algonot plus" nicht als Arzneimittel, sondern stattdessen als Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel zu werten, unterfällt die Versorgung damit ebenfalls nicht der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Versorgung mit Lebensmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln, sogenannter Krankenkost und diätetischen Lebensmitteln fällt, auch wenn damit therapeutische Nebeneffekte verbunden sind, grundsätzlich nicht in die Leistungspflicht der ge-setzlichen Krankenversicherung (BSG 16.12.2008 - B 1 KN 3/07 KR R, juris Rn. 38 ff.; vgl. Nr. 15.1 Arzneimittel-Richtlinie - AM-RL - , in der im streitgegen-ständlichen Zeitraum maßgeblichen Fassung vom 31.8.1993, BAnz. Nr. 246 S. 11155, geändert am 25.8.2005, BAnz. 2005 S. 13241, in Kraft getreten zum 1.10.2005). Etwas anderes gilt nur dann, wenn dies durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes ausdrücklich bestimmt ist. Soweit nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V (in den hier maßgeblichen bis 30.6.2008 geltenden Fassungen) in Verbindung mit den Bestimmungen der AM-RL für Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate, Elementardiäten und Sondennahrung Ausnahmen galten, sind diese für das hier fragliche Mittel "Algonot plus" nicht einschlägig (zur hier nicht erheblichen Nichtig-keit der AM-RL, soweit sie die Leistungspflicht der Krankenkassen gegenüber dem zuvor geltenden Recht ausdehnen: BSG a.a.O Rn. 43 ff.). Nach den Herstellerangaben (www.algonot.com/ products.php recherchiert am 14.8.2009) enthält "Algonot plus" Glucosamin- und Chondroitin-Sulfate sowie Quercetin und Olivenkernöl. Diese Bestandteile fallen nicht unter die in den Richtlinien genannten Ausnahmen; bei dem Mittel handelt es sich auch nicht um eine Elementardiät oder eine Sondennahrung.
Eine weitergehende Leistungspflicht ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6.12.2005 (- 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 24). Auch das Bundesverfassungsgericht hält eine verfassungskonforme Erweiterung der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nur in einer notstandsähnlichen Situation für geboten, die - wie bereits ausgeführt - im vorliegenden Fall nicht vorlag.
Die Bedenken der Klägerin gegen die Rechtmäßigkeit der Arzneimittel-Richtlinie vermag der Senat nicht zu teilen. Insbesondere war der Gemeinsame Bundesausschuss weder durch das SGB V noch von Verfassungs wegen verpflichtet, "Algonot plus" als Lebensmittel oder als arzneimittelrechtlich in Deutschland nicht zuge-lassenes Arzneimittel in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversiche-rung zu übernehmen (vgl. dazu ausführlich BSG 16.12.2008 a.a.O. Rn. 50 ff. m.w.N. auch zur verfassungsrechtlichen Rechtsprechung).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
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