Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
S 5 KR 50/14
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 KR 95/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative i.S.d. § 137 Abs. 3 SGB V verlangt das Vorliegen kontrollierter Studien, die für die Wirksamkeit der Methode sprechen, wobei auch nicht randomisierte Studien ausreichen können.
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 19.3.2015 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist ein Anspruch auf eine stationäre Liposuktion im Bereich der Oberschenkel.
Die 1975 geborene Klägerin, bei der Beklagten krankenversichert, leidet an beidseitigen oberschenkelbetonten Lipödemen III. Grades der Beine, zu deren Behandlung sie eine komplexe physikalische Entstauungstherapie mit Kompressionstherapie durch eine angepasste Kompressionsstrumpfhose, manuelle und maschinelle Lymphdrainage und Entstauungsübungen durchführte. Im Mai 2013 beantragte sie bei der Beklagten eine Liposuktion. Sie legte einen Arztbrief der Gefäßpraxis K /Dr B vom März 2013 und eine Bescheinigung von Dr R /Ärztin A vom April 2013 vor, die eine Liposuktionsbehandlung befürwortet hatten. Dr R /Ärztin A hatten eine Liposuktion der Oberschenkel in ca vier bis fünf Sitzungen im Abstand von drei bis vier Monaten unter stationären Bedingungen empfohlen. Zur Reduktion des Operationsrisikos hatten sie zu einer weiteren Gewichtsreduktion geraten.
Die Ärztin im Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Dr H verneinte in ihrer Stellungnahme nach Aktenlage vom Juni 2013 eine medizinische Indikation für eine Liposuktion und empfahl eine Gewichtsabnahme; konservative Behandlungen seien ausreichend und zweckmäßig. Darauf gestützt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27.6.2013 die Übernahme der Kosten einer stationären Liposuktionsbehandlung ab. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Daraufhin veranlasste die Beklagte eine Begutachtung der Klägerin durch die Ärztin im MDK Dr B (persönliche Untersuchung am 6.8.2013). Diese führte aus: Ein positiver Effekt der Liposuktion sei nicht belegt. Es sei zu erwarten, dass nach einer Liposuktion weiterhin Kompressionsbehandlung und Lymphdrainage erforderlich seien. Die Liposuktion könne sozialmedizinisch nicht empfohlen werden. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 9.1.2014 zurück.
Mit ihrer am 5.2.2014 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Durch Urteil vom 19.3.2015 hat das Sozialgericht (SG) Koblenz die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die begehrte Liposuktionsbehandlung nach § 27 Abs 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Da es für eine ambulante Liposuktion an der erforderlichen Empfehlung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) fehle, gehöre diese nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Aber auch eine stationäre Liposuktion sei nicht von deren Leistungsspektrum erfasst. Denn sie entspreche nicht dem Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot des § 2 Abs 1 SGB V. Dies ergebe sich aus dem Gutachten Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen" der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 (Methoden- und Produktbewertung) der MDK-Gemeinschaft vom 6.10.2011, aktualisiert am 15.1.2015.
Gegen dieses ihren Prozessbevollmächtigten am 2.4.2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 4.5.2015 (Montag) eingelegte Berufung der Klägerin. Die Beklagte hat eine gutachtliche Stellungnahme der Ärztin im MDK Dr H vom Januar 2016 vorgelegt. Darin heißt es: Eine stationäre Behandlung sei zur Durchführung einer Liposuktion medizinisch nie indiziert, da der Eingriff ambulant möglich sei. Auch unter Beachtung der Neuregelung des § 137c Abs 3 SGB V ergebe sich keine andere Beurteilung. Die Liposuktion sei primär ein Verfahren der ästhetisch-plastischen Chirurgie und diene auch der Verbesserung der äußeren Körperform. Die Leitlinien der phlebologischen Gesellschaft seien für die gesetzliche Krankenversicherung nicht richtungweisend. Die evidenzbasierte Bewertung der Methode stehe noch aus. Eine Kostenübernahme sei auch weiterhin nicht zu empfehlen. Im vorliegenden Einzelfall sollten eine weitere Gewichtsabnahme sowie eine Fortführung der konservativen Behandlung mittels Kompression und Lymphdrainagen erfolgen. Diese Therapie sei ausreichend und zweckmäßig.
Im Anschluss daran hat der Senat auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten von Prof Dr S (Universitäts-Hautklinik S B ) angefordert. Dieses Gutachten ist im Oktober 2016 von Prof Dr B (mit Ärztin R ) von derselben Klinik erstattet worden, der ausgeführt hat: Die Klägerin leide an schmerzhaften Lipödemen beider Oberschenkel und des Gesäßes. Die konservativen Therapiemöglichkeiten seien ausgeschöpft, sodass die Liposuktion eine Behandlungsalternative zur Ödem- und Schmerzreduktion darstelle. Nach der aktuellen AWMF-Leitlinie sei eine Liposuktion insbesondere dann angezeigt, wenn trotz konsequent durchgeführter konservativer Therapie noch Beschwerden bestünden bzw wenn eine Progredienz von Befund und/oder Beschwerden eintrete. Zur Liposuktion gebe es bisher keine Evidenzbelege aus randomisiert kontrollierten Studien. Jedoch lägen retrospektive Datenanalysen sowie Fallberichte vor, auf die sich auch die aktuelle AWMF-Leitlinie beziehe. Bei der Klägerin sei eine stationäre Durchführung der Liposuktion erforderlich. Aufgrund der kardialen Vorerkrankung der Klägerin an einem WPW-Syndrom (Wolff-Parkinson-White Syndrom: Anomalie des Erregungsleitungssystems des Herzens) und des ausgeprägten Befundes des Lipödems bestünden medizinische Risiken, die eine stationäre Behandlung notwendig machten. Konservative Maßnahmen seien ausgeschöpft. Die Beteiligten haben erklärt, auf eine Rüge der Weitergabe des Gutachtensauftrages von Prof Dr S an Prof Dr B zu verzichten.
Die Klägerin trägt vor: Sie stütze sich auf das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) vom 5.2.2013 (L 1 KR 391/12) und insbesondere auf das Gutachten des Prof Dr B. Es könne nicht angehen, dass in Fällen wie dem vorliegenden der Anspruch ohne eingehende Einzelfallprüfung abgelehnt werde. Ohne Erfolg wende die Beklagte ein, es seien nicht alle konservativen Behandlungsmaßnahmen durchgeführt worden. Ihr sei zuletzt am 19.7.2016 eine Kompressionsstrumpfhose angepasst worden. Zuvor habe sie am 19.8.2014 eine neue Strumpfhose erhalten. Der Verschleiß habe sich in der Zwischenzeit in Grenzen gehalten, weshalb es nicht erforderlich gewesen sei, die Stumpfhose zwischendurch abnutzungsbedingt zu ersetzen, zumal sich die Beinumfangmaße seither nicht nennenswert verändert hätten. Sie verwende jetzt ein Lympha-Press-Gerät (Apparat zur Kompressionstherapie), das ihr verordnet worden sei, um die Durchführung manueller Lymphdrainagen zu vermeiden. So sei es ihr ermöglicht worden, die Lymphdrainage abends zu Hause durchzuführen, sodass sie intensiver stattfinden könne, als wenn sie dazu das Haus verlassen müsste. Die Therapie könne so täglich erfolgen; es sei nicht ersichtlich, dass zusätzlich noch manuelle Lymphtherapie erforderlich sei. Sie habe ihr Körpergewicht reduziert; es betrage jetzt gegenüber früher 100 kg nur noch 96,5 kg. Eine Gewichtsabnahme würde im Übrigen an dem Problem der Grunderkrankung nichts ändern.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Koblenz vom 19.3.2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27.6.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.1.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine stationäre Liposuktionsbehandlung für ihre Oberschenkel zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor: Die konservativen Behandlungsmöglichkeiten seien nicht ausgeschöpft, da der Klägerin zuletzt im April 2014 manuelle Lymphdrainage als Heilmitteltherapie verordnet worden und letztmalig im August 2014 die Versorgung mit einer Kompressions-strumpfhose der Kompressionsklasse III nach Maß erfolgt sei. Darüber hinaus seien zu ihren (der Beklagten) Lasten keinerlei konservative Behandlungsmaßnahmen verordnet worden oder eine Neuversorgung mit einer Kompressionsstrumpfhose erfolgt. Sie, die Beklagte, müsse daher davon ausgehen, dass die Therapie der Klägerin höchstens aus der Anwendung des Heimtherapiegerätes bestehe. Von einem Ausschöpfen der konservativen Behandlungsmethoden in Bezug auf Umfang und Dauer könne nach ihrer Ansicht keine Rede sein. Weiter sei festzustellen, dass die empfohlene Gewichtsreduktion offenbar nicht stattgefunden habe. Prof Dr B habe im Übrigen die Risiken, die nach seiner Auffassung eine stationäre Durchführung der Liposuktion erforderlich machten, nicht nachvollziehbar aufgezeigt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143 ff, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte stationäre Liposuktion.
Soweit es um einen Anspruch auf der Grundlage des bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VSG) vom 16.7.2015 (BGBl I 1211) am 23.7.2015 geltenden Rechts geht, nimmt der Senat gemäß § 153 Abs 2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen des SG Bezug.
Die Klägerin vermag sich auch nicht mit Erfolg auf § 137c Abs 3 Satz 1 SGB V in der Fassung des GKV-VSG zu stützen. Nach dieser Vorschrift dürfen Unter-suchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der GBA bisher keine Entscheidung nach § 137c Abs 1 SGB V getroffen hat, im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden, wenn sie das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten und ihre Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, sie also insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist. Dies gilt nach Satz 2 dieser Vorschrift sowohl für Methoden, für die noch kein Antrag nach § 137c Abs 1 Satz 1 SGB V gestellt wurde, als auch für Methoden, deren Bewertung nach § 137c Abs 1 SGB V noch nicht abgeschlossen ist. Mit § 137c Abs 3 Satz 1 SGB V hat der Gesetzgeber klargestellt, dass auch innovative Methoden angewandt werden können, für die sich noch kein Konsens in der medizinischen Wissenschaft aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien gebildet hat (vgl BT-Drucksache 18/4095 Seite 122; BT-Drucksache 18/5123, Seite 136). Das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative kann sich nach der Gesetzesbegründung etwa daraus ergeben, dass die Methode aufgrund ihres Wirkprinzips und der bisher vorliegenden Erkenntnisse mit der Erwartung verbunden ist, dass andere aufwändigere, für die Patientin oder den Patienten invasivere oder bei bestimmten Patientinnen oder Patienten nicht erfolgreiche Methoden ersetzt werden können oder die Methode in sonstiger Weise eine effektivere Behandlung ermöglichen kann (BT-Drucksache 18/4095, Seite 122).
Gegen die Anwendung des § 137c Abs 3 SGB V für die Behandlungsmethode der Liposuktion spricht bereits folgender Gesichtspunkt: Eine Besserstellung bei stationärer Behandlung gegenüber ambulanter Behandlung in Bezug auf die Anforderungen an das Qualitätsgebot i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V bedarf wegen der erforderlichen Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs 1 GG einer hinreichenden Rechtfertigung (vgl Stallberg, NZS 2017, 332, 335). Diese kann zwar grundsätzlich darin gesehen werden, dass Patienten, bei denen eine Behandlung im Krankenhaus medizinisch erforderlich ist, im Vergleich zu Patienten, bei denen eine ambulante Behandlung genügt, typischerweise an einer schwereren Erkrankung leiden (vgl BT-Drucksache 18/5123 Seite 135). Bei der Liposuktion besteht aber die Besonderheit, dass diese, von seltenen Ausnahmefällen abgesehen, die mit dem Lipödem selbst nichts zu tun haben, ambulant durchgeführt werden kann, wie aus der Stellungnahme der Ärztin im MDK Dr H vom Januar 2016 hervorgeht. Die Notwendigkeit der stationären Durchführung im vorliegenden Fall beruht allein auf der Risikovermeidung wegen einer kardialen Erkrankung (WPW-Syndrom). Soweit Prof Dr B bei der Klägerin auch den ausgeprägten Befund der Liposuktion als Grund für die Notwendigkeit einer stationären Durchführung genannt hat, überzeugt dies im Hinblick auf die Stellungnahme der Ärztin Dr H nicht, zumal Liposuktionen notfalls auch in mehreren Schritten ambulant durchgeführt werden können. Operationsrisiken aufgrund einer kardialen Erkrankung haben aber mit dem Schweregrad der Erkrankung (Lipödem) nichts zu tun. Bei einer derartigen Fallkonstellation ist eine Herabsetzung der Anforderungen an das Qualitätsgebot nicht nachvollziehbar.
Selbst wenn aber § 137c Abs 3 SGB V für Liposuktionen nicht aus diesem Grund ausgeschlossen wäre, käme der Senat zu keinem anderen Ergebnis, weil er nicht festzustellen vermag, dass die Liposuktion das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet. Dafür bedarf es objektiver Feststellungen. Eine Beweislastumkehr, wie sie der Bundesrat vorgeschlagen hatte (BT-Drucksache 18/4095, Seite 191 f), wurde mit § 137c Abs 3 SGB V nicht eingeführt (vgl Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drucksache aaO Seite 218). Da § 137c Abs 3 SGB V nach der Zweckbestimmung dieser Vorschrift gerade die Fälle betrifft, in denen noch keine gesicherten Erkenntnisse über den Nutzen einer Behandlungsmethode vorliegen (vgl BT-Drucksache aaO Seite 122), kann die Anwendbarkeit der Vorschrift zwar nicht bereits mit dem Argument verneint werden, es sei nicht belegt, dass die Methode dem Qualitätsgebot des § 2 Abs 1 SGB V entspreche (ebenso Deister NZS 2016, 328, 331; aA Axer GesR 2015, 641, 645; wohl auch LSG Baden-Württemberg 23.11.2016 – L 5 KR 1101/16, juris Rn 34). Andererseits darf die Einschätzung des Potentials nicht nur auf Vermutungen und bloßen theoretischen Annahmen beruhen (Axer aaO). Vielmehr müssen Erkenntnisse in Form aussagefähiger wissenschaftlicher Unterlagen vorliegen, aus denen sich ergibt, dass die angenommenen Vorteile der Methode bei bestimmten Patientengruppen erreicht werden können (vgl Sächsisches LSG 6.2.2017 L 1 KR 242/16 B ER, juris Rn 31). Dies folgt daraus, dass nach der Gesetzesbegründung das Wirkprinzip gilt und zudem "bisher vorliegende Erkenntnisse" erforderlich sind (BT-Drucksache 18/4095 aaO).
Erforderlich ist nach Auffassung des Senats im vorliegenden Zusammenhang die auf Studien gestützte Annahme, die betreffende Methode werde zu einem patientenrelevanten oder wirtschaftlichen Vorteil gegenüber der etablierten Standardbehandlung führen (ebenso Deister aaO). Bloße Expertenmeinungen und Einzelfallbeurteilungen enthalten regelmäßig eine so geringe Evidenz, dass ihnen keine relevante Aussagekraft zukommt. In der Potentialbewertung zu berücksichtigen sind aber auch nicht randomisierte Studien, dh Studien ohne Zuordnung der Behandlungsgruppe nach dem Zufallsprinzip. Dafür spricht, dass das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) nicht randomisierte Studien in die Potentialbewertung einbezieht (IQWIG, Methodenpapier 4.2, Seite 70). Dagegen reicht eine nicht kontrollierte Studie, dh eine Studie, bei der kein Vergleich mit einer Kontrollgruppe enthalten ist, im Regelfall nicht aus, weil es sich letztlich nur um Fallbeobachtungen, wenn auch bezüglich mehrerer Patienten handelt.
Ausgehend von diesen Grundsätzen kann das Potential einer erfolgreichen Behandlungsmethode für die Liposuktion nicht festgestellt werden. Nach der Aktualisierung des Gutachtens der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 "Methoden- und Produktbewertung" vom 15.1.2015 (Seite 42) gibt es prospektiv kontrollierte Studien nur zu zwei Krankheitsbildern (Lipomatosis dolorosa und sekundäre Lymphödeme nach Therapie des Mammakarzinoms), die bei der Klägerin nicht vorliegen. Zur Therapie des klassischen Lipödems sind lediglich die Ergebnisse kleiner Fallserien und Register (unkontrollierte Beobachtungsstudien) publiziert. Dem entspricht auch die Feststellung im Gutachten von Prof Dr B , wonach es für die Liposuktion bisher keinerlei Evidenzbelege aus randomisiert kontrollierten Studien gibt und lediglich retrospektive Datenanalysen und Fallberichte vorhanden sind. Gegen das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative spricht auch, dass der GBA zwar die Einleitung eines Verfahrens zur Bewertung der Liposuktion bei Lipödem gemäß § 137c Abs 1 Satz 1 SGB V am 22.5.2014 beschlossen, aber keine Erprobungsrichtlinie nach § 137c Abs 1 Satz 3, § 137e SGB V erlassen hat, wie es im Falle des Potentials einer erforderlichen Behandlungsalternative notwendig gewesen wäre.
Bei der gegebenen Sachlage genügt es auch nicht, dass die Liposuktion nach der S1-Leitlinie Lipödem (AWMF Registernummer 037-012) als Therapieoption benannt ist (zweifelnd auch Sächsisches LSG 6.2.2017 – L 1 KR 242/16 B ER, juris Rn 31; aA LSG Niedersachsen-Bremen 22.3.2016 – L 4 KR 438/13, juris Rn 31). Ob § 137c Abs 3 SGB V nur für schwer erkrankte Versicherte mit besonderem Versorgungsbedarf eingreift (so LSG Niedersachsen-Bremen 30.8.2016 – L 16/1 KR 303/15, juris Rn 33), kann offenbleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist ein Anspruch auf eine stationäre Liposuktion im Bereich der Oberschenkel.
Die 1975 geborene Klägerin, bei der Beklagten krankenversichert, leidet an beidseitigen oberschenkelbetonten Lipödemen III. Grades der Beine, zu deren Behandlung sie eine komplexe physikalische Entstauungstherapie mit Kompressionstherapie durch eine angepasste Kompressionsstrumpfhose, manuelle und maschinelle Lymphdrainage und Entstauungsübungen durchführte. Im Mai 2013 beantragte sie bei der Beklagten eine Liposuktion. Sie legte einen Arztbrief der Gefäßpraxis K /Dr B vom März 2013 und eine Bescheinigung von Dr R /Ärztin A vom April 2013 vor, die eine Liposuktionsbehandlung befürwortet hatten. Dr R /Ärztin A hatten eine Liposuktion der Oberschenkel in ca vier bis fünf Sitzungen im Abstand von drei bis vier Monaten unter stationären Bedingungen empfohlen. Zur Reduktion des Operationsrisikos hatten sie zu einer weiteren Gewichtsreduktion geraten.
Die Ärztin im Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Dr H verneinte in ihrer Stellungnahme nach Aktenlage vom Juni 2013 eine medizinische Indikation für eine Liposuktion und empfahl eine Gewichtsabnahme; konservative Behandlungen seien ausreichend und zweckmäßig. Darauf gestützt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27.6.2013 die Übernahme der Kosten einer stationären Liposuktionsbehandlung ab. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Daraufhin veranlasste die Beklagte eine Begutachtung der Klägerin durch die Ärztin im MDK Dr B (persönliche Untersuchung am 6.8.2013). Diese führte aus: Ein positiver Effekt der Liposuktion sei nicht belegt. Es sei zu erwarten, dass nach einer Liposuktion weiterhin Kompressionsbehandlung und Lymphdrainage erforderlich seien. Die Liposuktion könne sozialmedizinisch nicht empfohlen werden. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 9.1.2014 zurück.
Mit ihrer am 5.2.2014 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Durch Urteil vom 19.3.2015 hat das Sozialgericht (SG) Koblenz die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die begehrte Liposuktionsbehandlung nach § 27 Abs 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Da es für eine ambulante Liposuktion an der erforderlichen Empfehlung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) fehle, gehöre diese nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Aber auch eine stationäre Liposuktion sei nicht von deren Leistungsspektrum erfasst. Denn sie entspreche nicht dem Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot des § 2 Abs 1 SGB V. Dies ergebe sich aus dem Gutachten Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen" der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 (Methoden- und Produktbewertung) der MDK-Gemeinschaft vom 6.10.2011, aktualisiert am 15.1.2015.
Gegen dieses ihren Prozessbevollmächtigten am 2.4.2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 4.5.2015 (Montag) eingelegte Berufung der Klägerin. Die Beklagte hat eine gutachtliche Stellungnahme der Ärztin im MDK Dr H vom Januar 2016 vorgelegt. Darin heißt es: Eine stationäre Behandlung sei zur Durchführung einer Liposuktion medizinisch nie indiziert, da der Eingriff ambulant möglich sei. Auch unter Beachtung der Neuregelung des § 137c Abs 3 SGB V ergebe sich keine andere Beurteilung. Die Liposuktion sei primär ein Verfahren der ästhetisch-plastischen Chirurgie und diene auch der Verbesserung der äußeren Körperform. Die Leitlinien der phlebologischen Gesellschaft seien für die gesetzliche Krankenversicherung nicht richtungweisend. Die evidenzbasierte Bewertung der Methode stehe noch aus. Eine Kostenübernahme sei auch weiterhin nicht zu empfehlen. Im vorliegenden Einzelfall sollten eine weitere Gewichtsabnahme sowie eine Fortführung der konservativen Behandlung mittels Kompression und Lymphdrainagen erfolgen. Diese Therapie sei ausreichend und zweckmäßig.
Im Anschluss daran hat der Senat auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten von Prof Dr S (Universitäts-Hautklinik S B ) angefordert. Dieses Gutachten ist im Oktober 2016 von Prof Dr B (mit Ärztin R ) von derselben Klinik erstattet worden, der ausgeführt hat: Die Klägerin leide an schmerzhaften Lipödemen beider Oberschenkel und des Gesäßes. Die konservativen Therapiemöglichkeiten seien ausgeschöpft, sodass die Liposuktion eine Behandlungsalternative zur Ödem- und Schmerzreduktion darstelle. Nach der aktuellen AWMF-Leitlinie sei eine Liposuktion insbesondere dann angezeigt, wenn trotz konsequent durchgeführter konservativer Therapie noch Beschwerden bestünden bzw wenn eine Progredienz von Befund und/oder Beschwerden eintrete. Zur Liposuktion gebe es bisher keine Evidenzbelege aus randomisiert kontrollierten Studien. Jedoch lägen retrospektive Datenanalysen sowie Fallberichte vor, auf die sich auch die aktuelle AWMF-Leitlinie beziehe. Bei der Klägerin sei eine stationäre Durchführung der Liposuktion erforderlich. Aufgrund der kardialen Vorerkrankung der Klägerin an einem WPW-Syndrom (Wolff-Parkinson-White Syndrom: Anomalie des Erregungsleitungssystems des Herzens) und des ausgeprägten Befundes des Lipödems bestünden medizinische Risiken, die eine stationäre Behandlung notwendig machten. Konservative Maßnahmen seien ausgeschöpft. Die Beteiligten haben erklärt, auf eine Rüge der Weitergabe des Gutachtensauftrages von Prof Dr S an Prof Dr B zu verzichten.
Die Klägerin trägt vor: Sie stütze sich auf das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) vom 5.2.2013 (L 1 KR 391/12) und insbesondere auf das Gutachten des Prof Dr B. Es könne nicht angehen, dass in Fällen wie dem vorliegenden der Anspruch ohne eingehende Einzelfallprüfung abgelehnt werde. Ohne Erfolg wende die Beklagte ein, es seien nicht alle konservativen Behandlungsmaßnahmen durchgeführt worden. Ihr sei zuletzt am 19.7.2016 eine Kompressionsstrumpfhose angepasst worden. Zuvor habe sie am 19.8.2014 eine neue Strumpfhose erhalten. Der Verschleiß habe sich in der Zwischenzeit in Grenzen gehalten, weshalb es nicht erforderlich gewesen sei, die Stumpfhose zwischendurch abnutzungsbedingt zu ersetzen, zumal sich die Beinumfangmaße seither nicht nennenswert verändert hätten. Sie verwende jetzt ein Lympha-Press-Gerät (Apparat zur Kompressionstherapie), das ihr verordnet worden sei, um die Durchführung manueller Lymphdrainagen zu vermeiden. So sei es ihr ermöglicht worden, die Lymphdrainage abends zu Hause durchzuführen, sodass sie intensiver stattfinden könne, als wenn sie dazu das Haus verlassen müsste. Die Therapie könne so täglich erfolgen; es sei nicht ersichtlich, dass zusätzlich noch manuelle Lymphtherapie erforderlich sei. Sie habe ihr Körpergewicht reduziert; es betrage jetzt gegenüber früher 100 kg nur noch 96,5 kg. Eine Gewichtsabnahme würde im Übrigen an dem Problem der Grunderkrankung nichts ändern.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Koblenz vom 19.3.2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27.6.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.1.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine stationäre Liposuktionsbehandlung für ihre Oberschenkel zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor: Die konservativen Behandlungsmöglichkeiten seien nicht ausgeschöpft, da der Klägerin zuletzt im April 2014 manuelle Lymphdrainage als Heilmitteltherapie verordnet worden und letztmalig im August 2014 die Versorgung mit einer Kompressions-strumpfhose der Kompressionsklasse III nach Maß erfolgt sei. Darüber hinaus seien zu ihren (der Beklagten) Lasten keinerlei konservative Behandlungsmaßnahmen verordnet worden oder eine Neuversorgung mit einer Kompressionsstrumpfhose erfolgt. Sie, die Beklagte, müsse daher davon ausgehen, dass die Therapie der Klägerin höchstens aus der Anwendung des Heimtherapiegerätes bestehe. Von einem Ausschöpfen der konservativen Behandlungsmethoden in Bezug auf Umfang und Dauer könne nach ihrer Ansicht keine Rede sein. Weiter sei festzustellen, dass die empfohlene Gewichtsreduktion offenbar nicht stattgefunden habe. Prof Dr B habe im Übrigen die Risiken, die nach seiner Auffassung eine stationäre Durchführung der Liposuktion erforderlich machten, nicht nachvollziehbar aufgezeigt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143 ff, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte stationäre Liposuktion.
Soweit es um einen Anspruch auf der Grundlage des bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VSG) vom 16.7.2015 (BGBl I 1211) am 23.7.2015 geltenden Rechts geht, nimmt der Senat gemäß § 153 Abs 2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen des SG Bezug.
Die Klägerin vermag sich auch nicht mit Erfolg auf § 137c Abs 3 Satz 1 SGB V in der Fassung des GKV-VSG zu stützen. Nach dieser Vorschrift dürfen Unter-suchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der GBA bisher keine Entscheidung nach § 137c Abs 1 SGB V getroffen hat, im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden, wenn sie das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten und ihre Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, sie also insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist. Dies gilt nach Satz 2 dieser Vorschrift sowohl für Methoden, für die noch kein Antrag nach § 137c Abs 1 Satz 1 SGB V gestellt wurde, als auch für Methoden, deren Bewertung nach § 137c Abs 1 SGB V noch nicht abgeschlossen ist. Mit § 137c Abs 3 Satz 1 SGB V hat der Gesetzgeber klargestellt, dass auch innovative Methoden angewandt werden können, für die sich noch kein Konsens in der medizinischen Wissenschaft aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien gebildet hat (vgl BT-Drucksache 18/4095 Seite 122; BT-Drucksache 18/5123, Seite 136). Das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative kann sich nach der Gesetzesbegründung etwa daraus ergeben, dass die Methode aufgrund ihres Wirkprinzips und der bisher vorliegenden Erkenntnisse mit der Erwartung verbunden ist, dass andere aufwändigere, für die Patientin oder den Patienten invasivere oder bei bestimmten Patientinnen oder Patienten nicht erfolgreiche Methoden ersetzt werden können oder die Methode in sonstiger Weise eine effektivere Behandlung ermöglichen kann (BT-Drucksache 18/4095, Seite 122).
Gegen die Anwendung des § 137c Abs 3 SGB V für die Behandlungsmethode der Liposuktion spricht bereits folgender Gesichtspunkt: Eine Besserstellung bei stationärer Behandlung gegenüber ambulanter Behandlung in Bezug auf die Anforderungen an das Qualitätsgebot i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V bedarf wegen der erforderlichen Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs 1 GG einer hinreichenden Rechtfertigung (vgl Stallberg, NZS 2017, 332, 335). Diese kann zwar grundsätzlich darin gesehen werden, dass Patienten, bei denen eine Behandlung im Krankenhaus medizinisch erforderlich ist, im Vergleich zu Patienten, bei denen eine ambulante Behandlung genügt, typischerweise an einer schwereren Erkrankung leiden (vgl BT-Drucksache 18/5123 Seite 135). Bei der Liposuktion besteht aber die Besonderheit, dass diese, von seltenen Ausnahmefällen abgesehen, die mit dem Lipödem selbst nichts zu tun haben, ambulant durchgeführt werden kann, wie aus der Stellungnahme der Ärztin im MDK Dr H vom Januar 2016 hervorgeht. Die Notwendigkeit der stationären Durchführung im vorliegenden Fall beruht allein auf der Risikovermeidung wegen einer kardialen Erkrankung (WPW-Syndrom). Soweit Prof Dr B bei der Klägerin auch den ausgeprägten Befund der Liposuktion als Grund für die Notwendigkeit einer stationären Durchführung genannt hat, überzeugt dies im Hinblick auf die Stellungnahme der Ärztin Dr H nicht, zumal Liposuktionen notfalls auch in mehreren Schritten ambulant durchgeführt werden können. Operationsrisiken aufgrund einer kardialen Erkrankung haben aber mit dem Schweregrad der Erkrankung (Lipödem) nichts zu tun. Bei einer derartigen Fallkonstellation ist eine Herabsetzung der Anforderungen an das Qualitätsgebot nicht nachvollziehbar.
Selbst wenn aber § 137c Abs 3 SGB V für Liposuktionen nicht aus diesem Grund ausgeschlossen wäre, käme der Senat zu keinem anderen Ergebnis, weil er nicht festzustellen vermag, dass die Liposuktion das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet. Dafür bedarf es objektiver Feststellungen. Eine Beweislastumkehr, wie sie der Bundesrat vorgeschlagen hatte (BT-Drucksache 18/4095, Seite 191 f), wurde mit § 137c Abs 3 SGB V nicht eingeführt (vgl Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drucksache aaO Seite 218). Da § 137c Abs 3 SGB V nach der Zweckbestimmung dieser Vorschrift gerade die Fälle betrifft, in denen noch keine gesicherten Erkenntnisse über den Nutzen einer Behandlungsmethode vorliegen (vgl BT-Drucksache aaO Seite 122), kann die Anwendbarkeit der Vorschrift zwar nicht bereits mit dem Argument verneint werden, es sei nicht belegt, dass die Methode dem Qualitätsgebot des § 2 Abs 1 SGB V entspreche (ebenso Deister NZS 2016, 328, 331; aA Axer GesR 2015, 641, 645; wohl auch LSG Baden-Württemberg 23.11.2016 – L 5 KR 1101/16, juris Rn 34). Andererseits darf die Einschätzung des Potentials nicht nur auf Vermutungen und bloßen theoretischen Annahmen beruhen (Axer aaO). Vielmehr müssen Erkenntnisse in Form aussagefähiger wissenschaftlicher Unterlagen vorliegen, aus denen sich ergibt, dass die angenommenen Vorteile der Methode bei bestimmten Patientengruppen erreicht werden können (vgl Sächsisches LSG 6.2.2017 L 1 KR 242/16 B ER, juris Rn 31). Dies folgt daraus, dass nach der Gesetzesbegründung das Wirkprinzip gilt und zudem "bisher vorliegende Erkenntnisse" erforderlich sind (BT-Drucksache 18/4095 aaO).
Erforderlich ist nach Auffassung des Senats im vorliegenden Zusammenhang die auf Studien gestützte Annahme, die betreffende Methode werde zu einem patientenrelevanten oder wirtschaftlichen Vorteil gegenüber der etablierten Standardbehandlung führen (ebenso Deister aaO). Bloße Expertenmeinungen und Einzelfallbeurteilungen enthalten regelmäßig eine so geringe Evidenz, dass ihnen keine relevante Aussagekraft zukommt. In der Potentialbewertung zu berücksichtigen sind aber auch nicht randomisierte Studien, dh Studien ohne Zuordnung der Behandlungsgruppe nach dem Zufallsprinzip. Dafür spricht, dass das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) nicht randomisierte Studien in die Potentialbewertung einbezieht (IQWIG, Methodenpapier 4.2, Seite 70). Dagegen reicht eine nicht kontrollierte Studie, dh eine Studie, bei der kein Vergleich mit einer Kontrollgruppe enthalten ist, im Regelfall nicht aus, weil es sich letztlich nur um Fallbeobachtungen, wenn auch bezüglich mehrerer Patienten handelt.
Ausgehend von diesen Grundsätzen kann das Potential einer erfolgreichen Behandlungsmethode für die Liposuktion nicht festgestellt werden. Nach der Aktualisierung des Gutachtens der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 "Methoden- und Produktbewertung" vom 15.1.2015 (Seite 42) gibt es prospektiv kontrollierte Studien nur zu zwei Krankheitsbildern (Lipomatosis dolorosa und sekundäre Lymphödeme nach Therapie des Mammakarzinoms), die bei der Klägerin nicht vorliegen. Zur Therapie des klassischen Lipödems sind lediglich die Ergebnisse kleiner Fallserien und Register (unkontrollierte Beobachtungsstudien) publiziert. Dem entspricht auch die Feststellung im Gutachten von Prof Dr B , wonach es für die Liposuktion bisher keinerlei Evidenzbelege aus randomisiert kontrollierten Studien gibt und lediglich retrospektive Datenanalysen und Fallberichte vorhanden sind. Gegen das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative spricht auch, dass der GBA zwar die Einleitung eines Verfahrens zur Bewertung der Liposuktion bei Lipödem gemäß § 137c Abs 1 Satz 1 SGB V am 22.5.2014 beschlossen, aber keine Erprobungsrichtlinie nach § 137c Abs 1 Satz 3, § 137e SGB V erlassen hat, wie es im Falle des Potentials einer erforderlichen Behandlungsalternative notwendig gewesen wäre.
Bei der gegebenen Sachlage genügt es auch nicht, dass die Liposuktion nach der S1-Leitlinie Lipödem (AWMF Registernummer 037-012) als Therapieoption benannt ist (zweifelnd auch Sächsisches LSG 6.2.2017 – L 1 KR 242/16 B ER, juris Rn 31; aA LSG Niedersachsen-Bremen 22.3.2016 – L 4 KR 438/13, juris Rn 31). Ob § 137c Abs 3 SGB V nur für schwer erkrankte Versicherte mit besonderem Versorgungsbedarf eingreift (so LSG Niedersachsen-Bremen 30.8.2016 – L 16/1 KR 303/15, juris Rn 33), kann offenbleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
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