Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
S 13 KR 383/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 KR 140/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Genehmigungsfiktion, Einstweiliger Rechtsschutz
Zur Durchsetzung eines Anspruchs auf Grund einer Genehmigungsfiktion ist einstweiliger Rechtsschutz nach § 86b Abs. 2 SGG zu gewähren.
Zur Durchsetzung eines Anspruchs auf Grund einer Genehmigungsfiktion ist einstweiliger Rechtsschutz nach § 86b Abs. 2 SGG zu gewähren.
1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Koblenz vom 22.6.2017 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von Cannabis-Produkten entsprechend ärztlicher Verordnung längstens bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens und nur unter der Voraussetzung gilt, dass der Antragsteller in der Hauptsache bis spätestens einen Monat nach Zustellung dieses Beschlusses Klage erhebt.
2. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers auch im Beschwerdeverfahren zu tragen.
Gründe:
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin aufgrund einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) Anspruch auf Versorgung mit Cannabis hat.
Der 1983 geborene Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert. Er leidet unter Psoriasis vulgaris, Psoriasis-Arthropathie, einer Erkrankung der Haarfolikel sowie einer Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung. Mit Schreiben vom 07.04.2017, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 18.04.2017, teilte der den Antragsteller behandelnde Facharzt für Innere- und Allgemeinmedizin, Suchtmedizinische Grundversorgung, Dr. G mit, beim Antragsteller befalle die Arthritis psoriatica praktisch alle Gelenke; es komme zu rezidivierenden Schmerzattacken sowie deutlicher Morgensteifigkeit von 60 Minuten. Nach mehrfachen Behandlungsversuchen werde zurzeit eine Schmerztherapie mit Tilidin durchgeführt, die nur einigermaßen befriedigend sei, da es immer wieder zu Durchbruchschmerzen komme. Nur durch eine multimodale Schmerztherapie sei zurzeit Arbeitsfähigkeit gegeben. Nach eingehender Beschäftigung mit dem Krankheitsbild und Durchforsten der therapeutischen Alternativen halte er bei dem Antragsteller eine Therapie mit Cannabis-Produkten für sinnvoll. Er sei mit der Apotheke vor Ort im Gespräch, um eine entsprechende Beschaffungslogistik aufzubauen. Er erbitte die Zusage der Kostenübernahme.
Mit Schreiben vom 26.4.2017 teilte die Antragsgegnerin dem Arzt mit, vor der Bewilligung sei eine sozialmedizinische Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) notwendig. Hierfür werde um Beantwortung der Fragen in dem beigelegten Fragebogen gebeten. Mit Schreiben vom 5.5.2017 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, eine Entscheidung über seinen Antrag sei innerhalb der gesetzlichen Drei-Wochen-Frist leider nicht möglich, weil sein Arzt bisher eine Anfrage noch nicht beantwortet habe. Sobald ihr die erforderlichen Unterlagen vorlägen, werde sie unverzüglich über den Antrag entscheiden. Am 9.5.2017 ging der vom Arzt ausgefüllte Fragebogen bei der Antragsgegnerin ein. Am 10.5.2017 übersandte die Antragsgegnerin die Unterlagen an den MDK und teilte dies dem Antragsteller mit. Der MDK kam zu dem Ergebnis, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verordnung von Cannabis nicht erfüllt seien. Es sei nicht nachvollziehbar, dass es sich um eine schwerwiegende Erkrankung handle. Als alternative, allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen stünden medikamentöse und nicht medikamentöse Verfahren zur Verfügung (u.a. multimodale Schmerztherapie, soziales Kompetenztraining bei sozialen Kompetenzdefiziten und aggressiven Verhaltensstörungen, Einzel- und/oder Gruppen-Psychotherapie ggf. auch stationär). Zu den Alternativen liege keine begründete und nachvollziehbare Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustands des Versicherten vor. Eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung von Cannabis auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome könne vorliegen. Mit Bescheid vom 31.5.2017 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag unter Hinweis auf die Beurteilung des MDK ab.
Am 6.6.2017 hat der Antragsteller hiergegen Widerspruch eingelegt und beim Sozialgericht unter Hinweis auf die seiner Auffassung nach eingetretene Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Mit Beschluss vom 22.6.2017 hat das Sozialgericht Koblenz die Antragsgegnerin vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens verpflichtet, den Antragsteller mit einer Cannabis-Therapie entsprechend der Empfehlung von Dr. G vom 7.4.2017 zu versorgen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die begehrte einstweilige Anordnung sei zu erlassen, da der geltend gemachte Anspruch bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichend wahrscheinlich und die für den Fall des Unterbleibens der Leistung drohenden Nachteile für den Antragsteller schlechthin unzumutbar seien. Der Anspruch ergebe sich aus § 13 Abs. 3a SGB V. Der am 18.4.2017 bei der Antragsgegnerin eingegangene Antrag sei hinreichend bestimmt. Hierfür reiche es aus, dass aus dem Antrag erkennbar sei, dass und welche Leistungen der Leistungsberechtigte begehre. Die Anforderung weiterer Unterlagen durch die Antragsgegnerin habe nicht zu einer Verlängerung der Entscheidungsfrist geführt. Das Fehlen einer förmlichen ärztlichen Verordnung sei unschädlich; es genüge, dass der Arzt sich für die beantragte Therapie ausgesprochen habe. § 13 Abs. 3a SGB V begründe sowohl einen Kostenerstattungs- als auch einen Sachleistungsanspruch und zwar unabhängig davon, ob die begehrte Leistung medizinisch zwingend notwendig oder wirtschaftlich sinnvoll sei. Es liege auch ein Anordnungsgrund vor, da der Antragsteller unter erheblichen Schmerzen leide und nur durch die begehrte Therapie seine Arbeitsfähigkeit erhalten werden könne.
Gegen den Beschluss hat die Antragsgegnerin am 23.6.2017 Beschwerde eingelegt. Sie bezieht sich auf ihr bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, der Antrag des Antragstellers sei nicht fiktionsfähig, da er nicht hinreichend bestimmt sei; aus ihm ergebe sich auch nicht im Wege der Auslegung, für wen welche Leistungen in welchem Umfang erbracht werden solle. In dem ursprünglichen Antrag des Antragstellers sei nur allgemein von "medizinischen Cannabis-Produkten" die Rede gewesen. Eine Konkretisierung sei erst in der Arztauskunft vom 9.5.2017 auf "Cannabisblüten der Sorte Bedrocan in einem Umfang von zwei Gramm Blüten pro Tag" erfolgt. Gerechnet von diesem Zeitpunkt sei der Bescheid vom 31.5.2017 innerhalb der Fünf-Wochen-Frist ergangen. Die Ablehnung der Leistung sei unter Berücksichtigung der Stellungnahme des MDK zu Recht erfolgt. Zudem liege kein Anordnungsgrund vor. Der Antragsteller habe nicht belegt, dass er seinen Arbeitsplatz nur bei Verordnung von Cannabis-Blüten erhalten könne. Auch habe er nicht belegt, dass er finanziell nicht in der Lage sei, sich die Cannabisblüten wie bisher selbst auf eigene Kosten zu beschaffen. Der Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung sei zu unbestimmt, da er nicht erkennen lasse, mit welcher Art von Cannabis-Therapie der Antragsteller zu versorgen sei. Das Sozialgericht habe nicht geprüft, ob dem Antragsteller nicht jedenfalls vorerst auch mit dem wesentlich günstigeren und allgemein in der Schmerztherapie bewährten Dronabinol (Wirkstoff THC) geholfen werden könnte.
Der Antragsteller trägt vor, sein Antrag vom 7.4.2017 sei hinreichend bestimmt gewesen. Zu berücksichtigen sei, dass § 31 Abs. 6 SGB V eine Genehmigung durch die Krankenkasse nur bei der ersten Verordnung fordere; dabei gehe es also nicht um die Frage, in welcher Form und in welcher Dosis Cannabis eingesetzt werden solle. Es sei Aufgabe des verordnenden Arztes, das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V zu berücksichtigen. Die Leistung sei auch eilbedürftig. Ohne die Cannabistherapie drohten ihm schwere gesundheitliche Nachteile sowie der Verlust des Arbeitsplatzes. Zudem habe er in den vergangenen Jahren unter anderem auch durch den Erwerb von Cannabis, erhebliche Schulden angesammelt. Es sei ihm daher nicht weiter möglich, mehr als 1000 EUR für seinen Cannabisbedarf aufzubringen. Im Übrigen sei die begehrte einstweilige Anordnung auch im Rahmen einer gebotenen Folgenabwägung zu erlassen.
Der Antragsteller hat eine Bescheinigung seines Arbeitgebers vom 21.6.2017 vorgelegt, wonach sein Arbeitsverhältnis nur aufrechterhalten werden könne, wenn ihm die Kostenübernahme der Krankenkasse für die dringend notwendige Medikation erteilt werde; anderenfalls müsse das Arbeitsverhältnis aufgrund der unzureichenden Leistungs- und Einsatzfähigkeit beendet werden. Weiter hat er ein Attest des Facharztes für Innere Medizin E vom 21.6.2017 vorgelegt, wonach durch seine Psoriarisarthritis ein chronisches Schmerzsyndrom mit Beeinträchtigung der Konzentration und der Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz bestehe. In der Vergangenheit seien erfolglos verschiedene Schmerzmittel ausgetestet worden. Durch den Einsatz von Cannabis-Arzneimitteln sei der Antragsteller in der Lage, seinen Verpflichtungen am Arbeitsplatz nachzukommen. Ohne diese Arzneimittel sei eine regelmäßige Tätigkeit nicht möglich und der Arbeitsplatz gefährdet.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts verweist der Senat auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin, der Gegenstand der Beratung war.
II. Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin zu Recht verpflichtet, den Antragsteller vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens mit einer Cannabistherapie zu versorgen. Es war lediglich klarzustellen, dass diese Verpflichtung nur entsprechend einer jeweils auszustellenden ärztlichen Verordnung und nur bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens gilt. Zudem war die Fortgeltung der Verpflichtung davon abhängig zu machen, dass der Antragsteller Klage erhebt.
1. Das Sozialgericht ist zu Recht von der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgegangen. Dem Antragsteller steht keine einfachere Möglichkeit zur Durchsetzung seiner Rechte zur Verfügung. Wie noch auszuführen sein wird, ist bei der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung davon auszugehen, dass der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin auf Grund einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V Anspruch auf Versorgung mit Cannabis hat. Rechtsfolge der Genehmigungsfiktion ist ein Verwaltungsakt, der eigenständig einen dem Antrag entsprechenden Naturalleistungsanspruch begründet (BSG 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R, Terminbericht). Für den Antragsteller ist eine unmittelbare Vollstreckung aus diesem (fiktiven) Verwaltungsakt nicht möglich. Denn § 66 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) regelt nur die Vollstreckung zugunsten der Behörde, nicht aber gegen eine Behörde oder juristische Person des öffentlichen Rechts. Erfüllt ein Sozialversicherungsträger einen bindend festgestellten Leistungsanspruch nicht, muss der Betroffene Leistungsklage erheben oder – wenn ein Titel vorliegt – nach §§ 198 ff. SGG vorgehen (Mutschler, in KassKomm, SGB X § 66 Rn. 2-4, zitiert nach beck-online). Eine Vollstreckung nach §§ 198 ff. SGG ist hier nicht möglich, da der hier in Rede stehende Verwaltungsakt nicht zu den nach § 199 SGG genannten Vollstreckungstiteln zählt (B. Schmidt, in Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer/ Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 198 Rn. 3 m.w.N.). Zur Durchsetzung der fiktiven Genehmigung hat der Antragsteller daher nur die Möglichkeit, Leistungsklage zu erheben und zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG zu beantragen, die dann nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 SGG vollstreckbar ist. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist schon vor Erhebung der (Leistungs-) Klage zulässig (§ 86b Abs. 3 SGG).
Der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung steht die in § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG geregelte Vorrangigkeit des Rechtsschutzes nach § 86b Abs. 1 SGG nicht entgegen. Ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG liegt nur vor, wenn die Situation einer Anfechtungsklage vorliegt. Das ist hier nicht der Fall. Zwar hat die Antragsgegnerin den Antrag des Antragstellers mit ihrem Bescheid vom 31.5.2017 abgelehnt und der Antragsteller hat gegen diesen Bescheid Widerspruch erhoben. Mit dem vorliegenden Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wendet sich der Antragsteller jedoch nicht gegen diese ablehnende Entscheidung. Er macht vielmehr geltend, dass sein Antrag bereits als fiktiv genehmigt gelte. Der ablehnende Bescheid der Antragsgegnerin lässt die Wirksamkeit dieser fiktiven Genehmigung nicht entfallen (BSG 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R, juris Rn. 32). Die Antragsgegnerin hat die fingierte Genehmigung auch nicht nach §§ 45 ff. SGB V aufgehoben; die Genehmigung hat sich auch nicht durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt (vgl. dazu BSG 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R, juris Rn. 31). Der somit fortbestehende Anspruch aus der Genehmigungsfiktion ist im Hauptsacheverfahren mit der Leistungsklage geltend zu machen, eines Widerspruchsverfahrens bedarf es insoweit nicht (LSG Rheinland-Pfalz 2.3.2017 - L 5 KR 217/16, juris Rn. 11; 3.11.2016 - L 5 KR 197/15, juris Rn. 13). Dem entsprechend richtet sich die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b Abs. 2 SGG.
2. Das Sozialgericht hat auch zu Recht die Begründetheit des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz bejaht. Zu den Voraussetzungen für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Anordnungsanspruch ist zu bejahen, weil eine Leistungsklage im Hauptsacheverfahren überwiegende Aussicht auf Erfolg hat. Bei der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten ist davon auszugehen, dass der Antragsteller Anspruch auf die begehrte Versorgung mit Cannabis gemäß § 13 Abs. 3a SGB V hat.
Die Bestimmung ist anwendbar, da der Antragsteller einen Sachleistungsanspruch geltend macht, der nicht auf eine Leistung der medizinischen Rehabilitation gerichtet ist (BSG 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R, juris Rn. 16 f.). Die Voraussetzungen für den Eintritt der Genehmigungsfiktion sind erfüllt. Der Antragsteller gehört zum leistungsberechtigten Personenkreis, da er bei der Antragsgegnerin versichert ist. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist der ursprüngliche, am 18.4.2017 bei der Antragsgegnerin eingegangene Antrag bereits hinreichend bestimmt. Der Antrag ist hinreichend bestimmt, wenn sich der Inhalt der fingierten Genehmigung aus dem Antrag in Verbindung mit den einschlägigen Genehmigungsvorschriften hinreichend bestimmen lässt (BSG 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R, juris Rn. 23). Hierfür genügt es, dass das Behandlungsziel klar ist (BSG 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R, Terminbericht).
Im vorliegenden Fall ist der ursprüngliche Antrag gerichtet auf die Genehmigung der "Verordnung von medizinischen Cannabis-Produkten, die seit März 2017 erlaubt sind", wobei das konkrete Produkt von den Beschaffungsmöglichkeiten der örtlichen Apotheke abhängen sollte. In Verbindung mit der dadurch in Bezug genommenen, zum 10.3.2017 in Kraft getretenen Regelung des § 31 Abs. 6 SGB V war der Antrag somit auf Versorgung mit den dort genannten Cannabis-Produkten in Form von "getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität" sowie "Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon" gerichtet. Jedenfalls unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falls erachtet der Senat bei der hier gebotenen summarischen Prüfung diesen Antrag als hinreichend bestimmt. Durch die Bezugnahme auf § 31 Abs. 6 SGB V ist der Antrag auf die dort genannten vier Produktarten eingeschränkt. Diese sind nach der gesetzlichen Regelung sämtlich grundsätzlich genehmigungsfähig. Mit der im Antrag enthaltenen Umschreibung war auch das Behandlungsziel (Schmerzlinderung) konkret bestimmt. Aus dem Antrag war auch ersichtlich, dass die Auswahl des konkreten Produkts aus dem Kreis der genehmigungsfähigen Produkte von den Liefermöglichkeiten der Apotheken abhängig sein sollte. Unter Berücksichtigung dieser besonderen Umstände des Einzelfalls erscheint vertretbar, den Antrag als hinreichend bestimmt anzusehen.
Soweit die Antragsgegnerin meint, auch im Rahmen der fiktiven Genehmigung müsse gewährleistet sein, dass der Leistungsberechtigte nur mit dem wirtschaftlich günstigsten Cannabis-Produkt versorgt wird, steht das der Fiktionsfähigkeit des Antrags nicht entgegen. Denn der verordnende Arzt ist bei der konkreten Verordnung zur Vermeidung von Regressansprüchen an das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V gebunden.
Der Antragsteller durfte die beantragte Leistung auch für erforderlich halten. Eine Leistung ist im Sinne des § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V erforderlich, wenn der Berechtigte sie subjektiv für erforderlich halten darf, weil sie fachlich befürwortet wird, sie nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung liegt und keine Anzeichen für einen Rechtsmissbrauch vorliegen (BSG 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R, juris Rn. 26 f.). Zwar mag bei der Beantragung von Cannabis-Produkten die Gefahr eines Rechtsmissbrauchs besonders groß sein. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass nach § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB V die Genehmigung "nur in besonders begründeten Ausnahmefällen" abgelehnt werden darf. Im vorliegenden Fall hat der behandelnde Arzt die Versorgung befürwortet. Der Arzt führt zudem die Zusatzbezeichnung "Suchtmedizinische Grundversorgung", die nach der Weiterbildungsordnung u.a. besondere Kenntnisse in der Beratung im Zusammenhang mit suchterzeugenden Stoffen erfordert. Seiner fachlichen Befürwortung kommt daher ein besonderes Gewicht zu. Mit der Einführung eines Anspruchs auf Versorgung mit Cannabis durch Einfügung von § 31 Abs. 6 SGB V mit Wirkung vom 10.3.2017 ist die Leistung auch Bestandteil des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung. Der Arzt hat in dem Antrag auch die den Anforderungen des § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB V entsprechenden Gründe für die Versorgung mit Cannabis näher dargelegt. Anzeichen für einen Rechtsmissbrauch sind daher nicht erkennbar.
Die Antragsgegnerin hat über den am 18.4.2017 eingegangenen Antrag nicht innerhalb der maßgeblichen Frist entschieden. Dabei kann dahinstehen, ob eine Entscheidungsfrist von drei Wochen galt, weil die Antragsgegnerin den Antragsteller erst nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist (9.5.2017) mit Schreiben vom 10.5.2017 darüber unterrichtet hat, dass sie den MDK beteilige, oder ob eine bis 23.5.2017 laufende Fünf-Wochen-Frist galt, weil die Antragsgegnerin den Arzt, der den Antrag für den Antragsteller gestellt hat, bereits mit Schreiben vom 24.4.2017 über die Beteiligung des MDK unterrichtet hatte. Auch die Fünf-Wochen-Frist wäre durch den Bescheid der Antragsgegnerin vom 31.5.2017 nicht eingehalten. Wie bereits ausgeführt, war der ursprüngliche, am 18.4.2017 eingegangene Antrag hinreichend bestimmt und hat die Frist in Lauf gesetzt.
Die maßgebliche Frist hat sich auch nicht durch eine Mitteilung der Antragsgegnerin gemäß § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V verlängert. Sie hat dem Antragsteller zwar mit Schreiben vom 5.5.2017 mitgeteilt, dass sie wegen der ausstehenden Antwort des behandelnden Arztes auf ihre Anfrage nicht innerhalb der gesetzlichen Drei-Wochen-Frist entscheiden könne. Sie hat es jedoch versäumt, hierbei die prognostizierte Dauer der Verzögerung taggenau anzugeben (zu diesem Erfordernis BSG 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R, juris Rn. 20).
Damit ist die Genehmigungsfiktion eingetreten mit der Folge, dass der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin nicht nur gemäß § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V einen Anspruch auf Erstattung der Kosten einer selbst beschafften Leistung, sondern auch einen Anspruch auf Gewährung der Leistung als Naturalleistung hat (BSG 8.3.2016 - B 1 KR 25/16 R, juris Rn. 25; BSG 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R, Terminbericht).
Das Sozialgericht hat auch zu Recht einen Anordnungsgrund bejaht. Aus den ärztlichen Stellungnahmen geht hervor, dass der Antragsteller ohne Cannabis unter erheblichen Schmerzen leidet. Durch die im Beschwerdeverfahren vorgelegte Bescheinigung des Arbeitgebers ist auch glaubhaft gemacht, dass er ohne die Einnahme von Cannabis nicht arbeitsfähig wäre und Gefahr läuft, seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Der Antragsteller hat auch glaubhaft dargelegt, dass ihm die Beschaffung der Cannabis-Produkte aus eigenen Mitteln nicht weiter möglich ist.
Durch die einstweilige Anordnung wird die Hauptsache nicht vorweggenommen, da die Antragsgegnerin, falls sie im Hauptsacheverfahren obsiegt, einen Rückgewähr- bzw. Schadensersatzanspruch hätte (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer/ Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b Rn. 31, 49).
Zur Klarstellung war die Zurückweisung der Beschwerde mit der Maßgabe zu versehen, dass einer Verpflichtung der Antragsgegnerin nur besteht, wenn eine ärztliche Verordnung vorliegt. In zeitlicher Hinsicht war unter Berücksichtigung der Vorläufigkeit der einstweiligen Anordnung klarzustellen, dass sie nur bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens gilt. Da nicht ersichtlich ist, ob der Antragsteller die nicht an eine Klagefrist gebundene Leistungsklage in der Hauptsache erhoben hat, war die Fortgeltung der einstweiligen Anordnung an die Bedingung zu knüpfen, dass der Antragsteller - soweit noch nicht geschehen - bis spätestens einen Monat nach Zustellung dieses Beschlusses im Hauptsacheverfahren Leistungsklage erhebt. Eine solche Bedingung erscheint unabhängig von einem Antrag der Antragsgegnerin gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 926 Zivilprozessordnung (vgl. dazu Keller, in Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer/ Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b Rn. 48 m.w.N.) zur Wahrung der Vorläufigkeit der einstweiligen Anordnung geboten, da der Antragsteller ansonsten durch Nichterhebung der nicht fristgebundenen Leistungsklage eine unbefristete Leistungspflicht der Antragsgegnerin herbeiführen könnte. Erhebt der Antragsteller die Klage in der Hauptsache nicht innerhalb der im Tenor bestimmten Frist, verliert die einstweilige Anordnung ihre Gültigkeit.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
2. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers auch im Beschwerdeverfahren zu tragen.
Gründe:
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin aufgrund einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) Anspruch auf Versorgung mit Cannabis hat.
Der 1983 geborene Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert. Er leidet unter Psoriasis vulgaris, Psoriasis-Arthropathie, einer Erkrankung der Haarfolikel sowie einer Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung. Mit Schreiben vom 07.04.2017, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 18.04.2017, teilte der den Antragsteller behandelnde Facharzt für Innere- und Allgemeinmedizin, Suchtmedizinische Grundversorgung, Dr. G mit, beim Antragsteller befalle die Arthritis psoriatica praktisch alle Gelenke; es komme zu rezidivierenden Schmerzattacken sowie deutlicher Morgensteifigkeit von 60 Minuten. Nach mehrfachen Behandlungsversuchen werde zurzeit eine Schmerztherapie mit Tilidin durchgeführt, die nur einigermaßen befriedigend sei, da es immer wieder zu Durchbruchschmerzen komme. Nur durch eine multimodale Schmerztherapie sei zurzeit Arbeitsfähigkeit gegeben. Nach eingehender Beschäftigung mit dem Krankheitsbild und Durchforsten der therapeutischen Alternativen halte er bei dem Antragsteller eine Therapie mit Cannabis-Produkten für sinnvoll. Er sei mit der Apotheke vor Ort im Gespräch, um eine entsprechende Beschaffungslogistik aufzubauen. Er erbitte die Zusage der Kostenübernahme.
Mit Schreiben vom 26.4.2017 teilte die Antragsgegnerin dem Arzt mit, vor der Bewilligung sei eine sozialmedizinische Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) notwendig. Hierfür werde um Beantwortung der Fragen in dem beigelegten Fragebogen gebeten. Mit Schreiben vom 5.5.2017 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, eine Entscheidung über seinen Antrag sei innerhalb der gesetzlichen Drei-Wochen-Frist leider nicht möglich, weil sein Arzt bisher eine Anfrage noch nicht beantwortet habe. Sobald ihr die erforderlichen Unterlagen vorlägen, werde sie unverzüglich über den Antrag entscheiden. Am 9.5.2017 ging der vom Arzt ausgefüllte Fragebogen bei der Antragsgegnerin ein. Am 10.5.2017 übersandte die Antragsgegnerin die Unterlagen an den MDK und teilte dies dem Antragsteller mit. Der MDK kam zu dem Ergebnis, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verordnung von Cannabis nicht erfüllt seien. Es sei nicht nachvollziehbar, dass es sich um eine schwerwiegende Erkrankung handle. Als alternative, allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen stünden medikamentöse und nicht medikamentöse Verfahren zur Verfügung (u.a. multimodale Schmerztherapie, soziales Kompetenztraining bei sozialen Kompetenzdefiziten und aggressiven Verhaltensstörungen, Einzel- und/oder Gruppen-Psychotherapie ggf. auch stationär). Zu den Alternativen liege keine begründete und nachvollziehbare Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustands des Versicherten vor. Eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung von Cannabis auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome könne vorliegen. Mit Bescheid vom 31.5.2017 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag unter Hinweis auf die Beurteilung des MDK ab.
Am 6.6.2017 hat der Antragsteller hiergegen Widerspruch eingelegt und beim Sozialgericht unter Hinweis auf die seiner Auffassung nach eingetretene Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Mit Beschluss vom 22.6.2017 hat das Sozialgericht Koblenz die Antragsgegnerin vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens verpflichtet, den Antragsteller mit einer Cannabis-Therapie entsprechend der Empfehlung von Dr. G vom 7.4.2017 zu versorgen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die begehrte einstweilige Anordnung sei zu erlassen, da der geltend gemachte Anspruch bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichend wahrscheinlich und die für den Fall des Unterbleibens der Leistung drohenden Nachteile für den Antragsteller schlechthin unzumutbar seien. Der Anspruch ergebe sich aus § 13 Abs. 3a SGB V. Der am 18.4.2017 bei der Antragsgegnerin eingegangene Antrag sei hinreichend bestimmt. Hierfür reiche es aus, dass aus dem Antrag erkennbar sei, dass und welche Leistungen der Leistungsberechtigte begehre. Die Anforderung weiterer Unterlagen durch die Antragsgegnerin habe nicht zu einer Verlängerung der Entscheidungsfrist geführt. Das Fehlen einer förmlichen ärztlichen Verordnung sei unschädlich; es genüge, dass der Arzt sich für die beantragte Therapie ausgesprochen habe. § 13 Abs. 3a SGB V begründe sowohl einen Kostenerstattungs- als auch einen Sachleistungsanspruch und zwar unabhängig davon, ob die begehrte Leistung medizinisch zwingend notwendig oder wirtschaftlich sinnvoll sei. Es liege auch ein Anordnungsgrund vor, da der Antragsteller unter erheblichen Schmerzen leide und nur durch die begehrte Therapie seine Arbeitsfähigkeit erhalten werden könne.
Gegen den Beschluss hat die Antragsgegnerin am 23.6.2017 Beschwerde eingelegt. Sie bezieht sich auf ihr bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, der Antrag des Antragstellers sei nicht fiktionsfähig, da er nicht hinreichend bestimmt sei; aus ihm ergebe sich auch nicht im Wege der Auslegung, für wen welche Leistungen in welchem Umfang erbracht werden solle. In dem ursprünglichen Antrag des Antragstellers sei nur allgemein von "medizinischen Cannabis-Produkten" die Rede gewesen. Eine Konkretisierung sei erst in der Arztauskunft vom 9.5.2017 auf "Cannabisblüten der Sorte Bedrocan in einem Umfang von zwei Gramm Blüten pro Tag" erfolgt. Gerechnet von diesem Zeitpunkt sei der Bescheid vom 31.5.2017 innerhalb der Fünf-Wochen-Frist ergangen. Die Ablehnung der Leistung sei unter Berücksichtigung der Stellungnahme des MDK zu Recht erfolgt. Zudem liege kein Anordnungsgrund vor. Der Antragsteller habe nicht belegt, dass er seinen Arbeitsplatz nur bei Verordnung von Cannabis-Blüten erhalten könne. Auch habe er nicht belegt, dass er finanziell nicht in der Lage sei, sich die Cannabisblüten wie bisher selbst auf eigene Kosten zu beschaffen. Der Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung sei zu unbestimmt, da er nicht erkennen lasse, mit welcher Art von Cannabis-Therapie der Antragsteller zu versorgen sei. Das Sozialgericht habe nicht geprüft, ob dem Antragsteller nicht jedenfalls vorerst auch mit dem wesentlich günstigeren und allgemein in der Schmerztherapie bewährten Dronabinol (Wirkstoff THC) geholfen werden könnte.
Der Antragsteller trägt vor, sein Antrag vom 7.4.2017 sei hinreichend bestimmt gewesen. Zu berücksichtigen sei, dass § 31 Abs. 6 SGB V eine Genehmigung durch die Krankenkasse nur bei der ersten Verordnung fordere; dabei gehe es also nicht um die Frage, in welcher Form und in welcher Dosis Cannabis eingesetzt werden solle. Es sei Aufgabe des verordnenden Arztes, das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V zu berücksichtigen. Die Leistung sei auch eilbedürftig. Ohne die Cannabistherapie drohten ihm schwere gesundheitliche Nachteile sowie der Verlust des Arbeitsplatzes. Zudem habe er in den vergangenen Jahren unter anderem auch durch den Erwerb von Cannabis, erhebliche Schulden angesammelt. Es sei ihm daher nicht weiter möglich, mehr als 1000 EUR für seinen Cannabisbedarf aufzubringen. Im Übrigen sei die begehrte einstweilige Anordnung auch im Rahmen einer gebotenen Folgenabwägung zu erlassen.
Der Antragsteller hat eine Bescheinigung seines Arbeitgebers vom 21.6.2017 vorgelegt, wonach sein Arbeitsverhältnis nur aufrechterhalten werden könne, wenn ihm die Kostenübernahme der Krankenkasse für die dringend notwendige Medikation erteilt werde; anderenfalls müsse das Arbeitsverhältnis aufgrund der unzureichenden Leistungs- und Einsatzfähigkeit beendet werden. Weiter hat er ein Attest des Facharztes für Innere Medizin E vom 21.6.2017 vorgelegt, wonach durch seine Psoriarisarthritis ein chronisches Schmerzsyndrom mit Beeinträchtigung der Konzentration und der Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz bestehe. In der Vergangenheit seien erfolglos verschiedene Schmerzmittel ausgetestet worden. Durch den Einsatz von Cannabis-Arzneimitteln sei der Antragsteller in der Lage, seinen Verpflichtungen am Arbeitsplatz nachzukommen. Ohne diese Arzneimittel sei eine regelmäßige Tätigkeit nicht möglich und der Arbeitsplatz gefährdet.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts verweist der Senat auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin, der Gegenstand der Beratung war.
II. Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin zu Recht verpflichtet, den Antragsteller vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens mit einer Cannabistherapie zu versorgen. Es war lediglich klarzustellen, dass diese Verpflichtung nur entsprechend einer jeweils auszustellenden ärztlichen Verordnung und nur bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens gilt. Zudem war die Fortgeltung der Verpflichtung davon abhängig zu machen, dass der Antragsteller Klage erhebt.
1. Das Sozialgericht ist zu Recht von der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgegangen. Dem Antragsteller steht keine einfachere Möglichkeit zur Durchsetzung seiner Rechte zur Verfügung. Wie noch auszuführen sein wird, ist bei der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung davon auszugehen, dass der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin auf Grund einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V Anspruch auf Versorgung mit Cannabis hat. Rechtsfolge der Genehmigungsfiktion ist ein Verwaltungsakt, der eigenständig einen dem Antrag entsprechenden Naturalleistungsanspruch begründet (BSG 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R, Terminbericht). Für den Antragsteller ist eine unmittelbare Vollstreckung aus diesem (fiktiven) Verwaltungsakt nicht möglich. Denn § 66 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) regelt nur die Vollstreckung zugunsten der Behörde, nicht aber gegen eine Behörde oder juristische Person des öffentlichen Rechts. Erfüllt ein Sozialversicherungsträger einen bindend festgestellten Leistungsanspruch nicht, muss der Betroffene Leistungsklage erheben oder – wenn ein Titel vorliegt – nach §§ 198 ff. SGG vorgehen (Mutschler, in KassKomm, SGB X § 66 Rn. 2-4, zitiert nach beck-online). Eine Vollstreckung nach §§ 198 ff. SGG ist hier nicht möglich, da der hier in Rede stehende Verwaltungsakt nicht zu den nach § 199 SGG genannten Vollstreckungstiteln zählt (B. Schmidt, in Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer/ Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 198 Rn. 3 m.w.N.). Zur Durchsetzung der fiktiven Genehmigung hat der Antragsteller daher nur die Möglichkeit, Leistungsklage zu erheben und zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG zu beantragen, die dann nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 SGG vollstreckbar ist. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist schon vor Erhebung der (Leistungs-) Klage zulässig (§ 86b Abs. 3 SGG).
Der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung steht die in § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG geregelte Vorrangigkeit des Rechtsschutzes nach § 86b Abs. 1 SGG nicht entgegen. Ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG liegt nur vor, wenn die Situation einer Anfechtungsklage vorliegt. Das ist hier nicht der Fall. Zwar hat die Antragsgegnerin den Antrag des Antragstellers mit ihrem Bescheid vom 31.5.2017 abgelehnt und der Antragsteller hat gegen diesen Bescheid Widerspruch erhoben. Mit dem vorliegenden Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wendet sich der Antragsteller jedoch nicht gegen diese ablehnende Entscheidung. Er macht vielmehr geltend, dass sein Antrag bereits als fiktiv genehmigt gelte. Der ablehnende Bescheid der Antragsgegnerin lässt die Wirksamkeit dieser fiktiven Genehmigung nicht entfallen (BSG 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R, juris Rn. 32). Die Antragsgegnerin hat die fingierte Genehmigung auch nicht nach §§ 45 ff. SGB V aufgehoben; die Genehmigung hat sich auch nicht durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt (vgl. dazu BSG 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R, juris Rn. 31). Der somit fortbestehende Anspruch aus der Genehmigungsfiktion ist im Hauptsacheverfahren mit der Leistungsklage geltend zu machen, eines Widerspruchsverfahrens bedarf es insoweit nicht (LSG Rheinland-Pfalz 2.3.2017 - L 5 KR 217/16, juris Rn. 11; 3.11.2016 - L 5 KR 197/15, juris Rn. 13). Dem entsprechend richtet sich die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b Abs. 2 SGG.
2. Das Sozialgericht hat auch zu Recht die Begründetheit des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz bejaht. Zu den Voraussetzungen für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Anordnungsanspruch ist zu bejahen, weil eine Leistungsklage im Hauptsacheverfahren überwiegende Aussicht auf Erfolg hat. Bei der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten ist davon auszugehen, dass der Antragsteller Anspruch auf die begehrte Versorgung mit Cannabis gemäß § 13 Abs. 3a SGB V hat.
Die Bestimmung ist anwendbar, da der Antragsteller einen Sachleistungsanspruch geltend macht, der nicht auf eine Leistung der medizinischen Rehabilitation gerichtet ist (BSG 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R, juris Rn. 16 f.). Die Voraussetzungen für den Eintritt der Genehmigungsfiktion sind erfüllt. Der Antragsteller gehört zum leistungsberechtigten Personenkreis, da er bei der Antragsgegnerin versichert ist. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist der ursprüngliche, am 18.4.2017 bei der Antragsgegnerin eingegangene Antrag bereits hinreichend bestimmt. Der Antrag ist hinreichend bestimmt, wenn sich der Inhalt der fingierten Genehmigung aus dem Antrag in Verbindung mit den einschlägigen Genehmigungsvorschriften hinreichend bestimmen lässt (BSG 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R, juris Rn. 23). Hierfür genügt es, dass das Behandlungsziel klar ist (BSG 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R, Terminbericht).
Im vorliegenden Fall ist der ursprüngliche Antrag gerichtet auf die Genehmigung der "Verordnung von medizinischen Cannabis-Produkten, die seit März 2017 erlaubt sind", wobei das konkrete Produkt von den Beschaffungsmöglichkeiten der örtlichen Apotheke abhängen sollte. In Verbindung mit der dadurch in Bezug genommenen, zum 10.3.2017 in Kraft getretenen Regelung des § 31 Abs. 6 SGB V war der Antrag somit auf Versorgung mit den dort genannten Cannabis-Produkten in Form von "getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität" sowie "Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon" gerichtet. Jedenfalls unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falls erachtet der Senat bei der hier gebotenen summarischen Prüfung diesen Antrag als hinreichend bestimmt. Durch die Bezugnahme auf § 31 Abs. 6 SGB V ist der Antrag auf die dort genannten vier Produktarten eingeschränkt. Diese sind nach der gesetzlichen Regelung sämtlich grundsätzlich genehmigungsfähig. Mit der im Antrag enthaltenen Umschreibung war auch das Behandlungsziel (Schmerzlinderung) konkret bestimmt. Aus dem Antrag war auch ersichtlich, dass die Auswahl des konkreten Produkts aus dem Kreis der genehmigungsfähigen Produkte von den Liefermöglichkeiten der Apotheken abhängig sein sollte. Unter Berücksichtigung dieser besonderen Umstände des Einzelfalls erscheint vertretbar, den Antrag als hinreichend bestimmt anzusehen.
Soweit die Antragsgegnerin meint, auch im Rahmen der fiktiven Genehmigung müsse gewährleistet sein, dass der Leistungsberechtigte nur mit dem wirtschaftlich günstigsten Cannabis-Produkt versorgt wird, steht das der Fiktionsfähigkeit des Antrags nicht entgegen. Denn der verordnende Arzt ist bei der konkreten Verordnung zur Vermeidung von Regressansprüchen an das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V gebunden.
Der Antragsteller durfte die beantragte Leistung auch für erforderlich halten. Eine Leistung ist im Sinne des § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V erforderlich, wenn der Berechtigte sie subjektiv für erforderlich halten darf, weil sie fachlich befürwortet wird, sie nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung liegt und keine Anzeichen für einen Rechtsmissbrauch vorliegen (BSG 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R, juris Rn. 26 f.). Zwar mag bei der Beantragung von Cannabis-Produkten die Gefahr eines Rechtsmissbrauchs besonders groß sein. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass nach § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB V die Genehmigung "nur in besonders begründeten Ausnahmefällen" abgelehnt werden darf. Im vorliegenden Fall hat der behandelnde Arzt die Versorgung befürwortet. Der Arzt führt zudem die Zusatzbezeichnung "Suchtmedizinische Grundversorgung", die nach der Weiterbildungsordnung u.a. besondere Kenntnisse in der Beratung im Zusammenhang mit suchterzeugenden Stoffen erfordert. Seiner fachlichen Befürwortung kommt daher ein besonderes Gewicht zu. Mit der Einführung eines Anspruchs auf Versorgung mit Cannabis durch Einfügung von § 31 Abs. 6 SGB V mit Wirkung vom 10.3.2017 ist die Leistung auch Bestandteil des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung. Der Arzt hat in dem Antrag auch die den Anforderungen des § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB V entsprechenden Gründe für die Versorgung mit Cannabis näher dargelegt. Anzeichen für einen Rechtsmissbrauch sind daher nicht erkennbar.
Die Antragsgegnerin hat über den am 18.4.2017 eingegangenen Antrag nicht innerhalb der maßgeblichen Frist entschieden. Dabei kann dahinstehen, ob eine Entscheidungsfrist von drei Wochen galt, weil die Antragsgegnerin den Antragsteller erst nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist (9.5.2017) mit Schreiben vom 10.5.2017 darüber unterrichtet hat, dass sie den MDK beteilige, oder ob eine bis 23.5.2017 laufende Fünf-Wochen-Frist galt, weil die Antragsgegnerin den Arzt, der den Antrag für den Antragsteller gestellt hat, bereits mit Schreiben vom 24.4.2017 über die Beteiligung des MDK unterrichtet hatte. Auch die Fünf-Wochen-Frist wäre durch den Bescheid der Antragsgegnerin vom 31.5.2017 nicht eingehalten. Wie bereits ausgeführt, war der ursprüngliche, am 18.4.2017 eingegangene Antrag hinreichend bestimmt und hat die Frist in Lauf gesetzt.
Die maßgebliche Frist hat sich auch nicht durch eine Mitteilung der Antragsgegnerin gemäß § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V verlängert. Sie hat dem Antragsteller zwar mit Schreiben vom 5.5.2017 mitgeteilt, dass sie wegen der ausstehenden Antwort des behandelnden Arztes auf ihre Anfrage nicht innerhalb der gesetzlichen Drei-Wochen-Frist entscheiden könne. Sie hat es jedoch versäumt, hierbei die prognostizierte Dauer der Verzögerung taggenau anzugeben (zu diesem Erfordernis BSG 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R, juris Rn. 20).
Damit ist die Genehmigungsfiktion eingetreten mit der Folge, dass der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin nicht nur gemäß § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V einen Anspruch auf Erstattung der Kosten einer selbst beschafften Leistung, sondern auch einen Anspruch auf Gewährung der Leistung als Naturalleistung hat (BSG 8.3.2016 - B 1 KR 25/16 R, juris Rn. 25; BSG 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R, Terminbericht).
Das Sozialgericht hat auch zu Recht einen Anordnungsgrund bejaht. Aus den ärztlichen Stellungnahmen geht hervor, dass der Antragsteller ohne Cannabis unter erheblichen Schmerzen leidet. Durch die im Beschwerdeverfahren vorgelegte Bescheinigung des Arbeitgebers ist auch glaubhaft gemacht, dass er ohne die Einnahme von Cannabis nicht arbeitsfähig wäre und Gefahr läuft, seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Der Antragsteller hat auch glaubhaft dargelegt, dass ihm die Beschaffung der Cannabis-Produkte aus eigenen Mitteln nicht weiter möglich ist.
Durch die einstweilige Anordnung wird die Hauptsache nicht vorweggenommen, da die Antragsgegnerin, falls sie im Hauptsacheverfahren obsiegt, einen Rückgewähr- bzw. Schadensersatzanspruch hätte (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer/ Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b Rn. 31, 49).
Zur Klarstellung war die Zurückweisung der Beschwerde mit der Maßgabe zu versehen, dass einer Verpflichtung der Antragsgegnerin nur besteht, wenn eine ärztliche Verordnung vorliegt. In zeitlicher Hinsicht war unter Berücksichtigung der Vorläufigkeit der einstweiligen Anordnung klarzustellen, dass sie nur bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens gilt. Da nicht ersichtlich ist, ob der Antragsteller die nicht an eine Klagefrist gebundene Leistungsklage in der Hauptsache erhoben hat, war die Fortgeltung der einstweiligen Anordnung an die Bedingung zu knüpfen, dass der Antragsteller - soweit noch nicht geschehen - bis spätestens einen Monat nach Zustellung dieses Beschlusses im Hauptsacheverfahren Leistungsklage erhebt. Eine solche Bedingung erscheint unabhängig von einem Antrag der Antragsgegnerin gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 926 Zivilprozessordnung (vgl. dazu Keller, in Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer/ Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b Rn. 48 m.w.N.) zur Wahrung der Vorläufigkeit der einstweiligen Anordnung geboten, da der Antragsteller ansonsten durch Nichterhebung der nicht fristgebundenen Leistungsklage eine unbefristete Leistungspflicht der Antragsgegnerin herbeiführen könnte. Erhebt der Antragsteller die Klage in der Hauptsache nicht innerhalb der im Tenor bestimmten Frist, verliert die einstweilige Anordnung ihre Gültigkeit.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
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