Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
S 2 KR 101/02
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 143/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege setzt voraus, dass dem Versicherten eine eigenständige und eigenverantwortliche Wirtschaftsführung möglich ist. Ei-ne solche ist bei einer Aufnahme des Versicherten in eine vollstationäre Einrich-tung im Sinne von § 43a SGB XI nicht anzunehmen.
2. Als Ausnahmevorschrift lässt § 75 Abs. 5 SGG weder in direkter noch analoger Anwendung die Verurteilung des beigeladenen Sozialhilfeträgers an Stelle der beklagten Krankenkasse zu.
2. Als Ausnahmevorschrift lässt § 75 Abs. 5 SGG weder in direkter noch analoger Anwendung die Verurteilung des beigeladenen Sozialhilfeträgers an Stelle der beklagten Krankenkasse zu.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 13. August 2004 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben sich die Beteiligten in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten für Behandlungspflege im Rahmen der häuslichen Krankenpflege.
Die 1960 geborene und 2005 verstorbene Klägerin war bei der Beklagten als Familienversicherte krankenversichert. Sie war seit dem 1. März 1997 im Wohnheim für Behinderte, H , untergebracht und erhielt von der Pflegekasse der Beklagten (Beigeladene zu 1) seit Juli 1996 Leistungen der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III. Das Wohnheim ist eine vollstationäre Einrichtung der Behindertenhilfe nach § 43a des Elften Sozialgesetzbuches (SGB XI). Auf der Grundlage einer am 1. November 2000 zwischen der Wohnstätte für Menschen mit besonderem Hilfebedarf, vertreten durch den Kirchenkreis H -B , und dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Schleswig-Holstein geschlossenen Leistungsvereinbarung trug der Beigeladene zu 2) die Kosten der Unterbringung der Klägerin. Nach § 2 der Vereinbarung leistete die Wohnstätte Eingliederungshilfe gemäß §§ 39/40 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) und Hilfe zur Pflege nach § 68 BSHG. Die Förder-, Betreuungs- und Beschäftigungsangebote sowie die individuelle Pflege umfassten nach § 4 der Leistungsvereinbarung insbesondere folgende Bereiche: Tagesstrukturierende Maßnahmen, Alltagskompetenzen und lebenspraktischer Bereich, Körperliches Wohl und Gesundheitsfürsorge, Pflegerische Leistungen, soziale Kompetenz und soziale Kontakte, Psychosozialer Bereich, Freizeitgestaltung, Gemeinsame Aktivitäten wie einfache Spiele und Bewegung. Die Wohnstätte war aufgrund der Leistungsvereinbarung verpflichtet, pflegerische Leistungen in Form der körperlichen Grundpflege, Genesungspflege und Wundpflege (§§ 39/68 BSHG) zu erbringen.
Die Klägerin litt an einer schweren Intelligenzminderung bei pränataler Hirnschädigung sowie einem cerebralen Anfallsleiden. Ihre Mutter war zu ihrer Betreuerin bestellt worden. Ab dem 14. August 2001 befand sich die Klägerin wegen anhaltender Durchfälle fast durchgehend im Krankenhaus. Bei zwei Operationen wurden ihr die Gallenblase sowie ein Polyp im Darm entfernt. Nach der zweiten Operation konnte die Klägerin keine Nahrung aufnehmen. Im September 2001 wurde deshalb bei ihr eine Magensonde gelegt. Die Entlassung in ihr Wohnheim erfolgte am 1. November 2001. Die Sondenernährung wurde durch das Deutsche Rote Kreuz durchgeführt. Die Diakonie-Station H übernahm die Behandlungspflege der Klägerin im Zeitraum vom 1. November 2001 bis 31. Dezember 2001.
Am 19. November 2001 beantragte die Behinderteneinrichtung unter Vorlage einer Verordnung der Fachärztin für innere Medizin W die Übernahme der Kosten für häusliche Krankenpflege. Mit Bescheiden vom 26. November 2001 und 18. Dezember 2001 teilte die Beklagte dem Vater der Klägerin mit, die Bewilligung von häuslicher Krankenpflege könne nicht erfolgen. Denn die verordnete Leistung sei Versicherten für ihren Haushalt vorbehalten. Die Klägerin verfüge jedoch nicht über einen "eigenen Haushalt", da sie in einer vollstationären Einrichtung untergebracht sei. Zahlungspflichtig sei die vollstationäre Einrichtung.
Der Vater der Klägerin legte am 25. Januar 2002 gegen die Bescheide Widerspruch ein und schilderte darin den Krankheitsverlauf seiner Tochter. Nach ihrer Entlassung am 1. November 2001 sei eine sorgfältige Dosierung der Sondennahrung, die Pflege der Magensonde, eine medikamentöse Versorgung gegen Krampfanfälle und Thrombose erforderlich gewesen. Wäre seine Tochter noch länger im Krankenhaus verblieben, so hätte mit einer weiteren Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes gerechnet werden müssen. Deshalb hätten sie - die Eltern - sich bereit erklärt, notfalls die Kosten für die Pflege ihrer Tochter selbst zu übernehmen. Die Versorgung durch die Diakonie-Station habe dann auch zur Genesung der Klägerin am 4. Dezember 2001 geführt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, häusliche Krankenpflege werde nur an Versicherte erbracht, die sich in ihrem Haushalt oder ihrer Familie aufhielten. Bei der Klägerin sei jedoch die Grundvoraussetzung einer selbstständigen eigenen hauswirtschaftlichen Versorgung nicht gegeben. Auf der Grundlage des § 43a des Elften Sozialgesetzbuches (SGB XI) übernehme die Pflegeversicherung die pflegebedingten Aufwendungen in dem dort gesetzlich geregelten Umfange.
Hiergegen hat sich die Betreuerin der Klägerin mit ihrer am 19. August 2002 beim Sozialgericht Schleswig erhobenen Klage gewandt und vorgetragen, ihre Tochter habe damals nicht ohne qualifizierte Hilfe von außen in ihr Wohnheim entlassen werden können. Die Entlassung sei auf dringende Empfehlung des Stationsarztes geschehen, um weitere Infektionen zu vermeiden. Die Betreuerin der Klägerin hat zudem eine Erklärung des Deutschen Vereins zur Finanzierung behandlungspflegerischer Leistungen zur Akte gereicht.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26. November 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2002 zu verurteilen, ihr Kosten für Behandlungspflege in Höhe von 1.946,46 EUR zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide berufen und ergänzend vorgetragen, Voraussetzung der begehrten Leistung sei nach wie vor ein zumindest überwiegender Aufenthalt in der Familie oder dem eigenen Haushalt. Diese Voraussetzung sei eindeutig nicht gegeben. Die Beigeladene zu 1) beteilige sich bereits an den Pflegeaufwendungen der Einrichtung mit einem pauschalen Abgeltungsbetrag. Mit diesem seien auch die Leistungen der medizinischen Behandlungspflege abgegolten. Ein weiter gehender Anspruch bestehe nicht. Zudem dürfe nach den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von "häuslicher Krankenpflege" für die Zeit des voll- oder teilstationären Aufenthaltes in Krankenhäusern oder Behindertenheimen häusliche Krankenpflege nicht verordnet werden.
Mit Urteil vom 13. August 2004 hat das Sozialgericht der Klage teilweise stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Klägerin stehe ein Kostenerstattungsanspruch in Höhe von 853,53 EUR zu. Denn die Beklagte habe Leistungen der häuslichen Krankenpflege zu Unrecht nicht übernommen. Der Klägerin habe während der Zeit nach der Entlassung aus dem Krankenhaus am 1. November 2001 ein Sachleistungsanspruch auf Gewährung von Behandlungspflege zugestanden. Die Einwände der Beklagten würden nicht durchgreifen. Denn der Begriff "in ihrer Familie" lasse sich nicht räumlich begrenzen. Schon die Formulierung "in ihrer Familie" statt "in dem ihrer Familie" lege nicht die Beschränkung auf einen Haushalt der Familie nahe, sondern spreche dafür, dass es auch auf den jeweiligen Aufenthaltsort eines von u. U. mehreren ankomme. Hätte die Betreuerin der Klägerin diese mit Hilfe z. B. von ambulanten Pflegediensten zu Hause betreut, so wäre ohne weiteres die Kostenübernahme seitens der Beklagten erfolgt. Der Beklagten wären erhebliche Mehrkosten durch eine Verlängerung des stationären Aufenthaltes der Klägerin im Krankenhaus entstanden. Die häusliche Krankenpflege solle als Sachleistung der Beklagten gerade dazu dienen, teure stationäre Aufenthalte zu vermeiden. Zwar hätten die Eltern der Klägerin die Verrichtungen der Grundpflege sowie das An- und Abstöpseln der PEG-Sonde nicht selbstständig bewerkstelligen können. Jedoch seien sie jeden Tag gegen 10.00 Uhr gekommen und hätten sich intensiv um ihre Tochter gekümmert. Damit seien alle Voraussetzungen einer häuslichen Krankenpflege erfüllt. Da die Formulierung "in ihrer Familie" lediglich zur Abgrenzung der Leistungserbringung im stationären Bereich diene, könne § 37 Abs. 2 des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) nach Sinn und Zweck versichertenfreundlich ausgelegt werden. Diese Auslegung sei auch durch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) geboten.
Gegen die ihr am 5. November 2004 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte am 26. November 2004 Berufung beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingelegt. Sie trägt vor, der Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts würden gesetzliche Vorschriften entgegenstehen. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts sei der Kostenanteil, den die Beigeladene zu 1) gemäß § 43a SGB XI an die Behinderteneinrichtung zahle, nicht als Zuschuss für die Unterbringung der Klägerin anzusehen. Vielmehr übernehme die Pflegekasse die pflegebedingten Aufwendungen der sozialen Betreuung sowie in der Zeit vom 1. Juli 1996 bis zum 31. Dezember 2004 die Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege. Falls sich eine Behinderteneinrichtung aus personellen oder finanziellen Gründen nicht dazu in der Lage sehe, die Behandlungspflege zu übernehmen, könne es nicht Aufgabe der Beklagten sein, stattdessen häusliche Krankenpflege zu bewilligen. Im Übrigen sei zwischen den Einrichtungsträgern und dem Land Schleswig-Holstein eine Vereinbarung nach § 93 Abs. 2 BSHG geschlossen worden. In dieser seien unter Punkt 4 pflegerische Leistungen vereinbart worden, ohne dass die Beklagte als Leistungsträger berührt sei.
Der Senat hat den Kreis Nordfriesland, Amt für Jugend, Familie und Soziales, zu diesem Verfahren beigeladen (zunächst Beigeladener zu 3), jetzt Beigeladener zu 2)).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 13. August 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 13. August 2004 zurückzuweisen,
hilfsweise den Beigeladenen zu 3) (jetzt 2)) zu verurteilen, die Kosten für die Behandlungspflege der Klägerin ausweislich der Rechnungen der DIASO vom 10.12.2001 und 10.1.2001 in Höhe von 853,53 Euro zu zahlen.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin trägt vor, die Rechnungen der DIASO (Abrechnungsstelle der Diakonie) seien in vollem Umfange vom Vater der Klägerin beglichen worden. Aufgrund der Leistungsvereinbarung nach § 93 Abs. 2 BSHG sei der Einrichtungsträger nicht verpflichtet, die Kosten der Behandlungspflege zu übernehmen. Denn diese beinhalte nur pflegerische Leistungen nach den §§ 39 und 68 BSHG. Die Hilfe bei Krankheit gemäß § 37 BSHG (jetzt § 48 des Zwölften Sozialgesetzbuches SGB XII -) werde von der Leistungsvereinbarung nicht erfasst. Die Beklagte müsse auf dem Hintergrund der §§ 14, 15 des Neunten Sozialgesetzbuches – SGB IX – zur Leistung verurteilt werden. Denn sie habe den Antrag nicht binnen zwei Wochen an den ihrer Auffassung nach zuständigen Träger weitergeleitet. Auf alle Fälle sei aber entweder die Beklagte oder der Beigeladene zu 2) zur Leistung verpflichtet.
Der Beigeladene zu 2) stellt keinen Sachantrag. Schriftsätzlich beantragt er, für den Fall seiner Verurteilung die Revision zuzulassen.
Er trägt vor, die sozialhilferechtlichen Ansprüche der Klägerin seien dadurch erfüllt, dass er die stationäre Betreuung der Klägerin in der Wohnstätte sichergestellt habe. Die Wohnstätte sei nach der geschlossenen Leistungsvereinbarung verpflichtet, die Kosten für pflegerische Leistungen zu übernehmen. Außerdem sei der streitgegenständliche Bedarf der Klägerin ihm – dem Beigeladenen zu 2) – erst am 17. Januar 2002 durch ein Telefonat bekannt geworden. Zu diesem Zeitpunkt sei der Zusatzbedarf schon erfüllt bzw. der Bedarfszeitraum beendet gewesen. Die Vorschrift des § 16 Abs. 2 Satz 2 des Ersten Sozialgesetzbuches (SGB I) könne nicht herangezogen werden. Auch stehe dem Anspruch der Klägerin die Vorschrift des § 59 SGB I entgegen. Zudem erhebt er die Einrede der Verjährung.
Die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Verfahrensakte haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 22. Februar 2006 gewesen; zur Ergänzung wird auf diese Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne erneute mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143,151 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG -).
Für die verstorbene Klägerin wird der Rechtsstreit von ihren Eltern als Rechtsnachfolger fortgesetzt (§ 58 SGB I).
Die Berufung ist auch begründet. Das angefochtenen Urteil ist aufzuheben, denn zu Unrecht hat das Sozialgericht der Klage teilweise stattgegeben. Die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Zwar kommt statt der Beklagten der Beigeladene zu 2) als leistungspflichtig in Betracht. Er kann in diesem Rechtsstreit aber nicht verurteilt werden.
Grundlage des geltend gemachten Anspruchs bildet § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Hiernach sind Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten, die dadurch anfallen, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Variante 1) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Variante 2) und sich der Versicherte die notwendige Leistung deshalb selbst beschafft hat. Zwar sind die Rechnungen der DIASO von dem Vater der verstorbenen Klägerin für diese in vollem Umfange beglichen worden. Ein Kostenerstattungsanspruch gegen die Beklagte besteht aber nicht, da ein Sachleistungsanspruch der Klägerin auf Gewährung häuslicher Krankenpflege nicht gegeben war.
Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V erhalten Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie neben der ärztlichen Behandlung häusliche Krankenpflege durch geeignete Pflegekräfte, wenn Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar ist, oder wenn sie durch die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt wird. Die häusliche Krankenpflege umfasst die im Einzelfall erforderliche Grund- und Behandlungspflege sowie hauswirtschaftliche Versorgung. Der Anspruch besteht bis zu vier Wochen je Krankheitsfall (§ 37 Abs. 1 Satz 3 SGB V). Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 26. Juni 1990 (BGBl I S. 1211) erhalten Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Die Satzung kann bestimmen, dass die Krankenkasse zusätzlich zur Behandlungspflege nach Satz 1 als häusliche Krankenpflege auch Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung erbringt (§ 37 Abs. 2 Satz 2 SGB V). Weder die Voraussetzungen des Abs. 1 noch des Abs. 2 des § 37 SGB V liegen vor.
Die Beklagte geht allerdings zu Unrecht davon aus, dass die Bestimmungen des § 43a SGB XI in Verbindung mit § 43 Abs. 2 SGB XI dem Anspruch entgegenstehen. Denn die in § 43 Abs. 2 SGB XI normierte Übernahme von Leistungen der medizinischen Behandlungspflege durch die Pflegekasse gilt für die Einrichtungen der Behindertenhilfe (§ 71 Abs. 4 SGB XI) nicht; deshalb sind Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich auch beim Aufenthalt in einer Einrichtung nach den §§ 71 Abs. 4, 43a SGB XI zu gewähren (vgl. hierzu insbesondere BSG Urteil vom 1. September 2005, Az.: B 3 KR 19/04 R). Die pauschale Abgeltung der Pflegeleistungen nach § 43a SGB XI steht dem Anspruch eines krankenversicherten Pflegebedürftigen auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege ebenfalls nicht entgegen.
Ein Anspruch gegen die Beklagte ist aber deshalb nicht gegeben, weil der Klägerin kein eigener Haushalt in der Behinderteneinrichtung zur Verfügung stand. Haushalt ist die häusliche, wohnungsmäßige und familienhafte Wirtschaftsführung; er wird zum "eigenen Haushalt", wenn der Betreffende die Kosten der Lebens- und Wirtschaftsführung im Wesentlichen selbst trägt (vgl. hierzu BSG Urteil vom 23. März 1983 Az.: 3 RK 66/81 sowie Urteil vom 21. November 2002, Az.: B 3 KR 13/02 R). Entscheidend ist, ob dem Versicherten eine eigenständige und eigenverantwortliche Wirtschaftsführung möglich ist. Dem Gesetzgeber geht es bei der Umschreibung des Aufenthaltsortes des Versicherten im Rahmen der Behandlungspflege vor allem um die Abgrenzung zur Leistungserbringung im stationären Bereich. Aus dem Erfordernis eines eigenen Haushalts ist zu schließen, dass bei einem Daueraufenthalt z. B. in Einrichtungen der Behindertenhilfe ein Leistungsanspruch nur besteht, wenn keine umfassende Versorgung des Versicherten von der Einrichtung durchgeführt wird. Diese Ausnahme traf auf die Klägerin nicht zu.
Die Klägerin führte keinen eigenen Haushalt im Sinne des § 37 SGB V. Ihr Aufenthalt im Wohnheim fand nicht auf der Grundlage eines frei ausgehandelten und von ihr selbst finanziell getragenen Mietvertrages statt. Es handelte sich insgesamt nicht um ein reguläres Mietverhältnis, sondern um eine vom Beigeladenen zu 2) getragene Maßnahme der Eingliederungshilfe nach den §§ 53 ff. des Zwölften Sozialgesetzbuches (SGB XII). Die Klägerin war aufgrund ihrer schweren Behinderungen zur eigenverantwortlichen und selbständigen Führung eines Haushalts nicht in der Lage. Auch aus der Entscheidung des BSG vom 21. November 2002, Az.: B 3 KR 13/02 R, lässt sich nach Auffassung des Senats zu Gunsten der Klägerin nichts herleiten. Zwar hat das BSG in diesem Zusammenhang ausgeführt, § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V begrenze die Leistungspflicht der Krankenkasse nicht räumlich auf den Haushalt des Versicherten oder "seine Familie" als Leistungsort. Medizinisch erforderliche Maßnahmen, die bei vorübergehenden Aufenthalten außerhalb der Familienwohnung anfielen, seien dann nicht von der Leistungspflicht ausgeschlossen, wenn sich der Versicherte ansonsten ständig in seinem Haushalt bzw. in seiner Familie aufhalte und dort seinen Lebensmittelpunkt habe. Bei der Klägerin handelte es sich aber nicht um einen vorübergehenden Aufenthalt außerhalb der Familie, sondern um eine dauerhafte Unterbringung in einer Wohnstätte für Schwerst- und Mehrfachbehinderte.
Der Gesetzgeber hat anlässlich der jüngsten Änderung des § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB V durch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14. November 2003 (BGBl. I 2190) keinen Handlungsbedarf gesehen, häusliche Krankenpflege für Menschen in Einrichtungen der Behindertenhilfe ohne eigenen Haushalt zu ermöglichen. In der Gesetzesbegründung wird vielmehr klargestellt, dass bei derartigen Daueraufenthalten in Heimen weiterhin kein Anspruch auf Leistungen der Behandlungspflege nach dem SGB V besteht (vgl. BT-Drucks. 15/1525 S. 5, 90 sowie BSG Urteil vom 1. September 2005, B 3 KR 19/04 R).
Über die am Urteil des BSG vom 1. September 2005, insbesondere an der Auslegung des Begriffs "eigener Haushalt", geübte Kritik brauchte der Senat nicht zu befinden. Denn auch nach der von der abweichenden Meinung vertretenen Auffassung zur Abgrenzung des Begriffs wäre eine eigene Haushaltsführung der Klägerin nicht zu bejahen (vgl. hierzu ausführlich z.B. SG Dresden vom 15. Dezember 2005, Az.: S 18 KR 470/03).
Der Senat stimmt der Auffassung des BSG zu, dass der Ausschluss von Bewohnern einer Einrichtung der Behindertenhilfe von der häuslichen Krankenpflege nicht verfassungswidrig ist. Es liegt kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz oder gegen das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) vor. Denn der Gesetzgeber verfügt über einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Entscheidung der Frage, welche Lebensrisiken er mit bestimmten sozialen Leistungen absichert und welche nicht. Das Tatbestandmerkmal "eigener Haushalt" stellt kein sachfremdes oder systemwidriges Abgrenzungskriterium für die Behandlungspflege nach § 37 SGB V dar.
Der Senat teilt die Auffassung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht, die Beklagte könne gemäß den §§ 14,15 des Neunten Sozialgesetzbuches (SGB IX) zur Leistung verurteilt werden. Zwar hat die Beklagte den Antrag der Klägerin nicht binnen zwei Wochen an den Beigeladenen zu 2) oder einen anderen Träger weitergeleitet. Die in § 14 Abs. 1 SGB IX normierte Frist ist jedoch hier nicht einschlägig, da es sich bei der beantragten Leistung nicht um eine solche zur Teilhabe i. S. von § 4 SGB IX handelte. Die die hier streitigen Kosten verursachende akute Erkrankung dauerte weniger als sechs Monate und stellte für sich genommen, und nur darauf kommt es an keine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 SGB IX dar. Deshalb ist das SGB IX hier nicht anwendbar (§ 1 SGB IX).
Die Beklagte kann auch nicht zur vorläufigen Leistungserbringung gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB I verpflichtet werden. Denn die Klägerin bzw. ihre Bevollmächtigten haben bei der Beklagten keinen entsprechenden Antrag gestellt. Da ein Anspruch gegen die Beklagte grundsätzlich nicht besteht, konnte die Frage offen bleiben, ob dieser zum Teil wegen der erst nach Beginn der Behandlungspflege, nämlich am 19. November 2001, bei der Beklagten eingereichten ärztlichen Verordnung über häusliche Behandlungspflege zu verneinen wäre.
Allerdings könnte die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung der angefallenen Kosten gegen den Beigeladenen zu 2) haben. Dieser scheitert nicht wie der Beigeladene zu 2) meint bereits daran, dass ihm der Behandlungsbedarf der Klägerin nicht im Sinne des § 5 Abs. 2 BSHG bekannt geworden ist. Denn die Rechtsprechung zur analogen Anwendung von § 16 Abs. 2 Satz 2 des Ersten Sozialgesetzbuches (SGB I) im Sozialhilferecht (vgl. hierzu Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Mai 1995, Az.: 5 C 1/93) gilt auch nach Einfügung des Absatzes 2 durch das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 (BGBl. 1 S. 1088) fort (Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 19. Januar 1999 Az.: 4 L 2970/99 und Beschluss vom 21. Oktober 1999, Az.: 12 L 3780/99; Verwaltungsgericht Braunschweig, Gerichtsbescheid vom 15. Januar 2002, Az.: 4 A 318/00 Verwaltungsgericht Hamburg, Urteil vom 26. Juni 2002, Az.: 13 VG 2074/2002).
Auch teilt der Senat die Auffassung des Beigeladenen zu 2) nicht, dass Ansprüche der Klägerin ihr gegenüber wegen der zwischen der Wohnstätte und dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales nach § 93 Abs. 2 BSHG geschlossenen Leistungsvereinbarung nicht mehr bestanden. Denn in der Leistungsvereinbarung sind in § 4 Nr. 4 als pflegerische Leistungen lediglich die körperliche Grundpflege, die Genesungspflege und die Wundpflege genannt. Die Hilfe bei Krankheit nach § 37 BSHG (jetzt § 48 SGB XII) wird von der Leistungsvereinbarung nicht mit erfasst.
Der Senat kann über den Anspruch des Klägerin gegen den Beigeladenen zu 2) jedoch nicht abschließend entscheiden, da eine Verurteilung zur Leistung nicht möglich ist. Denn nach § 75 Abs. 5 SGG kann nur ein Versicherungsträger oder in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts ein Land nach Beiladung verurteilt werden. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift kommt eine Verurteilung des Beigeladenen zu 2) nicht in Betracht. Zwar könnte es nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift geboten sein, eine eventuelle Regelungslücke durch eine analoge Anwendung zu schließen, zumal die Sozialgerichtsbarkeit seit dem 1. Januar 2005 auch für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitslose (Zweites Sozialgesetzbuch -SGB II-) und in Angelegenheiten der Sozialhilfe (SGB XII) zuständig ist. Das BSG hat in seinem Urteil vom 26. Oktober 2004, Az.: B 7 Al 16/04 R die Frage der analogen Anwendung des § 75 Abs. 5 SGG ausdrücklich offen gelassen. Im Sinne einer zügigen und umfassenden Erledigung der Verfahren und auch wegen der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen spricht vieles dafür, die Verurteilung eines beigeladenen Sozialhilfeträgers im SGG vorzusehen. Gerade in Fällen, in denen die Zuständigkeit des jeweiligen Trägers streitbefangen ist, besteht die Gefahr, dass ohne analoge Anwendung des § 75 Abs. 5 SGG die Betroffenen keinen effektiven Rechtschutz erhalten. Dennoch ist der Senat der Auffassung, dass eine analoge Anwendung des § 75 Abs. 5 SGG nicht in Betracht kommt. Hierbei ist vor allem der Ausnahmecharakter der Vorschrift zu berücksichtigen. In § 75 Abs. 5 SGG wird von der Regel abgewichen, dass nur Beklagte und auf Widerklage der Kläger verurteilt werden können, nicht aber ein anderer Verfahrensbeteiligter, und damit grundsätzlich auch nicht ein Beigeladener (Keller/Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Komm. 8. Aufl., § 75 Rn 18ff). Als Ausnahmevorschrift ist sie eng auszulegen, da die Verurteilung eines Beigeladenen ggf. ohne vorausgegangenes Vorverfahren - einen erheblichen Eingriff in seine Rechte darstellt. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung wurde bislang eine entsprechende Anwendung des § 75 Abs. 5 SGG auch nur in wenigen Ausnahmefällen angenommen (vgl. Urteil des BSG vom 24. November 1965, BSGE 24, 103, 104, Urteil vom 3. April 1986, Az.: 4a RJ 1/85; LSG Niedersachsen, Beschluss vom 24. Oktober 1996, L 5 Ka 51/96 eR, Breithaupt 1997, 381ff).
Nach Auffassung des Senats kann eine planwidrige Regelungslücke oder ein Redaktionsversehen nicht unterstellt werden (andere Auffassung: SG Stuttgart, Beschluss vom 29. September 2005, Az.: S 21 SO 5122/05. Der Gesetzgeber hat durch das 7. Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I, S. 3302) eine Vielzahl von Vorschriften im SGG im Hinblick auf die Zuständigkeiten für das SGB II und SGB XII geändert. § 75 Abs. 5 SGG ist jedoch nicht neu gefasst worden. Die Gründe hierfür sind nicht bekannt und können weder aus der amtlichen Gesetzesbegründung noch aus sonstigen Materialien in Erfahrung gebracht werden. Bei dieser Konstellation hält es der Senat nicht für zulässig, den Ausnahmecharakter der Vorschrift zu vernachlässigen und vom eindeutigen Wortlaut abzuweichen. Falls es der Gesetzgeber für sinnvoll und notwendig erachtet, den Sozialgerichten im Rahmen der Beiladung die Befugnis zur Verurteilung der Sozialhilfeträger einzuräumen, so muss er § 75 Abs. 5 SGG entsprechend ändern (vgl. auch den Beschluss des 9. Senats des erkennenden Gerichts vom 9. November 2005 L 9 B 268/05 SO ER) sowie Beschluss vom 14. November 2005 L 9 B 260/05 SO ER).
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, da der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt. Denn soweit ersichtlich ist die Frage der analogen Anwendung des § 75 Abs. 5 SGG auf Sozialhilfeträger höchstrichterlich noch nicht entschieden worden.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten für Behandlungspflege im Rahmen der häuslichen Krankenpflege.
Die 1960 geborene und 2005 verstorbene Klägerin war bei der Beklagten als Familienversicherte krankenversichert. Sie war seit dem 1. März 1997 im Wohnheim für Behinderte, H , untergebracht und erhielt von der Pflegekasse der Beklagten (Beigeladene zu 1) seit Juli 1996 Leistungen der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III. Das Wohnheim ist eine vollstationäre Einrichtung der Behindertenhilfe nach § 43a des Elften Sozialgesetzbuches (SGB XI). Auf der Grundlage einer am 1. November 2000 zwischen der Wohnstätte für Menschen mit besonderem Hilfebedarf, vertreten durch den Kirchenkreis H -B , und dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Schleswig-Holstein geschlossenen Leistungsvereinbarung trug der Beigeladene zu 2) die Kosten der Unterbringung der Klägerin. Nach § 2 der Vereinbarung leistete die Wohnstätte Eingliederungshilfe gemäß §§ 39/40 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) und Hilfe zur Pflege nach § 68 BSHG. Die Förder-, Betreuungs- und Beschäftigungsangebote sowie die individuelle Pflege umfassten nach § 4 der Leistungsvereinbarung insbesondere folgende Bereiche: Tagesstrukturierende Maßnahmen, Alltagskompetenzen und lebenspraktischer Bereich, Körperliches Wohl und Gesundheitsfürsorge, Pflegerische Leistungen, soziale Kompetenz und soziale Kontakte, Psychosozialer Bereich, Freizeitgestaltung, Gemeinsame Aktivitäten wie einfache Spiele und Bewegung. Die Wohnstätte war aufgrund der Leistungsvereinbarung verpflichtet, pflegerische Leistungen in Form der körperlichen Grundpflege, Genesungspflege und Wundpflege (§§ 39/68 BSHG) zu erbringen.
Die Klägerin litt an einer schweren Intelligenzminderung bei pränataler Hirnschädigung sowie einem cerebralen Anfallsleiden. Ihre Mutter war zu ihrer Betreuerin bestellt worden. Ab dem 14. August 2001 befand sich die Klägerin wegen anhaltender Durchfälle fast durchgehend im Krankenhaus. Bei zwei Operationen wurden ihr die Gallenblase sowie ein Polyp im Darm entfernt. Nach der zweiten Operation konnte die Klägerin keine Nahrung aufnehmen. Im September 2001 wurde deshalb bei ihr eine Magensonde gelegt. Die Entlassung in ihr Wohnheim erfolgte am 1. November 2001. Die Sondenernährung wurde durch das Deutsche Rote Kreuz durchgeführt. Die Diakonie-Station H übernahm die Behandlungspflege der Klägerin im Zeitraum vom 1. November 2001 bis 31. Dezember 2001.
Am 19. November 2001 beantragte die Behinderteneinrichtung unter Vorlage einer Verordnung der Fachärztin für innere Medizin W die Übernahme der Kosten für häusliche Krankenpflege. Mit Bescheiden vom 26. November 2001 und 18. Dezember 2001 teilte die Beklagte dem Vater der Klägerin mit, die Bewilligung von häuslicher Krankenpflege könne nicht erfolgen. Denn die verordnete Leistung sei Versicherten für ihren Haushalt vorbehalten. Die Klägerin verfüge jedoch nicht über einen "eigenen Haushalt", da sie in einer vollstationären Einrichtung untergebracht sei. Zahlungspflichtig sei die vollstationäre Einrichtung.
Der Vater der Klägerin legte am 25. Januar 2002 gegen die Bescheide Widerspruch ein und schilderte darin den Krankheitsverlauf seiner Tochter. Nach ihrer Entlassung am 1. November 2001 sei eine sorgfältige Dosierung der Sondennahrung, die Pflege der Magensonde, eine medikamentöse Versorgung gegen Krampfanfälle und Thrombose erforderlich gewesen. Wäre seine Tochter noch länger im Krankenhaus verblieben, so hätte mit einer weiteren Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes gerechnet werden müssen. Deshalb hätten sie - die Eltern - sich bereit erklärt, notfalls die Kosten für die Pflege ihrer Tochter selbst zu übernehmen. Die Versorgung durch die Diakonie-Station habe dann auch zur Genesung der Klägerin am 4. Dezember 2001 geführt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, häusliche Krankenpflege werde nur an Versicherte erbracht, die sich in ihrem Haushalt oder ihrer Familie aufhielten. Bei der Klägerin sei jedoch die Grundvoraussetzung einer selbstständigen eigenen hauswirtschaftlichen Versorgung nicht gegeben. Auf der Grundlage des § 43a des Elften Sozialgesetzbuches (SGB XI) übernehme die Pflegeversicherung die pflegebedingten Aufwendungen in dem dort gesetzlich geregelten Umfange.
Hiergegen hat sich die Betreuerin der Klägerin mit ihrer am 19. August 2002 beim Sozialgericht Schleswig erhobenen Klage gewandt und vorgetragen, ihre Tochter habe damals nicht ohne qualifizierte Hilfe von außen in ihr Wohnheim entlassen werden können. Die Entlassung sei auf dringende Empfehlung des Stationsarztes geschehen, um weitere Infektionen zu vermeiden. Die Betreuerin der Klägerin hat zudem eine Erklärung des Deutschen Vereins zur Finanzierung behandlungspflegerischer Leistungen zur Akte gereicht.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26. November 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2002 zu verurteilen, ihr Kosten für Behandlungspflege in Höhe von 1.946,46 EUR zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide berufen und ergänzend vorgetragen, Voraussetzung der begehrten Leistung sei nach wie vor ein zumindest überwiegender Aufenthalt in der Familie oder dem eigenen Haushalt. Diese Voraussetzung sei eindeutig nicht gegeben. Die Beigeladene zu 1) beteilige sich bereits an den Pflegeaufwendungen der Einrichtung mit einem pauschalen Abgeltungsbetrag. Mit diesem seien auch die Leistungen der medizinischen Behandlungspflege abgegolten. Ein weiter gehender Anspruch bestehe nicht. Zudem dürfe nach den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von "häuslicher Krankenpflege" für die Zeit des voll- oder teilstationären Aufenthaltes in Krankenhäusern oder Behindertenheimen häusliche Krankenpflege nicht verordnet werden.
Mit Urteil vom 13. August 2004 hat das Sozialgericht der Klage teilweise stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Klägerin stehe ein Kostenerstattungsanspruch in Höhe von 853,53 EUR zu. Denn die Beklagte habe Leistungen der häuslichen Krankenpflege zu Unrecht nicht übernommen. Der Klägerin habe während der Zeit nach der Entlassung aus dem Krankenhaus am 1. November 2001 ein Sachleistungsanspruch auf Gewährung von Behandlungspflege zugestanden. Die Einwände der Beklagten würden nicht durchgreifen. Denn der Begriff "in ihrer Familie" lasse sich nicht räumlich begrenzen. Schon die Formulierung "in ihrer Familie" statt "in dem ihrer Familie" lege nicht die Beschränkung auf einen Haushalt der Familie nahe, sondern spreche dafür, dass es auch auf den jeweiligen Aufenthaltsort eines von u. U. mehreren ankomme. Hätte die Betreuerin der Klägerin diese mit Hilfe z. B. von ambulanten Pflegediensten zu Hause betreut, so wäre ohne weiteres die Kostenübernahme seitens der Beklagten erfolgt. Der Beklagten wären erhebliche Mehrkosten durch eine Verlängerung des stationären Aufenthaltes der Klägerin im Krankenhaus entstanden. Die häusliche Krankenpflege solle als Sachleistung der Beklagten gerade dazu dienen, teure stationäre Aufenthalte zu vermeiden. Zwar hätten die Eltern der Klägerin die Verrichtungen der Grundpflege sowie das An- und Abstöpseln der PEG-Sonde nicht selbstständig bewerkstelligen können. Jedoch seien sie jeden Tag gegen 10.00 Uhr gekommen und hätten sich intensiv um ihre Tochter gekümmert. Damit seien alle Voraussetzungen einer häuslichen Krankenpflege erfüllt. Da die Formulierung "in ihrer Familie" lediglich zur Abgrenzung der Leistungserbringung im stationären Bereich diene, könne § 37 Abs. 2 des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) nach Sinn und Zweck versichertenfreundlich ausgelegt werden. Diese Auslegung sei auch durch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) geboten.
Gegen die ihr am 5. November 2004 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte am 26. November 2004 Berufung beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingelegt. Sie trägt vor, der Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts würden gesetzliche Vorschriften entgegenstehen. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts sei der Kostenanteil, den die Beigeladene zu 1) gemäß § 43a SGB XI an die Behinderteneinrichtung zahle, nicht als Zuschuss für die Unterbringung der Klägerin anzusehen. Vielmehr übernehme die Pflegekasse die pflegebedingten Aufwendungen der sozialen Betreuung sowie in der Zeit vom 1. Juli 1996 bis zum 31. Dezember 2004 die Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege. Falls sich eine Behinderteneinrichtung aus personellen oder finanziellen Gründen nicht dazu in der Lage sehe, die Behandlungspflege zu übernehmen, könne es nicht Aufgabe der Beklagten sein, stattdessen häusliche Krankenpflege zu bewilligen. Im Übrigen sei zwischen den Einrichtungsträgern und dem Land Schleswig-Holstein eine Vereinbarung nach § 93 Abs. 2 BSHG geschlossen worden. In dieser seien unter Punkt 4 pflegerische Leistungen vereinbart worden, ohne dass die Beklagte als Leistungsträger berührt sei.
Der Senat hat den Kreis Nordfriesland, Amt für Jugend, Familie und Soziales, zu diesem Verfahren beigeladen (zunächst Beigeladener zu 3), jetzt Beigeladener zu 2)).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 13. August 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 13. August 2004 zurückzuweisen,
hilfsweise den Beigeladenen zu 3) (jetzt 2)) zu verurteilen, die Kosten für die Behandlungspflege der Klägerin ausweislich der Rechnungen der DIASO vom 10.12.2001 und 10.1.2001 in Höhe von 853,53 Euro zu zahlen.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin trägt vor, die Rechnungen der DIASO (Abrechnungsstelle der Diakonie) seien in vollem Umfange vom Vater der Klägerin beglichen worden. Aufgrund der Leistungsvereinbarung nach § 93 Abs. 2 BSHG sei der Einrichtungsträger nicht verpflichtet, die Kosten der Behandlungspflege zu übernehmen. Denn diese beinhalte nur pflegerische Leistungen nach den §§ 39 und 68 BSHG. Die Hilfe bei Krankheit gemäß § 37 BSHG (jetzt § 48 des Zwölften Sozialgesetzbuches SGB XII -) werde von der Leistungsvereinbarung nicht erfasst. Die Beklagte müsse auf dem Hintergrund der §§ 14, 15 des Neunten Sozialgesetzbuches – SGB IX – zur Leistung verurteilt werden. Denn sie habe den Antrag nicht binnen zwei Wochen an den ihrer Auffassung nach zuständigen Träger weitergeleitet. Auf alle Fälle sei aber entweder die Beklagte oder der Beigeladene zu 2) zur Leistung verpflichtet.
Der Beigeladene zu 2) stellt keinen Sachantrag. Schriftsätzlich beantragt er, für den Fall seiner Verurteilung die Revision zuzulassen.
Er trägt vor, die sozialhilferechtlichen Ansprüche der Klägerin seien dadurch erfüllt, dass er die stationäre Betreuung der Klägerin in der Wohnstätte sichergestellt habe. Die Wohnstätte sei nach der geschlossenen Leistungsvereinbarung verpflichtet, die Kosten für pflegerische Leistungen zu übernehmen. Außerdem sei der streitgegenständliche Bedarf der Klägerin ihm – dem Beigeladenen zu 2) – erst am 17. Januar 2002 durch ein Telefonat bekannt geworden. Zu diesem Zeitpunkt sei der Zusatzbedarf schon erfüllt bzw. der Bedarfszeitraum beendet gewesen. Die Vorschrift des § 16 Abs. 2 Satz 2 des Ersten Sozialgesetzbuches (SGB I) könne nicht herangezogen werden. Auch stehe dem Anspruch der Klägerin die Vorschrift des § 59 SGB I entgegen. Zudem erhebt er die Einrede der Verjährung.
Die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Verfahrensakte haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 22. Februar 2006 gewesen; zur Ergänzung wird auf diese Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne erneute mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143,151 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG -).
Für die verstorbene Klägerin wird der Rechtsstreit von ihren Eltern als Rechtsnachfolger fortgesetzt (§ 58 SGB I).
Die Berufung ist auch begründet. Das angefochtenen Urteil ist aufzuheben, denn zu Unrecht hat das Sozialgericht der Klage teilweise stattgegeben. Die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Zwar kommt statt der Beklagten der Beigeladene zu 2) als leistungspflichtig in Betracht. Er kann in diesem Rechtsstreit aber nicht verurteilt werden.
Grundlage des geltend gemachten Anspruchs bildet § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Hiernach sind Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten, die dadurch anfallen, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Variante 1) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Variante 2) und sich der Versicherte die notwendige Leistung deshalb selbst beschafft hat. Zwar sind die Rechnungen der DIASO von dem Vater der verstorbenen Klägerin für diese in vollem Umfange beglichen worden. Ein Kostenerstattungsanspruch gegen die Beklagte besteht aber nicht, da ein Sachleistungsanspruch der Klägerin auf Gewährung häuslicher Krankenpflege nicht gegeben war.
Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V erhalten Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie neben der ärztlichen Behandlung häusliche Krankenpflege durch geeignete Pflegekräfte, wenn Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar ist, oder wenn sie durch die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt wird. Die häusliche Krankenpflege umfasst die im Einzelfall erforderliche Grund- und Behandlungspflege sowie hauswirtschaftliche Versorgung. Der Anspruch besteht bis zu vier Wochen je Krankheitsfall (§ 37 Abs. 1 Satz 3 SGB V). Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 26. Juni 1990 (BGBl I S. 1211) erhalten Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Die Satzung kann bestimmen, dass die Krankenkasse zusätzlich zur Behandlungspflege nach Satz 1 als häusliche Krankenpflege auch Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung erbringt (§ 37 Abs. 2 Satz 2 SGB V). Weder die Voraussetzungen des Abs. 1 noch des Abs. 2 des § 37 SGB V liegen vor.
Die Beklagte geht allerdings zu Unrecht davon aus, dass die Bestimmungen des § 43a SGB XI in Verbindung mit § 43 Abs. 2 SGB XI dem Anspruch entgegenstehen. Denn die in § 43 Abs. 2 SGB XI normierte Übernahme von Leistungen der medizinischen Behandlungspflege durch die Pflegekasse gilt für die Einrichtungen der Behindertenhilfe (§ 71 Abs. 4 SGB XI) nicht; deshalb sind Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich auch beim Aufenthalt in einer Einrichtung nach den §§ 71 Abs. 4, 43a SGB XI zu gewähren (vgl. hierzu insbesondere BSG Urteil vom 1. September 2005, Az.: B 3 KR 19/04 R). Die pauschale Abgeltung der Pflegeleistungen nach § 43a SGB XI steht dem Anspruch eines krankenversicherten Pflegebedürftigen auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege ebenfalls nicht entgegen.
Ein Anspruch gegen die Beklagte ist aber deshalb nicht gegeben, weil der Klägerin kein eigener Haushalt in der Behinderteneinrichtung zur Verfügung stand. Haushalt ist die häusliche, wohnungsmäßige und familienhafte Wirtschaftsführung; er wird zum "eigenen Haushalt", wenn der Betreffende die Kosten der Lebens- und Wirtschaftsführung im Wesentlichen selbst trägt (vgl. hierzu BSG Urteil vom 23. März 1983 Az.: 3 RK 66/81 sowie Urteil vom 21. November 2002, Az.: B 3 KR 13/02 R). Entscheidend ist, ob dem Versicherten eine eigenständige und eigenverantwortliche Wirtschaftsführung möglich ist. Dem Gesetzgeber geht es bei der Umschreibung des Aufenthaltsortes des Versicherten im Rahmen der Behandlungspflege vor allem um die Abgrenzung zur Leistungserbringung im stationären Bereich. Aus dem Erfordernis eines eigenen Haushalts ist zu schließen, dass bei einem Daueraufenthalt z. B. in Einrichtungen der Behindertenhilfe ein Leistungsanspruch nur besteht, wenn keine umfassende Versorgung des Versicherten von der Einrichtung durchgeführt wird. Diese Ausnahme traf auf die Klägerin nicht zu.
Die Klägerin führte keinen eigenen Haushalt im Sinne des § 37 SGB V. Ihr Aufenthalt im Wohnheim fand nicht auf der Grundlage eines frei ausgehandelten und von ihr selbst finanziell getragenen Mietvertrages statt. Es handelte sich insgesamt nicht um ein reguläres Mietverhältnis, sondern um eine vom Beigeladenen zu 2) getragene Maßnahme der Eingliederungshilfe nach den §§ 53 ff. des Zwölften Sozialgesetzbuches (SGB XII). Die Klägerin war aufgrund ihrer schweren Behinderungen zur eigenverantwortlichen und selbständigen Führung eines Haushalts nicht in der Lage. Auch aus der Entscheidung des BSG vom 21. November 2002, Az.: B 3 KR 13/02 R, lässt sich nach Auffassung des Senats zu Gunsten der Klägerin nichts herleiten. Zwar hat das BSG in diesem Zusammenhang ausgeführt, § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V begrenze die Leistungspflicht der Krankenkasse nicht räumlich auf den Haushalt des Versicherten oder "seine Familie" als Leistungsort. Medizinisch erforderliche Maßnahmen, die bei vorübergehenden Aufenthalten außerhalb der Familienwohnung anfielen, seien dann nicht von der Leistungspflicht ausgeschlossen, wenn sich der Versicherte ansonsten ständig in seinem Haushalt bzw. in seiner Familie aufhalte und dort seinen Lebensmittelpunkt habe. Bei der Klägerin handelte es sich aber nicht um einen vorübergehenden Aufenthalt außerhalb der Familie, sondern um eine dauerhafte Unterbringung in einer Wohnstätte für Schwerst- und Mehrfachbehinderte.
Der Gesetzgeber hat anlässlich der jüngsten Änderung des § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB V durch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14. November 2003 (BGBl. I 2190) keinen Handlungsbedarf gesehen, häusliche Krankenpflege für Menschen in Einrichtungen der Behindertenhilfe ohne eigenen Haushalt zu ermöglichen. In der Gesetzesbegründung wird vielmehr klargestellt, dass bei derartigen Daueraufenthalten in Heimen weiterhin kein Anspruch auf Leistungen der Behandlungspflege nach dem SGB V besteht (vgl. BT-Drucks. 15/1525 S. 5, 90 sowie BSG Urteil vom 1. September 2005, B 3 KR 19/04 R).
Über die am Urteil des BSG vom 1. September 2005, insbesondere an der Auslegung des Begriffs "eigener Haushalt", geübte Kritik brauchte der Senat nicht zu befinden. Denn auch nach der von der abweichenden Meinung vertretenen Auffassung zur Abgrenzung des Begriffs wäre eine eigene Haushaltsführung der Klägerin nicht zu bejahen (vgl. hierzu ausführlich z.B. SG Dresden vom 15. Dezember 2005, Az.: S 18 KR 470/03).
Der Senat stimmt der Auffassung des BSG zu, dass der Ausschluss von Bewohnern einer Einrichtung der Behindertenhilfe von der häuslichen Krankenpflege nicht verfassungswidrig ist. Es liegt kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz oder gegen das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) vor. Denn der Gesetzgeber verfügt über einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Entscheidung der Frage, welche Lebensrisiken er mit bestimmten sozialen Leistungen absichert und welche nicht. Das Tatbestandmerkmal "eigener Haushalt" stellt kein sachfremdes oder systemwidriges Abgrenzungskriterium für die Behandlungspflege nach § 37 SGB V dar.
Der Senat teilt die Auffassung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht, die Beklagte könne gemäß den §§ 14,15 des Neunten Sozialgesetzbuches (SGB IX) zur Leistung verurteilt werden. Zwar hat die Beklagte den Antrag der Klägerin nicht binnen zwei Wochen an den Beigeladenen zu 2) oder einen anderen Träger weitergeleitet. Die in § 14 Abs. 1 SGB IX normierte Frist ist jedoch hier nicht einschlägig, da es sich bei der beantragten Leistung nicht um eine solche zur Teilhabe i. S. von § 4 SGB IX handelte. Die die hier streitigen Kosten verursachende akute Erkrankung dauerte weniger als sechs Monate und stellte für sich genommen, und nur darauf kommt es an keine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 SGB IX dar. Deshalb ist das SGB IX hier nicht anwendbar (§ 1 SGB IX).
Die Beklagte kann auch nicht zur vorläufigen Leistungserbringung gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB I verpflichtet werden. Denn die Klägerin bzw. ihre Bevollmächtigten haben bei der Beklagten keinen entsprechenden Antrag gestellt. Da ein Anspruch gegen die Beklagte grundsätzlich nicht besteht, konnte die Frage offen bleiben, ob dieser zum Teil wegen der erst nach Beginn der Behandlungspflege, nämlich am 19. November 2001, bei der Beklagten eingereichten ärztlichen Verordnung über häusliche Behandlungspflege zu verneinen wäre.
Allerdings könnte die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung der angefallenen Kosten gegen den Beigeladenen zu 2) haben. Dieser scheitert nicht wie der Beigeladene zu 2) meint bereits daran, dass ihm der Behandlungsbedarf der Klägerin nicht im Sinne des § 5 Abs. 2 BSHG bekannt geworden ist. Denn die Rechtsprechung zur analogen Anwendung von § 16 Abs. 2 Satz 2 des Ersten Sozialgesetzbuches (SGB I) im Sozialhilferecht (vgl. hierzu Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Mai 1995, Az.: 5 C 1/93) gilt auch nach Einfügung des Absatzes 2 durch das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 (BGBl. 1 S. 1088) fort (Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 19. Januar 1999 Az.: 4 L 2970/99 und Beschluss vom 21. Oktober 1999, Az.: 12 L 3780/99; Verwaltungsgericht Braunschweig, Gerichtsbescheid vom 15. Januar 2002, Az.: 4 A 318/00 Verwaltungsgericht Hamburg, Urteil vom 26. Juni 2002, Az.: 13 VG 2074/2002).
Auch teilt der Senat die Auffassung des Beigeladenen zu 2) nicht, dass Ansprüche der Klägerin ihr gegenüber wegen der zwischen der Wohnstätte und dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales nach § 93 Abs. 2 BSHG geschlossenen Leistungsvereinbarung nicht mehr bestanden. Denn in der Leistungsvereinbarung sind in § 4 Nr. 4 als pflegerische Leistungen lediglich die körperliche Grundpflege, die Genesungspflege und die Wundpflege genannt. Die Hilfe bei Krankheit nach § 37 BSHG (jetzt § 48 SGB XII) wird von der Leistungsvereinbarung nicht mit erfasst.
Der Senat kann über den Anspruch des Klägerin gegen den Beigeladenen zu 2) jedoch nicht abschließend entscheiden, da eine Verurteilung zur Leistung nicht möglich ist. Denn nach § 75 Abs. 5 SGG kann nur ein Versicherungsträger oder in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts ein Land nach Beiladung verurteilt werden. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift kommt eine Verurteilung des Beigeladenen zu 2) nicht in Betracht. Zwar könnte es nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift geboten sein, eine eventuelle Regelungslücke durch eine analoge Anwendung zu schließen, zumal die Sozialgerichtsbarkeit seit dem 1. Januar 2005 auch für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitslose (Zweites Sozialgesetzbuch -SGB II-) und in Angelegenheiten der Sozialhilfe (SGB XII) zuständig ist. Das BSG hat in seinem Urteil vom 26. Oktober 2004, Az.: B 7 Al 16/04 R die Frage der analogen Anwendung des § 75 Abs. 5 SGG ausdrücklich offen gelassen. Im Sinne einer zügigen und umfassenden Erledigung der Verfahren und auch wegen der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen spricht vieles dafür, die Verurteilung eines beigeladenen Sozialhilfeträgers im SGG vorzusehen. Gerade in Fällen, in denen die Zuständigkeit des jeweiligen Trägers streitbefangen ist, besteht die Gefahr, dass ohne analoge Anwendung des § 75 Abs. 5 SGG die Betroffenen keinen effektiven Rechtschutz erhalten. Dennoch ist der Senat der Auffassung, dass eine analoge Anwendung des § 75 Abs. 5 SGG nicht in Betracht kommt. Hierbei ist vor allem der Ausnahmecharakter der Vorschrift zu berücksichtigen. In § 75 Abs. 5 SGG wird von der Regel abgewichen, dass nur Beklagte und auf Widerklage der Kläger verurteilt werden können, nicht aber ein anderer Verfahrensbeteiligter, und damit grundsätzlich auch nicht ein Beigeladener (Keller/Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Komm. 8. Aufl., § 75 Rn 18ff). Als Ausnahmevorschrift ist sie eng auszulegen, da die Verurteilung eines Beigeladenen ggf. ohne vorausgegangenes Vorverfahren - einen erheblichen Eingriff in seine Rechte darstellt. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung wurde bislang eine entsprechende Anwendung des § 75 Abs. 5 SGG auch nur in wenigen Ausnahmefällen angenommen (vgl. Urteil des BSG vom 24. November 1965, BSGE 24, 103, 104, Urteil vom 3. April 1986, Az.: 4a RJ 1/85; LSG Niedersachsen, Beschluss vom 24. Oktober 1996, L 5 Ka 51/96 eR, Breithaupt 1997, 381ff).
Nach Auffassung des Senats kann eine planwidrige Regelungslücke oder ein Redaktionsversehen nicht unterstellt werden (andere Auffassung: SG Stuttgart, Beschluss vom 29. September 2005, Az.: S 21 SO 5122/05. Der Gesetzgeber hat durch das 7. Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I, S. 3302) eine Vielzahl von Vorschriften im SGG im Hinblick auf die Zuständigkeiten für das SGB II und SGB XII geändert. § 75 Abs. 5 SGG ist jedoch nicht neu gefasst worden. Die Gründe hierfür sind nicht bekannt und können weder aus der amtlichen Gesetzesbegründung noch aus sonstigen Materialien in Erfahrung gebracht werden. Bei dieser Konstellation hält es der Senat nicht für zulässig, den Ausnahmecharakter der Vorschrift zu vernachlässigen und vom eindeutigen Wortlaut abzuweichen. Falls es der Gesetzgeber für sinnvoll und notwendig erachtet, den Sozialgerichten im Rahmen der Beiladung die Befugnis zur Verurteilung der Sozialhilfeträger einzuräumen, so muss er § 75 Abs. 5 SGG entsprechend ändern (vgl. auch den Beschluss des 9. Senats des erkennenden Gerichts vom 9. November 2005 L 9 B 268/05 SO ER) sowie Beschluss vom 14. November 2005 L 9 B 260/05 SO ER).
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, da der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt. Denn soweit ersichtlich ist die Frage der analogen Anwendung des § 75 Abs. 5 SGG auf Sozialhilfeträger höchstrichterlich noch nicht entschieden worden.
Rechtskraft
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