L 3 AL 54/06

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
3
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 13 AL 400/04
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 54/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 7. April 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über Insolvenzgeld (Insg).

Der 1960 geborene Kläger stellte am 8. Juni 2004 einen Antrag auf Insg und gab an, bei der zahlungsunfähigen Firma e. & Co KG i.G. in M (im Folgenden: e ) bis zum 7. Juni 2004 als Produktionshelfer beschäftigt gewesen zu sein. Diese Firma habe ihre Betriebstätigkeit vollständig beendet. Beigefügt war ein Schreiben der e vom 7. Juni 2004, mit dem das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt worden war. Zur Begründung heißt es in dem Schreiben, die Geschäftsleitung habe sich entschlossen, den gesamten Betrieb für einen seiner Dauer nach unbestimmten, wirtschaftlich nicht unerheblichen Zeitraum aufzuheben, weil bei vernünftiger betriebswirtschaftlicher Betrachtung eine Aufrechterhaltung des Betriebs nicht möglich sei. Hintergrund sei eine polizeiliche Durchsuchung der Berliner Geschäftsräume der e am 24. Mai 2004, bei der ein Großteil der Geschäftsunterlagen sichergestellt worden sei. Die polizeilichen Ermittlungen hätten das Vertrauen der Endabnehmer in die e erschüttert und dazu geführt, dass wichtige Aufträge gekündigt worden seien. Eine ordnungsgemäße Gehaltsabrechnung sei derzeit nicht möglich, weil sich auch die Personalunterlagen einschließlich der Lohnsteuerkarte des Klägers bei der Polizei befänden. Ergänzend gab der Kläger an, dass für die Zeit vom 10. bis 31. Mai 2004 noch Brutto-Arbeitsentgelt in Höhe von 969,00 EUR (drei Wochen à 34 Stunden x 9,50 EUR Stundenlohn) und für die Zeit vom 1. bis 7. Ju¬ni 2004 in Höhe von 323,00 EUR (5 Arbeitstage à 6,8 Stunden x 9,50 EUR) ausstehe.

Auf Anforderung der Beklagten legte der Kläger auch den am 29. April 2004 unterzeichneten Arbeitsvertrag vor, der sich auf eine Tätigkeit des Klägers als Produktionshelfer in H bezog und einen Arbeitsbeginn am 10. Mai 2004 vorsah. Auf den Vertrag wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 1. Juli 2004 lehnte die Beklagte den Insg-Antrag unter Bezugnahme auf § 183 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) mit der Begründung ab, dass ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden sei und die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit nicht habe festgestellt werden können. Die Voraussetzungen der Zahlung von Insg lägen deshalb nicht vor.

Zur Begründung seines hiergegen eingelegten Widerspruchs führte der Kläger aus, dass seine ehemalige Arbeitgeberin ihre Betriebstätigkeit im Inland vollständig eingestellt habe. Die Betriebsstätte in H sei geschlossen. Zahlungen habe die Firma auf das zurückliegende Arbeitsverhältnis nicht geleistet. Ein Insolvenzverfahren komme offensichtlich nicht in Betracht, weil keine Masse vorhanden sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2004 wies die Beklagte den Widerspruch unter Wiederholung und Vertiefung des Ausgangsbescheides als unbegründet zurück.

Der Kläger hat am 5. August 2004 bei dem Sozialgericht Lübeck Klage erhoben. Zur Begründung hat er sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt und ergänzend darauf hingewiesen, dass zwischenzeitlich gegen die e wegen bandenmäßigen/gewerbsmäßigen Betruges ermittelt werde. Bereits dieses Ermittlungsverfahren mache deutlich, dass seine ehemalige Arbeitgeberin die Betriebstätigkeit insgesamt eingestellt habe. Er selbst habe vor dem Arbeitsgericht Hamburg sein Gehalt für die Zeit vom 10. Mai bis 7. Juni 2004 eingeklagt (Az. 12 Ca 366/04). Ansprüche aus dem zu erwartenden Titel würden aber nicht zu realisieren sein. In der Zeit vom 10. Mai bis 7. Juni 2004 habe er tatsächlich gearbeitet.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 1. Juli 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Insolvenzgeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ergänzend hat sie unter Vorlage auch des Arbeitgeberteils ihrer Akten darauf hingewiesen, dass sie sich um eine Aufklärung des Sachverhalts bei dem Geschäftsführer der e bemüht habe. Dieser sei indessen unbekannten Aufenthalts. Eine gewerberechtliche Anmeldung der e in M sei nicht feststellbar gewesen. Im Übrigen lägen ihr Erkenntnisse vor, dass die e Vermittlungsgutscheine missbräuchlich in Anspruch nehme bzw. genommen habe, ohne echte produktive Arbeitsleistungen zu erbringen. Offensichtlich würden gegenüber den Arbeitnehmern Scheinarbeitsverhältnisse vorgetäuscht. Der Verdacht auf Missbrauch des Vermittlungsgutscheinverfahrens sei Gegenstand des laufenden Ermittlungsverfahrens.

Auf Nachfrage des Sozialgerichts hat die Staatsanwaltschaft Berlin mit Schreiben vom 10. März 2005 mitgeteilt, dass es sich bei dem dort geführten Ermittlungsverfahren um ein derzeit 86 Aktenbände umfassendes Großverfahren handele. Der Kläger des dem Sozialgericht vorliegenden Rechtsstreits sei dort als Geschädigter eines Betruges bekannt. Es werde seitens der Staatsanwaltschaft davon ausgegangen, dass er durch die Vermittlungsfirma J. & Co. KG in ein Scheinarbeitsverhältnis bei der Scheinfirma e vermittelt worden sei. Das einzige Ziel der "Vermittlung" sei die betrügerische Erlangung der Vermittlungsprovision durch die Verantwortlichen der J. & Co. KG gewesen, während die geschädigten Arbeitnehmer mit sinnlosen Tätigkeiten bei dem angeblichen Arbeitgeber beschäftigt worden seien, wobei eine Bezahlung zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt worden sei. Nach den der Staatsanwaltschaft vorliegenden Erkenntnissen handele es sich bei der e um eine Scheinfirma.

Hierzu hat die Beklagte ergänzend vorgetragen, dass nach den Mitteilungen der Staatsanwaltschaft nicht von einer Zahlungsunfähigkeit, die Voraussetzung eines Anspruch auf Insg sei, ausgegangen werden könne, sondern von einem Fall von Zahlungsunwilligkeit.

Nach mündlicher Verhandlung am 7. April 2006 hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom selben Tage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Insg. Voraussetzung eines solchen Anspruchs sei nach § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III die Zahlungsunfähigkeit eines Arbeitgebers. An beidem fehle es hier. Die e habe es offensichtlich zu keinem Zeitpunkt tatsächlich gegeben; nach den vorliegenden Erkenntnissen handele es sich um eine Scheinfirma. Einen Vertrag über die Gründung der "Limited" – also einer GmbH-ähnlichen Gesellschaft – sowie einen zeitlich nachfolgenden Vertrag über die Gründung der Kommanditgesellschaft habe es – soweit ersichtlich – nicht gegeben. Selbst wenn es sich bei der e jedoch um einen Arbeitgeber im Sinne von § 183 SGB III gehandelt haben sollte, könne dessen Zahlungsunfähigkeit nicht festgestellt werden. Eine Masseunzulänglichkeit könne schon im Hinblick darauf, dass völlig unklar sei, wer eigentlich maßgeblich als Gesellschafter hinter der e stehe, nicht festgestellt werden. Unabhängig davon liege bei einer Gesamtschau des offensichtlich rechtswidrigen und kollusiven Zusammenwirkens der für die J. & Co. KG und für e handelnden Personen auch eher eine Zahlungsunwilligkeit als eine Zahlungsunfähigkeit vor. Im Hinblick darauf, dass zumindest mit e keinerlei auf Gewinnerzielung durch gewerbliche Tätigkeit gerichteter Zweck verfolgt worden sei, könne davon ausgegangen werden, dass die Drahtzieher auch keinerlei Absicht gehabt hätten, die eingestellten Arbeitnehmer zu bezahlen. Es sei jedoch nicht gerechtfertigt, die Zahlungsunwilligkeit eines Arbeitgebers mit einer Zahlungsunfähigkeit gleichzusetzen. Wenn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) schon die Nichterfüllung wirtschaftlicher Verpflichtungen eines untergetauchten Unternehmers nicht als Anschein für dessen Masseunzuläng¬lichkeit angesehen werden könne, gelte dies erst recht für eine niemals existent gewesene Scheinfirma. Vorliegend sei der Kläger zweifelsfrei unschuldiges Opfer unlauterer Machenschaften geworden. Es falle jedoch weder in den Schutzbereich des Sozialgesetzbuchs noch in den Risikobereich der Beklagten, die wirtschaftlichen Folgen eines strafrechtlich relevanten Betruges zu mindern.

Gegen diese seinen Prozessbevollmächtigten am 17. Mai 2006 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 16. Juni 2006 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingelegte Berufung des Klägers.

Zur Begründung nimmt der Kläger Bezug auf sein erstinstanzliches Vorbringen und meint, dass das Sozialgericht den Sachverhalt unzutreffend gewürdigt habe. Die e sei Arbeitgeber im Sinne von § 183 SGB III gewesen; Arbeitgeber im Sinne dieser Vorschrift sei nämlich jeder, der einen Arbeitnehmer beschäftige und diesem Arbeitsentgelt zu zahlen habe. Dabei sei unerheblich, ob der Arbeitgeber auch tatsächlich seine Verpflichtungen erfüllt habe. Da er – der Kläger – auch tatsächlich als Produktionshelfer gearbeitet habe, habe er einen Arbeitsentgeltanspruch aus dem Arbeitsvertrag i.V.m. § 611 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Er habe auf Anweisung seiner Arbeitgeberin und unter ihrer Kontrolle vom 10. Mai bis 7. Ju¬ni 2004 gearbeitet. In Acht-Stunden-Schichten mit einer halbstündigen Pause habe er jeweils von Montag bis Freitag von 7.00 Uhr bis 15.30 Uhr und 14.00 Uhr bis 22.30 Uhr mit zusammen 30 weiteren Mitarbeitern Stromstecker zusammengebaut, die anschließend zum Versand in Kartons gepackt worden seien. Soweit das Sozialgericht seine Entscheidung darauf gestützt habe, dass es sich bei e um eine Scheinfirma handele, beruhe dies lediglich auf vagen Vermutungen. Die Arbeitgebereigenschaft der e könne damit nicht verneint werden. Entscheidend sei, dass er – der Kläger – für die Firma tatsächlich gearbeitet und einen Entgeltanspruch erworben habe. Dies gelte umso mehr, als er aufgrund einer Vermittlung in das Arbeitsverhältnis gelangt sei. Sollte er tatsächlich an eine Scheinfirma geraten sein, könne ihm das nicht angelastet werden. Die gesetzlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Insg seien erfüllt. Soweit die Beklagte geltend gemacht habe, es liege eher Zahlungsunwilligkeit als -unfähigkeit vor, sei dies eine durch nichts belegte Vermutung. Für Zahlungsunfähigkeit spreche, dass er kein Arbeitsentgelt erhalten habe und dass die Betriebstätigkeit der e vollständig eingestellt worden sei. Inzwischen habe er in dem bereits in erster Instanz benannten arbeitsgerichtlichen Verfahren ein Versäumnisurteil erwirkt; die Zwangsvollstreckung sei erfolglos geblieben. Auch dies spreche für Zahlungsunfähigkeit; gleiches gelte für den Umstand, dass keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden seien. Somit sei selbst bei einer Zahlungsunwilligkeit auch Zahlungsunfähigkeit gegeben, wobei bereits deren Anschein ausreiche.

In der Berufungsverhandlung am 6. Juli 2007 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers ergänzend darauf hingewiesen, dass dem Kläger etwaige betrügerische Machenschaften der e bzw. der für sie handelnden Personen in dem Zeitraum, für den er Insg geltend mache, nicht bekannt gewesen seien. Er habe nach den Gesamtumständen keinen Anlass gehabt, am Vorliegen eines den üblichen Maßstäben entsprechenden Arbeitsverhältnisses zu zweifeln.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 7. April 2006 sowie den Bescheid vom 1. Juli 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Insolvenzgeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie stützt das angefochtene Urteil und nimmt ergänzend nochmals Bezug auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide. Darüber hinaus macht sie sinngemäß geltend, dass die e zu keinem Zeitpunkt existent gewesen sei, so dass Arbeitsentgeltansprüche nicht hätten entstehen können. In Betracht kommende (Ersatz-) Ansprüche des Klägers aus Handelndenhaftung seien nicht insg-fähig.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Berlin haben zwischenzeitlich zu einer Anklageschrift vom 23. Februar 2006 geführt, die das Landgericht Berlin unter Beifügung weiterer Ablichtungen dem Senat in Kopie zur Verfügung gestellt hat. Insbesondere handelt es sich dabei um die den Kläger als Geschädigten betreffenden Vorgänge, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Die Beklagte macht hierzu geltend, dass die Unterlagen ihr keinen Anlass zu einer von der bisherigen Rechtsauffassung abweichenden Entscheidung gäben. Nach wie vor sei nicht ersichtlich, dass die e einen wirtschaftlichen Zweck verfolgt habe. Da die "Arbeitgeberin" zum einen nicht beabsichtigt habe, den Arbeitnehmer ordnungsgemäß zu beschäftigen und vor allem auch zu entlohnen und eine Betriebstätigkeit im Sinne der Insolvenzsicherung nicht nachgewiesen werden könne, seien die Voraussetzungen des § 183 SGB III nach wie vor nicht gegeben. Das Landgericht Berlin hat das Hauptverfahren eröffnet; das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen (Az. 511-7/05).

Dem Senat haben die den Kläger betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Gerichtsakten vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird hierauf Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Insg hat. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) hat der Senat das Vorliegen der anspruchsbegründenden Voraussetzungen nicht mit der für das sozialrechtliche Verhältnis erforderlichen Sicherheit feststellen können. Nach dem für das sozialgerichtliche Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (vgl. dazu BSG, Urteil vom 26. November 1992, 7 RAr 38/92, SozR 3-4100 § 119 Nr. 7) geht dies zu Lasten des Klägers.

Anspruchsgrundlage des geltend gemachten Begehrens ist § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der ab 1. Januar 2002 geltenden Fassung des Gesetzes vom 10. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3443). Danach haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insg, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei 1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers, 2. Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder 3. vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt, (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Zweifelhaft ist bereits, ob der Kläger Arbeitsentgeltansprüche im Sinne dieser Vorschrift hatte. Jedenfalls hat der Senat sich nicht davon überzeugen können, dass ein Insolvenzereignis im Sinne von § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III vorgelegen hat.

Die Zweifel am Bestehen von Arbeitsentgeltansprüchen folgen daraus, dass Bedenken an der Wirksamkeit des am 29. April 2004 unterzeichneten Arbeitsvertrages bestehen. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger nach eigenen Angaben hinsichtlich der von ihm geltend gemachten Arbeitsentgeltansprüche ein arbeitsgerichtliches Versäumnisurteil erwirkt hat. Denn hieran ist der Senat nicht gebunden. Im Rahmen des Versäumnisurteils hatte das Arbeitsgericht auf der Grundlage des klägerischen Vorbringens auch lediglich eine Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen, wobei es keiner weitergehenden Feststellungen zur Wirksamkeit eines etwaigen Arbeitsverhältnisses bedurfte. Demgegenüber gilt im sozialgerichtlichen Verfahren der Amtsermittlungsgrundsatz, der bei Vorliegen nahe liegender und zugänglicher Erkenntnisquellen weitergehende Feststellungen erfordert (vgl. zur Tatbestandswirkung eines arbeitsgerichtlichen Versäumnisurteils BSG, Urteil vom 30. Juli 1981, 10/8b RAr 4/80, SozR 1500 § 141 Nr. 9). Nach diesen Maßstäben spricht nichts für die Wirksamkeit des unterzeichneten Vertrages vom 29. April 2004. Zum einen dürfte es sich bei der e aus den vom Sozialgericht beschriebenen Gründen um eine Scheinfirma gehandelt haben, deren Existenz im Rechtssinne zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt war. Hierfür spricht insbesondere, dass nach dem Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ein kollusives Zusammenwirken zwischen der als Vermittlungsfirma auftretenden J. & Co. KG und der als Arbeitgeber agierenden e stattgefunden haben dürfte, wobei der Geschäftsführer der J. & Co. KG unter dem Aliasnamen "Ma K " faktischer Geschäftsführer der e gewesen sein soll (Seite 10 der Anklageschrift). Für die Qualifizierung als Scheinunternehmen spricht auch der Umstand, dass die e keinen eigentlichen Geschäftszweck gehabt hat (vgl. Seite 11 der Anklageschrift). Hierzu hat der Kläger im Rahmen seiner polizeilichen Zeugenvernehmung am 5. August 2004 (Seite 44 der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten) geschildert, dass er anfangs etwa zwei Wochen Elektrokabel montiert und demontiert habe; später seien Perlenketten und Armbänder für Kinder gefertigt worden. Auf Seite 64 der Anklageschrift heißt es hierzu, die Mitarbeiter hätten Perlenketten (Plastikperlen) per Hand aufgefädelt und Elektrokabel per Hand mit Steckern zusammengeschraubt. Nach Beendigung des "Produktionsvorganges" seien die fertigen Stecker und Perlenketten stets wieder auseinandergenommen worden, um den "Produktionsprozess" erneut zu beginnen. All dies spricht ebenso für das Vorliegen einer Scheinfirma wie der Umstand, dass der angebliche Hauptsitz der Firma in M nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht existiert haben soll. Vielmehr sei die e in denselben Büroräumen in Berlin erreichbar gewesen wie die J. & Co. KG (Seite 63 der Anklageschrift).

Zu diesen und weiteren Indizien für das Vorliegen einer Scheinfirma sieht der Senat allerdings letztlich von einer abschließenden eigenen Bewertung ab, weil das Strafverfahren bisher nicht abgeschlossen ist. Allerdings besteht für den Senat kein Anlass, die Richtigkeit der ausführlich begründeten und durch Bezugnahme auf diverse Ermittlungsunterlagen belegten Feststellungen der Ermittlungsbehörden in Zweifel zu ziehen. Unabhängig von Vorstehendem dürfte der unterzeichnete Arbeitsvertrag jedoch unwirksam sein, weil die e als "Ltd. & Co KG in Gründung" im Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung keine eigene Rechtspersönlichkeit gewesen sein wird. Nach den Feststellungen der Beklagten (die sich insoweit mit den Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft decken) ist eine gewerberechtliche Anmeldung der e nicht erfolgt (Auskunft der Stadt M vom 24. Juni 2004, Bl. 15 des Arbeitgeberteils der Insg-Akten); nach dem Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ist auch ein Eintrag ins Handelsregister nicht erfolgt (Seite 63 der Anklageschrift). Vor diesem Hintergrund dürfte hier allenfalls eine Haftung des für die e Handelnden nach § 176 Abs. 1 Handelsgesetzbuch in Betracht kommen, der allerdings lediglich als (sekundärer) Schadensersatzanspruch zu qualifizieren ist und keinen primär vertraglichen Arbeitsentgeltanspruch begründet.

Unabhängig von Vorstehendem spricht nichts für ein Insolvenzereignis im Sinne von § 183 SGB III. In Betracht kommt insoweit allenfalls die Variante des § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III. Diese Vorschrift erfasst jedoch schon nach ihrem Wortlaut Fälle nicht, in denen ein (vermeintlicher) Arbeitgeber bereits zu Beginn einer etwaigen betrieblichen Tätigkeit zahlungsunfähig ist (vgl. dazu Urteil des Senats vom 3. Juni 2004, L 3 AL 73/03, veröffentlicht in juris). Die vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit ist auch als Insolvenzereignis nur beachtlich, wenn sie auf Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers zurückzuführen ist, wobei die Zahlungsunfähigkeit von der Zahlungsunwilligkeit zu unterscheiden ist, der für das Insg keine leistungsauslösende Wirkung beigemessen werden kann (Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, K § 183 Rz 59). Eine offensichtliche Zahlungsunfähigkeit bereits bei Aufnahme der betrieblichen Tätigkeit wird von diesem Insolvenztatbestand nicht erfasst (Voelzke a.a.O.). Hierzu hat der Senat in seinem Urteil vom 3. Juni 2004 ausgeführt, die Insg-Versicherung diene nicht der Absicherung der faktischen finanziellen Sicherstellung von für ihn von vornherein unbezahlbarer Arbeitnehmertätigkeit. Versichert sei im Rahmen der Insg-Versicherung die Nichterfüllung der Zah¬lungspflichten eines Arbeitgebers vielmehr nur dann, wenn er in Vermögensverfall geraten sei. Dies bedeute, dass zumindest bei Aufnahme bzw. zu Beginn der betrieblichen Tätigkeit noch Zahlungsfähig¬keit bestanden haben müsse und der zur Insolvenz führende Vermögensverfall erst später d. h. während der be¬trieblichen Tätig¬keit eingetreten sei. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.

Vorliegend spricht nichts dafür, dass die e jemals zahlungsfähig gewesen ist. Die Ergebnisse der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen deuten vielmehr darauf hin, dass die e zu keinem Zeitpunkt über nennenswerte finanzielle Mittel verfügt hat. Mangels vollzogener Gründung war Stammkapital nie vorhanden. Die Auszahlung der Vermittlungsgutscheine erfolgte auch auf ein Konto der J. & Co. KG (vgl. für den Fall des Klägers Kopie des Auszahlungsantrags auf Seite 18 der Ermittlungsunterlagen). Anhaltspunkte dafür, dass die e über ein Geschäftskonto verfügte, bestehen nicht; auf den bei den Akten befindlichen Briefbögen (vgl. z.B. Kündigungsschreiben an den Kläger vom 7. Juni 2004) ist keine Kontoverbindung vermerkt. Die vom Kläger gegenüber der Polizei geschilderten "Produktionsabläufe" deuten auch nicht im Entferntesten darauf hin, dass wirtschaftlich verwertbare Güter geschaffen worden wären, die im Wege der Veräußerung an Dritte zu Geldeingängen geführt hätten. In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft heißt es auch auf Seiten 63/64, ein Unternehmenskonto der e habe nicht existiert. Anfallende Zahlungen für die "geschäftlichen Aktivitäten" der e wie die Überweisung von Mietkautionen für "Produktionsstätten" und Materialkauf habe eine namentlich benannte Person von ihrem Privatkonto vorgenommen. Geldeingänge zugunsten der e seien – außer den Zahlungen dieser Person von ihrem Privatkonto – nicht festzustellen gewesen. Für den Senat besteht kein Anlass, die Richtigkeit dieser Feststellungen in Zweifel zu ziehen.

Im Übrigen sprechen die Ergebnisse der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen dafür, dass die e bzw. die für sie handelnden Personen zu keinem Zeitpunkt die Absicht hatten, den "Arbeitnehmern" – unter anderem dem Kläger - Arbeitsentgelt zu zahlen. Zwar enthält der unterzeichnete Vertrag eine Vergütungsvereinbarung; nach den Feststellungen der Staatsanwaltschaft ist indessen in keinem einzigen Fall tatsächlich eine Zahlung von Arbeitsentgelt erfolgt (Seite 16 der Anklageschrift). Dies sei auch von vornherein nicht beabsichtigt gewesen.

Zusammenfassend bestehen so durchgreifende Bedenken an der Zahlungsfähigkeit der e bereits bei "Einstellung" des Klägers und darüber hinaus an einer jemals bestanden habenden Zahlungswilligkeit der für sie handelnden Personen, dass der Senat unabhängig von seinen Zweifeln am Vorliegen von Insg-fähigen Arbeitsentgeltansprüchen nicht von einem Insolvenzereignis im Sinne von § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III auszugehen vermag.

Dass der Kläger – wie sein Prozessbevollmächtigter in der Berufungsverhandlung noch einmal deutlich gemacht hat – in dem geltend gemachten Insg-Zeitraum keine Kenntnis von den Machenschaften der e bzw. der für sie handelnden Personen gehabt hat, zieht der Senat nicht in Zweifel. Hierauf kommt es indessen nicht entscheidend an, weil ein Insg-Anspruch nur bei (objektivem) Vorliegen der hierfür maßgeblichen Voraussetzungen besteht.

Nach allem kann die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Senat hat keinen Anlass, gesehen, nach § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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