Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 14 KR 136/16 ER
Datum
-
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 74/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zum Anspruch auf Versorgung mit dem auf Cannabisbasis wirkenden Rezepturarzneimittel Dronabinol bei chronischen Schmerzzuständen ua wegen Lymphödem
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozial- gerichts Lübeck vom 1. April 2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Versorgung mit dem Arzneimittel Dronabinol. Die 1951 geborene Antragstellerin ist Mitglied der Antragsgegnerin. Sie bezieht eine Erwerbsminderungsrente auf Dauer, die Pflegestufe 2 nach dem SGB XI ist bei ihr anerkannt.
Am 26. Mai 2015 beantragte sie bei der Antragsgegnerin die Kostenübernahme der Versorgung mit Dronabinol, einem Arzneimittel auf Cannabis-Grundlage, wegen des bei ihr bestehenden Lymph- und Lipödems, Arthrose, Arthritis und Weichteilrheuma. Dies lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 29. Mai 2015 mit der Begründung ab, dass keine positive Beurteilung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss vorliege. Außerdem bestehe ein Verordnungsausschluss nach § 31 Abs. 1 SGB V. Auf den Widerspruch der Antragstellerin hin, die Versorgung mit Dronabinol sei bei ihr eine alternativlose Behandlung, die wegen ihrer chronischen Schmerzzustände auch notwendig sei, holte die Antragsgegnerin vom MDK ein Gutachten ein. Darin kam Dr. Z unter dem 13. November 2015 auch unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu der Einschätzung, dass es an der für die neue Arzneitherapie notwendigen anerkennenden Richtlinie durch den Bundesausschuss nach § 135 Abs. 1 SGB V fehle. Es liege auch kein Ausnahmetatbestand vor, aufgrund dessen ohne eine solche anerkennende Richtlinie ein Versorgungsanspruch bestehe, da es sich bei dem chronischen Schmerzsyndrom nicht um eine notstandsähnliche Situation handele, wie sie sonst nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des BSG für eine Ausnahmeindikation erforderlich sei. Kontrollierte Studien über die Wirksamkeit der Arznei lägen ebenfalls nicht vor. Es sei keine weder nationale noch internationale Leitlinie bekannt, in der Cannabis als medikamentöser Therapiestandard erwähnt werde. Die Behandlung mit Cannaboiden werde zwar aktuell diskutiert, aber als Suchtmittel problematisch angesehen. Auch läge keine ausreichende Studienlage hinsichtlich des Nutzens und insbesondere der Langzeitrisiken vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2016 wies die Antragsgegnerin daraufhin den Widerspruch der Antragstellerin zurück.
Die Antragstellerin hat am 15. März 2016 beim Sozialgericht Lübeck die Versorgung mit dem Arzneimittel Dronabinol beantragt und zur Begründung ausgeführt: Mit gleichem Datum habe sie fristwahrend Klage beim Sozialgericht Lübeck erhoben. Im Hinblick auf das voraussichtlich längere Klageverfahren sei es ihr nicht zuzumuten, diese Entscheidung abzuwarten. Das Krankenhaus Reinbek, wo sie sich zur Schmerztherapie befunden habe, habe sie als austherapiert entlassen. Daraufhin habe ihr der Hausarzt Dronabinol verordnet, was zu einer Schmerzlinderung geführt habe. Zunächst habe die Antragsgegnerin auch die Kosten übernommen, lehne dies jetzt aber ab. Ihr Anspruch sei aus der Rechtsprechung des BVerfG herzuleiten, wonach auch bei fehlender Richtlinie des Bundesausschusses ein Anspruch auf eine Behandlung bestehe. In einem ähnlich gelagerten Fall habe das Landessozialgericht Niedersachsen in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren einen Anspruch bejaht. Derzeit nehme sie Diclofenac, leide aber infolgedessen unter schweren Nebenwirkungen. Die Antragsgegnerin sieht weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund als gegeben an und verweist insoweit auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 1. April 2016 den Antrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt:
"Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Nach der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung ergibt sich kein Anspruch auf Gewährung der beantragten Dronabinolbe-handlung. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetz-buch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten und Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst auch die ärztliche Behandlung, wobei unter Beachtung des Wirt-schaftlichkeitsgebotes des § 12 Abs. 1 SGB V grundsätzlich nur solche Behandlungsmethoden angewendet werden dürfen, die anerkannt sind. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Nach § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungs¬mäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine davon abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder eine spürbare positive Einwir¬kung auf den Krankheitsverlauf besteht.
Die Antragstellerin begehrt die Versorgung mit dem Rezepturarzneimittel Dronabinol. Dabei handelt es sich um ein cannaboidhaltiges Arzneimittel, das in Deutschland als Rezeptursubstanz hergestellt und an Apotheken geliefert wird. Für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden bestimmt § 135 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, dass sie nur dann erbracht werden dürfen, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über die Anerkennung des diagnosti¬schen und therapeutischen Nutzens sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgegeben hat. Denn durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V wird geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen und damit der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (ständige Rechtsprechung; vgl. BSG 16. Sept. 1997 - 1 RK 28/95). Wie das BSG im Urteil vom 27. März 2007 (B 1 KR 30/06 R), ausführt, kön-nen die Krankenkassen ihren Versicherten eine neuartige Therapie mit einem Rezepturarzneimittel, die vom GBA bisher nicht empfohlen ist, grund¬sätzlich nicht gewähren, weil sie an das Verbot des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V und die das Verbot konkretisierenden Richtlinien des GBA gebunden sind. Für die neuartige von der Antragstellerin begehrte Schmerztherapie fehlt es aber an der erforderlichen Empfehlung.
Ein Ausnahmefall, in dem trotz fehlender Empfehlung eine neuartige Thera¬pie nach gesetzlicher Konzeption beansprucht werden kann, ist ebenso nicht gegeben. Denn die Voraussetzungen des sog. Systemversagens sind nicht erfüllt. Anhaltspunkte dafür, dass die fehlende Anerkennung der Dronabinol-therapie darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde, bestehen nicht und werden auch nicht geltend gemacht.
Auch aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dez. 2005 (1 BvR 347/98) bzw. aus § 2 Abs. 1a SGB V kann die Antragstellerin keinen Anspruch herleiten. Danach ist es mit den Grundrechten nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung eine allgemein anerkannte, medi-zinischem Standard entsprechende medizinische Behandlung nicht zur Ver-fügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewand¬ten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Auch diese Voraussetzungen liegen erkenn¬bar nicht vor. Denn die Antragstellerin leidet weder an einer lebensbedroh¬lichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden noch an einer wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankung. Das BSG stellt strenge Anforderungen an das Vorliegen einer solchen Krankheit und die Voraussetzungen dafür, wann diese mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 30/06 R). Neben notstandsähnlichen Situationen, die einen der Lebenserhaltung dienenden akuten Behandlungsbedarf begründen, sind Erkrankungen einzubeziehen, in denen es um einen nicht zu kompensie¬renden Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion geht (vgl. BSG, Urteil vom 14. Dez. 2006 - B 1 KR 12/06 R). Von einer zwar durchaus schwerwiegenden, aber nicht eine notstands¬ähnliche Situation begründenden Krankheit ist das BSG etwa bei einer Myopathie wegen Myoadenylate-Deaminase-Mangels ausgegangen, die zu belastungsabhängigen, muskelkaterähnlichen Schmerzen, schmerzhaften Muskelversteifungen und sehr selten zu einem Untergang von Muskel¬gewebe führt (BSG, SozR 4-2500 § 27 Nr. 7). Auch ein in schwerwiegender Form bestehendes Restless-Legs-Syndrom mit ganz massiven Schlafstörun¬gen und daraus resultierenden erheblichen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen hat das BSG zwar als eine schwerwiegende, nicht aber als eine Krankheit angesehen, die mit einer lebensbedrohlichen oder regel-mäßig tödlich verlaufenden Erkrankung auf eine Stufe gestellt werden kann (BSG, Urteil vom 26. Sept. 2006 - B 1 KR 14/06 R). In diesem Zusammen-hang hat das BSG darauf hingewiesen, dass selbst hochgradige akute Suizidgefahr bei Versicherten grundsätzlich nicht bewirkt, dass sie Leistun¬gen außerhalb des Leistungskatalogs der GKV beanspruchen können, sondern nur spezifische Behandlung etwa mit den Mitteln der Psychiatrie (BGS, a. a. O.). Nichts anderes gilt für das chronische Schmerzsyndrom der Antragstellerin. Es kann mit einem nicht zu kompensierenden Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion - auch in Würdigung seiner nur begrenzten Objektivierbarkeit - nicht gleichgestellt werden (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 30/06 R; Bayerisches LSG, Beschluss vom 26. Nov. 2015 - L 4 KR 419/15 B ER). Das BSG ver-weist dabei zu Recht auf die Nutzen-Risiko-Relation, die keine Notwendigkeit erkennen lässt, die Cannabinoide in die international etablierten Schemata zur Schmerzbehandlung aufzunehmen. Bei starken Schmerzen ist außerdem die Überlegenheit des Therapiestandards Morphin anzunehmen.
Auch das von der Antragstellerin zitierte LSG Niedersachsen-Bremen hat festgestellt, dass aufgrund des restriktiven Charakters des § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V feststehe, dass mittelschwere oder auch schwerere Schmerzen wie sie beispielsweise Verschleißerkrankungen mit sich bringen, von einer wertungsmäßigen Gleichstellung nicht umfasst sein können (Beschluss vom 22. Sept. 2015 - L 4 KR 276/15 B ER). Darüber hinausgehende schwerste chronische Schmerzen hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Ausweislich des übersandten Arztbriefes des Schmerztherapeuten L vom 12. Oktober 2015 bestehen die von ihr geklagten Schmerzen in erster Linie aufgrund der Kniegelenksarthrose beider Knie, einer typischen Ver-schleißerkrankung. In Ruhe bestehen keine Schmerzen. Gegenüber dem Internisten Dr. R gab die Antragstellerin die Schmerzen laut Attest vom 8. Oktober 2015 auf einer Schmerzskala lediglich mit 5-6 von 10 an.
Mithin ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin einen Anspruch auf die Kostenübernahme der Dronabinolbehandlung hat. Da eine akute schwere Gesundheitsgefahr nicht glaubhaft gemacht worden ist, ver-mag auch eine Folgenabwägung zu keinem anderen Ergebnis zu führen. In diesem Fall haben die Interessen der Versicherten- und Solidargemeinschaft an einer rechtmäßigen Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung Vorrang vor dem Individualinteresse des Versicherten an der Gewährung der begehrten Leistung innerhalb eines Eilverfahrens."
Gegen den ihr am 6. April 2016 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, eingegangen beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht am 6. Mai 2016. Zur Begründung vertieft sie ihr bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, bei dem bei ihr vorliegenden Lipödem handele es sich um eine seltene Krankheit. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sehe sie sehr wohl einen Anspruch aus der Rechtsprechung des BVerfG entsprechend dem Beschluss vom 6. Dezember 2005. Eine operative Behandlung durch Einsatz künstlicher Gelenke sei bei ihr mit einem hohen Risiko verbunden. Private Krankenkassen würden die streitige Behandlung bezahlen. Die Antragsgegnerin ist weiterhin der Auffassung, dass kein Anspruch auf die Behandlung bestehe und verweist auf den angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Zutreffend hat das Sozialgericht in dem angefochtenen Beschluss den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Das Sozialgericht hat die Voraussetzungen der einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zutreffend benannt, nämlich Anordnungsgrund im Sinne der besonderer Eilbedürftigkeit und Anordnungsanspruch im Sinne einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit des geltend gemachten Anspruchs. Darüber hinaus ergibt sich bereits aus dem Begriff "einstweilige" Anordnung, dass die Entscheidung in einem solchen Verfahren die Hauptsache grundsätzlich nicht vorwegnehmen darf (Beschluss vom 12. Mai 2012 – L 5 KR 65/16 B ER; Keller Meyer-Ladewig u. a., SGG-Kommentar, § 86b Rz. 31). Eine Vorwegnahme der Hauptsache liegt etwa dann vor, wenn, wie hier beantragt, die begehrte Sachleistung aufgrund einer einstweiligen Anordnung erbracht wird. Das bedeutet allerdings nicht, dass einstweilige Anordnungen, die auf eine solche Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet sind, stets ausgeschlossen sind. Da der einstweilige Rechtsschutz als verfassungsrechtliche Notwendigkeit in jedem Verfahren gewährt werden muss, darf eine einstweilige Anordnung in solchen Fällen dann ausnahmsweise getroffen werden, wenn der Antragsteller eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr rechtzeitig erwirken kann. In dem Fall ist allerdings ein strenger Maßstab an Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund anzulegen.
Hier fehlt es nach der im einstweiligen Rechtsschutz grundsätzlich gebotenen summarischen Prüfung bereits am Anordnungsanspruch. Insoweit verweist der Senat zunächst auf die überzeugenden Gründe des sozialgerichtlichen Beschlusses (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Im Hinblick auf das Vorbringen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren ist noch Folgendes zu ergänzen:
Bei der Versorgung mit dem Rezepturarzneimittel Dronabinol handelt es sich um eine Behandlung, für die eine empfehlende Richtlinie gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V notwendig ist, eine solche jedoch nicht vorliegt (BSG, Urteil vom 13. Oktober 2010 – B 6 KA 48/09 R – unter Hinweis auf weitere Rechtsprechung des BSG; so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 4. Ja¬nuar 2012 – L 11 KA 110/10; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. April 2011 L 4 KR 4903/10). Liegt eine neue Behandlungsmethode vor, ohne dass aber eine empfehlende Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses ergangen ist, so ist die Anwendung dieser Methode d. h. hier eine Therapie unter Einsatz von Dronabinol grundsätzlich unzulässig, es sei denn, ein Ausnahmetatbestand wäre erfüllt. Die Voraussetzungen für einen solcher Ausnahmetatbestand liegen jedoch nicht vor.
Nicht nachvollziehbar und auch nicht näher begründet ist insoweit der Hinweis der Antragstellerin, bei dem Lipödem handele es sich um einen so genannten Seltenheitsfall, also eine solche Erkrankung, die so selten ist, dass sie sich systematischer Erforschung und Behandlung entzieht. Gegen das Vorliegen eines solchen Seltenheitsfalles spricht bereits der Umstand, dass es zahlreiche Entscheidungen aus der Sozialgerichtsbarkeit über Behandlungen des Lipödems und hier insbesondere Ansprüche auf Kostenübernahme einer durchgeführten Liposuktion gibt. Auch beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht sind derzeit diverse Verfahren mit dieser Problematik anhängig. Zahlreiche Veröffentlichungen zum Lipödem u. a. im Internet sprechen ebenfalls gegen das Vorliegen eines so genannten Seltenheitsfalles.
Auch findet entgegen der Auffassung der Antragstellerin die Rechtsprechung des BVerfG, ausgehend vom Beschluss vom 6. Dezember 2005 (1 BvG 347/98), hier keine Anwendung. In dieser Rechtsprechung hat das BVerfG für nicht anerkannte Behandlungsmethoden aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. der sich daraus ergebenden Schutzpflicht abgeleitet, dass in Fällen, in denen eine lebensbedrohliche oder in der Regel tödlich verlaufende Krankheit vorliegt und eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, der Versicherte nicht von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode ausgeschlossen werden darf, wenn diese eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bietet. Diese Grundsätze haben das BVerfG und das BSG auf den Bereich der Versorgung mit Arzneimitteln übertragen. Sofern eine im vorgenannten Sinne lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt und eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, erstreckt sich der Versorgungsanspruch des Versicherten über die Beschränkung der arzneimittelrechtlichen Zulassung hinaus auf die Versorgung mit solchen Arzneimitteln, die eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bieten (BSG, Urteil vom 13. Oktober 2010 B 6 KA 48/09 R). Dabei ist allerdings stets der Ausgangspunkt des BVerfG zu beachten, nämlich dass nur insoweit, als eine lebensbedrohliche Erkrankung und deren Heilung in Frage steht, die erweiternde Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des SGB V geboten ist. Nur in einer solchen Situation ist die dargelegte verfassungskonforme Erweiterung des Leistungsanspruchs des Versicherten gemäß §§ 27 ff. SGB V veranlasst und gerechtfertigt. Davon ist aber bei dem hier vorliegenden Lipödem der Antragstellerin mit den damit verbundenen Folgebeschwerden, insbesondere dem Schmerzsyndrom, nicht auszugehen. Die Erkrankung der Antragstellerin ist weder lebensbedrohlich noch handelt es sich um eine regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung, und die Erkrankung kann auch nicht einem nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobene Körperfunktion gleichgestellt werden. Eine akute Lebensgefahr besteht nicht. Eine Linderung der Schmerzsymptomatik erfüllt insoweit nicht die Voraussetzungen der Notlage, die den Einsatz nicht zugelassener Behandlungsformen rechtfertigt. Dies entspricht der überwiegenden Rechtsprechung der Landessozialgerichte (a.a.O.; s. auch LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18. Dezember 2008 – L 5 KR 52/08; Bayerisches LSG, Beschluss vom 26. November 2015 – L 4 KR 419/15 B ER; vgl. Thüringer LSG, Urteil vom 22. Februar 2011 – L 6 KR 441/07). Nach dem Beschluss des BVerfG vom 6. Dezember 2005 soll dem Patienten nämlich – bildlich gesprochen – der Strohhalm der Hoffnung auf Heilung, an den er sich klammert, nicht wegen Fehlens wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit verweigert werden. Hoffnungen in diesem Sinne kann ein Patient aber nur mit Behandlungsmethoden verbinden, die darauf gerichtet sind, auf seine mutmaßlich tödlich verlaufende Grunderkrankung als solche einzuwirken. Für Behandlungsverfahren, die dies nach ihrem eigenen methodischen Ansatz nicht leisten, gelten die reduzierten Wirksamkeitsanforderungen der Rechtsprechung des BVerfG von vornherein nicht. Dabei darf nämlich auch nicht übersehen werden, dass nur unzureichend erforschte Therapien, insbesondere Arzneitherapien und wie hier mit einer Arznei, die Suchtpotential aufweist, ein nicht unerhebliches Risikopotential aufweisen. Soweit mit dem in § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V genannten Behandlungsziel "Krankheitsbeschwerden zu lindern" jede Verbesserung der Lebensqualität eines schwerkranken Patienten verbunden wird, ist dieses Ziel nicht von der Ausweitung der Leistungsansprüche der Versicherten gemäß dem Beschluss des BVerfG erfasst (BSG, a.a.O.).
Ein Anspruch der Antragstellerin ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die Antragsgegnerin in der Vergangenheit Kosten der Versorgung mit Dronabinol erstattet hat. Die Erbringung einer Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung hängt immer von den aktuellen (medizinischen) Umständen ab. Sie hat für die Zukunft grundsätzlich nie eine rechtliche Bedeutung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Versorgung mit dem Arzneimittel Dronabinol. Die 1951 geborene Antragstellerin ist Mitglied der Antragsgegnerin. Sie bezieht eine Erwerbsminderungsrente auf Dauer, die Pflegestufe 2 nach dem SGB XI ist bei ihr anerkannt.
Am 26. Mai 2015 beantragte sie bei der Antragsgegnerin die Kostenübernahme der Versorgung mit Dronabinol, einem Arzneimittel auf Cannabis-Grundlage, wegen des bei ihr bestehenden Lymph- und Lipödems, Arthrose, Arthritis und Weichteilrheuma. Dies lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 29. Mai 2015 mit der Begründung ab, dass keine positive Beurteilung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss vorliege. Außerdem bestehe ein Verordnungsausschluss nach § 31 Abs. 1 SGB V. Auf den Widerspruch der Antragstellerin hin, die Versorgung mit Dronabinol sei bei ihr eine alternativlose Behandlung, die wegen ihrer chronischen Schmerzzustände auch notwendig sei, holte die Antragsgegnerin vom MDK ein Gutachten ein. Darin kam Dr. Z unter dem 13. November 2015 auch unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu der Einschätzung, dass es an der für die neue Arzneitherapie notwendigen anerkennenden Richtlinie durch den Bundesausschuss nach § 135 Abs. 1 SGB V fehle. Es liege auch kein Ausnahmetatbestand vor, aufgrund dessen ohne eine solche anerkennende Richtlinie ein Versorgungsanspruch bestehe, da es sich bei dem chronischen Schmerzsyndrom nicht um eine notstandsähnliche Situation handele, wie sie sonst nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des BSG für eine Ausnahmeindikation erforderlich sei. Kontrollierte Studien über die Wirksamkeit der Arznei lägen ebenfalls nicht vor. Es sei keine weder nationale noch internationale Leitlinie bekannt, in der Cannabis als medikamentöser Therapiestandard erwähnt werde. Die Behandlung mit Cannaboiden werde zwar aktuell diskutiert, aber als Suchtmittel problematisch angesehen. Auch läge keine ausreichende Studienlage hinsichtlich des Nutzens und insbesondere der Langzeitrisiken vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2016 wies die Antragsgegnerin daraufhin den Widerspruch der Antragstellerin zurück.
Die Antragstellerin hat am 15. März 2016 beim Sozialgericht Lübeck die Versorgung mit dem Arzneimittel Dronabinol beantragt und zur Begründung ausgeführt: Mit gleichem Datum habe sie fristwahrend Klage beim Sozialgericht Lübeck erhoben. Im Hinblick auf das voraussichtlich längere Klageverfahren sei es ihr nicht zuzumuten, diese Entscheidung abzuwarten. Das Krankenhaus Reinbek, wo sie sich zur Schmerztherapie befunden habe, habe sie als austherapiert entlassen. Daraufhin habe ihr der Hausarzt Dronabinol verordnet, was zu einer Schmerzlinderung geführt habe. Zunächst habe die Antragsgegnerin auch die Kosten übernommen, lehne dies jetzt aber ab. Ihr Anspruch sei aus der Rechtsprechung des BVerfG herzuleiten, wonach auch bei fehlender Richtlinie des Bundesausschusses ein Anspruch auf eine Behandlung bestehe. In einem ähnlich gelagerten Fall habe das Landessozialgericht Niedersachsen in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren einen Anspruch bejaht. Derzeit nehme sie Diclofenac, leide aber infolgedessen unter schweren Nebenwirkungen. Die Antragsgegnerin sieht weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund als gegeben an und verweist insoweit auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 1. April 2016 den Antrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt:
"Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Nach der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung ergibt sich kein Anspruch auf Gewährung der beantragten Dronabinolbe-handlung. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetz-buch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten und Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst auch die ärztliche Behandlung, wobei unter Beachtung des Wirt-schaftlichkeitsgebotes des § 12 Abs. 1 SGB V grundsätzlich nur solche Behandlungsmethoden angewendet werden dürfen, die anerkannt sind. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Nach § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungs¬mäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine davon abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder eine spürbare positive Einwir¬kung auf den Krankheitsverlauf besteht.
Die Antragstellerin begehrt die Versorgung mit dem Rezepturarzneimittel Dronabinol. Dabei handelt es sich um ein cannaboidhaltiges Arzneimittel, das in Deutschland als Rezeptursubstanz hergestellt und an Apotheken geliefert wird. Für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden bestimmt § 135 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, dass sie nur dann erbracht werden dürfen, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über die Anerkennung des diagnosti¬schen und therapeutischen Nutzens sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgegeben hat. Denn durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V wird geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen und damit der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (ständige Rechtsprechung; vgl. BSG 16. Sept. 1997 - 1 RK 28/95). Wie das BSG im Urteil vom 27. März 2007 (B 1 KR 30/06 R), ausführt, kön-nen die Krankenkassen ihren Versicherten eine neuartige Therapie mit einem Rezepturarzneimittel, die vom GBA bisher nicht empfohlen ist, grund¬sätzlich nicht gewähren, weil sie an das Verbot des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V und die das Verbot konkretisierenden Richtlinien des GBA gebunden sind. Für die neuartige von der Antragstellerin begehrte Schmerztherapie fehlt es aber an der erforderlichen Empfehlung.
Ein Ausnahmefall, in dem trotz fehlender Empfehlung eine neuartige Thera¬pie nach gesetzlicher Konzeption beansprucht werden kann, ist ebenso nicht gegeben. Denn die Voraussetzungen des sog. Systemversagens sind nicht erfüllt. Anhaltspunkte dafür, dass die fehlende Anerkennung der Dronabinol-therapie darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde, bestehen nicht und werden auch nicht geltend gemacht.
Auch aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dez. 2005 (1 BvR 347/98) bzw. aus § 2 Abs. 1a SGB V kann die Antragstellerin keinen Anspruch herleiten. Danach ist es mit den Grundrechten nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung eine allgemein anerkannte, medi-zinischem Standard entsprechende medizinische Behandlung nicht zur Ver-fügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewand¬ten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Auch diese Voraussetzungen liegen erkenn¬bar nicht vor. Denn die Antragstellerin leidet weder an einer lebensbedroh¬lichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden noch an einer wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankung. Das BSG stellt strenge Anforderungen an das Vorliegen einer solchen Krankheit und die Voraussetzungen dafür, wann diese mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 30/06 R). Neben notstandsähnlichen Situationen, die einen der Lebenserhaltung dienenden akuten Behandlungsbedarf begründen, sind Erkrankungen einzubeziehen, in denen es um einen nicht zu kompensie¬renden Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion geht (vgl. BSG, Urteil vom 14. Dez. 2006 - B 1 KR 12/06 R). Von einer zwar durchaus schwerwiegenden, aber nicht eine notstands¬ähnliche Situation begründenden Krankheit ist das BSG etwa bei einer Myopathie wegen Myoadenylate-Deaminase-Mangels ausgegangen, die zu belastungsabhängigen, muskelkaterähnlichen Schmerzen, schmerzhaften Muskelversteifungen und sehr selten zu einem Untergang von Muskel¬gewebe führt (BSG, SozR 4-2500 § 27 Nr. 7). Auch ein in schwerwiegender Form bestehendes Restless-Legs-Syndrom mit ganz massiven Schlafstörun¬gen und daraus resultierenden erheblichen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen hat das BSG zwar als eine schwerwiegende, nicht aber als eine Krankheit angesehen, die mit einer lebensbedrohlichen oder regel-mäßig tödlich verlaufenden Erkrankung auf eine Stufe gestellt werden kann (BSG, Urteil vom 26. Sept. 2006 - B 1 KR 14/06 R). In diesem Zusammen-hang hat das BSG darauf hingewiesen, dass selbst hochgradige akute Suizidgefahr bei Versicherten grundsätzlich nicht bewirkt, dass sie Leistun¬gen außerhalb des Leistungskatalogs der GKV beanspruchen können, sondern nur spezifische Behandlung etwa mit den Mitteln der Psychiatrie (BGS, a. a. O.). Nichts anderes gilt für das chronische Schmerzsyndrom der Antragstellerin. Es kann mit einem nicht zu kompensierenden Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion - auch in Würdigung seiner nur begrenzten Objektivierbarkeit - nicht gleichgestellt werden (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 30/06 R; Bayerisches LSG, Beschluss vom 26. Nov. 2015 - L 4 KR 419/15 B ER). Das BSG ver-weist dabei zu Recht auf die Nutzen-Risiko-Relation, die keine Notwendigkeit erkennen lässt, die Cannabinoide in die international etablierten Schemata zur Schmerzbehandlung aufzunehmen. Bei starken Schmerzen ist außerdem die Überlegenheit des Therapiestandards Morphin anzunehmen.
Auch das von der Antragstellerin zitierte LSG Niedersachsen-Bremen hat festgestellt, dass aufgrund des restriktiven Charakters des § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V feststehe, dass mittelschwere oder auch schwerere Schmerzen wie sie beispielsweise Verschleißerkrankungen mit sich bringen, von einer wertungsmäßigen Gleichstellung nicht umfasst sein können (Beschluss vom 22. Sept. 2015 - L 4 KR 276/15 B ER). Darüber hinausgehende schwerste chronische Schmerzen hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Ausweislich des übersandten Arztbriefes des Schmerztherapeuten L vom 12. Oktober 2015 bestehen die von ihr geklagten Schmerzen in erster Linie aufgrund der Kniegelenksarthrose beider Knie, einer typischen Ver-schleißerkrankung. In Ruhe bestehen keine Schmerzen. Gegenüber dem Internisten Dr. R gab die Antragstellerin die Schmerzen laut Attest vom 8. Oktober 2015 auf einer Schmerzskala lediglich mit 5-6 von 10 an.
Mithin ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin einen Anspruch auf die Kostenübernahme der Dronabinolbehandlung hat. Da eine akute schwere Gesundheitsgefahr nicht glaubhaft gemacht worden ist, ver-mag auch eine Folgenabwägung zu keinem anderen Ergebnis zu führen. In diesem Fall haben die Interessen der Versicherten- und Solidargemeinschaft an einer rechtmäßigen Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung Vorrang vor dem Individualinteresse des Versicherten an der Gewährung der begehrten Leistung innerhalb eines Eilverfahrens."
Gegen den ihr am 6. April 2016 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, eingegangen beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht am 6. Mai 2016. Zur Begründung vertieft sie ihr bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, bei dem bei ihr vorliegenden Lipödem handele es sich um eine seltene Krankheit. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sehe sie sehr wohl einen Anspruch aus der Rechtsprechung des BVerfG entsprechend dem Beschluss vom 6. Dezember 2005. Eine operative Behandlung durch Einsatz künstlicher Gelenke sei bei ihr mit einem hohen Risiko verbunden. Private Krankenkassen würden die streitige Behandlung bezahlen. Die Antragsgegnerin ist weiterhin der Auffassung, dass kein Anspruch auf die Behandlung bestehe und verweist auf den angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Zutreffend hat das Sozialgericht in dem angefochtenen Beschluss den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Das Sozialgericht hat die Voraussetzungen der einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zutreffend benannt, nämlich Anordnungsgrund im Sinne der besonderer Eilbedürftigkeit und Anordnungsanspruch im Sinne einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit des geltend gemachten Anspruchs. Darüber hinaus ergibt sich bereits aus dem Begriff "einstweilige" Anordnung, dass die Entscheidung in einem solchen Verfahren die Hauptsache grundsätzlich nicht vorwegnehmen darf (Beschluss vom 12. Mai 2012 – L 5 KR 65/16 B ER; Keller Meyer-Ladewig u. a., SGG-Kommentar, § 86b Rz. 31). Eine Vorwegnahme der Hauptsache liegt etwa dann vor, wenn, wie hier beantragt, die begehrte Sachleistung aufgrund einer einstweiligen Anordnung erbracht wird. Das bedeutet allerdings nicht, dass einstweilige Anordnungen, die auf eine solche Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet sind, stets ausgeschlossen sind. Da der einstweilige Rechtsschutz als verfassungsrechtliche Notwendigkeit in jedem Verfahren gewährt werden muss, darf eine einstweilige Anordnung in solchen Fällen dann ausnahmsweise getroffen werden, wenn der Antragsteller eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr rechtzeitig erwirken kann. In dem Fall ist allerdings ein strenger Maßstab an Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund anzulegen.
Hier fehlt es nach der im einstweiligen Rechtsschutz grundsätzlich gebotenen summarischen Prüfung bereits am Anordnungsanspruch. Insoweit verweist der Senat zunächst auf die überzeugenden Gründe des sozialgerichtlichen Beschlusses (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Im Hinblick auf das Vorbringen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren ist noch Folgendes zu ergänzen:
Bei der Versorgung mit dem Rezepturarzneimittel Dronabinol handelt es sich um eine Behandlung, für die eine empfehlende Richtlinie gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V notwendig ist, eine solche jedoch nicht vorliegt (BSG, Urteil vom 13. Oktober 2010 – B 6 KA 48/09 R – unter Hinweis auf weitere Rechtsprechung des BSG; so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 4. Ja¬nuar 2012 – L 11 KA 110/10; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. April 2011 L 4 KR 4903/10). Liegt eine neue Behandlungsmethode vor, ohne dass aber eine empfehlende Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses ergangen ist, so ist die Anwendung dieser Methode d. h. hier eine Therapie unter Einsatz von Dronabinol grundsätzlich unzulässig, es sei denn, ein Ausnahmetatbestand wäre erfüllt. Die Voraussetzungen für einen solcher Ausnahmetatbestand liegen jedoch nicht vor.
Nicht nachvollziehbar und auch nicht näher begründet ist insoweit der Hinweis der Antragstellerin, bei dem Lipödem handele es sich um einen so genannten Seltenheitsfall, also eine solche Erkrankung, die so selten ist, dass sie sich systematischer Erforschung und Behandlung entzieht. Gegen das Vorliegen eines solchen Seltenheitsfalles spricht bereits der Umstand, dass es zahlreiche Entscheidungen aus der Sozialgerichtsbarkeit über Behandlungen des Lipödems und hier insbesondere Ansprüche auf Kostenübernahme einer durchgeführten Liposuktion gibt. Auch beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht sind derzeit diverse Verfahren mit dieser Problematik anhängig. Zahlreiche Veröffentlichungen zum Lipödem u. a. im Internet sprechen ebenfalls gegen das Vorliegen eines so genannten Seltenheitsfalles.
Auch findet entgegen der Auffassung der Antragstellerin die Rechtsprechung des BVerfG, ausgehend vom Beschluss vom 6. Dezember 2005 (1 BvG 347/98), hier keine Anwendung. In dieser Rechtsprechung hat das BVerfG für nicht anerkannte Behandlungsmethoden aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. der sich daraus ergebenden Schutzpflicht abgeleitet, dass in Fällen, in denen eine lebensbedrohliche oder in der Regel tödlich verlaufende Krankheit vorliegt und eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, der Versicherte nicht von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode ausgeschlossen werden darf, wenn diese eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bietet. Diese Grundsätze haben das BVerfG und das BSG auf den Bereich der Versorgung mit Arzneimitteln übertragen. Sofern eine im vorgenannten Sinne lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt und eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, erstreckt sich der Versorgungsanspruch des Versicherten über die Beschränkung der arzneimittelrechtlichen Zulassung hinaus auf die Versorgung mit solchen Arzneimitteln, die eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bieten (BSG, Urteil vom 13. Oktober 2010 B 6 KA 48/09 R). Dabei ist allerdings stets der Ausgangspunkt des BVerfG zu beachten, nämlich dass nur insoweit, als eine lebensbedrohliche Erkrankung und deren Heilung in Frage steht, die erweiternde Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des SGB V geboten ist. Nur in einer solchen Situation ist die dargelegte verfassungskonforme Erweiterung des Leistungsanspruchs des Versicherten gemäß §§ 27 ff. SGB V veranlasst und gerechtfertigt. Davon ist aber bei dem hier vorliegenden Lipödem der Antragstellerin mit den damit verbundenen Folgebeschwerden, insbesondere dem Schmerzsyndrom, nicht auszugehen. Die Erkrankung der Antragstellerin ist weder lebensbedrohlich noch handelt es sich um eine regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung, und die Erkrankung kann auch nicht einem nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobene Körperfunktion gleichgestellt werden. Eine akute Lebensgefahr besteht nicht. Eine Linderung der Schmerzsymptomatik erfüllt insoweit nicht die Voraussetzungen der Notlage, die den Einsatz nicht zugelassener Behandlungsformen rechtfertigt. Dies entspricht der überwiegenden Rechtsprechung der Landessozialgerichte (a.a.O.; s. auch LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18. Dezember 2008 – L 5 KR 52/08; Bayerisches LSG, Beschluss vom 26. November 2015 – L 4 KR 419/15 B ER; vgl. Thüringer LSG, Urteil vom 22. Februar 2011 – L 6 KR 441/07). Nach dem Beschluss des BVerfG vom 6. Dezember 2005 soll dem Patienten nämlich – bildlich gesprochen – der Strohhalm der Hoffnung auf Heilung, an den er sich klammert, nicht wegen Fehlens wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit verweigert werden. Hoffnungen in diesem Sinne kann ein Patient aber nur mit Behandlungsmethoden verbinden, die darauf gerichtet sind, auf seine mutmaßlich tödlich verlaufende Grunderkrankung als solche einzuwirken. Für Behandlungsverfahren, die dies nach ihrem eigenen methodischen Ansatz nicht leisten, gelten die reduzierten Wirksamkeitsanforderungen der Rechtsprechung des BVerfG von vornherein nicht. Dabei darf nämlich auch nicht übersehen werden, dass nur unzureichend erforschte Therapien, insbesondere Arzneitherapien und wie hier mit einer Arznei, die Suchtpotential aufweist, ein nicht unerhebliches Risikopotential aufweisen. Soweit mit dem in § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V genannten Behandlungsziel "Krankheitsbeschwerden zu lindern" jede Verbesserung der Lebensqualität eines schwerkranken Patienten verbunden wird, ist dieses Ziel nicht von der Ausweitung der Leistungsansprüche der Versicherten gemäß dem Beschluss des BVerfG erfasst (BSG, a.a.O.).
Ein Anspruch der Antragstellerin ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die Antragsgegnerin in der Vergangenheit Kosten der Versorgung mit Dronabinol erstattet hat. Die Erbringung einer Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung hängt immer von den aktuellen (medizinischen) Umständen ab. Sie hat für die Zukunft grundsätzlich nie eine rechtliche Bedeutung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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