L 6 AS 97/14

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kiel (SHS)
Aktenzeichen
S 36 AS 496/12
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 97/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Im Rahmen des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X kann das Verschulden nach den allgemeinen Regeln (§§ 166, 278 BGB) unter Volljährigen aufgrund einer rechtsgeschäftlich erteilten Generalvollmacht - hier Duldungsvollmacht - zugerechnet werden.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts vom 17. Juni 2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten für beide Rechtszüge nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen eine Erstattungsforderung des Beklagten in Höhe von 1.440,00 EUR für den Zeitraum vom 1. Februar 2011 bis zum 30. September 2011.

Die 1991 geborene Klägerin stand im streitigen Zeitraum im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) und lebte mit ihrem 1945 geborenen Vater in einer 2-Zimmerwohnung in der Sch. Straße in K ... Die monatliche Nettokaltmiete betrug 280,00 EUR zuzüglich monatlicher Betriebs- und Heizkostenabschläge in Höhe von 60,00 EUR und 30,00 EUR. Aufgrund des Bezuges von Regelaltersrente schied ihr Vater Anfang 2010 aus dem Leistungsbezug von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II aus. Er erhielt neben der Altersrente Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).

Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 30. Dezember 2010 bewilligte der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 6. Januar 2011 zunächst Leistungen in Höhe von insgesamt 315,50 EUR. Auf das Arbeitslosengeld II in Höhe von 287,00 EUR rechnete der Beklagte um 30,00 EUR bereinigtes Einkommen aus Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR an. Zudem legte er die hälftigen Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 182,50 EUR der Berechnung zu Grunde, wobei der Heizkostenabschlag in Höhe von 30,00 EUR zunächst um 5,00 EUR Warmwasserpauschale reduziert worden war. Die laufenden Leistungen zahlte der Beklagte unverändert auf das angegebene Konto des Vaters der Klägerin aus. Mit Änderungsbescheid vom 7. Februar 2011 übernahm der Beklagte die Hälfte der Betriebskostennachzahlung für das Abrechnungsjahr 2009 in Höhe von 98,40 EUR.

Am 15. März 2011 wurde laut Verbis Vermerk eine Zweitschrift des Bescheides vom 6. Januar 2011 an den Vater ausgehändigt.

Mit Änderungsbescheid vom 26. März 2011 setzte der Beklagte die Regelsatzerhöhung zum 1. Januar 2011 um und gewährte der Klägerin unter unveränderter Anrechnung von Einkommen und Kosten für die Unterkunft und Heizung ab 1. Februar 2011 Leistungen in Höhe von nunmehr 319,50 EUR.

Der Personenstatus des Vaters der Klägerin wurde seitens des Beklagten am 11. Mai 2011 in dem Anwenderprogramm des Beklagten A2LL (Arbeitslosengeld II – Leistungen zum Lebensunterhalt) aus nicht bekannten Gründen geändert, so dass die andere Hälfte der Kosten für Unterkunft und Heizung zur Anordnung freigegeben wurde und die laufende Zahlungsanweisung der an die Klägerin monatlich zu erbringenden Leistungen aufgrund dieser Bearbeitung storniert wurde.

Der Vater der Klägerin meldete sich am 7. Juni 2011 telefonisch beim Beklagten und teilte mit, dass der Klägerin für Juni 2011 noch keine Leistungen ausgezahlt worden seien.

Der Beklagte gab am 10. Juni 2011 programmtechnisch die laufenden Zahlungen wieder frei, so dass am selben Tag folgende Zahlungen auf das Konto des Vaters angewiesen wurden: Für Februar 2011 bis Mai 2011 wurde eine Nachzahlung von jeweils 182,50 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung angeordnet, d.h. insgesamt in Höhe von 730,00 EUR; Für Juni 2011 wurden Leistungen in Höhe von 502,00 EUR angewiesen. Insgesamt wurden dem Konto des Vaters taggleich 1.232,00 EUR gutgeschrieben.

Einen Weiterbewilligungsantrag stellte die Klägerin am 15. Juni 2011 für den Zeitraum ab 1. August 2011. Die Leistungen der Klägerin wurden dem Vater nach Vorsprache am 2. August 2011 für August 2011 und am 1. September 2011 für September 2011 in Höhe von jeweils 502,00 EUR bar ausgezahlt.

Am 1. September 2011 wurde in der Leistungsakte vermerkt, dass aufgrund einer Fehlermeldung zu prüfen sei, ob die Klägerin die volle Miete erhalten habe, der Leistungsbezug des Vaters sei wegen der Altersrente beendet. Für die Zeit ab Oktober 2011 änderte der Beklage erneut den Personenstatus des Vaters, korrigierte die Berechnungen der Leistungshöhe und stellte einen Leistungsanspruch der Klägerin in Höhe von 319,50 EUR monatlich fest. In der Verwaltungsakte wurde handschriftlich vermerkt: "KdU auf Hälfte korrigiert. Vater ist Rentner". In dieser Höhe wurden dem Vater am 29. September 2011 die Leistungen für Oktober 2011 nach Vorlage einer Vollmacht am Kassenautomaten ausgezahlt.

Mit Bescheid vom 14. Dezember 2011 bewilligte der Beklagte Leistungen in Höhe von 322,00 EUR (137,00 EUR Regelbedarf nach unveränderter Einkommensanrechnung und 185,00 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung) für den Zeitraum 1. August 2011 bis 31. Dezember 2011 und in Höhe von 330,00 EUR für Januar 2012.

Nachdem der Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Erstattung mit Schreiben vom 14. Dezember 2011 angehört hatte, forderte er mit Erstattungsbescheid vom 2. Februar 2012 teilweise Leistungen in Höhe von 1.440,00 EUR für den Zeitraum vom 1. Februar 2011 bis 30. September 2011 zurück. Ihr seien im Zeitraum vom 1. Februar 2011 bis 31. Juli 2011 statt der bewilligten Leistungen in Höhe von 319,50 EUR Leistungen in Höhe von 502,00 EUR monatlich zugeflossen, da fälschlicherweise die vollen Kosten der Unterkunft übernommen worden seien. Zwar habe sie die Überzahlung nicht verursacht, jedoch habe sie anhand des Bewilligungsbescheides vom 26. März 2011 erkennen können, dass die Voraussetzungen für die gezahlten Leistungen nicht vorgelegen haben. Im Übrigen seien die Leistungen für August 2011 und September 2011 als Vorschuss gezahlt worden, da der Weiterbewilligungsantrag noch nicht bearbeitet gewesen sei. Der berechtigte Leistungsanspruch habe monatlich nicht 502,00 EUR, sondern 322,00 EUR betragen. Es handele sich demnach um Zahlungen ohne Verwaltungsakt nach § 50 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), die zu erstatten seien.

Den hiergegen am 8. März 2012 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. April 2012 zurück.

Am 7. Mai 2012 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Kiel erhoben. Sie sei für die Überzahlung nicht verantwortlich und habe diese nicht erkennen können. Trotz mehrfacher Nachfrage sei ihr ab August 2011 für einen längeren Zeitraum kein Bescheid erteilt worden.

Mit Urteil vom 17. Juni 2014 hat das Sozialgericht der Klage vollumfänglich stattgegeben und den angefochtenen Erstattungsbescheid aufgehoben. Die entsprechende Anwendung des § 45 Abs. 1 SGB X gemäß § 50 Abs. 2 SGB X erfordere die Ausübung von pflichtgemäßem Ermessen, welche seitens des Beklagten nicht erfolgt sei. Die Ermessensausübung werde nicht über § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II (in der Fassung vom 13. Mai 2011, gültig vom 1. April 2011 bis 31. Dezember 2015) i.V.m. § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) ausgeschlossen, da § 50 Abs. 2 SGB X keine durch diese Vorschriften modifizierte Anwendung des § 45 SGB X vorsehe. Eine analoge Anwendung des § 330 Abs. 2 SGB III zugunsten der öffentlichen Verwaltung könne aufgrund des in Art. 20 Grundgesetz (GG) verankerten Grundsatzes des Gesetzesvorrangs nur in engen Ausnahmefällen in Betracht kommen. Eine solche Analogie sei auch nicht erforderlich, um Erstattungsforderungen durchzusetzen, da bei fehlendem Vertrauensschutz nur in engen Ausnahmefällen eine Ermessensausübung zugunsten des Bürgers in Betracht kommen dürfte.

Gegen dieses dem Beklagten am 9. Juli 2014 zugestellte Urteil hat er am 10. Juli 2014 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 22. August 2012 – B 14 AS 165/11 R) bei Erlass eines Erstattungsbescheides nach § 50 Abs. 2 SGB X entgegen der Ansicht des Sozialgerichts kein Ermessen auszuüben sei. Die Klägerin könne sich aufgrund der atypischen und außerordentlich überhöhten Auszahlung nicht auf Vertrauensschutz berufen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kiel aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf das erstinstanzliche Urteil und beruft sich zudem auf Vertrauensschutz. Weder sie noch ihr Vater hätten die Überzahlung zu verantworten; beide hätten sie auch nicht erkennen können.

In der mündlichen Verhandlung vom 26. Oktober 2016 hat der Senat die Klägerin persönlich angehört und den Zeugen D. A. (Vater der Klägerin) vernommen. Hinsichtlich ihrer Aussagen wird auf die Niederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten sowie die Leistungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Insbesondere ist sie form- und fristgerecht erhoben worden (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sowie nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthaft, da der Beschwerdewert bei 1.440,00 EUR liegt.

Die Berufung des Beklagten ist begründet. Das erstinstanzliche Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Anfechtungsklage gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG ist zulässig, aber unbegründet, weil der Erstattungsbescheid vom 2. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2012 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Der Beklagte fordert von der Klägerin zu Recht Leistungen in Höhe von 1.440,00 EUR zurück.

Als Rechtsgrundlage für den Erstattungsbescheid ist § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 50 Abs. 2, 3 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II, § 330 Abs. 2 SGB III und § 45 SGB X heranzuziehen.

Der Erstattungsbescheid ist formell rechtmäßig, da die Klägerin insbesondere mit Schreiben vom 14. Dezember 2011 gem. § 24 Abs. 1 SGB X angehört worden ist.

Der Bescheid ist materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 50 Abs. 2, 3 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II, § 330 Abs. 2 SGB III und § 45 SGB X sind erfüllt.

Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II gilt für das Verfahren nach dem SGB II das SGB X. Gemäß § 50 Abs. 2 Satz 1 SGB X sind Leistungen zu erstatten, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind. §§ 45 und 48 SGB X gelten entsprechend, § 50 Abs. 2 Satz 2 SGB X. Nach § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X ist die zu erstattende Leistung durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen.

Die Voraussetzungen des § 50 Abs. 2 Satz 1 SGB X sind erfüllt, weil der Beklagte ohne Rechtsgrund weitere Leistungen, als mit bestandskräftigen Bescheiden vom 6. Februar 2011 und 26. März 2011 bewilligt worden sind, am 10. Juni 2011 an die Klägerin in Höhe von insgesamt 730,00 EUR (4x182,50 EUR) und weitere Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 182,50 für Juni 2011 (502,00 EUR statt der bewilligten 319,50 EUR) gezahlt hat. Für Juli 2011 wurden ebenfalls um 182,50 EUR höhere Leistungen als bewilligt dem Konto des Vaters gutgeschrieben. Für August 2011 und September 2011 hat der Beklagte Leistungen gänzlich ohne Verwaltungsakt ausgekehrt, wobei hier ebenfalls die Differenz zwischen dem berechtigten materiell-rechtlichen Anspruch der Klägerin in Höhe von 322,00 EUR monatlich (festgestellt mit Bescheid vom 14. Dezember 2011) und den bar an den Vater ausgezahlten Leistungen in Höhe von 502,00 EUR, damit je 180,00 EUR, betrug.

Die Klägerin ist auch richtige Schuldnerin der Erstattungsforderung. Die überzahlten Leistungen wurden im Rahmen eines Sozialleistungsverhältnisses an die Klägerin und nicht an ihren Vater erbracht. Zwar war die Änderung des Personenstatus in dem Verarbeitungsprogramm des Beklagten A2LL ursächlich dafür, dass zunächst die laufende Zahlung der Leistungen im Juni 2011 nicht erfolgte und anschließend nach erneuter Freigabe die Kosten für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe ausgekehrt wurden, jedoch handelt es sich hierbei um einen programmtechnischen Anwenderfehler. Die am 10. Juni 2011 sowie für Juli 2011 angewiesenen und dem Konto des Vaters gutgeschriebenen Leistungen sowie die im August 2011 und September 2011 bar ausgezahlten Leistungen hat der Beklagte bewusst und zielgerichtet als Leistungen an die Klägerin erbracht. Denn nur so konnte die Klägerin diese Zahlungen auffassen, da der Vater der Klägerin bereits Anfang 2010 wegen Bezugs von Altersrente aus dem Leistungsbezug ausgeschieden war.

Des Weiteren sind die Voraussetzungen des allein in Betracht kommenden § 45 SGB X erfüllt. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte u.a. gemäß Satz 3 Nr. 3 nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstige die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X wird in den zuletzt wiedergegeben Fällen des Satzes 3 der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Aufgrund der entsprechenden Anwendung des § 45 SGB X tritt an die Stelle des Verwaltungsaktes die faktische Leistungsgewährung, d.h. hier die Überweisungen bzw. die Barauszahlungen.

Ob die Klägerin in entsprechender Anwendung des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X die Überzahlungen zumindest in Folge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt hat, so dass sie sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen kann, bedarf nach Auffassung des Senats keiner abschließenden Entscheidung. Für Vertrauensschutz spricht insbesondere, dass – wie die Klägerin in ihrer persönlichen Anhörung und der Zeuge in seiner Einlassung übereinstimmend ausgesagt haben – sich der Zeuge vollumfänglich um die SGB II-Angelegenheiten der Klägerin gekümmert hat, sie keinen Zugriff auf das Konto ihres Vaters hatte und ihr die monatlichen Leistungen weder auf ein eigenes Konto weitergeleitet noch bar ausgehändigt wurden, sondern sie lediglich Taschengeld in nicht mehr bezifferbarer Höhe erhielt. Allerdings muss sich die Klägerin die grobe Fahrlässigkeit ihres Vaters zuzurechnen lassen. Zwar war die Klägerin im streitigen Zeitraum nicht mehr minderjährig, so dass eine gesetzliche Vertretungsmacht gem. § 1629 BGB nicht mehr vorlag, jedoch ist hier eine Verschuldenszurechnung aufgrund einer rechtsgeschäftlich erteilten Generalvollmacht (§§ 166 ff., 278 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) vorzunehmen. Eine solche Vollmacht kann ausdrücklich erteilt werden oder auch in Form einer Duldungsvollmacht konkludent vorliegen. Das Vorliegen einer Duldungsvollmacht setzt voraus, dass das vertretene Mitglied der Bedarfsgemeinschaft Kenntnis vom Verhalten des Vertreters hat und dies stillschweigend duldet (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 20. Oktober 2011 – L 5 AS 87/08 m.w.N., wobei in diesem Verfahren die Voraussetzungen für eine Duldungsvollmacht verneint wurden; zitiert nach juris). Eine schriftliche Vollmacht ist der Verwaltungsakte des Beklagten für den streitigen Zeitraum nicht zu entnehmen. Die Klägerin hat es jedoch willentlich geschehen lassen, dass ihr Vater gegenüber dem Beklagten als ihr Vertreter auftrat. So hat sie in der mündlichen Verhandlung glaubhaft wiederholt und ausdrücklich formuliert, dass sie damit einverstanden gewesen sei, dass ihr Vater sich um alle SGB II-Angelegenheiten mit dem Jobcenter gekümmert hat und sie darüber sehr froh war. Bestätigt wird dies auch von ihrem Vater, den der Senat in der mündlichen Verhandlung hierzu befragt hat. So hat dieser angegeben, dass er alles geregelt habe – von den Antragstellungen bis zu den persönlichen Vorsprachen im Jobcenter. Dies entspricht auch dem Bild, welches sich aus den in der Leistungsakte des Beklagten befindlichen Schreiben an das Jobcenter sowie den Antragsformularen ergibt. Zudem hat die Klägerin nach dem Ausscheiden ihres Vaters aus dem Leistungsbezug auch keine Änderungsmitteilung im Hinblick auf den Zahlungsweg getätigt und war damit einverstanden, dass die Leistungen dem Konto ihres Vaters gutgeschrieben wurden. Der Annahme einer Generalvollmacht steht im Übrigen nicht entgegen, dass die Klägerin mit Weiterbewilligungsantrag vom 2. Juli 2010 erklärt hätte, wegen der nunmehr eingetretenen Volljährigkeit ihre Interessen selber wahrnehmen zu wollen. Denn einerseits erfolgte diese Erklärung zeitlich vor dem hier streitigen Zeitraum und andererseits widerspricht dem die gelebte Wirklichkeit, so wie die Klägerin und der Zeuge dies auch ausgesagt haben. Mit Erteilung dieser Generalvollmacht, muss sie sich dann auch das Verhalten ihres Vaters zurechnen lassen und kann sich nicht darauf berufen, von den Überzahlungen nichts gewusst zu haben.

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Zeuge die Rechtswidrigkeit der Überzahlungen – sowohl der überhöhten Gutschriften auf seinem Konto als auch den überhöhten Barauszahlungen – kannte, zumindest aber hätte erkennen müssen. Denn der Senat wertet die Einlassung des Zeugen als Schutzbehauptung, dass er sich nicht mehr an die überzahlten Leistungen erinnern könne. Er hat nämlich in der mündlichen Verhandlung glaubhaft angegeben, dass er regelmäßig seine Kontoauszüge ausdrucke und kontrolliere. Insofern war es ihm im Juni 2011 zunächst aufgefallen, dass keine Leistungen für seine Tochter ausgezahlt worden waren, woraufhin er sich bei dem Beklagten am 7. Juni 2011 telefonisch meldete und nach den ausgebliebenen Leistungen fragte. Kurze Zeit nach diesem Telefonat wurden seinem Konto Leistungen für die Klägerin in Höhe von insgesamt 1.232,00 EUR gutgeschrieben, obwohl bescheidmäßig nur Leistungen in Höhe von 319,50 EUR für Juni 2011 auszukehren und zu erwarten waren. Die Leistungshöhe war ihm schon deshalb bekannt, da er sich um alle Leistungsangelegenheiten seiner Tochter kümmerte. Der Betrag in Höhe von 1.232,00 EUR ist nahezu viermal so groß wie der für Juni 2011 zu erwarten gewesene Leistungsanspruch. Es musste sich dem Zeugen als aufmerksamen Leser seiner Kontoauszüge, der eine Leistungsnachzahlung seitens des Beklagten in Höhe von 319,50 EUR erwartete, geradezu aufdrängen bzw. zumindest erhebliche Zweifel erzeugt haben, dass hier dem Beklagten ein Fehler unterlaufen sein musste. Es gab auch nicht etwa sonstige offene Widerspruchsverfahren oder anderweitiger Anträge auf Leistungen von der Klägerin, die ausstanden oder streitig waren. Insofern hätte sich der Zeuge veranlasst sehen müssen, den Beklagten auf seinen Fehler hinzuweisen bzw. er hätte dies zumindest zum Anlass nehmen müssen durch Nachfrage beim Beklagten für Aufklärung zu sorgen. Dies hat er jedoch unterlassen. Im Übrigen hätte er auch im Juli 2011 erkennen müssen, dass der Klägerin nicht 502,00 EUR, sondern nur die mit Bescheid vom 26. März 2011 bewilligten deutlich niedrigeren Leistungen zugestanden haben. Gleiches gilt für August 2011 und September 2011, auch wenn für diesen Zeitraum zum Zeitpunkt der an den Zeugen getätigten Barauszahlungen noch kein Bewilligungsbescheid seitens des Beklagten erlassen worden war. Denn im Weiterbewilligungsantrag vom 15. Juni 2011 tätigte der Zeuge gegenüber den bisherigen Angaben keine Änderungsmitteilungen, so dass er davon auszugehen musste, dass sich der monatlich auszuzahlende Leistungsbetrag nicht geändert hatte und der Klägerin damit monatlich weiterhin 319,50 EUR zustanden. Schließlich ist entgegen der Auffassung des Sozialgerichts der Erstattungsbescheid nicht deshalb materiell rechtswidrig, weil der Beklagte kein Ermessen ausgeübt hat. Das BSG hat bereits in seiner Entscheidung vom 22. August 2012 – B 14 AS 165/11 R ausgeführt, dass die Ermessensausübung durch die in § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II angeordnete ebenfalls entsprechende Geltung des § 330 Abs. 2 SGB III ausgeschlossen ist (vgl. auch Sächsisches LSG, Urteil vom 7. Juni 2012 – L 3 AL 208/09; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Juni 2013 – L 3 AL 1677/11; beide zitiert nach juris). Der Senat schließt sich dieser Auslegung nach eigener Prüfung ausdrücklich an. Die Regelung des § 330 Abs. 2 SGB III dient in einer Massenverwaltung der Verfahrensökonomie und berücksichtigt zudem den Umstand, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 - 3 SGB X die Ermessensausübung grundsätzlich nicht zugunsten des Empfängers der Leistung ausfallen dürfte, da dann gerade kein Grund für das Behaltendürfen der Leistung ersichtlich ist. Entsprechendes gilt jedoch auch im Falle des § 50 Abs. 2 SGB X. Es bestehen im Übrigen keine Anhaltspunkte dafür, warum Empfänger von Leistungen ohne gesicherte Rechtsposition anders zu behandeln sind als Empfänger von Leistungen aufgrund eines Verwaltungsaktes.

Im Übrigen hat der Beklagte die Höhe der Erstattungsforderung mit 1.440,00 EUR im erlassenen Erstattungsbescheid zutreffend ermittelt. Insbesondere hat er die Änderungen hinsichtlich der zunächst noch in den Bewilligungsbescheiden von den Heizkostenabschlägen abgezogenen Warmwasserpauschale berücksichtigt. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache. Gründe die Revision zuzulassen sind nicht ersichtlich, § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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