L 9 SO 7/17 B ER

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 31 SO 214/16 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 9 SO 7/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Steht im Streit, ob ein Vermögensgegenstand (hier: Hausgrundstück) eines nach § 19 Abs. 3 SGB XII einstandspflichtigen Elternteils überhaupt einzusetzen ist und inwieweit dieser Vermögenswert hat, und wird die abschließende Ermittlung und Bewertung des Sachverhalts voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nehmen oder die Verwertung des Vermögensgegenstands sich verzögern, ist der Träger der Sozialhilfe regelmäßig nach § 19 Abs. 5 SGB XII zur Vorausleistung verpflichtet.
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 6. Dezember 2016 geändert und der Tenor insgesamt wie folgt neu gefasst: Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller laufende Eingliederungshilfeleistungen in Form der Übernahme der Kosten für die Wohngruppe in S. ab 18. Oktober 2016 vorerst bis 31. Juli 2017, längstens jedoch bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, zu gewähren. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.

Gründe:

Die seitens des Antragstellers am 6. Januar 2017 form- und fristgerecht erhobene (§ 173 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist begründet.

Soweit das Sozialgericht dem Antragsteller die begehrten Eingliederungshilfeleistungen in Form der Kostenübernahme für die Wohngruppe in S. einstweilen lediglich als Darlehen und insoweit auch nur Zug um Zug gegen Besicherung des im Eigentum seines Vaters stehenden Grundstücks in B. mit einer Grundschuld zuerkannt hat, folgt der Senat dem nicht. Der Antragsteller kann im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 86b Abs. 2 SGG) die unbedingte Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Kostenübernahme verlangen. Er hat insoweit sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht.

Dem Antragsteller steht mit für den Erlass einer einstweiligen Anordnung hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf Übernahme der Kosten der begehrten Eingliederungshilfemaßnahme zu. Dabei ist zwischen den Beteiligten unstreitig und nach Lage der Akten nicht in Zweifel zu ziehen, dass der Antragsteller als wesentlich behinderter Mensch zum leistungsberechtigten Personenkreis in der Eingliederungshilfe gehört (vgl. § 53 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch [SGB XII]) und dass die Leistungen in der Wohngruppe in S. geeignet und erforderlich sind, seinen eingliederungshilferechtlichen Bedarf zu decken. Streitig ist zwischen den Beteiligten lediglich, ob es sich bei der konkreten Maßnahme um eine – ohne Einsatz von Vermögen zu gewährende (vgl. § 92 Abs. 2 Satz 2 SGB XII) – Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII) oder eine – dem Grunde nach vom vorherigen Einsatz vorhandenen Vermögens abhängige (§ 19 Abs. 3 SGB XII) – Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft handelt, und ob und inwieweit das fragliche Hausgrundstück in B. angesichts der darauf ruhenden Kreditbelastungen und des zugunsten der Großmutter des Antragstellers bestellten lebenslangen Wohnrechts aktuell verwertbares Vermögen darstellt. Diese Fragen bedürfen nach Ansicht des Senats zumindest im vorliegenden Eilverfahren keiner weitergehenden Erörterung.

Selbst wenn das Hausgrundstück grundsätzlich einzusetzen und entsprechend verwertbar wäre, könnte der Antragsteller vom Antragsgegner nach § 19 Abs. 5 SGB XII Vorausleistung verlangen. Ist danach den u.a. in § 19 Abs. 3 SGB XII genannten Personen die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen zuzumuten und sind Leistungen erbracht worden, haben sie dem Träger der Sozialhilfe die Aufwendungen in diesem Umfang zu erstatten, wobei mehrere Verpflichtete als Gesamtschuldner haften. Diese gesetzlichen Bestimmungen regeln die so genannte erweiterte Hilfe nur unvollkommen insoweit, als ein Aufwendungsersatzanspruch für den Fall einer Vorleistung statuiert wird. Dies setzt jedoch Fallkonstellationen, in denen der Sozialhilfeträger zur Vorausleistung berechtigt (und ggf. verpflichtet) ist, notwendig voraus. Nach der Entstehungsgeschichte auch in Ansehung der Vorgängerregelungen der §§ 11 Abs. 2, 29 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) kann der Sozialhilfeträger eine solche Vorleistung (nur) in begründeten Fällen erbringen und dann statt des geforderten Vermögenseinsatzes im Nachhinein den Ersatz seiner Aufwendungen verlangen. Ein solchermaßen begründeter Fall liegt insbesondere vor, wenn ein leistungsfähiges Mitglied der Einsatzgemeinschaft sich weigert, sein Einkommen oder Vermögen zur Deckung des Bedarfs des Hilfebedürftigen einzusetzen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. November 2014 – L 9 SO 429/14 B ER), oder wenn die Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nehmen wird und die Notlage ein weiteres Zuwarten nicht zulässt (zum Ganzen Coseriu, in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 19 Rn. 38). Die vorliegende Gemengelage ist diesen Regelbeispielen für die Anerkennung eines begründeten Falls und das Eingreifen der erweiterten Hilfe vergleichbar.

Der Senat berücksichtigt insoweit zunächst wesentlich, dass das Hausgrundstück, um dessen Einsatz es geht, nicht im Eigentum des Antragstellers, sondern im Eigentum des Vaters steht. Dieser weigert sich zwar nicht grundsätzlich, das Hausgrundstück einzusetzen, sieht sich allerdings aufgrund einer mit seiner Mutter getroffenen Vereinbarung, das Hausgrundstück nicht ohne ihre Zustimmung zu veräußern, an einer Veräußerung gehindert. Erschwerend kommt hinzu, dass die Frage, ob für die in Rede stehende Eingliederungshilfeleistung überhaupt der Einsatz von Vermögen gefordert werden kann, zwischen den Beteiligten umstritten und nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz zu beantworten ist; immerhin hat der Antragsgegner die Leistung bis 31. Oktober 2014 selbst als Hilfe zur angemessenen Schulbildung bewertet und ohne Berücksichtigung von Vermögen erbracht. Dass der Vater des Antragstellers in einer solchen Situation die Veräußerung des Hausgrundstücks nicht forciert, erscheint bei unbefangener Betrachtung durchaus nachvollziehbar. Zu Lasten des Antragstellers, der weder selbst über den Vermögensgegenstand verfügen noch auf seinen Vater in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht entsprechend Einfluss nehmen kann, darf dies jedoch im Hinblick auf die unstreitig erforderliche Eingliederungshilfemaßnahme nicht gehen. Hinzu kommt, dass zwischen den Beteiligten auch umstritten ist, in welchem Umfang das betreffende Hausgrundstück verfügbares Vermögen darstellt und insbesondere wegen der Bewertung des zugunsten der Großmutter bestellten Wohnrechts die Ermittlungen noch andauern. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass das Verwaltungsverfahren vom Fortbewilligungsantrag am 29. September 2014 bis zum Widerspruchsbescheid des Antragsgegners vom 22. September 2016 knapp zwei Jahre gedauert hat. Bereits dies deutet darauf hin, dass von Anfang an auch davon auszugehen war, dass die Prüfung der Voraussetzungen des Leistungsanspruchs im Hinblick auf das zu berücksichtigende Vermögen der Eltern voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nehmen werde. Insgesamt liegt es nahe, dass ein begründeter Fall i.S. des § 19 Abs. 5 SGB XII von Anfang an vorgelegen hat; zumindest bestehen die Voraussetzungen dafür aber durchgehend seit Beginn dieses Eilverfahrens.

Der Senat verpflichtet den Antragsgegner, obwohl die Entscheidung, ob er nach § 19 Abs. 5 SGB XII in Vorleistung tritt, grundsätzlich in seinem pflichtgemäßen Ermessen steht. Zumindest für den hier streitigen Zeitraum ist eine Ermessensreduzierung auf Null eingetreten. Davon wird zu Recht insbesondere in den Fällen ausgegangen, in denen die erforderliche Hilfe anders als durch Vorausleistung nicht rechtzeitig zu erreichen ist (Coseriu, a.a.O.). Diese Voraussetzungen bestehen spätestens, seit der Einrichtungsträger wegen der offenen Forderungen den Betreuungsplatz zum 28. Oktober 2016 gekündigt (Schreiben vom 2. und 27. September 2016, Bl. 20 f. der Gerichtsakte) und erklärt hat, die Betreuung des Antragstellers nur noch bis zur Beendigung dieses Verfahrens fortsetzen zu wollen, sofern nicht zumindest laufende Zahlungen auf seine Forderungen wieder erbracht werden.

Aus diesen Gründen besteht auch der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsgrund. Es ist dem Antragsteller nicht zuzumuten, bis zur Klärung der streitigen Rechtsfragen in der Hauptsache auf die unstreitig erforderlichen Leistungen der Eingliederungshilfe in der Wohngruppe in S. zu verzichten. Den Zeitpunkt des Einsetzens der vorläufigen Leistungspflicht setzt der Senat wie das Sozialgericht auf den 18. Oktober 2016 (Eingang der des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht) fest. Dabei berücksichtigt der Senat maßgeblich, dass der Antragsgegner gegen seine Verpflichtung aus dem Beschluss des Sozialgerichts keine Beschwerde erhoben und sich mit Schriftsatz vom 10. Februar 2017 lediglich gegen eine mögliche Verpflichtung auch für Zeiträume vor Antragstellung beim Sozialgericht gewendet hat.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Sie orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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