Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Itzehoe (SHS)
Aktenzeichen
S 2 AS 47/17 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AR 29/17 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Das Abwarten auf eine entscheidungserhebliche Leitentscheidung gilt als sog. aktive Bearbeitungszeit mit der Folge, dass ein Verfahren trotz einer Verfahrenslaufzeit von 2 Jahren und 7 Monaten, regelmäßiger Wiedervorlagen zu Verfahrensbeginn und nachfolgender Verfügung ins Sitzungsfach keine gerichtliche Inaktivität feststellbar ist (Anschluss an BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, Rn. 47).
Das Abwarten auf eine Leitentscheidung kann dabei auch ohne förmliche Aussetzung oder einen Ruhensbeschluss vom Gestaltungsspielraum des Gerichts gedeckt sein, wenn für das Entschädigungsgericht hinreichend erkennbar ist, dass das Gericht auf eine Leitentscheidung gewartet und das Verfahren aus diesem Grund nicht gefördert hat (Anschluss an BVerwG, Beschluss vom 20. Februar 2018 - 5 B 13/17 D -, Rn. 6, juris).
Das Abwarten auf eine Leitentscheidung kann dabei auch ohne förmliche Aussetzung oder einen Ruhensbeschluss vom Gestaltungsspielraum des Gerichts gedeckt sein, wenn für das Entschädigungsgericht hinreichend erkennbar ist, dass das Gericht auf eine Leitentscheidung gewartet und das Verfahren aus diesem Grund nicht gefördert hat (Anschluss an BVerwG, Beschluss vom 20. Februar 2018 - 5 B 13/17 D -, Rn. 6, juris).
Der Antrag des Antragsgegners, die Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe vom 13. Oktober 2017 auszusetzen, wird abgelehnt. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Aussetzungsverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Die 1990 geborene Antragstellerin des Ausgangsverfahrens und Antragsgegnerin des Aussetzungsverfahrens (im Folgenden: Antragstellerin), die bei ihren Eltern wohnt, bezog bis zum 30. November 2016 von dem Antragsgegner des Ausgangsverfahrens und Antragsteller des Aussetzungsverfahrens (im Folgenden: Antragsgegner) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Der Fortzahlungsantrag der Antragstellerin blieb zunächst aus dem Antragsgegner unerklärlichen Gründen unbearbeitet. Am 7. März 2017 stellte die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Itzehoe in dem Ausgangsverfahren S 2 AS 47/17 ER einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Mit Bescheid vom 28. März 2017 bewilligte der Antragsgegner ihr für Dezember 2016 Leistungen in Höhe von 56,00 EUR und für die Zeit von Januar 2017 bis November 2017 in Höhe von monatlich 50,25 EUR als anteilige Unterkunftskosten; weitergehende Leistungen gewährte der Antragsgegner im Hinblick auf seine Annahme einer Haushaltsgemeinschaft der Antragstellerin mit ihren Eltern nicht. Im gerichtlichen Verfahren machte die Antragstellerin auf Nachfrage des Sozialgerichts mit Schreiben vom 4. und 22. April 2017 deutlich, dass sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch den Bewilligungsbescheid vom 28. März 2017 nicht erledigt habe, weil der Antragsgegner ihr keine Regelleistungen bewilligt und die von ihr den Eltern zu erbringenden Unterkunftskosten nur zu ca. einem Drittel übernommen habe. Sie lebe mit ihren Eltern nicht in Haushalts- oder Bedarfsgemeinschaft und werde von ihnen in keiner Weise unterstützt; sie erhalte dort nur Kost und Logis.
Mit Beschluss vom 28. April 2017 hat das Sozialgericht Itzehoe den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ab 7. März 2017 unter Anrechnung bereits gewährter Leistungen einen Regelbedarf von 409,00 EUR und Kosten der Unterkunft in Höhe von 155,00 EUR zu gewähren.
Einen Überprüfungsantrag der Antragstellerin vom 1. Juni 2017 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 16. Juni 2017 ab. Hiergegen erhob die Antragstellerin mit Schreiben vom 2. Juli 2017 Widerspruch, über den – soweit ersichtlich – bisher keine Entscheidung ergangen ist.
Am 9. Oktober 2017 machte die Antragstellerin bei dem Sozialgericht sinngemäß geltend, dass der Antragsgegner die ihr mit Beschluss vom 28. April 2017 zugesprochenen Leistungen bisher nicht ausgezahlt habe. Sie beantragte, dem Antragsgegner unter Androhung eines Zwangsgeldes aufzugeben, die vorläufige Leistungsgewährung umgehend binnen drei Werktagen aufzunehmen. Diesem Antrag ist der Antragsgegner mit Hinweis auf die aus seiner Sicht zwischenzeitlich eingetretene Bestandskraft der Bewilligung vom 28. März 2017 entgegengetreten. Somit würde die Antragstellerin mit der Umsetzung des Beschlusses vom 28. April 2017 etwas verlangen, was sie angesichts der Bestandskraft der Bewilligung vom 28. März 2017 sofort wieder zurückgeben müsse.
Mit Beschluss vom 12. Oktober 2017 hat das Sozialgericht dem Antragsgegner unter Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 1.000,00 EUR aufgegeben, die der Antragstellerin mit Beschluss vom 28. April 2017 (Az. S 2 AS 47/17 ER) zugesprochene Leistungsgewährung bis zum 18. Oktober 2017 um 9.00 Uhr aufzunehmen. Hiergegen hat der Antragsgegner am 17. Oktober 2017 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht Beschwerde erhoben (Az. L 3 AS 177/17 B ER) und gleichzeitig einen Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung gestellt. Zur Begründung wiederholt er seinen Hinweis auf eine Bestandskraft der Bewilligung vom 28. März 2017 und macht geltend, dass das Vollstreckungsverlangen gegen den aus § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) abgeleiteten und auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz verstoße, wonach trotz formaler Rechtsposition ein Recht nicht verlangt werden dürfe, wenn das damit Erlangte sofort wieder zurückzugeben sei. Im Übrigen sei der Beschluss, dessen Umsetzung begehrt werde, sechs Monate alt, so dass wegen Zeitablaufs kein Rechtsschutzinteresse mehr an der Vollstreckung bestehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Nach § 199 SGG kann der Vorsitzende des Gerichts, das über ein Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen, wenn das Rechtsmittel – wie hier – keine aufschiebende Wirkung hat. Nach § 175 Satz 1 hat nur die Beschwerde gegen die Festsetzung des Zwangsmittels aufschiebende Wirkung; nicht erfasst wird die Androhung eines Zwangsgeldes nach § 201 SGG (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. § 201 Rz 5; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 175 Rz 2a, jeweils m.w.N.). Bei der im Ermessen des Vorsitzenden liegenden Aussetzungsentscheidung ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Dabei sind einerseits die Erfolgs- aussichten der Beschwerde, andererseits das Interesse des Antragstellers an der Vollziehung des Beschlusses und schließlich das Interesse des Antragsgegners daran zu berücksichtigen, nicht vor endgültiger Klarstellung der Rechtslage (vorläufig) leisten zu müssen (vgl. allg. Schmidt a.a.O. § 199 Rz. 8 m.w.N.). Dabei geht es in Fällen wie dem vorliegenden letztlich darum, ob der im Wege der einstweiligen Anordnung ausgesprochenen – ggf. vorläufigen – Leistungspflicht nachzukommen ist oder nicht. Dem Interesse des Gläubigers entspricht es, dass es grundsätzlich bei der Vollstreckbarkeit der erstinstanzlichen Entscheidung verbleibt. Dem Leistungsträger dagegen ist die Möglichkeit eröffnet darzutun und glaubhaft zu machen, dass ihm in der konkreten Vollstreckungssituation nicht zu ersetzende Nachteile entstehen. Hiervon kann nur dann ausgegangen werden, wenn der durch die Vollstreckung eintretende Schaden nachträglich nicht mehr rückgängig gemacht und nicht ausgeglichen werden kann. Es kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass ein Aussetzungsantrag des – ggf. vorläufig – zu Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II verurteilten Grundsicherungsträgers im Verfahren nach § 199 Abs. 2 SGG nur in seltenen Fällen Erfolg haben wird, weil die besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Rechtsschutz im Eilverfahren zu beachten sind (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 8. Februar 2006, L 10 AS 17/06 ER [ juris]; zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05 [juris]).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist der Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung abzulehnen. Ob das Vollstreckungsbegehren der Antragstellerin letztlich Erfolg haben wird, kann bei der im Aussetzungsverfahren nur möglichen summarischen Prüfung nicht abschließend beurteilt werden. Vor diesem Hintergrund ist – zumal unter Berücksichtigung des existenzsichernden Charakters der in Rede stehenden Leistungen – das Interesse der Antragstellerin an der mit der Zwangsgeldandrohung beabsichtigten Vollziehung des Beschlusses vom 28. April 2017 höher zu bewerten als das Aussetzungsinteresse des Antragsgegners. Angesichts dessen besteht kein Anlass, hier vom gesetzlichen Regelfall – dem Fehlen einer aufschiebenden Wirkung der Beschwerde – abzuweichen.
Der Antragsgegner hat auch für den Fall, vorläufige Leistungen erbringen zu müssen, keine Nachteile von so gravierendem Ausmaß geltend gemacht, dass insoweit Anlass bestünde, der Antragstellerin die mit dem Beschluss vom 28. April 2017 zuerkannten existenzsichernden Leistungen vorerst zu versagen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner gegen die ihm mit Beschluss vom 28. April 2017 auferlegte Verpflichtung keine Beschwerde erhoben hat, so dass dieser Beschluss bestandskräftig geworden ist. Nach dem Wortlaut des Tenors ist in diesem Beschluss weder eine nur vorläufige Leistungserbringung ausdrücklich festgeschrieben, noch ist eine Abhängigkeit zur Bestandskraft des Bewilligungsbescheides vom 28. März 2017 hergestellt worden. Welche Auswirkungen der in diesem Sinne offen formulierte Tenor hat und ob jedenfalls die Vorläufigkeit im Wege der Auslegung hinein zu interpretieren ist, mag ggf. im Beschwerdeverfahren gegen die Zwangsgeldandrohung weiter vertieft werden. Selbst bei etwaiger Fehlerhaftigkeit der Tenorierung wären dabei auch etwaige Auswirkungen der Bestandskraft des Beschlusses vom 28. April 2017 zu beachten.
Soweit der Antragsgegner sich auf die aus seiner Sicht eingetretene Bestandskraft des Bewilligungsbescheides vom 28. März 2017 beruft, bedarf auch diese Rechtsauffassung voraussichtlich der ergänzenden Überprüfung im Beschwerdeverfahren gegen die Zwangsgeldandrohung. Zwar mag der Einwand des Rechtsmissbrauchs in der Rechtsfigur des sog. dolo-petit-Einwandes dem Vollstreckungsbegehren der Antragstellerin entgegenstehen, wenn damit eine Leistung eingefordert wird, die alsbald wieder zurück zu gewähren ist. Dass der Antragstellerin keine höheren Leistungen zustehen, als sie der Antragsgegner mit Bescheid vom 28. März 2017 bewilligt hat, steht allerdings bisher – bei summarischer Prüfung – ebenso wenig fest wie die Frage, ob der Bescheid vom 28. März 2017 bestandskräftig geworden ist. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu erwägen, ob in der dem Antragsgegner vom Sozialgericht übersandten Stellungnahme zu dem Bewilligungsbescheid vom 28. März 2017 (Schreiben der Antragstellerin vom 4. und 22. April 2017) ein noch nicht beschiedener Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid zu sehen ist (vgl. zur Auslegung einer Klage als gleichzeitig eingelegten Widerspruch Schmidt a.a.O. § 78 Rz 3b; die Stellungnahme der Antragstellerin zu einer etwaigen Erledigung des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens durch den Bewilligungsbescheid vom 28. März 2017 könnte unter Umständen ähnlich zu bewerten sein). Dass die – anwaltlich nicht vertretene – Antragstellerin später einen Überprüfungsantrag gestellt hat, kann bei verständiger Würdigung nicht in dem Sinne interpretiert werden, dass auch die Antragstellerin von der Bestandskraft der Bewilligung ausging.
Dass die Antragstellerin das Vollstreckungsverfahren gegen den Beschluss vom 28. April 2017 erst am 9. Oktober 2017 eingeleitet hat, lässt ihr Rechtsschutzbedürfnis nicht ohne weiteres entfallen. Abgesehen davon, dass die Mutter der Antragstellerin gegenüber dem Sozialgericht bereits am 21. August 2017 die Nichtumsetzung des Beschlusses vom 28. April 2017 gerügt hat (Bl. 49 der Gerichtsakte), bestand hier keine kurze Vollziehungsfrist. § 929 Abs. 2 Zivilprozessordnung, wonach eine Vollziehung der einstweiligen Anordnung nach Ablauf einer Monatsfrist unstatthaft ist, findet auf das sozialgerichtliche Verfahren nach der Änderung des § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG durch Gesetz vom 19. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3836) keine entsprechende Anwendung mehr (vgl. Schmidt a.a.O. § 199 Rz 3e; Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O. § 86b Rz 46). Dafür, dass die rechtlich offenbar unerfahrene Antragstellerin aus sonstigen Gründen ihr Recht auf Vollziehung der einstweiligen Anordnung verwirkt hätte, bestehen bisher keine hinreichenden Anhaltspunkte.
Nach allem hat der Aussetzungsantrag keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG und orientiert sich am Ausgang des Aussetzungsverfahrens (zur Notwendigkeit einer gesonderten Kostenentscheidung im Verfahren nach § 199 Abs. 2 SGG vgl. Leitherer a.a.O., § 199 Rz. 7c).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Die 1990 geborene Antragstellerin des Ausgangsverfahrens und Antragsgegnerin des Aussetzungsverfahrens (im Folgenden: Antragstellerin), die bei ihren Eltern wohnt, bezog bis zum 30. November 2016 von dem Antragsgegner des Ausgangsverfahrens und Antragsteller des Aussetzungsverfahrens (im Folgenden: Antragsgegner) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Der Fortzahlungsantrag der Antragstellerin blieb zunächst aus dem Antragsgegner unerklärlichen Gründen unbearbeitet. Am 7. März 2017 stellte die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Itzehoe in dem Ausgangsverfahren S 2 AS 47/17 ER einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Mit Bescheid vom 28. März 2017 bewilligte der Antragsgegner ihr für Dezember 2016 Leistungen in Höhe von 56,00 EUR und für die Zeit von Januar 2017 bis November 2017 in Höhe von monatlich 50,25 EUR als anteilige Unterkunftskosten; weitergehende Leistungen gewährte der Antragsgegner im Hinblick auf seine Annahme einer Haushaltsgemeinschaft der Antragstellerin mit ihren Eltern nicht. Im gerichtlichen Verfahren machte die Antragstellerin auf Nachfrage des Sozialgerichts mit Schreiben vom 4. und 22. April 2017 deutlich, dass sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch den Bewilligungsbescheid vom 28. März 2017 nicht erledigt habe, weil der Antragsgegner ihr keine Regelleistungen bewilligt und die von ihr den Eltern zu erbringenden Unterkunftskosten nur zu ca. einem Drittel übernommen habe. Sie lebe mit ihren Eltern nicht in Haushalts- oder Bedarfsgemeinschaft und werde von ihnen in keiner Weise unterstützt; sie erhalte dort nur Kost und Logis.
Mit Beschluss vom 28. April 2017 hat das Sozialgericht Itzehoe den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ab 7. März 2017 unter Anrechnung bereits gewährter Leistungen einen Regelbedarf von 409,00 EUR und Kosten der Unterkunft in Höhe von 155,00 EUR zu gewähren.
Einen Überprüfungsantrag der Antragstellerin vom 1. Juni 2017 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 16. Juni 2017 ab. Hiergegen erhob die Antragstellerin mit Schreiben vom 2. Juli 2017 Widerspruch, über den – soweit ersichtlich – bisher keine Entscheidung ergangen ist.
Am 9. Oktober 2017 machte die Antragstellerin bei dem Sozialgericht sinngemäß geltend, dass der Antragsgegner die ihr mit Beschluss vom 28. April 2017 zugesprochenen Leistungen bisher nicht ausgezahlt habe. Sie beantragte, dem Antragsgegner unter Androhung eines Zwangsgeldes aufzugeben, die vorläufige Leistungsgewährung umgehend binnen drei Werktagen aufzunehmen. Diesem Antrag ist der Antragsgegner mit Hinweis auf die aus seiner Sicht zwischenzeitlich eingetretene Bestandskraft der Bewilligung vom 28. März 2017 entgegengetreten. Somit würde die Antragstellerin mit der Umsetzung des Beschlusses vom 28. April 2017 etwas verlangen, was sie angesichts der Bestandskraft der Bewilligung vom 28. März 2017 sofort wieder zurückgeben müsse.
Mit Beschluss vom 12. Oktober 2017 hat das Sozialgericht dem Antragsgegner unter Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 1.000,00 EUR aufgegeben, die der Antragstellerin mit Beschluss vom 28. April 2017 (Az. S 2 AS 47/17 ER) zugesprochene Leistungsgewährung bis zum 18. Oktober 2017 um 9.00 Uhr aufzunehmen. Hiergegen hat der Antragsgegner am 17. Oktober 2017 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht Beschwerde erhoben (Az. L 3 AS 177/17 B ER) und gleichzeitig einen Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung gestellt. Zur Begründung wiederholt er seinen Hinweis auf eine Bestandskraft der Bewilligung vom 28. März 2017 und macht geltend, dass das Vollstreckungsverlangen gegen den aus § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) abgeleiteten und auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz verstoße, wonach trotz formaler Rechtsposition ein Recht nicht verlangt werden dürfe, wenn das damit Erlangte sofort wieder zurückzugeben sei. Im Übrigen sei der Beschluss, dessen Umsetzung begehrt werde, sechs Monate alt, so dass wegen Zeitablaufs kein Rechtsschutzinteresse mehr an der Vollstreckung bestehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Nach § 199 SGG kann der Vorsitzende des Gerichts, das über ein Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen, wenn das Rechtsmittel – wie hier – keine aufschiebende Wirkung hat. Nach § 175 Satz 1 hat nur die Beschwerde gegen die Festsetzung des Zwangsmittels aufschiebende Wirkung; nicht erfasst wird die Androhung eines Zwangsgeldes nach § 201 SGG (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. § 201 Rz 5; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 175 Rz 2a, jeweils m.w.N.). Bei der im Ermessen des Vorsitzenden liegenden Aussetzungsentscheidung ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Dabei sind einerseits die Erfolgs- aussichten der Beschwerde, andererseits das Interesse des Antragstellers an der Vollziehung des Beschlusses und schließlich das Interesse des Antragsgegners daran zu berücksichtigen, nicht vor endgültiger Klarstellung der Rechtslage (vorläufig) leisten zu müssen (vgl. allg. Schmidt a.a.O. § 199 Rz. 8 m.w.N.). Dabei geht es in Fällen wie dem vorliegenden letztlich darum, ob der im Wege der einstweiligen Anordnung ausgesprochenen – ggf. vorläufigen – Leistungspflicht nachzukommen ist oder nicht. Dem Interesse des Gläubigers entspricht es, dass es grundsätzlich bei der Vollstreckbarkeit der erstinstanzlichen Entscheidung verbleibt. Dem Leistungsträger dagegen ist die Möglichkeit eröffnet darzutun und glaubhaft zu machen, dass ihm in der konkreten Vollstreckungssituation nicht zu ersetzende Nachteile entstehen. Hiervon kann nur dann ausgegangen werden, wenn der durch die Vollstreckung eintretende Schaden nachträglich nicht mehr rückgängig gemacht und nicht ausgeglichen werden kann. Es kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass ein Aussetzungsantrag des – ggf. vorläufig – zu Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II verurteilten Grundsicherungsträgers im Verfahren nach § 199 Abs. 2 SGG nur in seltenen Fällen Erfolg haben wird, weil die besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Rechtsschutz im Eilverfahren zu beachten sind (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 8. Februar 2006, L 10 AS 17/06 ER [ juris]; zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05 [juris]).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist der Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung abzulehnen. Ob das Vollstreckungsbegehren der Antragstellerin letztlich Erfolg haben wird, kann bei der im Aussetzungsverfahren nur möglichen summarischen Prüfung nicht abschließend beurteilt werden. Vor diesem Hintergrund ist – zumal unter Berücksichtigung des existenzsichernden Charakters der in Rede stehenden Leistungen – das Interesse der Antragstellerin an der mit der Zwangsgeldandrohung beabsichtigten Vollziehung des Beschlusses vom 28. April 2017 höher zu bewerten als das Aussetzungsinteresse des Antragsgegners. Angesichts dessen besteht kein Anlass, hier vom gesetzlichen Regelfall – dem Fehlen einer aufschiebenden Wirkung der Beschwerde – abzuweichen.
Der Antragsgegner hat auch für den Fall, vorläufige Leistungen erbringen zu müssen, keine Nachteile von so gravierendem Ausmaß geltend gemacht, dass insoweit Anlass bestünde, der Antragstellerin die mit dem Beschluss vom 28. April 2017 zuerkannten existenzsichernden Leistungen vorerst zu versagen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner gegen die ihm mit Beschluss vom 28. April 2017 auferlegte Verpflichtung keine Beschwerde erhoben hat, so dass dieser Beschluss bestandskräftig geworden ist. Nach dem Wortlaut des Tenors ist in diesem Beschluss weder eine nur vorläufige Leistungserbringung ausdrücklich festgeschrieben, noch ist eine Abhängigkeit zur Bestandskraft des Bewilligungsbescheides vom 28. März 2017 hergestellt worden. Welche Auswirkungen der in diesem Sinne offen formulierte Tenor hat und ob jedenfalls die Vorläufigkeit im Wege der Auslegung hinein zu interpretieren ist, mag ggf. im Beschwerdeverfahren gegen die Zwangsgeldandrohung weiter vertieft werden. Selbst bei etwaiger Fehlerhaftigkeit der Tenorierung wären dabei auch etwaige Auswirkungen der Bestandskraft des Beschlusses vom 28. April 2017 zu beachten.
Soweit der Antragsgegner sich auf die aus seiner Sicht eingetretene Bestandskraft des Bewilligungsbescheides vom 28. März 2017 beruft, bedarf auch diese Rechtsauffassung voraussichtlich der ergänzenden Überprüfung im Beschwerdeverfahren gegen die Zwangsgeldandrohung. Zwar mag der Einwand des Rechtsmissbrauchs in der Rechtsfigur des sog. dolo-petit-Einwandes dem Vollstreckungsbegehren der Antragstellerin entgegenstehen, wenn damit eine Leistung eingefordert wird, die alsbald wieder zurück zu gewähren ist. Dass der Antragstellerin keine höheren Leistungen zustehen, als sie der Antragsgegner mit Bescheid vom 28. März 2017 bewilligt hat, steht allerdings bisher – bei summarischer Prüfung – ebenso wenig fest wie die Frage, ob der Bescheid vom 28. März 2017 bestandskräftig geworden ist. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu erwägen, ob in der dem Antragsgegner vom Sozialgericht übersandten Stellungnahme zu dem Bewilligungsbescheid vom 28. März 2017 (Schreiben der Antragstellerin vom 4. und 22. April 2017) ein noch nicht beschiedener Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid zu sehen ist (vgl. zur Auslegung einer Klage als gleichzeitig eingelegten Widerspruch Schmidt a.a.O. § 78 Rz 3b; die Stellungnahme der Antragstellerin zu einer etwaigen Erledigung des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens durch den Bewilligungsbescheid vom 28. März 2017 könnte unter Umständen ähnlich zu bewerten sein). Dass die – anwaltlich nicht vertretene – Antragstellerin später einen Überprüfungsantrag gestellt hat, kann bei verständiger Würdigung nicht in dem Sinne interpretiert werden, dass auch die Antragstellerin von der Bestandskraft der Bewilligung ausging.
Dass die Antragstellerin das Vollstreckungsverfahren gegen den Beschluss vom 28. April 2017 erst am 9. Oktober 2017 eingeleitet hat, lässt ihr Rechtsschutzbedürfnis nicht ohne weiteres entfallen. Abgesehen davon, dass die Mutter der Antragstellerin gegenüber dem Sozialgericht bereits am 21. August 2017 die Nichtumsetzung des Beschlusses vom 28. April 2017 gerügt hat (Bl. 49 der Gerichtsakte), bestand hier keine kurze Vollziehungsfrist. § 929 Abs. 2 Zivilprozessordnung, wonach eine Vollziehung der einstweiligen Anordnung nach Ablauf einer Monatsfrist unstatthaft ist, findet auf das sozialgerichtliche Verfahren nach der Änderung des § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG durch Gesetz vom 19. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3836) keine entsprechende Anwendung mehr (vgl. Schmidt a.a.O. § 199 Rz 3e; Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O. § 86b Rz 46). Dafür, dass die rechtlich offenbar unerfahrene Antragstellerin aus sonstigen Gründen ihr Recht auf Vollziehung der einstweiligen Anordnung verwirkt hätte, bestehen bisher keine hinreichenden Anhaltspunkte.
Nach allem hat der Aussetzungsantrag keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG und orientiert sich am Ausgang des Aussetzungsverfahrens (zur Notwendigkeit einer gesonderten Kostenentscheidung im Verfahren nach § 199 Abs. 2 SGG vgl. Leitherer a.a.O., § 199 Rz. 7c).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
SHS
Saved