S 5 EG 22/15

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 EG 22/15
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 EG 68/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 16. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli 2015 verurteilt, der Klägerin Elterngeld unter Berücksichtigung der Einkünfte aus der Lohnart 231 in den Lohn- und Gehaltsbescheinigungen von März 2014 bis November 2014 zu gewähren.
II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Überstundenvergütung bei der Berechnung des Elterngeldanspruchs der Klägerin nach Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) zu berücksichtigen ist.

Mit Bescheid vom 16.06.2015 bewilligte der Beklagte der Klägerin Elterngeld für den 1. bis 12. Lebensmonat ihres am 2015 geborenen Sohnes H. in Höhe von 0, 158,40 bzw. 1.187,89 Euro monatlich für die Zeit vom 03.05.2015 bis 02.05.2016. Bei der Elterngeldberechnung ging der Beklagte davon aus, dass als maßgeblicher Bemessungszeitraum der Zwölfmonatszeitraum vor der Geburt des Kindes heranzuziehen sei. Zu berücksichtigen sei dabei aber, dass der Mutterschaftsgeldbezug ab 22.12.2014 zu einer Ausklammerung führe. Die ausgeklammerten Kalendermonate würden durch die gleiche Anzahl von Kalendermonaten vor dem ursprünglichen Zwölfmonatszeitraum ersetzt, so dass sich die Zahl der berücksichtigten Monate (zwölf) nicht ändere. Im Bemessungszeitraum von März 2014 bis Februar 2015 habe die Klägerin Einkommen aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit nach Abzug eines Arbeitnehmer-Pauschbetrages in Höhe von 999,96 Euro in Höhe von 35.600,04 Euro erzielt. Dadurch ergebe sich ein monatliches Elterngeld-Brutto in Höhe von 2.966,67 Euro. Hiervon seien Steuern einschließlich des Solidaritätszuschlags in Höhe von 498,65 Euro sowie Sozialabgaben in Höhe von 640,50 Euro abzuziehen. Dadurch errechne sich ein monatliches Elterngeld-Netto in Höhe von 1.827,52 Euro. Der Betrag von 1.200 Euro werde durch das Elterngeld-Netto um 627,52 Euro überschritten. Auf Grund des Differenzbetrages werde der Prozentsatz von 67 Prozent auf 65 Prozent gesenkt, so dass das monatliche Elterngeld 1.187,89 Euro betrage. Vom 03.05.2015 bis 28.06.2015 sei das gewährte Mutterschaftsgeld sowie der entsprechende Arbeitgeberzuschuss in Höhe von kalendertäglich 15,38 Euro bzw. 52,33 Euro anzurechnen.

Im nachfolgenden Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, dass zu Unrecht das Einkommen aus der Lohnart 231 bei der Elterngeldberechnung nicht berücksichtigt worden sei. Hierbei handle es sich um eine monatliche Überstundenvergütung. Zur Begründung ihres Widerspruchs verwies die Klägerin auf die Stellungnahme ihres Arbeitgebers vom 01.07.2015, wonach ihre Lohnabrechnungen des Vorjahres nicht mehr korrigiert werden könnten. Hinter der "Lohnart 231 Festbezug netto jhrl." verberge sich die Überstundenvergütung. Diese könne als laufendes Entgelt bewertet werden. Nach den Lohnabrechnungen erhielt die Klägerin in den Monaten von März 2014 bis November 2014 Zahlungen nach der "Lohnart 231 Festbezug netto jhrl." In Höhe von 526 Euro bis 2.208,54 Euro.

Gleichwohl wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.07.2015 als unbegründet zurück. Elterngeld werde in Höhe von 67 Prozent des Einkommens aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes gewährt. Es werde bis zu einem Höchstbetrag von 1.800 Euro monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit habe. Das Einkommen aus Erwerbstätigkeit errechne sich aus der um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben verminderten Summe der positiven Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Einkommenssteuergesetzes (EStG) sowie Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 EStG, die im Inland zu versteuern seien und die die berechtigte Person durchschnittlich monatlich im Bemessungszeitraum oder in Monaten der Bezugszeit habe. Der monatlich durchschnittlich zu berücksichtigende Überschuss der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit in Geld oder Geldeswert über ein Zwölftel des Arbeitnehmer-Pauschbetrags, vermindert um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben, ergebe das Einkommen aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit. Nicht berücksichtigt würden Einnahmen, die im Lohnsteuerabzugsverfahren nach den lohnsteuerlichen Vorgaben als sonstige Bezüge zu behandeln seien. Damit könnten nach den gesetzlichen Bestimmungen des BEEG bei der Berechnung des Elterngeldgesetzes nur das laufende steuerpflichtige Bruttoeinkommen berücksichtigt werden. Die von der Klägerin geltend gemachten Zahlungen (231 Festbezug netto jhrl.) seien vom Arbeitgeber als sonstiger Bezug im Lohnsteuerabzugsverfahren behandelt worden und könnten daher bei der Festlegung des Ausgangswerts zur Berechnung des Elterngeld-Nettos nicht berücksichtigt werden. Dabei werde die Richtigkeit und Vollständigkeit. dieser Angaben in den maßgeblichen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers vermutet.

Dagegen hat die Klägerin am 14.08.2015 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Die Überstundenvergütung sei bei der Elterngeldberechnung einzubeziehen. Zur Begründung ihres Anspruchs verweist die Klägerin auf die Ausführungen im Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29.08.2012, B 10 EG 20/11 R und § 6 ihres Arbeitsvertrages vom 26.05.2008, wonach sie als Arbeitnehmerin verpflichtet sei, gegen entsprechende Vergütung in einem zumutbaren Rahmen Überstunden zu leisten, wenn die Erfordernisse des Praxisbetriebes dies notwendig machten.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 16.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.07.2015 zu verurteilen, der Klägerin Elterngeld unter Berücksichtigung der Einkünfte aus der Lohnart 231 im Bemessungszeitraum zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Nach Auffassung des Beklagten würden Einnahmen, die im Lohnsteuerabzugsverfahren nach den lohnsteuerlichen Vorgaben als sonstige Bezüge zu behandeln seien, nicht berücksichtigt. Dabei werde die Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Angabe in der maßgeblichen Lohn- und Gehaltsbescheinigung des Arbeitgebers vermutet. Die Überstunden seien offensichtlich bis zum November 2014 monatlich unter dem Betrag "Festbezug netto jhrl." in Höhe von unterschiedlichen Beträgen gezahlt worden. Ab Dezember 2014 sei die Zahlung dieses Betrages weggefallen. Für die Richtigkeit und Vollständigkeitsvermutung bezüglich der steuerlichen Berücksichtigung dieser Beträge als sonstige Bezüge spreche, dass es dem Arbeitgeber nicht möglich sei, die Lohnabrechnungen zu korrigieren. Auch lasse die Bezeichnung dieser Zahlungen ("jhrl.") vermuten, dass es sich eher um eine Jahresendabrechnung als um eine Auszahlung von Überstunden des Vormonats handle. Im Übrigen könnte den Lohnabrechnungen auch nicht entnommen werden, um welche Überstunden und um wie viele Überstunden es sich jeweils handle. Der vorgelegte Arbeitsvertrag enthalte in § 6 lediglich die Bestimmung, dass der Arbeitnehmer verpflichtet sei, in einem zumutbaren Rahmen gegen "entsprechende Vergütung" Überstunden zu leisten. Eine Regelung über die Auszahlung der Überstunden und insbesondere über die Fälligkeit enthalte der Arbeitsvertrag jedoch nicht. Nachweise, dass der Arbeitgeber die Überstundenzahlungen zu Unrecht als sonstige Bezüge versteuert habe, lägen somit nicht vor.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Beklagten- und Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Die gemäß §§ 87, 90, 92 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Klage zum sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Augsburg (§§ 8, 51 Abs. 1 Nr. 10, 57 SGG, 13 Abs. 1 Satz 1 BEEG) ist zulässig.

Die Klage ist auch in vollem Umfang begründet. Der Bescheid vom 16.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.07.2015 verletzt die Klägerin insoweit in ihren Rechten nach § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, als der Beklagte der Berechnung des Elterngeldanspruches keine Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit aus der Lohnart 231 in den Lohn- und Gehaltsbescheinigungen von März 2014 bis November 2014 zugrunde gelegt hat. Die Klägerin hat damit einen Anspruch auf höheres Elterngeld.

Nach § 2 Abs. 1 BEEG wird Elterngeld in Höhe von 67 Prozent des Einkommens aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes gewährt. Es wird bis zu einem Höchstbetrag von 1.800 Euro monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit hat. Das Einkommen aus Erwerbstätigkeit errechnet sich nach Maßgabe der §§ 2c bis 2f aus der um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben verminderten Summe der positiven Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG sowie Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 EStG, die im Inland zu versteuern sind und die die berechtigte Person durchschnittlich monatlich im Bemessungszeitraum nach § 2b oder in Monaten der Bezugszeit nach § 2 Abs. 3 hat.

In den Fällen, in denen das Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt geringer als 1.000 Euro war, erhöht sich der Prozentsatz von 67 Prozent um 0,1 Prozentpunkte für je 2 Euro, um die dieses Einkommen den Betrag von 1.000 Euro unterschreitet, auf bis zu 100 Prozent. In den Fällen, in denen das Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt höher als 1.200 Euro war, sinkt der Prozentsatz von 67 Prozent um 0,1 Prozentpunkte für je 2 Euro, um die dieses Einkommen den Betrag von 1.200 Euro überschreitet, auf bis zu 65 Prozent, § 2 Abs. 2 BEEG.

Gemäß § 2 Abs. 3 BEEG wird Elterngeld für Monate nach der Geburt des Kindes, in denen die berechtigte Person - anders als hier die Klägerin, die nach der Geburt ihres Sohnes H. keine Erwerbstätigkeit ausübte - ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit hat, das durchschnittlich geringer ist als das Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt, in Höhe des nach Abs. 1 oder 2 maßgeblichen Prozentsatzes des Unterschiedsbetrages dieser Einkommen aus Erwerbstätigkeit gezahlt. Als Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt ist dabei höchstens der Betrag von 2.770 Euro anzusetzen. Der Unterschiedsbetrag nach Satz 1 ist für das Einkommen aus Erwerbstätigkeit in Monaten, in denen die berechtigte Person Elterngeld im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 2 in Anspruch nimmt, und in Monaten, in denen sie Elterngeld Plus im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 in Anspruch nimmt, getrennt zu berechnen.

Das Einkommen aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit bestimmt sich nach § 2c BEEG:

Abs. 1: Der monatlich durchschnittlich zu berücksichtigende Überschuss der Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit in Geld oder Geldeswert über ein Zwölftel des Arbeitnehmer-Pauschbetrags, vermindert um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben nach den §§ 2e und 2f, ergibt das Einkommen aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit. Nicht berücksichtigt werden Einnahmen, die im Lohnsteuerabzugsverfahren nach den lohnsteuerlichen Vorgaben als sonstige Bezüge zu behandeln sind. Maßgeblich ist der Arbeitnehmer-Pauschbetrag nach § 9a Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a des EStG in der am 1. Januar des Kalenderjahres vor der Geburt des Kindes für dieses Jahr geltenden Fassung.

Abs. 2: Grundlage der Ermittlung der Einnahmen sind die Angaben in den für die maßgeblichen Monate erstellten Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers. Die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben in den maßgeblichen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen wird vermutet.

Abs. 3: Grundlage der Ermittlung der nach den §§ 2e und 2f erforderlichen Abzugsmerkmale für Steuern und Sozialabgaben sind die Angaben in der Lohn- und Gehaltsbescheinigung, die für den letzten Monat im Bemessungszeitraum mit Einnahmen nach Abs. 1 erstellt wurde. Soweit sich in den Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Bemessungszeitraums eine Angabe zu einem Abzugsmerkmal geändert hat, ist die von der Angabe nach Satz 1 abweichende Angabe maßgeblich, wenn sie in der überwiegenden Zahl der Monate des Bemessungszeitraums gegolten hat. § 2c Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend.

Die Klägerin hat neben den vom Beklagten berücksichtigten Einnahmen noch weiteres Einkommen aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit im Bemessungszeitraum von März 2014 bis Februar 2015 bezogen, wie sich aus den Lohnabrechnungen der Monate März bis November 2014 ergibt. Hierbei handelt es sich um Überstundenvergütungen. Zu diesem Schluss gelangt das Gericht durch Auswertung der arbeitsvertraglichen Regelungen zwischen der Klägerin und ihrem Arbeitgeber sowie dessen Stellungnahme vom 01.07.2015. Nach § 6 des zwischen den Arbeitsvertragsparteien geschlossenen Arbeitsvertrages ist die Klägerin als Arbeitnehmerin verpflichtet, gegen entsprechende Vergütung in einem zumutbaren Rahmen Überstunden zu leisten, wenn die Erfordernisse des Praxisbetriebes dies notwendig machen. Mangels abweichender vertraglicher Regelungen bestimmt sich die Fälligkeit der Vergütung nach § 614 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Danach ist die Vergütung nach der Leistung der Dienste zu entrichten. Ist die Vergütung nach Zeitabschnitten bemessen, so ist sie nach dem Ablauf der einzelnen Zeitabschnitte zu entrichten, so dass die Überstunden monatlich abzurechnen sind. Auch der Arbeitgeber der Klägerin bestätigte in seinem Schreiben vom 01.07.2015, dass sich hinter der "Lohnart 231 Festbezug netto jhrl." die Überstundenvergütung der Klägerin verbirgt. Das Gericht hat demnach keinen Zweifel, dass es sich bei den ausgewiesenen Zahlungen um Überstundenvergütungen handelt.

Entgegen der Auffassung des Beklagten sind die Einkommen aus der "Lohnart 231 Festbezug netto jhrl." bei der Elterngeldberechnung zu berücksichtigen. Dabei kommt es nicht darauf an, wie der Arbeitgeber dieses Einkommen in den Lohnabrechnungen verbucht hat.

Wie bereits dargelegt werden nach § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG Einnahmen, die im Lohnsteuerabzugsverfahren nach den lohnsteuerlichen Vorgaben als sonstige Bezüge zu behandeln sind, nicht bei der Elterngeldberechnung berücksichtigt.

Die Regelung des § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG knüpft an die lohnsteuerrechtliche Differenzierung zwischen der Einbehaltung der Lohnsteuer vom laufenden Arbeitslohn (§ 39b Abs. 2 EStG) und von sonstigen Bezügen (§ 39b Abs. 3 EStG) an (BSG, Urteil vom 26.03.2014, B 10 EG 14/13 R).

§ 39b EStG definiert die Begriffe vom laufenden Arbeitslohn und von sonstigen Bezügen nicht selbst. Lediglich die Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) erläutern beide Begriffe in Form von Verwaltungsanweisungen.

Laufender Arbeitslohn ist nach LStR R 39b.2 Abs. 1 Arbeitslohn, der dem Arbeitnehmer regelmäßig fortlaufend zufließt, insbesondere: Monatsgehälter, Wochen- und Tagelöhne, Mehrarbeitsvergütungen, Zuschläge und Zulagen, geldwerte Vorteile aus der ständigen Überlassung von Dienstwagen zur privaten Nutzung, Nachzahlungen und Vorauszahlungen, wenn sich diese ausschließlich auf Lohnzahlungszeiträume beziehen, die im Kalenderjahr der Zahlung enden, und Arbeitslohn für Lohnzahlungszeiträume des abgelaufenen Kalenderjahres, der innerhalb der ersten drei Wochen des nachfolgenden Kalenderjahres zufließt. Der laufende Arbeitslohn kann der Höhe nach durchaus schwanken. Das Kriterium der Regelmäßigkeit bezieht sich nicht auf die Höhe, sondern auf die wiederholte Gewährung, im Gegensatz vor allem zur "Einmaligkeit" der Gewährung. Eine ausdrückliche Anordnung, dass Regelmäßigkeit einer Zahlung nur dann vorliegt, wenn die Zahlung in ausnahmslos jedem Abrechnungszeitraum zur Auszahlung kommt, ist weder § 39b EStG noch den LStR zu entnehmen.

Dagegen ist nach LStR R 39b.2 Abs. 2 ein sonstiger Bezug der Arbeitslohn, der nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wird. Zu den sonstigen Bezügen gehören insbesondere einmalige Arbeitslohnzahlungen, die neben dem laufenden Arbeitslohn gezahlt werden, z.B.: dreizehnte und vierzehnte Monatsgehälter, einmalige Abfindungen und Entschädigungen, Gratifikationen und Tantiemen, die nicht fortlaufend gezahlt werden, Jubiläumszuwendungen, Urlaubsgelder, die nicht fortlaufend gezahlt werden, und Entschädigungen zur Abgeltung nicht genommenen Urlaubs, Vergütungen für Erfindungen, Weihnachtszuwendungen, Nachzahlungen und Vorauszahlungen, wenn sich der Gesamtbetrag oder ein Teilbetrag der Nachzahlung oder Vorauszahlung auf Lohnzahlungszeiträume bezieht, die in einem anderen Jahr als dem der Zahlung enden, oder, wenn Arbeitslohn für Lohnzahlungszeiträume des abgelaufenen Kalenderjahres später als drei Wochen nach Ablauf dieses Jahres zufließt, Ausgleichszahlungen für die in der Arbeitsphase erbrachten Vorleistungen auf Grund eines Altersteilzeitverhältnisses im Blockmodell, das vor Ablauf der vereinbarten Zeit beendet wird sowie Zahlungen innerhalb eines Kalenderjahres als viertel- oder halbjährliche Teilbeträge.

Bei der steuerrechtlichen Unterscheidung zwischen laufend gezahltem Arbeitslohn und sonstigen Bezügen geht es nicht um die Frage, ob Lohnsteuer auf laufenden Arbeitslohn oder auf sonstige Bezüge überhaupt zu erheben ist. Steuerpflichtig sind sowohl laufender Arbeitslohn als auch sonstige Bezüge. Vielmehr handelt es sich in erster Linie um Zuordnungsregeln bei der Frage, in welchem Veranlagungszeitraum bestimmte Entgeltkomponenten zu versteuern sind. Ein sonstiger Bezug wird in dem Kalenderjahr bezogen, in dem er dem Arbeitnehmer zufließt (vgl. § 38a Abs. 1 EStG). Der Lohnsteuerabzug von sonstigen Bezügen ist zudem anders geregelt als beim laufenden Arbeitslohn, um bereits im Lohnsteuerabzugsverfahren genau das Jahressteuerergebnis zu treffen. Wegen des progressiven Steuertarifs käme es andernfalls, nämlich bei der Hinzurechnung der sonstigen Bezüge zum laufenden Arbeitslohn zu einer überhöhten Einbehaltung von Lohnsteuer. Ein "zutreffender", progressionsgerechter Lohnsteuerabzug lässt sich insoweit erreichen, als die auf sonstige Bezüge entfallende Lohnsteuer mit dem Unterschiedsbetrag erhoben wird, der sich bei Ermittlung der Jahreslohnsteuer für den voraussichtlichen Jahreslohn zuzüglich des sonstigen Bezuges und auf den voraussichtlichen Jahresarbeitslohn ohne den sonstigen Bezug ergibt, d.h. für die Ermittlung der Lohnsteuer eines sonstigen Bezuges wird der Arbeitnehmer so behandelt, als hätte er in jedem Lohnzahlungszeitraum (Monat) ein Zwölftel des sonstigen Bezuges erhalten. Käme es hinsichtlich bestimmter Entgeltkomponenten wegen deren Behandlung als laufender Arbeitslohn anstatt als sonstiger Bezug im Hinblick auf die Steuerprogression zu einem überhöhten Lohnsteuerabzug, könnte dieser im Rahmen der Steuerveranlagung (Lohnsteuerjahresausgleich/Einkommensteuererklärung) im Übrigen wieder ausgeglichen und damit der "Fehler" korrigiert werden (BSG, Urteil vom 26.03.2014, B 10 EG 14/13 R).

Nach diesen Maßgaben handelt es sich bei den Einnahmen aus der "Lohnart 231 Festbezug netto jhrl." um laufenden Arbeitslohn im Sinne von LStR R 39b.2 Abs. 1 Nr. 3. Zur Mehrarbeit ist die Klägerin nach § 6 ihres Arbeitsvertrages gegenüber ihrem Arbeitgeber verpflichtet. Hierfür erhält sie eine gesonderte Vergütung. Die Mehrarbeitsvergütung wurde über einen Zeitraum von über einem halben Jahr monatlich gezahlt, so dass sie regelmäßig und fortlaufend der Klägerin zufloss. Daran ändert sich nichts, dass der Klägerin - wahrscheinlich schwangerschaftsbedingt - ab Dezember keine Mehrarbeitsvergütung mehr zustand.

Der Berücksichtigung der Mehrarbeitsvergütung bei der Elterngeldberechnung steht nicht entgegen, dass der Arbeitgeber der Klägerin diese in den Lohn- und Gehaltsabrechnungen als sonstiger Bezug im Sinne von § 39b Abs. 3 EStG ausgewiesen hat.

Mit der Neufassung des § 2c Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 BEEG wollte der Gesetzgeber klar stellen (BT-Drucks. 18/2583 S. 24), dass die Einordnung von Lohn- und Gehaltsbestandsteilen als sonstige Bezüge allein nach lohnsteuerlichen Vorgaben (§ 38a Abs. 1 Satz 3 EStG, LStR als nach Art. 108 Abs. 7 Grundgesetz - GG - erlassene Verwaltungsvorschriften) erfolgt. Nur dann soll es möglich sein, die Lohn- und Gehaltsbescheinigungen entsprechend der gesetzgeberischen Zielsetzung nach § 2c Abs. 2 BEEG als aussagekräftige Grundlage der elterngeldrechtlichen Einkommensermittlung zu nutzen (Richtigkeits- und Vollständigkeitsvermutung der Lohn- und Gehaltsbescheinigungen). Ein Auseinanderfallen des lohnsteuerlichen und elterngeldrechtlichen Einkommensbegriffs würde dazu führen, dass die Festlegungen in den Lohn- und Gehaltsbescheinigungen schon dem Grundsatz nach nicht mehr unmittelbar für die Elterngeldberechnung genutzt werden könnten. Dies würde - so der Gesetzgeber - den Verwaltungsaufwand erheblich steigern. Es seien demnach alle Lohn- und Gehaltsbestandteile, die richtigerweise nach den lohnsteuerlichen Vorgaben als sonstige Bezüge zu behandeln sind (siehe u.a. LStR R 39b.2 Abs. 2), auch elterngeldrechtlich als sonstige Bezüge zu behandeln. Dies soll insbesondere für Provisionen gelten.

Trotz des gesetzgeberischen Ziels, einen Gleichlauf von lohnsteuerrechtlichen Vorgaben und elterngeldrechtlichen Bemessungsgrundlagen zu erreichen, ist die Verbuchung des Arbeitslohns in den Lohn- und Gehaltsbescheinigungen nicht einzig ausschlaggebend. § 2c Abs. 2 Satz 2 BEEG normiert lediglich eine Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben in den maßgeblichen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen. Diese Vermutung ist - wie gesetzliche Vermutungen zumeist - widerlegbar. Der Gesetzgeber hat darauf verzichtet, diese als unwiderleglich/unwiderlegbar auszugestalten (vgl. § 1361b Abs. 4 BGB, § 3 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a 2. Halbsatz Altersteilzeitgesetz - AltTZG -, § 3 Abs. 2a Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte - ALG -). Auch der Wortlaut des § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG - Einnahmen, die im Lohnsteuerabzugsverfahren nach den lohnsteuerlichen Vorgaben als sonstige Bezüge zu behandeln sind, nicht Einnahmen, die im Lohnsteuerabzugsverfahren nach den lohnsteuerlichen Vorgaben als sonstige Bezüge behandelt worden sind - deutet darauf hin, dass die Angaben in den Lohn- und Gehaltsbescheinigungen nicht der Elterngeldberechnung zugrunde zu legen sind, wenn diese nachweislich fehlerhaft sind.

Eine andere Beurteilung lässt sich nicht durch den vermeintlich hohen Verwaltungsaufwand rechtfertigen. Der Zweck des Elterngeldes ist es, Eltern individuell bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlage zu unterstützen, wenn sie nach einer Geburt die Betreuung ihres Kindes übernehmen. Es soll das Einkommen berücksichtigt werden, das der anspruchsberechtigten Person zuletzt tatsächlich monatlich zur Verfügung stand und das nun wegen der Unterbrechung oder Einschränkung der Erwerbstätigkeit nicht mehr zur Verfügung steht. Deshalb sind nur Einnahmen der Berechtigten aus Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen. Einmalige Einnahmen (zum Beispiel Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Prämien, Erfolgsbeteiligungen) werden weder vor der Geburt noch bei Erwerbstätigkeit während des Bezugszeitraums des Elterngeldes berücksichtigt, denn sie prägen die für das Elterngeld als monatlicher Leistung maßgeblichen Verhältnisse im Bezugsmonat nicht mit der gleichen Nachhaltigkeit. Bei den Berechtigten, die in der Zeit, in der sie Elterngeld beziehen, in Teilzeit beschäftigt sind, wäre es darüber hinaus vom Zufall abhängig, ob ihre Erwerbseinkommen nach der Geburt auch eine einmalige Einnahme erhalten (BT-Drucks. 16/1889 S. 21). Dem Gesetzeszweck, Eltern individuell bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlage im Sinne eines Lohnersatzes zu unterstützen, wenn sie nach einer Geburt die Betreuung ihres Kindes übernehmen, würde es widersprechen, wenn es der Arbeitgeber durch seine Angaben in den Lohn- und Gehaltsbescheinigungen in der Hand hätte, Einfluss auf die Höhe des Elterngeldanspruchs zu nehmen. Die laufenden Einnahmen prägten unabhängig von ihrer Verbuchung als sonstige Bezüge den Lebensstandard des Elternteils, welcher durch das Elterngeld aufrechterhalten werden soll.

Da im gegebenen Fall die Einnahmen aus der "Lohnart 231 Festbezug netto jhrl." laufenden Arbeitslohn darstellen und damit nachweislich keine sonstigen Bezüge im Sinne der lohnsteuerlichen Vorgaben sind, sind diese nach §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 1, 2c Abs. 1 Satz 1 BEEG bei der Elterngeldberechnung im Bemessungszeitraum zu berücksichtigen.

Der angefochtene Bescheid vom 16.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.07.2015 verletzt die Klägerin folglich insoweit in ihren Rechten nach § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, als der Beklagte der Berechnung des Elterngeldanspruches keine Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit aus der Lohnart 231 im Bemessungszeitraum zugrunde gelegt hat. Die Klage hat in vollem Umfang Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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