Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 122/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 66/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 15. Dezember 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 1999 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten
Tatbestand:
Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 1999, mit dem die Beklagte Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen eines am 9. Januar 1953 erlittenen Unfalls ablehnt.
Der am 1940 geborene Kläger teilte der Beklagten mit Schreiben vom 11. November 1998 mit, er habe erhebliche Spätfolgen einer Oberschenkelfraktur rechts infolge eines Unfalls während eines Schulausflugs am 9. Januar 1953 in W. bei A. Der Unfall habe sich während einer schulischen Veranstaltung der L.Schule A. ereignet. Er beantragte Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Gleichzeitig legte er einen Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung Augsburg vom 20. Februar 1998 zur Feststellung von Behinderungen sowie ein ärztliches Attest des Orthopäden und Rheumatologen Dr. H. vom 22. Juli 1997 vor.
Mit Bescheid vom 15. Dezember 1998 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, da Schüler und Studenten bei ihrer versicherten Tätigkeit erst seit 1971 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stünden. Der Unfall habe sich aber vor dieser Zeit ereignet. Das Schreiben enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung.
Mit Widerspruch vom 16. Januar 1999, eingegangen am 21. Januar 1998, machte der Kläger geltend, es sei gerechtfertigt, Leistungen für Spätfolgen, die sich erst in den letzten Jahren einstellten, zu gewähren. Im Übrigen habe damals eine allgemeine Schulpflicht bestanden, so dass für diesen Personenkreis der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung bestehen müsse Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1999 mit Hinweis auf die historische Entwicklung der Schülerunfallversicherung zurückgewiesen. Da Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nur nach Eintritt eines Arbeits- bzw. Schulunfalles zu gewähren seien und diese Voraussetzungen für den Unfall vom 9. Januar 1953 nicht vorlägen, könnten auch etwaige Spätfolgen des Unfalls nicht von der gesetzlichen Unfallversicherung entschädigt werden.
Dagegen hat der Kläger am 21. März 1999, eingegangen am 24. März 1999, Klage erhoben. Er bezweifelt die Verfassungsmäßigkeit, wenn einerseits gesetzliche Schulpflicht bestehe, andererseits Schulpflichtige während des Schulbesuchs nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stünden.
Mit Hinweis vom 10. Mai 1999 erbat das Gericht vom Kläger weitere Ausführungen zur Begründetheit des Klageanspruchs. Hierzu verwies der Kläger mit Schriftsatz vom 11. Juni 1999 auf die damalige Ungleichbehandlung gegenüber Berufsschülern, die gegen die Verfassung verstoße.
Das Gericht zog die Akte des Amtes für Versorgung und Familienförderung Augsburg sowie die Akten in dem Rechtsstreit Az. S 3 U 444/98 und S 3 U 417/00 des Klägers gegen die Berufsgenossenschaft Feinmechanik und Elektrotechnik zur Einsicht bei.
Mit Schriftsatz vom 4. August 2000 beruft sich die Beklagte weiter auf den fehlenden Versicherungsschutz.
Ein Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wurde nur von der Beklagten erteilt.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung gab der Kläger an, nach dem Unfall habe er jahrelang Knieprobleme gehabt. Seit etwa fünf Jahren habe er Schmerzen in der Wirbelsäule und in der Hüfte, die er auf eine unfallbedingte Verkürzung des Oberschenkels rechts zurückführe.
Der Kläger beantragt, "den Bescheid der Beklagten vom 15.12.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.02.1999 aufzuheben und sie zu verurteilen, ihm wegen des Schulunfalles vom 09.01.1953 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren."
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes sowohl auf den Inhalt der Klageakte als auch auf den der beigezogenen Akte der Beklagten Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 87, 90, 91 SGG form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig. In der Sache ist sie aber unbegründet, da der Kläger keinen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung hat.
Der vom Kläger angegebene Unfall ereignete sich während einer schulischen Veranstaltung der L.Schule in A ... Dabei handelte es sich um eine allgemeinbildende Schule, die der damals erst 12-jährige Kläger besuchte. Die Regelung des Unfallversicherungsschutzes für Schüler nach der damaligen Reichsversicherungsordnung (RVO) umfasste zum damaligen Zeitpunkt nicht den Unfallversicherungsschutz für Schüler allgemeinbildender Schulen. Ein derartiger Versicherungsschutz wurde erst durch das Gesetz über Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten vom 18. März 1971 (BGBl. I S. 237 ff) in Form einer Änderung insbesondere des § 53 9 Abs. 1 Nr. 14 (hier: Buchst, b) RVO mit Wirkung vom 1. April 1971 eingeführt.
Als Begründung für die Ausdehnung des Versicherungsschutzes wurde u.a. ausgeführt:
"Während Berufs- und Fachschüler schon heute in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert sind, fehlt dieser Schutz für Schüler allgemeinbildender Schulen. Eine bundeseinheitliche Regelung bei Schulunfällen soll die gegenwärtige Rechtssplitterung beseitigen und für alle Schüler angemessene Leistungen sicherstellen. " (BT-Drucks. VI/1333, Allgem. Teil, S. 3).
Allgemeinbildende Schulen sind Einrichtungen, durch deren Besuch die Schulpflicht erfüllt werden kann (Grund- und Hauptschulen) oder die darüber hinaus zur Mittleren Reife oder zum Abitur führen (Mittel- oder Realschulen, Gymnasien, Kollegs zur Erlangung der Hochschulreife). Aber auch für Schüler derartiger Schulen bestand damit bereits vor dem 1. April 1971 neben der Möglichkeit einer Privatversicherung in gewissem Umfange die Möglichkeit, Schäden an Körper oder Gesundheit gegenüber der öffentlichen Hand geltend zu machen. Neben zum Teil existierenden landesrechtlichen Regelungen erfolgte vor allem ein Rückgriff auf das aus der Einleitung zu § 75 des Preußischen Allgemeinen Landrechts (ALR) abgeleitete und gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtsinstitut des Aufopferungsanspruchs. Ein Schadensersatz gegen den Staat wegen eines Körperschadens ist danach dann zuzubilligen, wenn durch einen rechtmäßigen oder rechtswidrigen hoheitlichen Eingriff unter Durchbrechung des Gleichheitsgrundsatzes und zum Wohl der Allgemeinheit ein Sonderopfer auferlegt wird (BGHZ 25, 238 ff).
Auch im Rahmen des Schulbesuchs aufgrund bestehender Schulpflicht ist nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH, Urteil vom 16. Januar 1967, NJW 1967, 621 f) jedoch zu unterscheiden zwischen einer Verwirklichung eines vorgegebenen Lebensrisikos und einer besonderen Aufopferung. Gerade in der Rechtsliteratur wurde ein derartiges Sonderopfer eines Schülers dann zugebilligt, wenn der eingetretene Schaden besonders schwer oder irreparabel war oder eine Dauerwirkung ausgelöst wurde (vgl. Mohnhaupt/Reich, Aufopferungsansprüche bei Schulunfällen, in: NJW 1967, 758 ff).
Danach ist festzuhalten, dass auch die Schüler allgemeinbildender Schulen vor dem 1. April 1971 nicht völlig rechtlos bei Vorliegen eines (schweren) Schulunfalls waren. Ob die Anspruchsvoraussetzungen in dem Schulunfall des Klägers vom 9. Januar 1953 gegeben waren, muss jedoch offen bleiben, da insoweit eine Zuständigkeit der Zivilgerichte und nicht der Sozialgerichte gegeben ist. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass auch derartige Aufopferungsansprüche grundsätzlich einer Verjährung unterliegen. In Anwendung des § 195 des Bürgerlichen Gesetzbuches verjährt der Anspruch nach 30 Jahren; nach Art. 71 Abs. 1 des Bayerischen Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (Bay. AGBGB) erlöschen auf eine Geldzahlung gerichtete öffentlich-rechtliche Ansprüche gegen den Freistaat Bayern grundsätzlich in drei Jahren nach Kenntniserlangung der anspruchsbegründenden Tatsachen und der Person des Verpflichteten durch den Berechtigten, ohne Rücksicht auf die Kenntnis in 30 Jahren von seiner Entstehung an.
Gegenstand der vorliegenden Klage ist allein ein Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung gegen den gegenwärtigen Träger der Schülerunfallversicherung. Aus der dargelegten Rechtssituation und Rechtsentwicklung ergibt sich, dass ein Anspruch gegen die beklagte Körperschaft des öffentlichen Rechts wegen eines Schülerunfalls vor Inkrafttreten der Änderung des § 539 Abs. 1 Nr. 14 b RVO nicht begründet ist. Dies gilt auch für den hier vorgetragenen Sachverhalt des Auftretens von Spätfolgen.
Auch die Geltendmachung von Spätfolgen aus einem Arbeits- bzw. Schülerunfall setzt gemäß § 548 Abs. 1 RVO nämlich einen Unfall voraus, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 53 9, 54 0 und 543 bis 545 RVO genannten versicherten Tätigkeiten erleidet. Für die Anwendung des § 548 RVO bedarf es der erforderlichen Annahme, dass sich der Unfall bei der versicherten Tätigkeit ereignet hat. Im Jahre 1953 bestand aber noch kein derartiger Versicherungsschutz im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung nach der Reichsversicherungsordnung.
Auch sieht das Gericht darin keinen Verstoß gegen das Grundgesetz (GG), insbesondere auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG, so dass eine Aussetzung des Rechtsstreits und eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG ausscheidet.
Als in der Zwischenzeit geklärt anzusehen ist das Bestehen der Gesetzgebungskompetenz des Bundesgesetzgebers nach Art. 74 Nr. 12 GG für die Schülerunfallversicherung (s. hierzu BGH vom^ 3. Februar 1981, SozVers. 1982, 25 ff).
Aber auch ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG scheidet aus. Zwar veranlasste die zurückhaltende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Aufopferungsanspruch bei Schulunfällen (s.o. BGHZ 46, 327 ff) den Gesetzgeber, eine gesetzliche Regelung herbeizuführen, wie dies durch die Änderung der Reichsversicherungsordnung zum 1. April 1971 geschah.
Der Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG besagt, dass Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln ist (vgl. BVerfG 1, 52; 1, 24 7; 4, 144, 155 und in ständiger Rechtsprechung). Danach sind vergleichbare Sachverhalte grundsätzlich vom Gesetzgeber mit den gleichen Rechtsfolgen auszustatten. Auch bei vergleichbaren Sachverhalten verbietet Art. 3 Abs. 1 GG jedoch nicht jegliche Differenzierung. Im Kern beinhaltet dieses Grundrecht nur ein Willkürverbot (st. Rechtsprechung des BVerfG, z.B. BVerfGE 79 87, 98 ff)
Für die Ungleichbehandlung von Schülern allgemeinbildender Schulen gegenüber beispielsweise Berufsschülern bestand für den damaligen Gesetzgeber ein sachlicher Differenzierungsgrund. Die Schüler einer Berufsschule stehen in erheblich größerem Maße als die einer allgemeinbildenden Schule bereits mit einem bevorstehenden Beruf oder Berufsbild in Verbindung (so auch BSG in einer anderen Fallkonstellation in einem Urteil vom 30. Oktober 1991, Az. 2 RU 73/90 und hierzu BVerfG, Sozialgerichtsbarkeit 1992, 449). Während die allgemeinbildenden Schulen zum Ziel haben, die Schüler nicht nur auf ein eventuelles späteres Berufsleben vorzubereiten, sondern ihnen auch Allgemeinwissen und allgemeine Werte und Bildung zu vermitteln, sind die Berufsschulen erheblich stärker an den Erfordernissen bestimmter Ausbildungsberufe ausgerichtet.
Da darüber hinaus - wie bereits dargelegt - in schweren Fällen durchaus auch für Schüler allgemeinbildender Schulen die Möglichkeit bestand, einen Ersatz für im Rahmen des Schulbesuchs erlittene Körper- bzw. Gesundheitsschäden als Ausgleich zu erlangen, bestand zum Zeitpunkt des Unfallereignisses kein willkürlicher Ausschluss des Klägers von der gesetzlichen Unfallversicherung.
Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass der Aufbau der sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche wie die hier streitgegenständlichen Ansprüche aus der Unfallversicherung einen geschichtlichen Prozess darstellte und noch weiterhin darstellen wird, der sich auch an der gesellschaftlichen Entwicklung orientiert. Insbesondere kann in diesem Zusammenhang auch aus dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes (vgl. Art. 20 Abs. 1 GG) kein Leistungsanspruch abgeleitet werden.
Ein sonstiger Verfassungsverstoß ist nicht ersichtlich und wird im Übrigen auch nicht geltend gemacht. Eine Klärung des medizinischen Sachverhalts konnte daher unterbleiben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten
Tatbestand:
Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 1999, mit dem die Beklagte Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen eines am 9. Januar 1953 erlittenen Unfalls ablehnt.
Der am 1940 geborene Kläger teilte der Beklagten mit Schreiben vom 11. November 1998 mit, er habe erhebliche Spätfolgen einer Oberschenkelfraktur rechts infolge eines Unfalls während eines Schulausflugs am 9. Januar 1953 in W. bei A. Der Unfall habe sich während einer schulischen Veranstaltung der L.Schule A. ereignet. Er beantragte Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Gleichzeitig legte er einen Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung Augsburg vom 20. Februar 1998 zur Feststellung von Behinderungen sowie ein ärztliches Attest des Orthopäden und Rheumatologen Dr. H. vom 22. Juli 1997 vor.
Mit Bescheid vom 15. Dezember 1998 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, da Schüler und Studenten bei ihrer versicherten Tätigkeit erst seit 1971 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stünden. Der Unfall habe sich aber vor dieser Zeit ereignet. Das Schreiben enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung.
Mit Widerspruch vom 16. Januar 1999, eingegangen am 21. Januar 1998, machte der Kläger geltend, es sei gerechtfertigt, Leistungen für Spätfolgen, die sich erst in den letzten Jahren einstellten, zu gewähren. Im Übrigen habe damals eine allgemeine Schulpflicht bestanden, so dass für diesen Personenkreis der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung bestehen müsse Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1999 mit Hinweis auf die historische Entwicklung der Schülerunfallversicherung zurückgewiesen. Da Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nur nach Eintritt eines Arbeits- bzw. Schulunfalles zu gewähren seien und diese Voraussetzungen für den Unfall vom 9. Januar 1953 nicht vorlägen, könnten auch etwaige Spätfolgen des Unfalls nicht von der gesetzlichen Unfallversicherung entschädigt werden.
Dagegen hat der Kläger am 21. März 1999, eingegangen am 24. März 1999, Klage erhoben. Er bezweifelt die Verfassungsmäßigkeit, wenn einerseits gesetzliche Schulpflicht bestehe, andererseits Schulpflichtige während des Schulbesuchs nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stünden.
Mit Hinweis vom 10. Mai 1999 erbat das Gericht vom Kläger weitere Ausführungen zur Begründetheit des Klageanspruchs. Hierzu verwies der Kläger mit Schriftsatz vom 11. Juni 1999 auf die damalige Ungleichbehandlung gegenüber Berufsschülern, die gegen die Verfassung verstoße.
Das Gericht zog die Akte des Amtes für Versorgung und Familienförderung Augsburg sowie die Akten in dem Rechtsstreit Az. S 3 U 444/98 und S 3 U 417/00 des Klägers gegen die Berufsgenossenschaft Feinmechanik und Elektrotechnik zur Einsicht bei.
Mit Schriftsatz vom 4. August 2000 beruft sich die Beklagte weiter auf den fehlenden Versicherungsschutz.
Ein Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wurde nur von der Beklagten erteilt.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung gab der Kläger an, nach dem Unfall habe er jahrelang Knieprobleme gehabt. Seit etwa fünf Jahren habe er Schmerzen in der Wirbelsäule und in der Hüfte, die er auf eine unfallbedingte Verkürzung des Oberschenkels rechts zurückführe.
Der Kläger beantragt, "den Bescheid der Beklagten vom 15.12.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.02.1999 aufzuheben und sie zu verurteilen, ihm wegen des Schulunfalles vom 09.01.1953 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren."
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes sowohl auf den Inhalt der Klageakte als auch auf den der beigezogenen Akte der Beklagten Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 87, 90, 91 SGG form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig. In der Sache ist sie aber unbegründet, da der Kläger keinen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung hat.
Der vom Kläger angegebene Unfall ereignete sich während einer schulischen Veranstaltung der L.Schule in A ... Dabei handelte es sich um eine allgemeinbildende Schule, die der damals erst 12-jährige Kläger besuchte. Die Regelung des Unfallversicherungsschutzes für Schüler nach der damaligen Reichsversicherungsordnung (RVO) umfasste zum damaligen Zeitpunkt nicht den Unfallversicherungsschutz für Schüler allgemeinbildender Schulen. Ein derartiger Versicherungsschutz wurde erst durch das Gesetz über Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten vom 18. März 1971 (BGBl. I S. 237 ff) in Form einer Änderung insbesondere des § 53 9 Abs. 1 Nr. 14 (hier: Buchst, b) RVO mit Wirkung vom 1. April 1971 eingeführt.
Als Begründung für die Ausdehnung des Versicherungsschutzes wurde u.a. ausgeführt:
"Während Berufs- und Fachschüler schon heute in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert sind, fehlt dieser Schutz für Schüler allgemeinbildender Schulen. Eine bundeseinheitliche Regelung bei Schulunfällen soll die gegenwärtige Rechtssplitterung beseitigen und für alle Schüler angemessene Leistungen sicherstellen. " (BT-Drucks. VI/1333, Allgem. Teil, S. 3).
Allgemeinbildende Schulen sind Einrichtungen, durch deren Besuch die Schulpflicht erfüllt werden kann (Grund- und Hauptschulen) oder die darüber hinaus zur Mittleren Reife oder zum Abitur führen (Mittel- oder Realschulen, Gymnasien, Kollegs zur Erlangung der Hochschulreife). Aber auch für Schüler derartiger Schulen bestand damit bereits vor dem 1. April 1971 neben der Möglichkeit einer Privatversicherung in gewissem Umfange die Möglichkeit, Schäden an Körper oder Gesundheit gegenüber der öffentlichen Hand geltend zu machen. Neben zum Teil existierenden landesrechtlichen Regelungen erfolgte vor allem ein Rückgriff auf das aus der Einleitung zu § 75 des Preußischen Allgemeinen Landrechts (ALR) abgeleitete und gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtsinstitut des Aufopferungsanspruchs. Ein Schadensersatz gegen den Staat wegen eines Körperschadens ist danach dann zuzubilligen, wenn durch einen rechtmäßigen oder rechtswidrigen hoheitlichen Eingriff unter Durchbrechung des Gleichheitsgrundsatzes und zum Wohl der Allgemeinheit ein Sonderopfer auferlegt wird (BGHZ 25, 238 ff).
Auch im Rahmen des Schulbesuchs aufgrund bestehender Schulpflicht ist nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH, Urteil vom 16. Januar 1967, NJW 1967, 621 f) jedoch zu unterscheiden zwischen einer Verwirklichung eines vorgegebenen Lebensrisikos und einer besonderen Aufopferung. Gerade in der Rechtsliteratur wurde ein derartiges Sonderopfer eines Schülers dann zugebilligt, wenn der eingetretene Schaden besonders schwer oder irreparabel war oder eine Dauerwirkung ausgelöst wurde (vgl. Mohnhaupt/Reich, Aufopferungsansprüche bei Schulunfällen, in: NJW 1967, 758 ff).
Danach ist festzuhalten, dass auch die Schüler allgemeinbildender Schulen vor dem 1. April 1971 nicht völlig rechtlos bei Vorliegen eines (schweren) Schulunfalls waren. Ob die Anspruchsvoraussetzungen in dem Schulunfall des Klägers vom 9. Januar 1953 gegeben waren, muss jedoch offen bleiben, da insoweit eine Zuständigkeit der Zivilgerichte und nicht der Sozialgerichte gegeben ist. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass auch derartige Aufopferungsansprüche grundsätzlich einer Verjährung unterliegen. In Anwendung des § 195 des Bürgerlichen Gesetzbuches verjährt der Anspruch nach 30 Jahren; nach Art. 71 Abs. 1 des Bayerischen Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (Bay. AGBGB) erlöschen auf eine Geldzahlung gerichtete öffentlich-rechtliche Ansprüche gegen den Freistaat Bayern grundsätzlich in drei Jahren nach Kenntniserlangung der anspruchsbegründenden Tatsachen und der Person des Verpflichteten durch den Berechtigten, ohne Rücksicht auf die Kenntnis in 30 Jahren von seiner Entstehung an.
Gegenstand der vorliegenden Klage ist allein ein Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung gegen den gegenwärtigen Träger der Schülerunfallversicherung. Aus der dargelegten Rechtssituation und Rechtsentwicklung ergibt sich, dass ein Anspruch gegen die beklagte Körperschaft des öffentlichen Rechts wegen eines Schülerunfalls vor Inkrafttreten der Änderung des § 539 Abs. 1 Nr. 14 b RVO nicht begründet ist. Dies gilt auch für den hier vorgetragenen Sachverhalt des Auftretens von Spätfolgen.
Auch die Geltendmachung von Spätfolgen aus einem Arbeits- bzw. Schülerunfall setzt gemäß § 548 Abs. 1 RVO nämlich einen Unfall voraus, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 53 9, 54 0 und 543 bis 545 RVO genannten versicherten Tätigkeiten erleidet. Für die Anwendung des § 548 RVO bedarf es der erforderlichen Annahme, dass sich der Unfall bei der versicherten Tätigkeit ereignet hat. Im Jahre 1953 bestand aber noch kein derartiger Versicherungsschutz im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung nach der Reichsversicherungsordnung.
Auch sieht das Gericht darin keinen Verstoß gegen das Grundgesetz (GG), insbesondere auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG, so dass eine Aussetzung des Rechtsstreits und eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG ausscheidet.
Als in der Zwischenzeit geklärt anzusehen ist das Bestehen der Gesetzgebungskompetenz des Bundesgesetzgebers nach Art. 74 Nr. 12 GG für die Schülerunfallversicherung (s. hierzu BGH vom^ 3. Februar 1981, SozVers. 1982, 25 ff).
Aber auch ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG scheidet aus. Zwar veranlasste die zurückhaltende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Aufopferungsanspruch bei Schulunfällen (s.o. BGHZ 46, 327 ff) den Gesetzgeber, eine gesetzliche Regelung herbeizuführen, wie dies durch die Änderung der Reichsversicherungsordnung zum 1. April 1971 geschah.
Der Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG besagt, dass Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln ist (vgl. BVerfG 1, 52; 1, 24 7; 4, 144, 155 und in ständiger Rechtsprechung). Danach sind vergleichbare Sachverhalte grundsätzlich vom Gesetzgeber mit den gleichen Rechtsfolgen auszustatten. Auch bei vergleichbaren Sachverhalten verbietet Art. 3 Abs. 1 GG jedoch nicht jegliche Differenzierung. Im Kern beinhaltet dieses Grundrecht nur ein Willkürverbot (st. Rechtsprechung des BVerfG, z.B. BVerfGE 79 87, 98 ff)
Für die Ungleichbehandlung von Schülern allgemeinbildender Schulen gegenüber beispielsweise Berufsschülern bestand für den damaligen Gesetzgeber ein sachlicher Differenzierungsgrund. Die Schüler einer Berufsschule stehen in erheblich größerem Maße als die einer allgemeinbildenden Schule bereits mit einem bevorstehenden Beruf oder Berufsbild in Verbindung (so auch BSG in einer anderen Fallkonstellation in einem Urteil vom 30. Oktober 1991, Az. 2 RU 73/90 und hierzu BVerfG, Sozialgerichtsbarkeit 1992, 449). Während die allgemeinbildenden Schulen zum Ziel haben, die Schüler nicht nur auf ein eventuelles späteres Berufsleben vorzubereiten, sondern ihnen auch Allgemeinwissen und allgemeine Werte und Bildung zu vermitteln, sind die Berufsschulen erheblich stärker an den Erfordernissen bestimmter Ausbildungsberufe ausgerichtet.
Da darüber hinaus - wie bereits dargelegt - in schweren Fällen durchaus auch für Schüler allgemeinbildender Schulen die Möglichkeit bestand, einen Ersatz für im Rahmen des Schulbesuchs erlittene Körper- bzw. Gesundheitsschäden als Ausgleich zu erlangen, bestand zum Zeitpunkt des Unfallereignisses kein willkürlicher Ausschluss des Klägers von der gesetzlichen Unfallversicherung.
Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass der Aufbau der sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche wie die hier streitgegenständlichen Ansprüche aus der Unfallversicherung einen geschichtlichen Prozess darstellte und noch weiterhin darstellen wird, der sich auch an der gesellschaftlichen Entwicklung orientiert. Insbesondere kann in diesem Zusammenhang auch aus dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes (vgl. Art. 20 Abs. 1 GG) kein Leistungsanspruch abgeleitet werden.
Ein sonstiger Verfassungsverstoß ist nicht ersichtlich und wird im Übrigen auch nicht geltend gemacht. Eine Klärung des medizinischen Sachverhalts konnte daher unterbleiben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
FSB
Saved