S 8 AL 69/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AL 69/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AL 78/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 02.05.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.06.2003 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, die Bescheide vom 18.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2002 zurückzunehmen. Die Beklagte hat die Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist Verpflichtung der Beklagten zur Rücknahme eines Verwaltungsaktes, mit dem die Bewilligung von Arbeitslosengeld wegen einer fehlerhaften Leistungsgruppe aufgehoben und gezahlte Leistungen zurückgefordert werden.

Der am 00.00.1941 geborene Kläger arbeitete von 1969 bis zum 30.04.2000 als Monteur bei Firma S GmbH. Ab 01.05.2000 bezog er Arbeitslosengeld. Zu Beginn des Jahres 2000 war auf der Lohnsteuerkarte des Klägers die Lohnsteuerklasse III eingetragen. Dies hatte der Kläger im Antrag auf Arbeitslosengeld angegeben. Deshalb zahlte die Beklagte Arbeitslosengeld nach Leistungsgruppe C.

Anlässlich einer Vorsprache im November 2002 teilte der Kläger mit, dass ab dem 01.01.2001 die Lohnsteuerklasse IV und ab dem 01.04.2001 die Lohnsteuerklasse V auf seiner Lohnsteuerkarte eingetragen war. Der Kläger legte Kopien der Lohnsteuerkarten für 2001 und für 2002 vor. Der Kläger teilte mit, ihm sei nicht bewusst gewesen, dass der Steuerklassenwechsel leistungsrechtliche Auswirkungen habe. Er sei bereit, die Forderung in Raten von 100,00 EUR monatlich zurückzuzahlen.

Mit (zwei) Bescheiden vom 18.11.2002 und Widerspruchsbescheid vom 19.12.2002 hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.01.2001 bis zum 31.10.2002 auf und forderte insgesamt 10.829,78 EUR zurück. Aufgrund des Steuerklassenwechsels sei der Zahlung eine fehlerhafte Leistungsgruppe zugrundegelegt worden. Hierdurch sei es zu der Überzahlung gekommen. Der Kläger könne sich nicht auf Vertrauen berufen, weil er den Steuerklassenwechsel grob fahrlässig nicht mitgeteilt habe.

Eine hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos, weil der Kläger nach Meinung der Beklagten die Klagefrist versäumt habe. Der Kläger nahm in einem Erörterungstermin beim Landessozialgericht NRW am 05.12.2003 die Klage zurück.

Am 17.03.2003 beantragt der Kläger gemäß § 44 SGB X die Rücknahme der Bescheide vom 18.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2002. Diese seien rechtswidrig. Der Kläger habe nicht in Folge grober Fahrlässigkeit versäumt, den Steuerklassenwechsel mitzuteilen. Ihm sei die Bedeutung der Lohnsteuerklasse nicht bekannt gewesen. Die Beklagte habe weder im Jahre 2001 noch im Jahre 2002 die Vorlage der Lohnsteuerkarte verlangt. Aus dem "Ratgeber für Lohnsteuer" ergebe sich, dass die Lohnsteuerklasse für Bezieher von Lohnersatzleistungen (z.B. Arbeitslosengeld) irrelevant sei. Vor allem aber sei der Steuerklassenwechsel unwirtschaftlich gewesen. Die Verminderung des Arbeitslosengeldes sei mehr als doppelt so hoch wie die von der Ehefrau des Klägers eingesparte Lohnsteuer. Außerdem hätte der Kläger bereits ab dem 01.08.2001 Altersrente ohne Abzüge erhalten können. Die Rentenhöhe sei in etwa identisch mit der Höhe des Arbeitslosengeldes. Ein Sachbearbeiter der Beklagten habe ihn jedoch darauf hingewiesen, dass ein Leistungsbezug bis Dezember 2002 möglich sei, was sich rentensteigernd auswirke. Hätte er gewusst, dass aufgrund der geänderten Leistungsgruppe ein geringerer Zahlbetrag zustehe, hätte er bereits ab 01.08.2001 Rente beantragt.

Mit Bescheid vom 02.05.2003 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Bescheide vom 18.11.2002 seien nicht rechtswidrig. Zur Begründung verwies die Beklagte auf den Widerspruchsbescheid vom 19.12.2002.

Im Widerspruchsverfahren berief der Kläger sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 29.08.2002 - B 11 AL 87/01 R -.

Mit Bescheid vom 18.06.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Auch angesichts der genannten Entscheidung des BSG sei an der Aufhebung und Rückforderung festzuhalten. Denn ab Januar 1998 enthielten alle Auflagen des Merkblattes für Arbeitslose neben den Hinweisen zur Mitteilungspflicht Erklärungen mit Beispiel zum Steuerklassenwechsel der Ehegatten. Hervorgehoben durch fett gedruckte Schrift werde auf das Beratungsangebot des Arbeitsamtes "Bitte holen Sie deshalb vorher Rat ein" hingewiesen. Mit diesen Erläuterungen sei die Beklagte der in dem Urteil geforderten Pflicht zur Unterbreitung eines Beratungsangebotes nachgekommen.

Hiergegen richtet sich die am 30.06.2003 erhobene Klage. Die Beteiligten wiederholen und vertiefen ihr bisheriges Vorbringen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 02.05.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.06.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Bescheide vom 18.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2002 zurückzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat mitgeteilt, dass seine Ehefrau seit ungefähr 35 Jahren halbtags tätig sei und er immer deutlich mehr verdient habe, als seine Ehefrau.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Kläger hat einen Anspruch auf Rücknahme der Bescheide vom 18.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2002, weil diese rechtswidrig im Sinne des § 44 Abs. 1 SGB X sind.

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, mit dem Leistungen vorenthalten oder Beiträge erhoben werden, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt worden ist. Diese Vorschrift gilt auch für Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide (BSG SozR 3-1300 § 44 Nr. 21; BSG SozR 3-4100 § 101 Nr. 10).

Die Bescheide vom 18.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2002 sind rechtswidrig im Sinne dieser Vorschrift.

In Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage ist § 48 SGB X. Diese Vorschrift ermächtigt zur Aufhebung von Verwaltungsakten, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung eintritt (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X).

Durch die Änderung der Lohnsteuerklassen ist gegenüber der Bewilligung des Arbeitslosengeldes im Mai 2000 eine wesentliche Änderung eingetreten:

Gemäß § 129 SGB III richtet sich die Höhe des Arbeitslosengeldes nach den pauschalierten Nettoentgelt (Leistungsentgelt). Die Höhe des Leistungsentgeltes richtet sich gemäß § 136 Abs. 1 SGB III nach den gesetzlichen Entgeltabzügen, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen. Der gewöhnliche Lohnsteuerabzug ist gemäß § 136 Abs. 3 SGB III nach der Steuerklasse zu bestimmen. Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse III eingetragen ist, werden der Leistungsgruppe C zugeordnet, Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse IV eingetragen ist, werden der Leistungsgruppe A zugeordnet und Arbeitnehmer auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse V eingetragen ist, werden der Leistungsgruppe D zugeordnet (§ 137 Abs. 2 SGB III). Haben Ehegatten die Lohnsteuerklassen gewechselt, so werden die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen von dem Tage an berücksichtigt, an dem sie wirksam werden, wenn die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte beider Ehegatten entsprechen oder sich aufgrund der neu eingetragenen Lohnsteuerklassen ein Arbeitslosengeld ergibt, dass geringer ist als das Arbeitslosengeld, dass sich ohne den Wechsel der Lohnsteuerklassen ergäbe (§ 137 Abs 4 S. 1 SGB III). Ein Ausfall des Arbeitsentgeltes, der den Anspruch auf eine lohnsteuerfreie Entgeltersatzleistung begründet, bleibt bei der Beurteilung des Verhältnisses der monatlichen Arbeitsentgelte außer Betracht (§ 137 Abs. 4 S. 2 SGB III).

Unter Zugrundelegung dieser Regelungen stand dem Kläger nur bis zum 31.12.2000 die Zahlung von Arbeitslosengeld nach Leistungsgruppe C zu. Ab dem 01.01.2001 war die Leistungsgruppe A maßgeblich und am dem 01.04.2001 die Leistungsgruppe D. Der Lohnsteuerklassenwechsel hat damit zu einer wesentlichen Änderung mit der Folge einer Verminderung der Höhe des Arbeitslosengeldes geführt.

Die Beklagte war damit berechtigt, gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X den Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten.

Der Beklagten war es indes verwehrt, die Bewilligung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse in Höhe der Überzahlung aufzuheben. Ein Verwaltungsakt ist (§ 330 Abs. 3 SGB III) mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene eine durch Rechtsvorschrift vorgeschriebene Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X) oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. SGB X).

Allerdings hat der Kläger die Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse verletzt. Gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I hätte der Kläger den Lohnsteuerklassenwechsel unverzüglich mitteilen müssen.

Indes handelte er insoweit weder vorsätzlich noch grob fahrlässig.

Für vorsätzliches Verhalten enthält der Sachverhalt keinerlei Anhaltspunkte.

Grobe Fahrlässigkeit liegt nur vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. Halbsatz SGB X).

Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (BSGE 62, 32, 35); dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; BSGE 35, 108; BSG, Urteil vom 08.02.2001 - B 11 AL 21/00 R -).

Grundsätzlich ist die Kammer allerdings der Meinung, dass die Nichtmitteilung von Änderungen über Umstände, über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, grob fahrlässig ist. Denn wenn der Betroffene im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen über einen bestimmten Umstand abgegeben hat, weiß er grundsätzlich, dass dieser Umstand für die Leistung relevant ist. Der Kläger hat bei Antragsstellung angegeben, welche Lohnsteuerklasse zu Jahresbeginn auf seiner Lohnsteuerkarte eingetragen war.

Im vorliegenden Fall liegen allerdings Besonderheiten vor, die eine Ausnahme von diesem auch von der Kammer in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsatz gebieten. Der Lohnsteuerklassenwechsel wirkt sich gemäß § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB III nicht aus. Denn die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen entsprechen dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte beider Ehegatten gerade nicht. Weil ein Ausfall des Arbeitsentgeltes, der den Anspruch auf das Arbeitslosengeld begründet, bei der Beurteilung des Verhältnisses der monatlichen Arbeitsentgelte außer Betracht bleibt, ist weiterhin davon auszugehen, dass der Kläger einen deutlich höheren Verdienst hatte als seine stets halbtags beschäftigte Ehefrau. Dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte der Ehegatten entspräche daher eine Steuerklassenkombination III/V (Kläger/Ehefrau).

Die Relevanz des Steuerklassenwechsels ergibt sich daher allein aus § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB III, denn aufgrund der neu eingetragenen Steuerklassen ergibt sich ein Arbeitslosengeld, das geringer ist als das Arbeitslosengeld, dass sich ohne den Wechsel der Lohnsteuerklassen ergäbe.

Es bestehen bereits Zweifel, ob diese Regelung verfassungsrechtlich zulässig ist. Zwar ist die Anlehnung der Leistungsbemessung an das Lohnsteuersystem nach gefestigter Rechtsprechung verfassungsrechtlich zulässig und im Hinblick auf die Lohnersatzfunktion des Arbeitslosengeldes sachlich gerechtfertigt. Es ist deshalb grundsätzlich sachgerecht, bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes an den Nettolohnausfall anzuknüpfen, den der Arbeitslose infolge der Arbeitslosigkeit erleidet. Darüber hinaus erfordert die existenzsichernde Natur des Arbeitslosengeldes, dass die Feststellung der Leistungshöhe und die Auszahlung beschleunigt erfolgen. Das zwingt schon aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität zu einfachen Maßstäben bei der Leistungsberechnung. Die darin liegende Pauschalierung bei der Bemessung von Arbeitslosengeld ist dem Gesetzgeber als typisierende Regelung bei der Ordnung von Massenerscheinungen grundsätzlich erlaubt. Verfassungsrechtlich nicht unproblematisch erscheint es gleichwohl, eine Leistung, die nach Artikel 14 Grundgesetz eigentumsgeschützt ist, nur deshalb zu vermindern, weil der Betreffende und sein Ehegatte von einer steuerrechtlich zulässigen Gestaltung der Lohnsteuerklassen Gebrauch machen. Die nachteilige Berücksichtigung des Lohnsteuerklassenwechsels nach Beginn des Leistungsbezuges kann auch nicht mit dem Argument, Manipulationen zu verhindern, gerechtfertigt werden. Bliebe der Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem Lohnsteuerklassenwechsel unverändert, würde er durch diesen Lohnsteuerklassenwechsel nicht manipuliert. Der Betroffene der vor Eintritt der Arbeitslosigkeit die zweckmäßigsten Lohnsteuerklassen gewählt hat, würde im Ergebnis allein davon abgehalten, während der Arbeitslosigkeit die steuerrechtlich sinnvollen Steuerklassen zu wählen (so BSG, Urteil vom 29.08.2002 a.a.O.).

Dieser verfassungsrechtlich problematischen Rechtslage ist - mit der zitierten Rechtsprechung des BSG - dadurch Rechnung zu tragen, dass der Wertungswiderspruch zwischen Einkommensteuerrecht und Arbeitsförderungsrecht bei der Prüfung der groben Fahrlässigkeit berücksichtigt wird. Insbesondere kann dieser nicht ohne Auswirkungen auf die der Beklagten obliegenden Beratungspflichten bleiben. Wenn der Lohnsteuerklassenwechsel steuerrechtlich zulässig ist, muss ein Arbeitsloser grundsätzlich nicht damit rechnen, dass der Lohnsteuerklassenwechsel negative Auswirkungen auf seinen Leistungsanspruch haben würde.

Der Steuerklassenwechsel zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau entspricht der Regelung des § 39 Abs. 5 EstG, wonach Ehegatten, von denen einer keinen Arbeitslohn mehr bezieht, eine Änderung der Steuerklasse mehrmals vornehmen können (so auch BSG, Urteil vom 29.08.2002 a.a.O. unter Hinweis auf die Lohnsteuer-Richtlinien 109 Abs. 5 Satz 5).

Die Beklagte hätte den Kläger zur Begründung der groben Fahrlässigkeit damit über die leistungsrechtlichen Folgen des Steuerklassenwechsels aufklären müssen. Dem hat sie nicht genügt. Zwar ergibt sich aus dem Merkblatt für Arbeitslose (Stand April 2000, Seite 27 ff.), dass die Lohnsteuerklasse in Verbindung mit der Leistungsgruppe für die Höhe der Leistung maßgeblich ist. Die Beklagte weist auch auf die Regelung des § 137 Abs. 4 SGB III hin. Das Merkblatt enthält auch den (rot hervorgehobenen) Satz "Ein Lohnsteuerklassenwechsel kann in der Regel nur einmal jährlich vorgenommen werden. Bitte holen sie deshalb vorher Rat ein." Dieser Hinweis genügt nicht. Zum einen ist er tatbestandlich für den Kläger nicht einschlägig, da - wie dargelegt - der Kläger und seine Ehefrau einen Lohnsteuerklassenwechsel auch mehrmals im Jahr vornehmen konnte. Der Kläger hatte daher keinen Anlass, den Hinweis auf sich zu beziehen. Auch der Satz "Bitte holen Sie deshalb vorher Rat ein" genügt der Beratungspflicht nicht. Hieraus ergibt sich zum nicht, bei wem Rat eingeholt werden soll. Im Gegensatz zu in der mündlichen Verhandlung geäußerten Meinung der Beklagten ist es nicht selbstverständlich, dass dies nur Rat des Arbeitsamtes sein kann. Vielmehr ist aus nachvollziehbarer Sicht eines Laien auch denkbar, dass ein Rat des Finanzamtes oder Steuerberaters eingeholt werden soll. Diese aber dürften - wie im vorliegenden Fall - regelmäßig nicht auf die Regelung des § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB III hinweisen.

Ihrer sich aus der genannten BSG-Entscheidung ergebenden Beratungspflicht wäre die Beklagte ordnungsgemäß nur dann nachgekommen, wenn sie in dem Merkblatt unmissverständlich - nicht lediglich durch eine Wiederholung des Gesetzestextes - darauf hingewiesen hätte, dass ein unter Zugrundelegung des gemäß § 137 Abs. 4 Satz 2 SGB III festgestellten Arbeitsentgeltes unzweckmäßiger Steuerklassenwechsel zu Lasten des Leistungsanspruchs geht und deshalb im Hinblick auf eine möglicherweise eintretende Unwirtschaftlichkeit Rat beim zuständigen Arbeitsamt (jetzt Agentur für Arbeit) eingeholt werden sollte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved