Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 9 U 27/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 B 35/02
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob beim Kläger eine Berufskrankheit nach Ziffer 2108/2109 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) vorliegt.
Der Kläger ist 1940 geboren. Nach Tätigkeiten im Handel und in der Landwirtschaft war er seit 1958 mit Unterbrechungen durch Arbeitslosigkeit und eine Bürotätigkeit als Elektroschweißer bei verschiedenen Arbeitgebern tätig.
Der behandelnde Orthopäde K erstattete am 12.02.2001 eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit bei zervikaler und lumbaler Degeneration, Fehlstellung der Halswirbelsäule und Zustand nach Deckplattenimpression LWK 2, die der Kläger auf eine 10-jährige Tätigkeit im Kesselbau zurückführe. Der Kläger habe 1958 bis 1968 extreme körperliche Arbeit verrichtet und hierbei bis zu 5 Tonnen Stahlbleche pro Tag gehoben.
Der Kläger gab an, er sei - vom 01.04.1955 bis 30.08.1955 Metzgerlehrling bei Firma Q, Stadt P - vom 15.02.1956 bis 09.03.1957 Arbeiter in der Landwirtschaft - vom 01.04.1957 bis 31.12.1957 Einzelhandelslehrling - vom 02.01.1958 bis 22.08.1959 Elektroschweißer bei Firma U, B1 - vom 25.08.1959 bis 20.04.1961 Elektroschweißer bei Firma I, B1 - vom 21.04.1961 bis 20. 06.1961 Elektroschweißer bei Firma C, B1 - vom 21. 06.1961 bis 30.06.1967 als Elektroschweißer bei Firma I, B (mit 6-wöchiger Unter- brechung durch Arbeitslosigkeit) - vom 10.07.1967 bis 15.12.1967 als Elektroschweißer bei Firma C, B1 - vom 04.03.1968 bis 14.05.1968 als Elektroschweißer beim EBV, B2 - vom 15.05.1968 bis 07.09.1968 als Elektroschweißer bei Firma C2 B1 - vom 09.09.1968 bis 31.12.1983 als Elektroschweißer bei Firma B3 B1 - vom 01.01.1984 bis 30. 06.1994 als Elektroschweißer bei Firma F1 Technik - vom 01.07.1994 bis 01.06.1996 arbeitslos oder in kör- perlich nicht belastenden Tätigkeiten - vom 03.06.1996 an als Verfahrenstechniker und Elektro- schweißer bei der S B1 tätig gewesen.
Die Firma F2 GmbH als Nachfolgerin der Firma B3 teilte mit, der Kläger habe dort bis 31.12.1983 als Vorführschweißer und Berater gearbeitet. Hinsichtlich seiner Tätigkeit bei der Firma F1 Technik gab der Kläger an, er habe in unregelmäßigen zeitlichen Abständen Lasten von 3 - 30 kg ca. 5 mal täglich bewegen müssen. Aufgrund seiner technisch-kaufmännischen Tätigkeit dort und wegen seiner Schwerbehinderung seien Tragen und Heben von Lasten auf ein Minimum reduziert worden. Das Schweißtechnische Institut der S B1 teilte mit, der Kläger sei als Techniker in der Schweißverfahrenstechnik beschäftigt, ohne schwere körperliche Belastung. Der Kläger gab an, dass zum Heben und Tragen der Lasten (ca. 25 x Lasten von 3 - 30 kg pro Schicht) dort Hilfsmittel (Kran, Hubwagen) zur Verfügung stünden.
Die Beklagte forderte einen Bericht der Präventionsabteilung der für die F1-Technik zuständigen BG der Feinmechanik und Elektrotechnik an (vom 04.07.2001). Diese teilte mit, der Kläger sei nicht im Sinne einer BK 2108 belastend tätig gewesen, da die Beurteilungsdosis von 5500 Nh in keiner Schicht erreicht worden sei. Die Landesunfallkasse Nordrhein-Westfalen, zuständig für die S B1, gab an, dass der Kläger dort zwar mitunter Lasten über 15 kg zu bewegen habe, dass aber wegen der zu geringen Anzahl von Lastenmanipulationen pro Arbeitsschicht auch in dieser Tätigkeit der Belastungsrichtwert von 5500 Nh nicht erreicht werde. Die Firma I teilte mit, der Kläger sei dort bei der Montage von Heizöl-Rechtecktanks eingesetzt worden. Diese seien vor Ort beim Kunden im Keller in Einzelteilen angeliefert, montiert und verschweißt worden. Hierzu sei es notwendig gewesen, Lastgewichte von bis zu 180 kg (mit 2 Personen) mit Hilfe von Rollen und Tragegriffen über Strecken von durchschnittlich 15 m hochkant zu transportieren. Die Präventionsabteilung der Beklagten wertete die Unterlagen aus, mit dem Ergebnis, dass jedenfalls ab Januar 1984 mit Beginn der Tätigkeit bei der Firma F1 Technik keine belastenden Tätigkeiten mehr ausgeführt worden seien.
Die Beklagte holte auch einen medizinischen Bericht des behandelnden Orthopäden K ein, der angab, er sei erstmals 1975 wegen zervikaler Beschwerden in Anspruch genommen worden, 1976 sei es zu einer LWK-2-Fraktur beim Rodeln gekommen. Er habe eine kontinuierliche Therapie verschiedenster Wirbelsäulenabschnitte über die Jahre hinweg durchgeführt. Aktuell bestehe eine Kyphosefehlstellung der unteren Halswirbelsäule mit Spondylose und Chondrose C 5/C 7, im Lumbalbereich Zustand nach LWK-2-Fraktur, Zwischenwirbelraumverschmälerung L 1/L 2 um die Hälfte der Norm, flache linkskonvexe Seitausbiegung und weiterreichende Schädigung der angrenzenden Bandscheibenräume.
Die Beklagte lehnte ihre Leistungspflicht wegen einer Berufskrankheit nach Ziffer 2108/2109 der Anlage zur BKV ab (Bescheid vom 23.01.2002). Der Kläger habe nach dem 31.12.1983 keine belastenden Tätigkeiten mehr ausgeübt, so dass der Versicherungsfall, wenn überhaupt, früher eingetreten sein müsse. Eine Entschädigung sei aber nur bei Versicherungsfällen nach dem 31.03.1988 möglich. Den Widerspruch wies die Beklagte zurück (Bescheid vom 11.04. 2002).
Hiergegen richtet sich die Klage. Der Kläger trägt vor, weil seine Wirbelsäule bereits geschädigt gewesen sei, hätten auch die späteren leichteren Tätigkeiten seinen Gesundheitszustand weiter verschlimmert. Eine Entschädigung habe im Übrigen gemäß § 9 Abs. 2 BKVO für die Zeit vor dem Stichtag "wie eine Berufskrankheit" zu erfolgen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 23.01.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2002 aufzuheben und ihm Leistungen wegen einer Berufskrankheit nach der Ziffer 2108 oder 2109 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat das Vorerkrankungsverzeichnis der AOK Rheinland ab 1958 beigezogen, außerdem das Vorerkrankungsverzeichnis der Techniker Krankenkasse B1 ab 1993. Orthopäde K teilte auf Nachfrage des Gerichts mit, er habe beim Kläger erstmals im August 1975 eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung der unteren Halswirbelsäule festgestellt. Im Januar 1976 sei der Kläger beim Rodeln gestürzt und habe den 2. Wirbelkörper gebrochen. 1976 angefertigte Röntgenaufnahmen zeigten eine zunehmende ventrale Abstützung. 1981 sei die Bandscheibe L 1/L 2 deutlich höhenvermindert gewesen. Eine Befundung der Halswirbelsäule habe 1984 eine röntgenologisch feststellbare Bandscheibenschädigung zwischen dem 5. und 7. Halswirbelsäulenkörper ergeben.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Bei dem Kläger liegt weder eine Berufskrankheit nach Ziffer 2108 der Anlage zur BKV (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zu Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können), noch nach Ziffer 2109 (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter mit Unterlassungszwang) vor.
Die Feststellung einer BK setzt grundsätzlich voraus, dass zum Einen in der Person des Versicherten die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben sind, das heißt, dass er im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der BK ausgesetzt gewesen ist, die nach Umfang und Intensität geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken (haftungsbegründende Kausalität). Zum Anderen muss ein Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung bestehen. Es muss danach ein der BK entsprechendes Krankheitsbild vorliegen und dieses muss im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich oder mitursächlich auf die belastende berufliche Tätigkeit zurückgeführt werden können, wobei hinsichtlich des Kausalzusammenhangs eine hinreichende Wahrscheinlichkeit - nicht jedoch die bloße Möglichkeit - ausreichend ist (haftungsausfüllende Kausalität - vgl. zum Vorstehenden insgesamt Landessozialgericht - LSG - NRW, Urteil vom 03. 02.2003, L 17 U 249/02 m.w.N. -). Im Falle der hier streitigen BK 2108 und 2109 kommt hinzu, dass Versicherte, die am 01. Januar 1993 an einer der in diesen BK-Ziffern bezeichneten Berufskrankheiten leiden, entsprechenden Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung nur genießen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31.03.1988 eingetreten ist (§ 6 Abs. 3 BKV).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind im Falle des Klägers die Voraussetzungen für die Anerkennung und Entschädigung einer BK-Nr. 2108 oder 2109 der Anlage zur BKV nicht erfüllt.
Hinsichtlich der BK 2109 (Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule) haben sich schon im Vortrag des Klägers selbst keinerlei Hinweise darauf ergeben, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt sein könnten. Berufliche Faktoren, die bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule verursachen oder verschlimmern können, sind fortgesetztes Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, einhergehend mit einer statischen Belastung der cervicalen Bewegungssegmente und au- ßergewöhnlicher Zwangshaltung der Halswirbelsäule oder Tätigkeiten mit vergleichbarem Belastungsprofil (Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur BK 2109, zitiert nach Mertens/Perlebach, BKV M 2109 Seite 1). Berufsgruppen, bei denen typischerweise einer BK 2109 entsteht, sind etwa Fleischträger oder Lastenträger, die Tierhälften oder Säcke ab 50 kg fortlaufend auf der Schulter transportieren bei gleichzeitiger Zwangshaltung im Bereich der Halswirbelsäule mit maximaler Anspannung der Nackenmuskulatur. Vergleichbare Belastungen sind im Falle des Klägers nicht dargelegt oder beschrieben worden.
Tätigkeiten, die die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule) erfüllen, übt der Kläger jedenfalls seit 01.01.1984 nicht mehr aus. Nach eigenen Angaben ist er seitdem nicht mehr in wirbelsäulenbelastenden Berufen tätig. An seinem gegenwärtigen Arbeitsplatz sind zwar in mäßigem Umfang Lasten zu bewegen (ca. 25 x 3 bis 30 kg pro Schicht), hierfür stehen jedoch Hilfsmittel zur Verfügung. Auch bei der Firma F1Technik (01.01.1984 bis 30.06.1994) sei wegen seiner technisch-kaufmännischen Tätigkeit dort und aufgrund seiner Schwerbehinderung das Tragen und Heben von Lasten auf ein Minimum reduziert gewesen. Hingegen hat der Kläger vor dem 01.01.1984 u.U. ausreichend schwere körperliche Tätigkeiten im Sinne der BK 2108 verrichtet. Insoweit war er aber nach § 6 Abs. 3 BKV (s.O.) nicht versichert, da die BKV nur solche Versicherungsfälle der 2108 erfasst, die nach dem 01.03.1988 eingetreten sind.
Vor dem Stichtag eingetreten ist eine BK, wenn alle Tatbestandsmerkmale der betreffenden Ziffer der Anlage der BKV erfüllt sind (Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 19.08.2003, B 2 U 27/02 R). Dies bedeutet für die BK 2108, dass die Tätigkeiten, die zu der Erkrankung geführt haben, aus arbeitsmedizinischen Gründen nicht mehr ausgeübt werden sollen und der Versicherte die schädigende Tätigkeit und solche Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich sein können, tatsächlich aufgegeben hat, wobei es auf das Motiv des Versicherten nicht ankommt (BSG a.a.O.). Da der Kläger schon seit 1984 lendenwirbelsäulenbelastende Tätigkeiten nicht mehr ausgeübt hat, und da - wie darüber hinaus erforderlich - bei ihm auch schon vor dem 01.04.1988, nämlich ausweislich des Berichtes von K spätestens 1981 bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule bestanden, liegt der Versicherungsfall insgesamt vor dem Stichtag, Versicherungsschutz ist damit nicht gegeben.
Im übrigen sieht aber die Kammer auch die medizinischen Voraussetzungen einer BK 2108 nicht als gegeben an, ohne dass es - weil der Anspruch schon aus anderen Gründen nicht besteht (s.o.) - insofern weiterer Beweisaufnahme bedürfte. Nach den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu berufsbedingten Lendenwirbelsäulenerkrankungen (vgl. LSG NRW Urteil vom 03.02.2003, L 17 U 249/02) sprechen gegen eine beruflich bedingte Verursachung bandscheibenbedinger Lendenwirbelsäulenerkrankungen gleichmäßig starke Veränderungen der Bandscheiben über 2 oder 3 Wirbelsäulenabschnitte, ein überwiegendes Auftreten der bandscheibenbedingten Veränderungen an belastungsfernen Wirbelsäulenabschnitten, ein Auftreten der Veränderungen vor Vollendung des 3. Lebensjahrzehnts und konkurrierende Erkrankungen aus dem privaten Bereich. Insoweit weisen die belastungsfern aufgetretenen Bandscheibenerkrankungen der Halswirbelsäule auf ein anlagebedingte Erkrankungsrisiko hin und sprechen gegen eine berufliche Verursachung.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Tatbestand:
Streitig ist, ob beim Kläger eine Berufskrankheit nach Ziffer 2108/2109 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) vorliegt.
Der Kläger ist 1940 geboren. Nach Tätigkeiten im Handel und in der Landwirtschaft war er seit 1958 mit Unterbrechungen durch Arbeitslosigkeit und eine Bürotätigkeit als Elektroschweißer bei verschiedenen Arbeitgebern tätig.
Der behandelnde Orthopäde K erstattete am 12.02.2001 eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit bei zervikaler und lumbaler Degeneration, Fehlstellung der Halswirbelsäule und Zustand nach Deckplattenimpression LWK 2, die der Kläger auf eine 10-jährige Tätigkeit im Kesselbau zurückführe. Der Kläger habe 1958 bis 1968 extreme körperliche Arbeit verrichtet und hierbei bis zu 5 Tonnen Stahlbleche pro Tag gehoben.
Der Kläger gab an, er sei - vom 01.04.1955 bis 30.08.1955 Metzgerlehrling bei Firma Q, Stadt P - vom 15.02.1956 bis 09.03.1957 Arbeiter in der Landwirtschaft - vom 01.04.1957 bis 31.12.1957 Einzelhandelslehrling - vom 02.01.1958 bis 22.08.1959 Elektroschweißer bei Firma U, B1 - vom 25.08.1959 bis 20.04.1961 Elektroschweißer bei Firma I, B1 - vom 21.04.1961 bis 20. 06.1961 Elektroschweißer bei Firma C, B1 - vom 21. 06.1961 bis 30.06.1967 als Elektroschweißer bei Firma I, B (mit 6-wöchiger Unter- brechung durch Arbeitslosigkeit) - vom 10.07.1967 bis 15.12.1967 als Elektroschweißer bei Firma C, B1 - vom 04.03.1968 bis 14.05.1968 als Elektroschweißer beim EBV, B2 - vom 15.05.1968 bis 07.09.1968 als Elektroschweißer bei Firma C2 B1 - vom 09.09.1968 bis 31.12.1983 als Elektroschweißer bei Firma B3 B1 - vom 01.01.1984 bis 30. 06.1994 als Elektroschweißer bei Firma F1 Technik - vom 01.07.1994 bis 01.06.1996 arbeitslos oder in kör- perlich nicht belastenden Tätigkeiten - vom 03.06.1996 an als Verfahrenstechniker und Elektro- schweißer bei der S B1 tätig gewesen.
Die Firma F2 GmbH als Nachfolgerin der Firma B3 teilte mit, der Kläger habe dort bis 31.12.1983 als Vorführschweißer und Berater gearbeitet. Hinsichtlich seiner Tätigkeit bei der Firma F1 Technik gab der Kläger an, er habe in unregelmäßigen zeitlichen Abständen Lasten von 3 - 30 kg ca. 5 mal täglich bewegen müssen. Aufgrund seiner technisch-kaufmännischen Tätigkeit dort und wegen seiner Schwerbehinderung seien Tragen und Heben von Lasten auf ein Minimum reduziert worden. Das Schweißtechnische Institut der S B1 teilte mit, der Kläger sei als Techniker in der Schweißverfahrenstechnik beschäftigt, ohne schwere körperliche Belastung. Der Kläger gab an, dass zum Heben und Tragen der Lasten (ca. 25 x Lasten von 3 - 30 kg pro Schicht) dort Hilfsmittel (Kran, Hubwagen) zur Verfügung stünden.
Die Beklagte forderte einen Bericht der Präventionsabteilung der für die F1-Technik zuständigen BG der Feinmechanik und Elektrotechnik an (vom 04.07.2001). Diese teilte mit, der Kläger sei nicht im Sinne einer BK 2108 belastend tätig gewesen, da die Beurteilungsdosis von 5500 Nh in keiner Schicht erreicht worden sei. Die Landesunfallkasse Nordrhein-Westfalen, zuständig für die S B1, gab an, dass der Kläger dort zwar mitunter Lasten über 15 kg zu bewegen habe, dass aber wegen der zu geringen Anzahl von Lastenmanipulationen pro Arbeitsschicht auch in dieser Tätigkeit der Belastungsrichtwert von 5500 Nh nicht erreicht werde. Die Firma I teilte mit, der Kläger sei dort bei der Montage von Heizöl-Rechtecktanks eingesetzt worden. Diese seien vor Ort beim Kunden im Keller in Einzelteilen angeliefert, montiert und verschweißt worden. Hierzu sei es notwendig gewesen, Lastgewichte von bis zu 180 kg (mit 2 Personen) mit Hilfe von Rollen und Tragegriffen über Strecken von durchschnittlich 15 m hochkant zu transportieren. Die Präventionsabteilung der Beklagten wertete die Unterlagen aus, mit dem Ergebnis, dass jedenfalls ab Januar 1984 mit Beginn der Tätigkeit bei der Firma F1 Technik keine belastenden Tätigkeiten mehr ausgeführt worden seien.
Die Beklagte holte auch einen medizinischen Bericht des behandelnden Orthopäden K ein, der angab, er sei erstmals 1975 wegen zervikaler Beschwerden in Anspruch genommen worden, 1976 sei es zu einer LWK-2-Fraktur beim Rodeln gekommen. Er habe eine kontinuierliche Therapie verschiedenster Wirbelsäulenabschnitte über die Jahre hinweg durchgeführt. Aktuell bestehe eine Kyphosefehlstellung der unteren Halswirbelsäule mit Spondylose und Chondrose C 5/C 7, im Lumbalbereich Zustand nach LWK-2-Fraktur, Zwischenwirbelraumverschmälerung L 1/L 2 um die Hälfte der Norm, flache linkskonvexe Seitausbiegung und weiterreichende Schädigung der angrenzenden Bandscheibenräume.
Die Beklagte lehnte ihre Leistungspflicht wegen einer Berufskrankheit nach Ziffer 2108/2109 der Anlage zur BKV ab (Bescheid vom 23.01.2002). Der Kläger habe nach dem 31.12.1983 keine belastenden Tätigkeiten mehr ausgeübt, so dass der Versicherungsfall, wenn überhaupt, früher eingetreten sein müsse. Eine Entschädigung sei aber nur bei Versicherungsfällen nach dem 31.03.1988 möglich. Den Widerspruch wies die Beklagte zurück (Bescheid vom 11.04. 2002).
Hiergegen richtet sich die Klage. Der Kläger trägt vor, weil seine Wirbelsäule bereits geschädigt gewesen sei, hätten auch die späteren leichteren Tätigkeiten seinen Gesundheitszustand weiter verschlimmert. Eine Entschädigung habe im Übrigen gemäß § 9 Abs. 2 BKVO für die Zeit vor dem Stichtag "wie eine Berufskrankheit" zu erfolgen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 23.01.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2002 aufzuheben und ihm Leistungen wegen einer Berufskrankheit nach der Ziffer 2108 oder 2109 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat das Vorerkrankungsverzeichnis der AOK Rheinland ab 1958 beigezogen, außerdem das Vorerkrankungsverzeichnis der Techniker Krankenkasse B1 ab 1993. Orthopäde K teilte auf Nachfrage des Gerichts mit, er habe beim Kläger erstmals im August 1975 eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung der unteren Halswirbelsäule festgestellt. Im Januar 1976 sei der Kläger beim Rodeln gestürzt und habe den 2. Wirbelkörper gebrochen. 1976 angefertigte Röntgenaufnahmen zeigten eine zunehmende ventrale Abstützung. 1981 sei die Bandscheibe L 1/L 2 deutlich höhenvermindert gewesen. Eine Befundung der Halswirbelsäule habe 1984 eine röntgenologisch feststellbare Bandscheibenschädigung zwischen dem 5. und 7. Halswirbelsäulenkörper ergeben.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Bei dem Kläger liegt weder eine Berufskrankheit nach Ziffer 2108 der Anlage zur BKV (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zu Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können), noch nach Ziffer 2109 (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter mit Unterlassungszwang) vor.
Die Feststellung einer BK setzt grundsätzlich voraus, dass zum Einen in der Person des Versicherten die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben sind, das heißt, dass er im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der BK ausgesetzt gewesen ist, die nach Umfang und Intensität geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken (haftungsbegründende Kausalität). Zum Anderen muss ein Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung bestehen. Es muss danach ein der BK entsprechendes Krankheitsbild vorliegen und dieses muss im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich oder mitursächlich auf die belastende berufliche Tätigkeit zurückgeführt werden können, wobei hinsichtlich des Kausalzusammenhangs eine hinreichende Wahrscheinlichkeit - nicht jedoch die bloße Möglichkeit - ausreichend ist (haftungsausfüllende Kausalität - vgl. zum Vorstehenden insgesamt Landessozialgericht - LSG - NRW, Urteil vom 03. 02.2003, L 17 U 249/02 m.w.N. -). Im Falle der hier streitigen BK 2108 und 2109 kommt hinzu, dass Versicherte, die am 01. Januar 1993 an einer der in diesen BK-Ziffern bezeichneten Berufskrankheiten leiden, entsprechenden Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung nur genießen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31.03.1988 eingetreten ist (§ 6 Abs. 3 BKV).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind im Falle des Klägers die Voraussetzungen für die Anerkennung und Entschädigung einer BK-Nr. 2108 oder 2109 der Anlage zur BKV nicht erfüllt.
Hinsichtlich der BK 2109 (Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule) haben sich schon im Vortrag des Klägers selbst keinerlei Hinweise darauf ergeben, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt sein könnten. Berufliche Faktoren, die bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule verursachen oder verschlimmern können, sind fortgesetztes Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, einhergehend mit einer statischen Belastung der cervicalen Bewegungssegmente und au- ßergewöhnlicher Zwangshaltung der Halswirbelsäule oder Tätigkeiten mit vergleichbarem Belastungsprofil (Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur BK 2109, zitiert nach Mertens/Perlebach, BKV M 2109 Seite 1). Berufsgruppen, bei denen typischerweise einer BK 2109 entsteht, sind etwa Fleischträger oder Lastenträger, die Tierhälften oder Säcke ab 50 kg fortlaufend auf der Schulter transportieren bei gleichzeitiger Zwangshaltung im Bereich der Halswirbelsäule mit maximaler Anspannung der Nackenmuskulatur. Vergleichbare Belastungen sind im Falle des Klägers nicht dargelegt oder beschrieben worden.
Tätigkeiten, die die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule) erfüllen, übt der Kläger jedenfalls seit 01.01.1984 nicht mehr aus. Nach eigenen Angaben ist er seitdem nicht mehr in wirbelsäulenbelastenden Berufen tätig. An seinem gegenwärtigen Arbeitsplatz sind zwar in mäßigem Umfang Lasten zu bewegen (ca. 25 x 3 bis 30 kg pro Schicht), hierfür stehen jedoch Hilfsmittel zur Verfügung. Auch bei der Firma F1Technik (01.01.1984 bis 30.06.1994) sei wegen seiner technisch-kaufmännischen Tätigkeit dort und aufgrund seiner Schwerbehinderung das Tragen und Heben von Lasten auf ein Minimum reduziert gewesen. Hingegen hat der Kläger vor dem 01.01.1984 u.U. ausreichend schwere körperliche Tätigkeiten im Sinne der BK 2108 verrichtet. Insoweit war er aber nach § 6 Abs. 3 BKV (s.O.) nicht versichert, da die BKV nur solche Versicherungsfälle der 2108 erfasst, die nach dem 01.03.1988 eingetreten sind.
Vor dem Stichtag eingetreten ist eine BK, wenn alle Tatbestandsmerkmale der betreffenden Ziffer der Anlage der BKV erfüllt sind (Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 19.08.2003, B 2 U 27/02 R). Dies bedeutet für die BK 2108, dass die Tätigkeiten, die zu der Erkrankung geführt haben, aus arbeitsmedizinischen Gründen nicht mehr ausgeübt werden sollen und der Versicherte die schädigende Tätigkeit und solche Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich sein können, tatsächlich aufgegeben hat, wobei es auf das Motiv des Versicherten nicht ankommt (BSG a.a.O.). Da der Kläger schon seit 1984 lendenwirbelsäulenbelastende Tätigkeiten nicht mehr ausgeübt hat, und da - wie darüber hinaus erforderlich - bei ihm auch schon vor dem 01.04.1988, nämlich ausweislich des Berichtes von K spätestens 1981 bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule bestanden, liegt der Versicherungsfall insgesamt vor dem Stichtag, Versicherungsschutz ist damit nicht gegeben.
Im übrigen sieht aber die Kammer auch die medizinischen Voraussetzungen einer BK 2108 nicht als gegeben an, ohne dass es - weil der Anspruch schon aus anderen Gründen nicht besteht (s.o.) - insofern weiterer Beweisaufnahme bedürfte. Nach den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu berufsbedingten Lendenwirbelsäulenerkrankungen (vgl. LSG NRW Urteil vom 03.02.2003, L 17 U 249/02) sprechen gegen eine beruflich bedingte Verursachung bandscheibenbedinger Lendenwirbelsäulenerkrankungen gleichmäßig starke Veränderungen der Bandscheiben über 2 oder 3 Wirbelsäulenabschnitte, ein überwiegendes Auftreten der bandscheibenbedingten Veränderungen an belastungsfernen Wirbelsäulenabschnitten, ein Auftreten der Veränderungen vor Vollendung des 3. Lebensjahrzehnts und konkurrierende Erkrankungen aus dem privaten Bereich. Insoweit weisen die belastungsfern aufgetretenen Bandscheibenerkrankungen der Halswirbelsäule auf ein anlagebedingte Erkrankungsrisiko hin und sprechen gegen eine berufliche Verursachung.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
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