Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 R 24/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 R 104/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 15.10.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2005 wird aufgehoben. Die Beklagte hat die Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Altersruhegeld bzw. Altersrente und die Rückforderung überzahlter Beträge.
Die am 00.00.1929 geborene Klägerin bezieht seit dem 01.09.1989 Altersrente. Sie ist die Mutter des am 00.00.1949 geborenen I1 und der am 00.00.1958 geborenen I2. Die Klägerin ist mit dem 1926 geborenen I3 verheiratet, der seit April 1986 Altersrente bezieht. Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 08.08.1989 im Versicherungsverlauf der Klägerin die Zeit vom 01.12.1949 bis zum 30.11.1950 als Kindererziehungszeit für L und die Zeit vom 01.12.1958 bis zum 30.11.1959 als Kindererziehungszeit für M an und zahlte eine entsprechend erhöhte Rente. Die Anerkennung von Kindererziehungszeiten beruht auf einem Antrag auf Feststellung von Kindererziehungszeiten vom 31. Mai 1988. Die Klägerin erklärte in diesem Antrag, sie habe L und M während der ersten 12 Kalendermonate nach dem Monat der Geburt erzogen.
Am 14.11.1985 hatten die Klägerin und ihr Ehemann eine Erklärung dahingehend abgegeben, dass während der ersten 12 Kalendermonate nach dem Monat der Geburt der Kinder der Vater diese überwiegend erzogen hat. Die Eheleute unterschrieben den "Zusatz Fragebogen Kindererziehungszeiten" mit der einleitenden Erläuterung, dass bei einer entsprechenden Erklärung die gesamten Zeiten der Kindererziehung dem Vater angerechnet werden. Dementsprechend erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 27.03.1986 beim Ehemann der Klägerin ebenfalls Kindererziehungszeiten für L und M an und zahlte eine entsprechend erhöhte Rente.
Im Juni 2004 überprüfte die Beklagte durch einen EDV-Abgleich die Anerkennung der Kindererziehungszeiten. Hierbei stellte sie fest, dass die Kindererziehungszeiten für L und M sowohl bei der Klägerin als auch bei ihrem Ehemann anerkannt waren.
Nach Anhörung hob die Beklagte mit Bescheid vom 15.10.2004 die Bewilligung des Altersruhegeldes bzw. der Altersrente für die Zeit vom 01.09.1989 bis zum 30.11.2004 in Höhe von 18.023,73 Euro auf und forderte den überzahlten Betrag zurück. Die Beklagte stützte ihre Entscheidung auf §§ 45, 50 SGB X. Die doppelte Anerkennung der Kindererziehungszeiten sei rechtswidrig, denn bei gemeinsamer Erziehung sei die Erziehungszeit lediglich einem Elternteil zuzuordnen. Aufgrund der gemeinsamen Erklärung vom 14.11.1985 seien die Erziehungszeiten und die Berücksichtigungszeit für Kindererziehung dem Versicherungskonto des Ehemanns zuzuordnen gewesen. Vertrauensschutz könne die Klägerin nicht geltend machen, denn die Anerkennung der Kindererziehungszeiten beruhe auf Angaben, die sie grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Zudem hätte sie wissen müssen, dass aufgrund der gemeinsamen Erklärung die Zeiten der Kindererziehung dem Versicherungskonto ihres Ehemannes zugeordnet wurden.
Im Widerspruchsverfahren trug die Klägerin vor, sie habe die Antragsformulare zur Anerkennung der Kindererziehungszeiten nicht selbst ausgefüllt sondern dies sei durch eine Arbeitskollegin des Versicherungsamtes geschehen. Sie habe zudem nicht erkennen können, dass die doppelte Anerkennung der Kindererziehungszeiten rechtswidrig war.
Mit Bescheid vom 01.02.2005 wies die Beklagte den Widerspruch unter Wiederholung und Vertiefung der Begründung des angefochtenen Bescheides zurück.
Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage. Die Beteiligten wiederholen und vertiefen ihr bisheriges Vorbringen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 15.10.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsakten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.
Grundlage für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit ist § 45 SGB X. Der Rentenbewilligungsbescheid vom 08.08.1989 sowie alle weiteren Bescheide über die Rente der Klägerin, die die Anerkennung von der Erziehungszeiten und der Zahlung entsprechender Rentenbestandteile regeln, sind rechtswidrig im Sinne des § 45 Abs. 1 SGB X. Denn gemäß §§ 1251 a Abs. 2 RVO, 56 Abs. 2 SGB VI werden Kindererziehungszeiten bei Vorliegen einer übereinstimmenden Erklärung zwischen Vater und Mutter dahingehend, dass der Vater das Kind überwiegend erzogen hat, dem Vater angerechnet. Da die Klägerin und ihr Ehemann eine entsprechende Erklärung rechtswirksam abgegeben haben, hätten die Kindererziehungszeiten bei der Klägerin nicht angerechnet werden dürfen.
Eine Rücknahme (und damit auch eine Rückforderung, § 50 Abs. 1 SGB X) scheitert indes an § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X. Nach dieser Vorschrift darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr unter nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann.
Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass die Klägerin auf den Bestand der Rentenbewilligung auch hinsichtlich der Anerkennung der Kindererziehungszeiten vertraut hat. Als Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes wird sie die erbrachten Leistungen verbraucht haben.
Die Berufung der Klägerin auf Vertrauen ist nicht ausgeschlossen. Allerdings kann sich gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2, 3 SGB X der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Die Anerkennung der Kindererziehungszeiten bei der Klägerin beruht nicht auf Angaben, die diese in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Die Klägerin hat keine falschen Angaben gemacht, insbesondere nicht im Antrag auf Feststellung von Kindererziehungszeiten vom 31. Mai 1988. Sie hat in diesem Antrag lediglich erklärt, dass ihre Kinder L und M von ihr während der ersten 12 Kalendermonate nach dem Monat der Geburt erzogen wurden. Da die Klägerin – wie in der mündlichen Verhandlung bestätigt wurde – die Kinder tatsächlich in den ersten 12 Kalendermonaten nach dem Monat der Geburt erzogen hat, handelt es sich hierbei um eine richtige Angabe. Auch die Tatsache, dass die Klägerin die Frage "Ist eines der aufgeführten Kinder während der ersten 12 Kalendermonate nach dem Monat der Geburt zeitweise überwiegend von anderen Personen erzogen worden?" mit "nein" beantwortet hat, begründet den Vorwurf der Falschangabe nicht. Denn auch insoweit hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung glaubhaft erklärt, dass sie sich und nicht andere Personen während der ersten 12 Kalendermonate nach dem Monat der Geburt überwiegend um die Kinder gekümmert hat. Die Tatsache, dass die Klägerin und ihr Ehemann am 14.11.1985 erklärt haben, dass der Ehemann während der ersten 12 Kalendermonate nach dem Monat der Geburt überwiegend erzogen hat, ist unbeachtlich. Sollte diese Angabe falsch sein, könnte dies allenfalls eine Aufhebung der Anerkennung der Kindererziehungszeiten vom Vater, nicht aber von der Klägerin begründen. Abgesehen davon setzt die Richtigkeit der entsprechenden Erklärung lediglich voraus, dass die Eheleute die Kinder gemeinsam erzogen haben. Denn allein dies war nach § 1251 a Abs. 2 Satz 1 RVO Grundlage dafür, durch die Angabe einer überwiegenden Erziehung die Zuordnung der Kindererziehungszeiten zum Vater zu bewirken.
Andere Angaben zu Kindererziehungszeiten, die den Vorwurf der Falschangabe begründen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte in dem Antrag auf Feststellung von Kindererziehungszeiten nicht danach gefragt hat, ob eine gemeinsame Erklärung im Sinne des § 1251 a Abs. 2 RVO abgegeben wurde. Unter der Rubrik "weitere Angaben zu Kindererziehungszeiten der Antragstellerin" fragt die Beklagte detailliert viele Umstände, die sich auf die Anerkennung von Kindererziehungszeiten auswirken können ab, stellt aber nicht die naheliegende Frage nach einer gemeinsamen Erklärung gemäß § 1251 a Abs. 2 RVO.
Im Gegensatz zur in der mündlichen Verhandlung geäußerten Meinung der Beklagten kann der Klägerin nicht entgegengehalten werden, überhaupt den Antrag auf Feststellung von Kindererziehungszeiten gestellt zu haben. Denn der Umstand, eine nicht zustehende Leistung beantragt zu haben, führt nicht dazu, dass diese im Falle der Bewilligung ohne weiteres zurückgefordert werden darf. Hierfür enthält das Gesetz keine Grundlage.
Der Klägerin ist auch nicht vorzuwerfen, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt zu haben. Grobe Fahrlässigkeit ist nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X nur gegeben, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss; dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils – und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff). Voraussetzung für die Bejahung grober Fahrlässigkeit ist, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Mängel aus dem Bewilligungsbescheid oder anderen Umständen ergeben und für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne weiteres erkennbar sind. Ein Antragsteller, der zutreffende Angaben gemacht hat, ist im allgemeinen nicht zu Gunsten der Fachbehörde gehalten, Bewilligungsbescheide des Näheren auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Der Antragsteller darf davon ausgehen, dass eine Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen fragt und seine wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetzt (hierzu näher BSG, Urteil vom 08.02.2001 – B 11 AL 21/00 R –).
Der Klägerin ist nicht vorzuwerfen, schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt zu haben. Denn aufgrund der Tatsache, dass die Beklagte in dem Antrag auf Feststellung von Kindererziehungszeiten nicht danach gefragt hat, ob eine gemeinsame Erklärung nach § 1251 a Abs. 2 RVO abgegeben wurde, durfte die Klägerin annehmen, dass dieser Umstand für die Leistungsbewilligung unbeachtlich ist. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die gemeinsame Erklärung bereits am 14.11.1985 abgegeben wurde, während die Bewilligung der Altersrente im August 1989, also fast vier Jahre später, erfolgte. Allein aufgrund dieses Zeitablaufes musste sich für die Klägerin nicht aufdrängen, dass die Anerkennung der Kindererziehungszeiten bei ihr fehlerhaft ist. Zum einen kann sie schlicht vergessen haben, die gemeinsame Erklärung abgegeben zu haben, was möglicherweise fahrlässig, nicht aber grob fahrlässig ist Zum anderen ist aus Sicht der Klägerin, wenn man ihr schon unterstellt, rechtliche Überlegungen angestellt zu haben bzw. hierzu verpflichtet zu sein – durchaus denkbar, dass innerhalb von vier Jahren sich die Rechtslage so ändert, dass eine doppelte Anerkennung von Kindererziehungszeiten möglich ist. Es beruht jedenfalls nicht auf einfachsten, ganz naheliegenden Überlegungen, zu erkennen, dass eine solche doppelte Anerkennung ausgeschlossen ist. Schließlich ist zu beachten, dass die Klägerin nicht wissen musste, dass die Kindererziehungszeiten bereits beim Ehemann anerkannt wurden.
Da bereits die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 45 SGB X mithin nicht vorliegen, brauchte die Kammer nicht näher zu prüfen, ob die Beklagte ihr Rückforderungsrecht verwirkt hat. Denn es kann durchaus als Verstoss gegen das auch ein öffentlich-rechtliches Sozialversicherungsverhältnis prägende Prinzip von Treu und Glauben angesehen werden, im Leistungsantrag wesentliche Fragen nicht zu stellen, um dann 15 Jahre später für den Versicherten völlig überraschend auf die Idee zu kommen zu prüfen, ob eventuell eine doppelte Anerkennung von Kindererziehungszeiten erfolgt ist. Der Überprüfungsvorgang aus Juni 2004 hätte ebensogut bei Bewilligung der Rente erfolgen können. Es ist gerichtsbekannt, dass die Beklagte bereits im Jahre 1989 über eine EDV-Ausstattung verfügte. Schließlich ist nicht ersichtlich, was die Beklagte davon abgehalten hat, im Antrag auf Feststellung von Kindererziehungszeiten nach einer gemeinsamen Erklärung gemäß § 1251 a Abs. 2 RVO zu fragen. Es ist jedenfalls nicht zulässig, ein derartiges Versäumnis jetzt auf dem Rücken der Klägerin auszugleichen zu versuchen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Altersruhegeld bzw. Altersrente und die Rückforderung überzahlter Beträge.
Die am 00.00.1929 geborene Klägerin bezieht seit dem 01.09.1989 Altersrente. Sie ist die Mutter des am 00.00.1949 geborenen I1 und der am 00.00.1958 geborenen I2. Die Klägerin ist mit dem 1926 geborenen I3 verheiratet, der seit April 1986 Altersrente bezieht. Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 08.08.1989 im Versicherungsverlauf der Klägerin die Zeit vom 01.12.1949 bis zum 30.11.1950 als Kindererziehungszeit für L und die Zeit vom 01.12.1958 bis zum 30.11.1959 als Kindererziehungszeit für M an und zahlte eine entsprechend erhöhte Rente. Die Anerkennung von Kindererziehungszeiten beruht auf einem Antrag auf Feststellung von Kindererziehungszeiten vom 31. Mai 1988. Die Klägerin erklärte in diesem Antrag, sie habe L und M während der ersten 12 Kalendermonate nach dem Monat der Geburt erzogen.
Am 14.11.1985 hatten die Klägerin und ihr Ehemann eine Erklärung dahingehend abgegeben, dass während der ersten 12 Kalendermonate nach dem Monat der Geburt der Kinder der Vater diese überwiegend erzogen hat. Die Eheleute unterschrieben den "Zusatz Fragebogen Kindererziehungszeiten" mit der einleitenden Erläuterung, dass bei einer entsprechenden Erklärung die gesamten Zeiten der Kindererziehung dem Vater angerechnet werden. Dementsprechend erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 27.03.1986 beim Ehemann der Klägerin ebenfalls Kindererziehungszeiten für L und M an und zahlte eine entsprechend erhöhte Rente.
Im Juni 2004 überprüfte die Beklagte durch einen EDV-Abgleich die Anerkennung der Kindererziehungszeiten. Hierbei stellte sie fest, dass die Kindererziehungszeiten für L und M sowohl bei der Klägerin als auch bei ihrem Ehemann anerkannt waren.
Nach Anhörung hob die Beklagte mit Bescheid vom 15.10.2004 die Bewilligung des Altersruhegeldes bzw. der Altersrente für die Zeit vom 01.09.1989 bis zum 30.11.2004 in Höhe von 18.023,73 Euro auf und forderte den überzahlten Betrag zurück. Die Beklagte stützte ihre Entscheidung auf §§ 45, 50 SGB X. Die doppelte Anerkennung der Kindererziehungszeiten sei rechtswidrig, denn bei gemeinsamer Erziehung sei die Erziehungszeit lediglich einem Elternteil zuzuordnen. Aufgrund der gemeinsamen Erklärung vom 14.11.1985 seien die Erziehungszeiten und die Berücksichtigungszeit für Kindererziehung dem Versicherungskonto des Ehemanns zuzuordnen gewesen. Vertrauensschutz könne die Klägerin nicht geltend machen, denn die Anerkennung der Kindererziehungszeiten beruhe auf Angaben, die sie grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Zudem hätte sie wissen müssen, dass aufgrund der gemeinsamen Erklärung die Zeiten der Kindererziehung dem Versicherungskonto ihres Ehemannes zugeordnet wurden.
Im Widerspruchsverfahren trug die Klägerin vor, sie habe die Antragsformulare zur Anerkennung der Kindererziehungszeiten nicht selbst ausgefüllt sondern dies sei durch eine Arbeitskollegin des Versicherungsamtes geschehen. Sie habe zudem nicht erkennen können, dass die doppelte Anerkennung der Kindererziehungszeiten rechtswidrig war.
Mit Bescheid vom 01.02.2005 wies die Beklagte den Widerspruch unter Wiederholung und Vertiefung der Begründung des angefochtenen Bescheides zurück.
Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage. Die Beteiligten wiederholen und vertiefen ihr bisheriges Vorbringen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 15.10.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsakten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.
Grundlage für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit ist § 45 SGB X. Der Rentenbewilligungsbescheid vom 08.08.1989 sowie alle weiteren Bescheide über die Rente der Klägerin, die die Anerkennung von der Erziehungszeiten und der Zahlung entsprechender Rentenbestandteile regeln, sind rechtswidrig im Sinne des § 45 Abs. 1 SGB X. Denn gemäß §§ 1251 a Abs. 2 RVO, 56 Abs. 2 SGB VI werden Kindererziehungszeiten bei Vorliegen einer übereinstimmenden Erklärung zwischen Vater und Mutter dahingehend, dass der Vater das Kind überwiegend erzogen hat, dem Vater angerechnet. Da die Klägerin und ihr Ehemann eine entsprechende Erklärung rechtswirksam abgegeben haben, hätten die Kindererziehungszeiten bei der Klägerin nicht angerechnet werden dürfen.
Eine Rücknahme (und damit auch eine Rückforderung, § 50 Abs. 1 SGB X) scheitert indes an § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X. Nach dieser Vorschrift darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr unter nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann.
Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass die Klägerin auf den Bestand der Rentenbewilligung auch hinsichtlich der Anerkennung der Kindererziehungszeiten vertraut hat. Als Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes wird sie die erbrachten Leistungen verbraucht haben.
Die Berufung der Klägerin auf Vertrauen ist nicht ausgeschlossen. Allerdings kann sich gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2, 3 SGB X der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Die Anerkennung der Kindererziehungszeiten bei der Klägerin beruht nicht auf Angaben, die diese in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Die Klägerin hat keine falschen Angaben gemacht, insbesondere nicht im Antrag auf Feststellung von Kindererziehungszeiten vom 31. Mai 1988. Sie hat in diesem Antrag lediglich erklärt, dass ihre Kinder L und M von ihr während der ersten 12 Kalendermonate nach dem Monat der Geburt erzogen wurden. Da die Klägerin – wie in der mündlichen Verhandlung bestätigt wurde – die Kinder tatsächlich in den ersten 12 Kalendermonaten nach dem Monat der Geburt erzogen hat, handelt es sich hierbei um eine richtige Angabe. Auch die Tatsache, dass die Klägerin die Frage "Ist eines der aufgeführten Kinder während der ersten 12 Kalendermonate nach dem Monat der Geburt zeitweise überwiegend von anderen Personen erzogen worden?" mit "nein" beantwortet hat, begründet den Vorwurf der Falschangabe nicht. Denn auch insoweit hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung glaubhaft erklärt, dass sie sich und nicht andere Personen während der ersten 12 Kalendermonate nach dem Monat der Geburt überwiegend um die Kinder gekümmert hat. Die Tatsache, dass die Klägerin und ihr Ehemann am 14.11.1985 erklärt haben, dass der Ehemann während der ersten 12 Kalendermonate nach dem Monat der Geburt überwiegend erzogen hat, ist unbeachtlich. Sollte diese Angabe falsch sein, könnte dies allenfalls eine Aufhebung der Anerkennung der Kindererziehungszeiten vom Vater, nicht aber von der Klägerin begründen. Abgesehen davon setzt die Richtigkeit der entsprechenden Erklärung lediglich voraus, dass die Eheleute die Kinder gemeinsam erzogen haben. Denn allein dies war nach § 1251 a Abs. 2 Satz 1 RVO Grundlage dafür, durch die Angabe einer überwiegenden Erziehung die Zuordnung der Kindererziehungszeiten zum Vater zu bewirken.
Andere Angaben zu Kindererziehungszeiten, die den Vorwurf der Falschangabe begründen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte in dem Antrag auf Feststellung von Kindererziehungszeiten nicht danach gefragt hat, ob eine gemeinsame Erklärung im Sinne des § 1251 a Abs. 2 RVO abgegeben wurde. Unter der Rubrik "weitere Angaben zu Kindererziehungszeiten der Antragstellerin" fragt die Beklagte detailliert viele Umstände, die sich auf die Anerkennung von Kindererziehungszeiten auswirken können ab, stellt aber nicht die naheliegende Frage nach einer gemeinsamen Erklärung gemäß § 1251 a Abs. 2 RVO.
Im Gegensatz zur in der mündlichen Verhandlung geäußerten Meinung der Beklagten kann der Klägerin nicht entgegengehalten werden, überhaupt den Antrag auf Feststellung von Kindererziehungszeiten gestellt zu haben. Denn der Umstand, eine nicht zustehende Leistung beantragt zu haben, führt nicht dazu, dass diese im Falle der Bewilligung ohne weiteres zurückgefordert werden darf. Hierfür enthält das Gesetz keine Grundlage.
Der Klägerin ist auch nicht vorzuwerfen, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt zu haben. Grobe Fahrlässigkeit ist nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X nur gegeben, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss; dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils – und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff). Voraussetzung für die Bejahung grober Fahrlässigkeit ist, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Mängel aus dem Bewilligungsbescheid oder anderen Umständen ergeben und für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne weiteres erkennbar sind. Ein Antragsteller, der zutreffende Angaben gemacht hat, ist im allgemeinen nicht zu Gunsten der Fachbehörde gehalten, Bewilligungsbescheide des Näheren auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Der Antragsteller darf davon ausgehen, dass eine Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen fragt und seine wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetzt (hierzu näher BSG, Urteil vom 08.02.2001 – B 11 AL 21/00 R –).
Der Klägerin ist nicht vorzuwerfen, schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt zu haben. Denn aufgrund der Tatsache, dass die Beklagte in dem Antrag auf Feststellung von Kindererziehungszeiten nicht danach gefragt hat, ob eine gemeinsame Erklärung nach § 1251 a Abs. 2 RVO abgegeben wurde, durfte die Klägerin annehmen, dass dieser Umstand für die Leistungsbewilligung unbeachtlich ist. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die gemeinsame Erklärung bereits am 14.11.1985 abgegeben wurde, während die Bewilligung der Altersrente im August 1989, also fast vier Jahre später, erfolgte. Allein aufgrund dieses Zeitablaufes musste sich für die Klägerin nicht aufdrängen, dass die Anerkennung der Kindererziehungszeiten bei ihr fehlerhaft ist. Zum einen kann sie schlicht vergessen haben, die gemeinsame Erklärung abgegeben zu haben, was möglicherweise fahrlässig, nicht aber grob fahrlässig ist Zum anderen ist aus Sicht der Klägerin, wenn man ihr schon unterstellt, rechtliche Überlegungen angestellt zu haben bzw. hierzu verpflichtet zu sein – durchaus denkbar, dass innerhalb von vier Jahren sich die Rechtslage so ändert, dass eine doppelte Anerkennung von Kindererziehungszeiten möglich ist. Es beruht jedenfalls nicht auf einfachsten, ganz naheliegenden Überlegungen, zu erkennen, dass eine solche doppelte Anerkennung ausgeschlossen ist. Schließlich ist zu beachten, dass die Klägerin nicht wissen musste, dass die Kindererziehungszeiten bereits beim Ehemann anerkannt wurden.
Da bereits die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 45 SGB X mithin nicht vorliegen, brauchte die Kammer nicht näher zu prüfen, ob die Beklagte ihr Rückforderungsrecht verwirkt hat. Denn es kann durchaus als Verstoss gegen das auch ein öffentlich-rechtliches Sozialversicherungsverhältnis prägende Prinzip von Treu und Glauben angesehen werden, im Leistungsantrag wesentliche Fragen nicht zu stellen, um dann 15 Jahre später für den Versicherten völlig überraschend auf die Idee zu kommen zu prüfen, ob eventuell eine doppelte Anerkennung von Kindererziehungszeiten erfolgt ist. Der Überprüfungsvorgang aus Juni 2004 hätte ebensogut bei Bewilligung der Rente erfolgen können. Es ist gerichtsbekannt, dass die Beklagte bereits im Jahre 1989 über eine EDV-Ausstattung verfügte. Schließlich ist nicht ersichtlich, was die Beklagte davon abgehalten hat, im Antrag auf Feststellung von Kindererziehungszeiten nach einer gemeinsamen Erklärung gemäß § 1251 a Abs. 2 RVO zu fragen. Es ist jedenfalls nicht zulässig, ein derartiges Versäumnis jetzt auf dem Rücken der Klägerin auszugleichen zu versuchen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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