S 11 AS 65/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AS 65/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 21.06.2005 in der Fassung der Bescheide vom 28.07.2005 und 25.11.2005 und des Widerspruchsbescheides vom 16.08.2005 verurteilt, dem Kläger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende als Beihilfe anstatt als Darlehen zu zahlen. Der Beklagte hat die Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, ob dem Kläger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende als Beihilfe oder lediglich als Darlehen zustehen.

Der am 00.00.1947 geborene Kläger bewohnt mit seiner am 00.00.1953 geborenen Ehefrau ein im eigenen Eigentum stehendes Hausgrundstück in N. Die Größe der Wohneinheit im Erdgeschoss beläuft sich nach Angaben des Klägers auf 90 qm, hinzu kommt eine ungefähr 20 qm große Diele. Im Kellergeschoss befinden sich nach Angaben des Klägers zwei ausgebaute, baulich nicht abgetrennte Räume, in denen die Tochter des Klägers, die derzeit in L eine Ausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten absolviert, wohnt. Das Grundstück ist insgesamt 1080 qm groß.

Der Beklagte zahlte dem Kläger auf seinen Antrag vom 15.09.2004 mit Bescheiden vom 25.11.2004 und 02.12.2004 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zunächst als Beihilfe. Mit Bescheid vom 21.06.2005 (in der Fassung der Bescheide vom 28.07.2005 und 25.11.2005) entschied er, dass die Leistungen ab dem 01.06.2005 nur mehr als Darlehen zu erbringen seien.

Der Kläger begründete seinen am 27.06.2005 erhobenen Widerspruch damit, es handle sich um ein durchschnittliches Haus mit kleiner Einliegerwohnung in einem ländlich strukturiertem Gebiet: Die 5 angrenzenden Grundstücke seien zwischen 608 qm und 1566 qm groß; der Garten grenze nur an Nachbargärten an und verfüge über keine Erschließung; alle Nachbarn hätten kein Interesse am Zukauf von Gartenfläche.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 16.08.2005 zurück. Er führte aus, im ländlichen Bereich sei eine Grundstück mit einer Grundfläche von bis zu 800 qm noch als angemessen anzusehen. Möglicherweise lasse sich ein 280 qm großes Grundstück nur schwer veräußern, dies treffe indes nicht auf das Grundstück als ganzes zu und dem Kläger sei eine Veräußerung des unangemessen großen Grundstücks zumutbar.

Hiergegen richtet sich die am 23.08.2005 erhobene Klage.

Der Kläger hat einen Lageplan des Grundstücks sowie einen Plan des Hauses vorgelegt. Er führt aus, es handle sich um eine Doppelhaushälfte mit einer im Bauwich errichteten Garage, wodurch die Abtrennung eines Grundstücksteils mit unmittelbarem Straßenzugang sowie die Erschließung des rückwärtigen Teils nicht möglich sei. Er bezweifelt zudem, dass die Diele im Erdgeschoss als Wohnfläche zu berücksichtigen sei, da sie eine Verkehrsfläche auf dem Weg in die ausgebauten Kellerräume darstelle. Eine anderweitige Verwertung der Kellerräume durch Vermietung scheide mangels baulicher Trennung von den anderen Räumlichkeiten aus.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 21.06.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.08.2005 zu verurteilen, ihm Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende als Beihilfe anstatt als Darlehen zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er sieht angesichts von Diele und Einliegerwohnung auch die Wohnfläche als unangemessen groß an.

Hinsichtlich der wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Entscheidungen sind rechtswidrig iSd § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger und seine Ehefrau haben Anspruch auf Leistungen in Form der Beihilfe.

Dass sie grundsätzlich Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende haben, ist nicht streitig. Der Beklagte darf die Leistungsgewährung auch nicht auf ein Darlehen nach § 9 Abs. 4 Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) beschränken. Der Tatbestand der Darlehensgewährung nach § 9 Abs. 4 SGB II wäre nur dann erfüllt, wenn das Hausgrundstück zu berücksichtigendes Vermögen im Sinne dieser Vorschrift ist. Hieran fehlt es hier jedoch, denn nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II ist ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe als Vermögen nicht zu berücksichtigen.

Das Hausgrundstück ist nicht deswegen unangemessen groß, weil die Gesamtwohnfläche den - zu dem bis zum 31.12.2004 geltenden Recht entwickelten - Grenzwert von 130 qm (vgl. hierzu die Nachweise bei Brühl, in: LPK-SGB II, § 12, Rn 44) überschreitet. Der Einwand des Klägers, die Diele sei keine Wohnfläche greift nicht durch. Es lässt sich nicht einerseits argumentieren, die Diele sei deswegen keine Wohnfläche im Sinne der Wohnflächenverordnung, da von ihr aus auch die ausgebauten Kellerräume zugänglich seien, die Kellerräume seien andererseits aber mangels baulicher Abtrennung keine eigenständige Wohnung.

Die Wohnfläche muss allerdings auch unter Berücksichtigung von Diele und Kellerräumen als angemessen iSd § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II angesehen werden. Der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit ist vor dem Hintergrund des Normzwecks auszulegen, wonach das Eigenheim als Lebensmittelpunkt möglichst geschützt bleiben soll (vgl. Brühl, aaO, Rn 43). Ist die Wohnfläche nicht in abgeschlossene Einheiten aufteilbar oder aufgeteilt, so kann der Verkauf eines selbst genutzten Grundstücks nicht verlangt werden; vielmehr ist der Hilfebedürftige auf andere Arten der Verwertung verweisbar (Brühl, aaO, Rn 45). Weiterhin heranzuziehen sind die §§ 9 Abs. 1, 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II. § 9 Abs. 1 SGB II verwirklicht den Grundsatz der Subsidiarität der Grundsicherung für Arbeitsuchende, wonach andere Möglichkeiten zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhalts vorrangig zu nutzen sind. Der Verweis auf vorrangigen Vermögenseinsatz steht indes nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 1.Alt SGB II unter einem Wirtschaftlichkeitsvorbehalt. Da es also mit § 9 Abs. 1 SGB II wie auch mit dem Wortlaut von § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II nicht vereinbar ist, dem Hilfebedürftigen auch ein unangemessen großes Hausgrundstück wirtschaftlich ungemindert zu belassen, muss eine prognostische Entscheidung getroffen werden, ob eine Abtrennung oder anderweitige wirtschaftliche Verwertung des unangemessenen Teils rechtlich und tatsächlich möglich und wirtschaftlich erfolgversprechend ist. In dieser Wirtschaftlichkeitsprognose sind der mit der Verwertung verbundene Aufwand und ihr voraussichtlicher Ertrag gegenüberzustellen. Bereits ein Gleichstand zwischen Gewinn und Verlust reicht nicht aus, denn hiermit wäre dem Hilfebedürftigen lediglich zusätzliche Arbeit aufgebürdet und weder der Hilfebedürftige noch der Leistungsträger hätten irgendeinen konkreten Vorteil davon.

Im vorliegenden Fall ist zu beachten, dass die Überschreitung des Grenzwerts von 130 qm allein darauf beruht, dass der Kläger zwei Kellerräume hat ausbauen lassen, in denen seine Tochter nun wohnt. Die Umwandlung von Teilen des Kellergeschosses in eine Eigentumswohnung kann vom Kläger nicht verlangt werden. Ausweislich des von ihm vorgelegten Plans dürfte sich die nach Wohnungseigentumsrecht erforderliche Abgeschiedenheit wenn überhaupt dann nur mit einem erheblichen Kostenaufwand herstellen lassen. Stehen der Verwertung einer Wohnung als Eigentumswohnung aber rechtliche oder tatsächliche Hindernisse entgegen, so liegt keine Verwertbarkeit vor (LSG Hessen, Beschluss vom 14.09.2004, L 10 AL 98/04 ER zur alten Rechtslage nach Arbeitsförderungsrecht). Es kommt hinzu, dass die Gebrauchsüberlassung an die Tochter wirtschaftlich sinnvoll ist. Die Tochter des Klägers befindet sich in Ausbildung in L (wo das Mietpreisniveau ausgesprochen hoch und Wohnungsmarkt allgemein sehr angespannt ist). Eine von der Tochter erhobene Nutzungsentschädigung würde die Bedürftigkeit des Klägers und seiner Ehefrau jedenfalls nicht beseitigen, so dass die nur darlehensweise Bewilligung nach § 9 Abs. 4 SGB II nicht allein deswegen gerechtfertigt ist, weil der Kläger keine Gegenleistung von seiner Tochter verlangt. Ob die spätere Vermietung der Zimmer (nach Auszug der Tochter) möglich sein wird und entsprechende Erträge bringen wird, kann derzeit nicht beurteilt werden und u.U. Gegenstand einer späteren Entscheidung des Beklagten sein.

Die Unangemessenheit des Hausgrundstücks kann auch nicht auf die Grundstücksgröße insgesamt gestützt werden. Zu berücksichtigen ist zunächst, dass der Hilfebedürftige bei einer Abtrennung und Veräußerung in erheblichem Umfang in Vorleistung treten muss, denn auch nach Abschaffung des bauplanungsrechtlichen Genehmigungserfordernisses für die Teilung eines Grundstücks (jetzt § 19 Baugesetzbuch - BauGB) besteht im Bauordnungsrecht ein grundsätzliches Genehmigungserfordernis nach § 8 Abs. 1 Satz 1 der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (Landesbauordnung - BauO NRW), deren Erteilung insbesondere von der Einhaltung bauordnungsrechtlicher Vorgaben wie Abstandsflächen etc abhängt und mit erheblichen Kosten für die erforderliche Vermessung verbunden ist. Es kommt hinzu, dass der Hilfebedürftige - falls er das durch Teilung abgetrennte Grundstück nicht gerade an einen unmittelbaren Anlieger veräußern kann - auf seinem Grundstück den entsprechenden Zugang schaffen sowie eine Grunddienstbarkeit einrichten muss, um die Erschließung des abgetrennten Grundstücks zu sichern. Um den hinteren Grundstücksteil sinnvoll zu verwerten, muss - wie das Gericht dem vorgelegten Lageplan entnimmt - entweder die Garage abgerissen oder eine Grunddienstbarkeit auf 2 Nachbargrundstücken eingerichtet werden. Beides ist mit erheblichen Kosten (mit denen der Kläger in Vorleistung treten müsste) verbunden; der Abbruch bedarf zudem ebenfalls einer behördlichen Genehmigung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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