S 11 AL 114/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AL 114/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Bescheide vom 04.11.2005 und vom 14.11.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2005 werden insoweit aufgehoben, als dort der Bescheid vom 06.06.2005 für die Zeit vor dem 27.10.2005 aufgehoben wird und entsprechende Leistungen zurückgefordert werden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat die Kosten des Klägers zu 1/4 zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung einer Bewilligung von Überbrückungsgeld (Übbg) und die Erstattung überzahlter Leistungen i.H.v. 1.531,97 Euro.

Der am 00.00.1952 geborene Kläger beantragte im Januar 2005 Übbg für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit in den Bereichen "Dienstleistungen aller Art für Industriekunden, insbesondere in den Bereichen Transport und Logistik, Beratung in den Bereichen Logistik, Außenwirtschaft, Zollwesen und regenerativer Energien; Vertrieb von transportablen Einrichtungen zur Lagerung von Rohstoffen; Gewinnung von Rohstoffen im Bereich alternativer Energien, Vertrieb von massiven Holz-Blockhäusern".

Die Beklagte gewährte mit Bescheid vom 06.06.2005 Übbg für die Zeit vom 18.05.2005 bis 17.11.2005 i.H.v. monatlich 2.089,05 Euro. Dem Bescheid war der (damalige) Wortlaut von § 57 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) beigefügt.

Anfang September 2005 wandte sich der Kläger an die Beklagte mit der Bitte um Auskunft, ob er neben dem Übbg-Bezug ab dem 26.09.2006 als Kampagnekraft bei der Firma Afabrik K AG arbeiten dürfe. Die Beklagte beantwortet die Anfrage jedenfalls nicht schrifltich und teilte dem Kläger mit Schreiben vom 24.10.2005 mit, er habe das Übbg ab dem 26.09. bis 17.10.2005 zu Unrecht bezogen, da in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe und somit nicht mehr arbeitslos gewesen sei. Er habe auch erkennen können und müssen, das der Übbg-Anspruch durch die Arbeitausfnahme entfallen sei.

Mit Bescheid vom 04.11.2005 hob die Beklagten die Übbg-Bewilligung für die Zeit ab dem 26.09.2005 ganz auf und machte sodann mit Bescheid vom 14.11.2005 eine Erstattungsforderung i.H.v. 1.531,97 Euro geltend.

In seinem am 21.11.2005 erhobenen Widerspruch führte der Kläger aus, Übbg sei kein Ersatz für Arbeitslosengeld (Alg), weswegen ein Wegfall der Arbeitslosigkeit dem Übbg-Bezug nicht entgegenstehen könne. Im Übrigen habe er seiner selbständiger Tätigkeit neben der Schichtarbeit in der Afabrik auch vollständig nachkommen können.Schließlich habe er einen etwaigen Wegfall der Übbg-Voraussetzungen schon deswegen nicht erkennen können, weil die Beklagte seine Anfrage nicht beantwortet habe. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 24.11.2005 mit der Begründung zurück, der Kläger habe anhand des damals mitübersandten Gesetzestextes erkennen können, dass sein Übbg-Anspruch durch Arbeitausfnahme in der Afabrik entfallen sei.

Hiergegen richtet sich die am 29.11.2005 erhobene Klage. Der Kläger führt aus, bei einer rechtzeitigen und zutreffenden Auskunft seitens der Beklagten hätte er seine Arbeit bei der Afabrik auch im Rahmen eines Werkvertrages verrichten können.

Der Kläger beantragt,

die Bescheide vom 04.11.2005 und vom 14.11.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2005 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bleibt bei ihrer Auffassung.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch eine Anfrage bei der Firma Afabrik K AG und hat sich die BewA-Auszüge der Beklagten seit Januar 2005 vorlegen lassen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind teilweise rechtswidrig im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beklagte durfte die Übbg-Bewilligung erst ab dem 27.10.2005 aufheben und das erbrachte Übbg nur insoweit zurückfordern, denn der Kläger konnte erst ab diesem Zeitpunkt wissen, dass der Übbg-Anspruch entfallen war.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist jede tatsächliche oder rechtliche Änderung, die sich auf Grund oder Höhe der bewilligten Leistung auswirkt (vgl. BSG, Urteil vom 09.08.2001, B 11 AL 17/01 R). Eine solche Änderung ist dadurch eingetreten, dass der Kläger ab dem 26.09.2005 eine Arbeit als Kampagnekraft bei der Firma Afabrik K AG aufgenommen hat, denn hierdurch ist der Übbg-Anspruch entfallen.

Nach § 57 Abs. 1 SGB III in der bis zum 31.12.2005 geltenden Fassung (a.F.) haben Arbeitnehmer, die durch die Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit der Existenzgründung Anspruch auf Übbg. Das Tatbestandsmerkmal der Hauptberuflichkeit bedeutet, dass bei der geförderten Tätigkeit der zeitliche Schwerpunkt liegen muss (BT-Drs 15/3674, S. 8); eine zusätzliche abhängige Beschäftigung ist möglich, darf jedoch "nur Nebensache" sein (so die Formulierung bei Link, in: Eicher/Schlegel, SGB III, § 57, Rn. 42 c). Das Tatbestandsmerkmal der Beendigung oder Vermeidung meint, dass der Übbg-Bezieher sich in keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung mehr befindet und auch keine mehr sucht (Link, a.a.O., Rn. 38 b). Der Kläger hat ab dem 26.09.2005 vollschichtig bei der Firma Afabrik K AG gebarbeitet. Diese Beschäftigung war ihrer Natur nach versicherungspflichtig und gegenüber der selbständigen Tätigkeit nicht nur nebensächlich. Hierbei ist unbeachtlich, ob der Kläger auch neben der abhängigen Beschäftigung weiterhin im gleichen Umfang selbständig tätig sein konnte. Das Übbg soll es dem Bezieher ermöglichen, sich auf den Aufbau einer selbständigen Tätigkeit zu konzentrieren; dies verträgt sich grundsätzlich nicht mit einer parallel dazu ausgeübten vollschichtigen Beschäftigung.

Auch das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs wegen unterlassener Beratung führt zu keinem anderen Ergebnis, denn auch eine rechtzeitige und zutreffende Beratung hätte an der Rechtsfolge aus § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X i.V.m. § 57 SGB III nichts ändern können. Der Vortrag des Klägers, er hätte bei rechtzeitiger und zutreffender Beratung einen Werkvertrag mit der Firma Afabrik K AG geschlossen, greift nicht durch. Die Arbeit als Kampagnekraft ist jedenfalls nicht Teil der selbständigen Tätigkeit, für die das Übbg gewährt worden ist. Vielmehr hätte auch bei Abschluss eines Werkvertrages eine (versicherungspflichtige) Beschäftigung i.S.d. § 7 Sozialgesetzbuch - Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) vorgelegen, denn allein die von den Vertragsparteien gewählte Bezeichnung ist insoweit nicht entscheidend. Der Kläger kann auch nicht aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt werden, als habe von einer Arbeitsaufnahme bei der Firma Afabrik K AG abgesehen, denn hierbei handelt es sich um ein tatsächliches Verhalten, das im Rahmen des Herstellungsanspruchs nicht fingiert werden kann.

Nicht erfüllt sind jedoch die weiteren Voraussetzungen für eine Aufhebung der Übbg-Bewilligung ab dem Zeitpunkt der wesentlichen Änderung (hier: ab dem 26.09.2005). Die Aufhebungstatbestände aus § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 SGB X kommen nicht in Betracht, insbesondere hat der Kläger seine Absicht, die Arbeit als Kampagnekraft aufzunehmen, rechtzeitig vorher mitgeteilt.

Der Aufhebungstatbestand aus § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X lag erst ab dem 27.10.2005 vor, denn erst aufgrund des Anhörungsschreibens vom 24.10.2005 (das unter Zugrundelegung von § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X als am 27.10.2005 zugegangen gilt) kannte der Kläger die zutreffende Rechtsauffassung der Beklagten.

Eine vorherige positive Kenntnis des Klägers vom Wegfalle der Übbg-Voraussetzungen ist nicht nachweisbar, zumal die Beklagte auf eine Bitte des Klägers um entsprechende Auskunft nicht reagiert hat. Grob fahrlässige Unkenntnis scheitert daran, dass sich aus dem Gesetzestext, der dem Bewilligungsbescheid beigefügt war, nicht eindeutig ergibt, ob der Übbg-Anspruch in Fällen wie dem vorliegenden entfällt oder nicht. Die Bedeutung, die der Kläger der Vorschrift beigemessen hat (Hilfe zur Unternehmensgründung und nicht Entgeltersatzleistung), erscheint angesichts des Wortlauts der Vorschrift jedenfalls für juristische Laien plausibel. Dass § 57 SGB III anders zu verstehen ist, erschließt sich erst nach juristischen Überlegungen, die dem Kläger nicht zuzumuten waren.

Auch § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X führt zu keinem anderen Ergebnis, denn das bei der Firma Afabrik K AG erzielte Einkommen hat nicht schon von Anfang an zum Wegfall der Voraussetzungen für das Übbg geführt. Aus § 57 SGB III selbst ergibt sich nicht, was bei hinzutretendem Einkommen aus anderen Quellen als der geförderten Tätigkeit geschehen soll. § 57 Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB III a.F. verweisen auf die §§ 140 und 142 bis 143 a SGB III und sparen somit die Vorschrift zur Anrechnung von Nebeneinkommen beim Alg (§ 141 SGB III) aus dem Anwendungsbereich von § 57 SGB III gerade aus. Der Tatbestand des Ruhens wegen Arbeitsentgelt (§ 143 SGB III) ist zwar anwendbar, betrifft jedoch nicht die vorliegende Fallkonstellation, sondern regelt den Fall, in dem das Ende des Beschäftigungsverhältnisses und das Ende des Arbeitsverhältnisses auseinander fallen (Keller, in: PK-SGB III, 2. Aufl., 2004, § 143, Rn 7). Arbeitsentgelt, das nicht aufgrund eines vor Eintritt der Arbeitslosigkeit bestehenden Arbeitsverhältnisses erzielt wird, kann zugleich das Entfallen der Arbeitlosigkeit bedeuten oder aber nach § 141 SGB III angerechnet werden, führt aber nicht zur Rechtsfolge aus § 143 SGB III.

Die Aufhebungsfrist aus § 48 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist gewahrt; Ermessen war nach § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB X nicht auszuüben.

Der Erstattungsanspruch ergibt sich aus § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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