Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 137/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO 54/06
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 2837,21 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basis- zinssatz seit dem 27.12.2005 zu zahlen. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte. Der Streitwert wird auf 2837,21 EUR festgesetzt. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Sozialhilfekosten, die der Kläger in der Zeit vom 03.01.2001 bis 31.08.2001 für einen Hilfeempfänger (HE) in Höhe von 2837,21 EUR aufgewendet hat.
Der HE, G, geboren 00.00.1960, war in der Vergangenheit wiederholt ohne festen Wohnsitz; sein derzeitiger Aufenthalt ist unbekannt. Vom 25.10.1999 bis 03.01.2000 hielt er sich im Zuständigkeitsbereich des Beklagten auf. Er war in dieser Zeit beim Amt U in der Gemeinde N als Durchreisender registriert und erhielt von dort Sozialhilfe in Form von Tagessätzen, auch Krankenhilfe. In N wohnt die Schwester des HE, X1 und ihr Mann, seinerzeit auch deren Tochter X2 (X2). Von Januar bis August 2000 hielten sich X2 und ihr Onkel – der HE – in B/T1 ohne festen Wohnsitz auf. Anschließend wohnte X2 wieder bis Anfang Dezember 2000 bei ihren Eltern in N. Der HE hielt sich dort bei seiner Schwester vom 01.10. bis 22.12.2000 auf. Einen Wohnsitz meldete er beim dortigen Einwohnermeldeamt nicht an. Er wurde in dieser Zeit von der ebenfalls im Zuständigkeitsbereich des Beklagten liegenden Stadt I als Durchreisender geführt und erhielt von dort Sozialhilfe in Form von Tagessätzen. Anfang Dezember 2000 begab sich die inzwischen schwangere X2 nach T2, um sich – nach eigenen Angaben – dort eine Wohnung zu suchen, weil sie ihren Lebensmittelpunkt dorthin verlegen wollte.
Der HE zog am 23.12.2000 nach B, wo er sich – unterbrochen durch einen Aufenthalt in M am 29. und 30.12.2000 – bis 31.08.2001 aufhielt. In B war der HE zunächst ohne feste Wohnung; er hielt sich im "D Q", Treffpunkt und Übernachtungsstelle für Wohnungslose, auf. Am 03.01.2001 beantragte er beim Kläger Sozialhilfe.
Am 04.01.2001 kehrte X2 aus T2 – nach eigenen Angaben wegen Heimweh und Änderung ihrer Absicht, dort zu leben – nach Deutschland zurück, nunmehr nach B, da sie wusste, dass ihr Freund (und Onkel) – der HE – sich dort aufhielt. Am 04.01.2001 beantragte auch X2 beim Kläger Sozialhilfe.
Ab 01.02.2001 lebten der HE und X2 in einer gemeinsamen Wohnung in B, Estraße 0. Am 05.06.2001 gebar X2 eine Tochter. Der Vater des Kindes ist offiziell unbekannt, möglicherweise aber der HE. Der Kläger gewährte dem HE ab 03.01.2001, der X2 ab 04.01.2001 und ihrer Tochter ab 05.06.2001 bis zum 31.08.2001 Sozialhilfe. Ab September 2001 hielten sich der HE und X2 wieder im Zuständigkeitsbereich des Beklagten auf. (Jedenfalls) X2 war bis 01.08.2004 mit Hauptwohnsitz in der Stadt I gemeldet und erhielt von dort Sozialhilfe. Im Hinblick darauf, dass X2 nach ihrem Fortzug aus N und vor ihrem Zuzug nach B ca. 5 Wochen in T2 gelebt hatte, sah der Kläger von der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruch nach § 107 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in Bezug auf die Sozialhilfeaufwendungen für X2 für die Zeit vom 04.01. bis 31.08.2001 gegenüber dem Beklagten ab; er erstattete diesem aber dessen Sozialhilfeaufwendungen für X2 für die Zeit vom 01.09.2001 bis 31.08.2003 in Höhe von mehr als 7.000,00 EUR.
Mit Schreiben vom 08.01.2001 meldete der Kläger einen Anspruch auf Erstattung der für den HE vom 03.01. bis 31.08.2001 erbrachten Sozialhilfekosten nach § 107 BSHG an; durch weiteres Schreiben vom 24.09.2001 bezifferte er diese Kosten mit 5549,10 DM (= 2837,21 EUR).
Mit Schreiben vom 12.07.2002 lehnte der Beklagte eine Kostenerstattung ab mit der Begründung, der HE habe seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt vor der Begründung eines solchen in B nicht im Zuständigkeitsbereich des Beklagten gehabt, sondern in M.
Am 27.12.2005 hat der Kläger Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass es sich bei dem zweitägigen Aufenthalt des HE in M am 29. und 30.12.2000 nicht um einen gewöhnlichen Aufenthalt gehandelt habe; vor dem Zuzug nach B habe der HE seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Gesetzes in der Zeit vom 01.10. bis 22.12.2000 in N gehabt; dass er dort nicht polizeilich gemeldet gewesen sei und Sozialhilfe in Form von Tagessätzen erhalten habe, stehe einem gewöhnlichen Aufenthalt nicht entgegen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
den Beklagten zu verurteilen, ihm 2837,21 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, der HE habe sich vor dem Zuzug nach B nicht mit gewöhnlichem Aufenthalt, sondern ohne festen Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich des Beklagten – N bzw. I – aufgehalten; er habe sich nicht beim Einwohnermeldeamt angemeldet. Der Beklagte meint, für den Kostenerstattungsanspruch nach § 107 BSHG fehle es sowohl am Merkmal des gewöhnlichen Aufenthalts im Bereich des Beklagten als auch am Merkmal des Verziehens.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung der Kammer ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der fallbezogenen Verwaltungsakten der Beteiligten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten hierzu übereinstimmend ihr Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Klage ist zulässig.
Es handelt sich um eine Leistungsklage auf Kostenerstattung zwischen zwei Sozialleistungsträgern im Gleichordnungsverhältnis; in diesem Verhältnis werden die Beziehungen der Beteiligten nicht durch Verwaltungsakt geregelt (vgl. § 54 Abs.5 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Klage ist auch begründet.
Der Kostenerstattungsanspruch des Klägers ergibt sich aus der bis 31.12.2004 geltenden Vorschrift des § 107 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG). Diese ist zwar durch Artikel 68 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022) mit Wirkung ab 01.01.2005 ersatzlos gestrichen worden; sie findet im vorliegenden Fall jedoch noch Anwendung, da bereits im Jahre 2001 die streitbefangenen Kosten aufgewendet und der Erstattungsanspruch angemeldet worden sind.
Gemäß § 107 Abs. 1 BSHG ist, wenn eine Person vom Ort ihres bisherigen Aufenthaltes verzieht, der Träger der Sozialhilfe des bisherigen Aufenthaltsortes verpflichtet, dem nunmehr zuständigen örtlichen Träger der Sozialhilfe die dort erforderliche werdende Hilfe außerhalb von Einrichtungen zu erstatten, wenn die Person innerhalb eines Monats nach dem Aufenthaltswechsel der Hilfe bedarf. Die Verpflichtung entfällt, wenn für einen zusammenhängenden Zeitraum von 2 Monaten keine Hilfe zu gewähren war. Sie endet spätestens nach Ablauf von 2 Jahren seit dem Aufenthaltswechsel (Abs. 2). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall in Bezug auf die erforderliche Hilfe erfüllt, die der Kläger dem HE in der Zeit vom 03.01. bis 31.08.2001 gewährt hat.
Der HE hatte bis 22.12.2000 seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Maßgeblich dafür ist, ob der Betreffende sich an dem fraglichen Ort oder in dem Gebiet bis auf Weiteres im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat. Abgesehen von einem zeitlich unbedeutendem oder von vornherein nur kurz befristeten Verweilen, wie es für einen Besuch oder die Durchreise typisch ist, setzt die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts keine bestimmte Aufenthaltsdauer voraus. Als Umstände, die die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes erkennen lassen, sind sowohl subjektive als auch objektive Elemente heranzuziehen (BSG, Urteil vom 25.06.1987 – 11a REg 1/87 = BSGE 62, 67 = SozR 7833 § 1 Nr. 1; VG Düsseldorf, Urteil vom 22.09.2004 – 13 K 9204/02; OVG NRW, Urteil vom 07.11.2003 – 12 A 3187/01 = FEVS 55, 495; vgl. auch Irmen in: Hambüchen, Kindergeld/Erziehungsgeld/Elternzeit, Stand: Mai 2006, § 1 BErzGG Rn. 31 bis 35 m.w.N). Diese Voraussetzungen sind beim Aufenthalt des HE in der Gemeinde N (Zuständigkeitsbereich des Beklagten) in der Zeit vom 01.10. bis 22.12.2000 erfüllt. Der Umstand, dass der Kläger beim dortigen Einwohnermeldeamt keinen Wohnsitz angemeldet hat, vom Sozialamt als Durchreisender geführt worden ist und Sozialhilfe in Form von Tagessätzen erhalten hat, steht der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht entgegen. Denn der Kläger hielt sich in N in der Wohnung seiner Schwester und deren Ehemann auf. Dorthin war bereits im September 2000 deren Tochter X2 zurückgekehrt. Der HE und X2 hatten bei ihrem davorliegenden Aufenthalt in B/T offenbar ein über die verwandtschaftlichen Beziehungen hinaus gehendes engeres Verhältnis zueinander aufgebaut. Als X2 zu ihren Eltern zurückkehrte und anschließend auch der HE nach N kam, war beider Aufenthalt dort zukunftsoffen. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass sie damals beabsichtigten, nach kurzer Zeit wieder wegzuziehen. Der Aufenthalt des HE bei seiner Schwester vom 01.10. bis 22.12.2000 umfasste dann auch 12 Wochen. Dies war nicht mehr ein nur kurz befristetes Verweilen, wie es für einen Besuch oder die Durchreise typisch ist. Ein dauerhafter oder längerer Aufenthalt ist zur Begründung eines "gewöhnlichen Aufenthalts" nicht erforderlich. Auch die Absicht, den gewählten Ort wieder zu verlassen, wenn bestimmte Voraussetzungen oder Ereignisse eintreten, schließt die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht aus (VG Aachen, Urteil vom 10.02.2006 – 6 K 2280/02 m.w.N.).
Im Anschluss an seinen Aufenthalt in N ist der HE am 23.12.2000 nach B verzogen und hat dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Diese ergibt sich unzweifelhaft aus den Gesamtumständen, insbesondere aus der zeitlichen Dauer seines Aufenthalts im Bereich des Klägers. Zunächst noch ohne festen Wohnsitz in B hatte der HE ab 01.02.2001 eine festgemietete Wohnung. Sein Aufenthalt in B – gemeinsam mit seiner Freundin (und Nichte) X2 – dauerte bis 31.08.2001. X2 war in dieser Zeit schwanger und gebar im Juni 2001 ihr Kind.
Entgegen der Auffassung des Beklagten hat der Kläger bei seinem Aufenthalt in M am 29. und 30.12.2000 keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Der Mtrip dauerte nur 2 Tage, und es liegen keinerlei Erkenntnisse vor, die die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger sich länger in M aufhalten und dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründen wollte. Dies zeigt auch der Vergleich zu dem – hier nicht entscheidungserheblichen – Aufenthalt von X2 in T2 von Anfang Dezember 2000 bis zum 04.01.2001. X2 hatte bei ihrem Fortzug von ihren Eltern ursprünglich vorgehabt, ihren Lebensmittelpunkt nach T2 zu verlegen und dort eine Wohnung zu suchen. Diese Absicht hat sie dann aber später in T2 geändert und ist nach 5 Wochen nach Deutschland zurückgekehrt. Dieser fünfwöchige Aufenthalt ist nach den subjektiven und objektiven Umständen vom Kläger zutreffend als gewöhnlicher Aufenthalt qualifiziert worden mit der Folge, dass am 04.01.2001 ein Verziehen im Sinne von § 107 BSHG von T2 nach B erfolgt ist und sich hieraus kein Kostenerstattungsanspruch des Klägers gegenüber dem Beklagten für die erbrachten Sozialhilfeaufwendungen ergeben hat. Die bei X2 vorliegenden Umstände ihres fünfwöchigen Aufenthalts in T2 sind aber auf den zweitägigen Aufenthalt des HE in M nicht übertragbar. Anspruchbegründend ist daher das Verziehen des HE am 23.12.2000 vom bisherigen Aufenthaltsort im Zuständigkeitsbereich des Beklagten (N) in den Zuständigkeitsbereich des Klägers (B). Der HE hat auch innerhalb der Frist von einem Monat nach dem Aufenthaltswechsel, nämlich am 03.01.2001 Hilfe benötigt. Die Höhe des dem Grunde nach gegebenen Kostenerstattungsanspruchs ist nicht streitig. Der Beklagte hat die gegen Forderungshöhe keine Einwände erhoben; Bedenken gegen die Höhe ergeben sich auch nicht aus den vorgelegten Verwaltungsvorgängen. Die Erstattungsforderung des Klägers ist mithin nach Grund und Höhe berechtigt.
Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit findet seine Grundlage in entsprechender Anwendung von §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Seine früher vertretene andere Auffassung zum Anspruch auf Prozesszinsen hat das Bundessozialgericht im Urteil vom 28.09.2005 (B 0 KA 00/00 R) jedenfalls für eine von § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG erfasste Streitigkeit – wie der vorliegenden – aufgegeben. Dem schließt sich die Kammer an.
Die Kostenentscheidung beruhrt auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Kammer hat die grundsätzlich nicht gegebene Berufung (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG) zugelassen, weil sie der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 145 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Zwar ist die maßgebliche Kostenerstattungsvorschrift des § 107 BSHG seit dem 01.01.2005 ersatzlos gestrichen; die Auslegung des Begriffs des "gewöhnlichen Aufenthalts" ist jedoch auf eine Vielzahl anderer Fälle übertragbar.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Sozialhilfekosten, die der Kläger in der Zeit vom 03.01.2001 bis 31.08.2001 für einen Hilfeempfänger (HE) in Höhe von 2837,21 EUR aufgewendet hat.
Der HE, G, geboren 00.00.1960, war in der Vergangenheit wiederholt ohne festen Wohnsitz; sein derzeitiger Aufenthalt ist unbekannt. Vom 25.10.1999 bis 03.01.2000 hielt er sich im Zuständigkeitsbereich des Beklagten auf. Er war in dieser Zeit beim Amt U in der Gemeinde N als Durchreisender registriert und erhielt von dort Sozialhilfe in Form von Tagessätzen, auch Krankenhilfe. In N wohnt die Schwester des HE, X1 und ihr Mann, seinerzeit auch deren Tochter X2 (X2). Von Januar bis August 2000 hielten sich X2 und ihr Onkel – der HE – in B/T1 ohne festen Wohnsitz auf. Anschließend wohnte X2 wieder bis Anfang Dezember 2000 bei ihren Eltern in N. Der HE hielt sich dort bei seiner Schwester vom 01.10. bis 22.12.2000 auf. Einen Wohnsitz meldete er beim dortigen Einwohnermeldeamt nicht an. Er wurde in dieser Zeit von der ebenfalls im Zuständigkeitsbereich des Beklagten liegenden Stadt I als Durchreisender geführt und erhielt von dort Sozialhilfe in Form von Tagessätzen. Anfang Dezember 2000 begab sich die inzwischen schwangere X2 nach T2, um sich – nach eigenen Angaben – dort eine Wohnung zu suchen, weil sie ihren Lebensmittelpunkt dorthin verlegen wollte.
Der HE zog am 23.12.2000 nach B, wo er sich – unterbrochen durch einen Aufenthalt in M am 29. und 30.12.2000 – bis 31.08.2001 aufhielt. In B war der HE zunächst ohne feste Wohnung; er hielt sich im "D Q", Treffpunkt und Übernachtungsstelle für Wohnungslose, auf. Am 03.01.2001 beantragte er beim Kläger Sozialhilfe.
Am 04.01.2001 kehrte X2 aus T2 – nach eigenen Angaben wegen Heimweh und Änderung ihrer Absicht, dort zu leben – nach Deutschland zurück, nunmehr nach B, da sie wusste, dass ihr Freund (und Onkel) – der HE – sich dort aufhielt. Am 04.01.2001 beantragte auch X2 beim Kläger Sozialhilfe.
Ab 01.02.2001 lebten der HE und X2 in einer gemeinsamen Wohnung in B, Estraße 0. Am 05.06.2001 gebar X2 eine Tochter. Der Vater des Kindes ist offiziell unbekannt, möglicherweise aber der HE. Der Kläger gewährte dem HE ab 03.01.2001, der X2 ab 04.01.2001 und ihrer Tochter ab 05.06.2001 bis zum 31.08.2001 Sozialhilfe. Ab September 2001 hielten sich der HE und X2 wieder im Zuständigkeitsbereich des Beklagten auf. (Jedenfalls) X2 war bis 01.08.2004 mit Hauptwohnsitz in der Stadt I gemeldet und erhielt von dort Sozialhilfe. Im Hinblick darauf, dass X2 nach ihrem Fortzug aus N und vor ihrem Zuzug nach B ca. 5 Wochen in T2 gelebt hatte, sah der Kläger von der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruch nach § 107 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in Bezug auf die Sozialhilfeaufwendungen für X2 für die Zeit vom 04.01. bis 31.08.2001 gegenüber dem Beklagten ab; er erstattete diesem aber dessen Sozialhilfeaufwendungen für X2 für die Zeit vom 01.09.2001 bis 31.08.2003 in Höhe von mehr als 7.000,00 EUR.
Mit Schreiben vom 08.01.2001 meldete der Kläger einen Anspruch auf Erstattung der für den HE vom 03.01. bis 31.08.2001 erbrachten Sozialhilfekosten nach § 107 BSHG an; durch weiteres Schreiben vom 24.09.2001 bezifferte er diese Kosten mit 5549,10 DM (= 2837,21 EUR).
Mit Schreiben vom 12.07.2002 lehnte der Beklagte eine Kostenerstattung ab mit der Begründung, der HE habe seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt vor der Begründung eines solchen in B nicht im Zuständigkeitsbereich des Beklagten gehabt, sondern in M.
Am 27.12.2005 hat der Kläger Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass es sich bei dem zweitägigen Aufenthalt des HE in M am 29. und 30.12.2000 nicht um einen gewöhnlichen Aufenthalt gehandelt habe; vor dem Zuzug nach B habe der HE seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Gesetzes in der Zeit vom 01.10. bis 22.12.2000 in N gehabt; dass er dort nicht polizeilich gemeldet gewesen sei und Sozialhilfe in Form von Tagessätzen erhalten habe, stehe einem gewöhnlichen Aufenthalt nicht entgegen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
den Beklagten zu verurteilen, ihm 2837,21 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, der HE habe sich vor dem Zuzug nach B nicht mit gewöhnlichem Aufenthalt, sondern ohne festen Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich des Beklagten – N bzw. I – aufgehalten; er habe sich nicht beim Einwohnermeldeamt angemeldet. Der Beklagte meint, für den Kostenerstattungsanspruch nach § 107 BSHG fehle es sowohl am Merkmal des gewöhnlichen Aufenthalts im Bereich des Beklagten als auch am Merkmal des Verziehens.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung der Kammer ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der fallbezogenen Verwaltungsakten der Beteiligten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten hierzu übereinstimmend ihr Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Klage ist zulässig.
Es handelt sich um eine Leistungsklage auf Kostenerstattung zwischen zwei Sozialleistungsträgern im Gleichordnungsverhältnis; in diesem Verhältnis werden die Beziehungen der Beteiligten nicht durch Verwaltungsakt geregelt (vgl. § 54 Abs.5 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Klage ist auch begründet.
Der Kostenerstattungsanspruch des Klägers ergibt sich aus der bis 31.12.2004 geltenden Vorschrift des § 107 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG). Diese ist zwar durch Artikel 68 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022) mit Wirkung ab 01.01.2005 ersatzlos gestrichen worden; sie findet im vorliegenden Fall jedoch noch Anwendung, da bereits im Jahre 2001 die streitbefangenen Kosten aufgewendet und der Erstattungsanspruch angemeldet worden sind.
Gemäß § 107 Abs. 1 BSHG ist, wenn eine Person vom Ort ihres bisherigen Aufenthaltes verzieht, der Träger der Sozialhilfe des bisherigen Aufenthaltsortes verpflichtet, dem nunmehr zuständigen örtlichen Träger der Sozialhilfe die dort erforderliche werdende Hilfe außerhalb von Einrichtungen zu erstatten, wenn die Person innerhalb eines Monats nach dem Aufenthaltswechsel der Hilfe bedarf. Die Verpflichtung entfällt, wenn für einen zusammenhängenden Zeitraum von 2 Monaten keine Hilfe zu gewähren war. Sie endet spätestens nach Ablauf von 2 Jahren seit dem Aufenthaltswechsel (Abs. 2). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall in Bezug auf die erforderliche Hilfe erfüllt, die der Kläger dem HE in der Zeit vom 03.01. bis 31.08.2001 gewährt hat.
Der HE hatte bis 22.12.2000 seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Maßgeblich dafür ist, ob der Betreffende sich an dem fraglichen Ort oder in dem Gebiet bis auf Weiteres im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat. Abgesehen von einem zeitlich unbedeutendem oder von vornherein nur kurz befristeten Verweilen, wie es für einen Besuch oder die Durchreise typisch ist, setzt die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts keine bestimmte Aufenthaltsdauer voraus. Als Umstände, die die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes erkennen lassen, sind sowohl subjektive als auch objektive Elemente heranzuziehen (BSG, Urteil vom 25.06.1987 – 11a REg 1/87 = BSGE 62, 67 = SozR 7833 § 1 Nr. 1; VG Düsseldorf, Urteil vom 22.09.2004 – 13 K 9204/02; OVG NRW, Urteil vom 07.11.2003 – 12 A 3187/01 = FEVS 55, 495; vgl. auch Irmen in: Hambüchen, Kindergeld/Erziehungsgeld/Elternzeit, Stand: Mai 2006, § 1 BErzGG Rn. 31 bis 35 m.w.N). Diese Voraussetzungen sind beim Aufenthalt des HE in der Gemeinde N (Zuständigkeitsbereich des Beklagten) in der Zeit vom 01.10. bis 22.12.2000 erfüllt. Der Umstand, dass der Kläger beim dortigen Einwohnermeldeamt keinen Wohnsitz angemeldet hat, vom Sozialamt als Durchreisender geführt worden ist und Sozialhilfe in Form von Tagessätzen erhalten hat, steht der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht entgegen. Denn der Kläger hielt sich in N in der Wohnung seiner Schwester und deren Ehemann auf. Dorthin war bereits im September 2000 deren Tochter X2 zurückgekehrt. Der HE und X2 hatten bei ihrem davorliegenden Aufenthalt in B/T offenbar ein über die verwandtschaftlichen Beziehungen hinaus gehendes engeres Verhältnis zueinander aufgebaut. Als X2 zu ihren Eltern zurückkehrte und anschließend auch der HE nach N kam, war beider Aufenthalt dort zukunftsoffen. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass sie damals beabsichtigten, nach kurzer Zeit wieder wegzuziehen. Der Aufenthalt des HE bei seiner Schwester vom 01.10. bis 22.12.2000 umfasste dann auch 12 Wochen. Dies war nicht mehr ein nur kurz befristetes Verweilen, wie es für einen Besuch oder die Durchreise typisch ist. Ein dauerhafter oder längerer Aufenthalt ist zur Begründung eines "gewöhnlichen Aufenthalts" nicht erforderlich. Auch die Absicht, den gewählten Ort wieder zu verlassen, wenn bestimmte Voraussetzungen oder Ereignisse eintreten, schließt die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht aus (VG Aachen, Urteil vom 10.02.2006 – 6 K 2280/02 m.w.N.).
Im Anschluss an seinen Aufenthalt in N ist der HE am 23.12.2000 nach B verzogen und hat dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Diese ergibt sich unzweifelhaft aus den Gesamtumständen, insbesondere aus der zeitlichen Dauer seines Aufenthalts im Bereich des Klägers. Zunächst noch ohne festen Wohnsitz in B hatte der HE ab 01.02.2001 eine festgemietete Wohnung. Sein Aufenthalt in B – gemeinsam mit seiner Freundin (und Nichte) X2 – dauerte bis 31.08.2001. X2 war in dieser Zeit schwanger und gebar im Juni 2001 ihr Kind.
Entgegen der Auffassung des Beklagten hat der Kläger bei seinem Aufenthalt in M am 29. und 30.12.2000 keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Der Mtrip dauerte nur 2 Tage, und es liegen keinerlei Erkenntnisse vor, die die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger sich länger in M aufhalten und dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründen wollte. Dies zeigt auch der Vergleich zu dem – hier nicht entscheidungserheblichen – Aufenthalt von X2 in T2 von Anfang Dezember 2000 bis zum 04.01.2001. X2 hatte bei ihrem Fortzug von ihren Eltern ursprünglich vorgehabt, ihren Lebensmittelpunkt nach T2 zu verlegen und dort eine Wohnung zu suchen. Diese Absicht hat sie dann aber später in T2 geändert und ist nach 5 Wochen nach Deutschland zurückgekehrt. Dieser fünfwöchige Aufenthalt ist nach den subjektiven und objektiven Umständen vom Kläger zutreffend als gewöhnlicher Aufenthalt qualifiziert worden mit der Folge, dass am 04.01.2001 ein Verziehen im Sinne von § 107 BSHG von T2 nach B erfolgt ist und sich hieraus kein Kostenerstattungsanspruch des Klägers gegenüber dem Beklagten für die erbrachten Sozialhilfeaufwendungen ergeben hat. Die bei X2 vorliegenden Umstände ihres fünfwöchigen Aufenthalts in T2 sind aber auf den zweitägigen Aufenthalt des HE in M nicht übertragbar. Anspruchbegründend ist daher das Verziehen des HE am 23.12.2000 vom bisherigen Aufenthaltsort im Zuständigkeitsbereich des Beklagten (N) in den Zuständigkeitsbereich des Klägers (B). Der HE hat auch innerhalb der Frist von einem Monat nach dem Aufenthaltswechsel, nämlich am 03.01.2001 Hilfe benötigt. Die Höhe des dem Grunde nach gegebenen Kostenerstattungsanspruchs ist nicht streitig. Der Beklagte hat die gegen Forderungshöhe keine Einwände erhoben; Bedenken gegen die Höhe ergeben sich auch nicht aus den vorgelegten Verwaltungsvorgängen. Die Erstattungsforderung des Klägers ist mithin nach Grund und Höhe berechtigt.
Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit findet seine Grundlage in entsprechender Anwendung von §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Seine früher vertretene andere Auffassung zum Anspruch auf Prozesszinsen hat das Bundessozialgericht im Urteil vom 28.09.2005 (B 0 KA 00/00 R) jedenfalls für eine von § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG erfasste Streitigkeit – wie der vorliegenden – aufgegeben. Dem schließt sich die Kammer an.
Die Kostenentscheidung beruhrt auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Kammer hat die grundsätzlich nicht gegebene Berufung (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG) zugelassen, weil sie der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 145 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Zwar ist die maßgebliche Kostenerstattungsvorschrift des § 107 BSHG seit dem 01.01.2005 ersatzlos gestrichen; die Auslegung des Begriffs des "gewöhnlichen Aufenthalts" ist jedoch auf eine Vielzahl anderer Fälle übertragbar.
Rechtskraft
Aus
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