S 20 AY 10/06 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 AY 10/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller (Ast.) wendet sich gegen die Kürzung seiner Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) gemäß § 1a Nr. 2 AsylbLG; er begehrt darüber hinaus Leistungen nach § 2 AsylbLG in entsprechender Anwendung des Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Der am 00.00.1978 geborene Ast. ist israelischer Staatsangehöriger palästinensischer Volkszugehörigkeit. Er reiste am 06.02.2003 in die Bundesrepublik ein. Durch Bescheid vom 31.01.2005 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag des Ast. auf Anerkennung als Asylberechtigter ab; zugleich stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen. Der Bescheid des Bundesamts ist bestandskräftig, nachdem das Verwaltungsgericht B (0 K 000/00) die dagegen erhobene Klage durch Urteil vom 09.06.2005 rechtskräftig abgewiesen hat. Seitdem versucht das Ausländeramt des Kreises I, den Aufenthalt des Ast. in Deutschland zu beenden. Dies scheitert zur Zeit daran, dass der Ast. seine Identitätsnummer (ID-Nr.) nicht mitteilt. Der Ast. besitzt derzeit eine Duldung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes.

Mit Bescheid vom 22.05.2006 kürzte der Antragsgegner (Ag.) die dem Ast. bisher nach § 3 Abs. 2 AsylbLG bezahlten Leistungen mit Wirkung am 01.06.2006 um 25 % von monatlich 184,07 EUR auf 138,05 EUR; die weiteren nach dem AsylbLG gewährten Leistungen blieben ungekürzt. Ein entsprechender Folgebescheid erging für Juli 2006. Dagegen erhob der Ast. am 18.07.2006 Widerspruch, über den noch nicht entschieden ist.

Am 17.07.2006 hat der Ast. um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er ist der Auffassung, ihm stünden Analogleistungen nach § 2 AsylbLG zu, da er bereits seit mehr als 36 Monaten Leistungen nach dem AsylbLG beziehe. Sowohl die Versagung solcher Leistungen als auch die Kürzung der bisherigen Leistung sei rechtswidrig. Es treffe nicht zu, dass er sich weigere, maßgebliche Angaben bezüglich seiner Identität zu machen. Die ID-Nr. könne er nicht angeben, weil er eine solche Nummer nicht besessen haben. Ihm sei bekannt, dass viele Palästinenser in den Autonomiegebieten eine solche Nummer hätten; er zähle jedoch nicht dazu. Der Grund könne darin liegen, dass er seines Wissens in den Autonomiegebieten nicht registriert worden sei. Nach der Kürzung stünden ihm derzeit nur 158,50 EUR an Geldmitteln für den ganzen Monat zur Verfügung; dies reiche nicht zum Lebensunterhalt, weswegen er auch nicht das Widerspruchsverfahren abwarten könne.

Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm bis zur Bescheidung über seinen Widerspruch Leistungen nach § 2 AsylbLG analog SGB XII, hilfsweise ungekürzte Leistungen nach § 3 AsylbLG zu bewilligen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzu- lehnen.

Er trägt vor, der Ast. habe keinen Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG in entsprechender Anwendung des SGB XII, da sein Asylverfahren rechts-/bestandskräftig beendet worden sei und er die seine Abschiebung entgegenstehenden Hinderungsgründe selbst zu vertreten habe. Sein Verhalten begründe auch die Kürzung der nach § 3 Abs. 2 AsylbLG gewährten Leistungen um 25 % ab 01.06.2006. Der Einwand des Ast., er könne seine ID-Nr. nicht nennen, da er eine solche nicht habe, sei unzutreffend. Nach Auskunft der israelischen Botschaft in Berlin habe jeder israelische Staatsangehörige eine ID-Nr.; dies gelte auch für die palästinensischen Autonomiegebiete.

Das Gericht hat vom Kreis I die den Ast. betreffende Ausländerakte beigezogen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Ast. muss glaubhaft machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO), dass ihm ein Anspruch auf die geltend gemachte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten einer gerichtlichen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren für ihn mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Anordnungsgrund). Einstweilige Anordnungen kommen grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage dringend geboten ist.

Für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung fehlt es sowohl am Anordnungsanspruch als auch am Anordnungsgrund.

Auch wenn der Ast. seit mehr als 36 Monaten Leistungen nach dem AsylbLG erhält, hat er keinen Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG in entsprechender Anwendung des SGB XII, da er ausreisepflichtig ist und die Dauer seines Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst. Denn er teilt der zuständigen Ausländerbehörde des Kreis I nicht seine Identitätsnummer mit. Diese ID-Nr., eine 9-stellige durch örtliche Behörden erteilte Nummer, ist der Schlüssel zur Identifikation einer Person. Alle Einwohner der palästinensischen Autonomiegebiete sind im Besitz einer solchen Nummer, die in arabischer Sprache "Raqam-el-Hawiya" heißt. Ohne Angabe einer vollständigen gültigen Identitätsnummer sowie Vor- und Zuname, Name des Vaters, Geburtsdatum und Geburtsort kann von den israelischen Behörden ein Antrag auf Erteilung einer Einreisegenehmigung nicht bearbeitet werden (vgl. Auskunft der Botschaft des Staates Israel an die Stadt Köln vom 30.01.2006 – Bl. 86 f. der Ausländerakte des Kreis I). Durch diese Auskunft wird die Behauptung des Ast. in der Antragsschrift, er könne eine solche Nummer nicht angeben, weil er eine solche Nummer nicht besessen habe, widerlegt. Die israelische Behörde hat ausdrücklich erklärt, dass die ID-Nr. auch für Palästinenser in den Autonomiegebieten vergeben wird. Wenn der Ast. aber eine solche ID-Nr. zugeteilt bekommen hat, ist sein Verhalten, diese nicht mitzuteilen, rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 2 Abs. 1 AsylbLG; denn er weiß, dass ohne Kenntnis der ID-Nr. seine Abschiebung praktisch unmöglich ist.

Auch die Kürzung der bisher gewährten Leistungen nach dem AsylbLG mit Wirkung am 01.06.2006 ist nicht offensichtlich rechtswidrig. Denn die Voraussetzungen nach § 1a Nr. 2 AsylbLG liegen vor. Der Ast. gehört zum Kreis der Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG, da er eine Duldung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes besitzt. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen können bei ihm aus von ihm zu vertretenen Gründen nicht vollzogen werden, wie im vorstehenden Absatz dargelegt ist. Sein bloßes Bestreiten der Kenntnis einer ID-Nr. mit der Begründung, eine solche nie besessen zu haben, ist im Hinblick auf die zitierten Auskünfte der Botschaft des Staates Israel unsubstanziiert (vgl. hierzu auch: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.08.2005 – L 7 AY 3115/05 ER – B, LSG NRW, Beschluss vom 03.03.2006 – L 20 B 8/05 AY).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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