S 13 R 142/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 R 142/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 R 2/06 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der zusätzlichen Beitragserhebung in der Krankenversicherung (KV) der Rentner und die Höhe des daraus resultierenden Zahlbetrags zweier Renten ab 01.07.2005.

Die am 00.00.1939 geborene Klägerin bezieht von der Beklagten Altersrente in Höhe von (derzeit) 677,03 EUR brutto. Sie ist bei der Beigeladenen krankenversichert. Durch (undatierte) Rentenanpassungsmitteilung wurde mit Wirkung ab 01.07.2005 der allgemeine Beitragssatz zur KV von 13,9% (hälftiger Beitragsanteil der Klägerin: 47,05 EUR) auf 13% (Beitragsanteil der Klägerin: 44,00 EUR) gesenkt und zugleich ein von der Klägerin allein zu tragender zusätzlicher KV-Beitrag von 0,9% (6,09 EUR) erhoben. Dadurch minderte sich der monatliche Rentenzahlbetrag für beide Renten um 3,04 EUR.

Dagegen legte die Klägerin am 18.06.2005 Widerspruch ein. Sie vertrat die Auffassung, durch den zusätzlichen KV-Beitrag von 0,9% solle u.a. die alleinige Finanzierung des Krankengeldes durch die Versicherten erfolgen. Da sie als Rentenbezieherin keine Anwartschaft auf Krankengeld habe, würden ihr Beiträge zugemutet, obwohl sie zu keinem Zeitpunkt Aussicht auf eine entsprechende Leistung habe. Sie halte deshalb die Beitragsforderung für rechtswidrig.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 29.11.2005 zurück. Sie verwies auf die dem zusätzlichen KV-Beitrag zugrundeliegende Vorschrift des § 241a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Sie meinte, dieser zusätzliche, von den Versicherten allein zu tragende Beitrag diene nicht der alleinigen Finanzierung des Krankengeldes; er werde vielmehr – unabhängig von der Finanzierung einzelner Leistungen und unabhängig davon, ob ein Anspruch auf Krankengeld bestehe oder nicht – als Solidarbeitrag aller Mitglieder an den gestiegenen Gesamtkosten der gesetzlichen Krankenkassen erhoben. Zum Ausgleich dieser zusätzlichen Beitragsbelastungen hätten die gesetzlichen Krankenkassen den allgemeinen Beitragssatz um 0,9 Prozentpunkte gesenkt. Da die Rentner den (allgemeinen) Pflichtbeitrag zur Krankenversicherung nur zur Hälfte, den zusätzlichen Beitragssatz jedoch alleine tragen müssten, ergebe sich für sie eine Minderung des Rentenzahlbetrages um 0,45 Prozentpunkte.

Dagegen hat die Klägerin am 15.12.2005 Klage erhoben. Sie wendet sich gegen die Höhe des zusätzlichen Beitragssatzes, soweit dieser mehr als 0,4% beträgt. Sie meint, von dem zusätzlichen KV-Beitragssatz von 0,9% seien 0,4 Prozentpunkte für die Aufwendungen der Krankenkassen für den Zahnersatz und 0,5 Prozentpunkte zur Finanzierung des Krankengeldes bestimmt. Soweit der zusätzliche Beitragssatz im Umfang von 0,5 Prozentpunkten zur Finanzierung des Krankengeldes auch von den Rentnern erhoben werde, verletze dies den Gleichheitsgrundsatz; Rentner in der gesetzlichen Krankenversicherung würden gegenüber den in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Arbeitnehmern ohne sachlichen Grund benachteiligt. Denn einem dort versicherten Rentner könne eine entsprechende Gegenleistung in Form eines Krankengeldes im Gegensatz zum erwerbstätigen Versicherten nicht erbracht werden. Die Rentner seien durch die in der Vergangenheit erfolgte Beitragsleistung ihrer Solidaritätsverpflichtung nachgekommen.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

die Beklagte unter Abänderung der Rentenanpassungsmitteilung zum 01.07.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2005 zu verurteilen, die Minderung des Rentenzahlbetrages ab 01.07.2005 insoweit zurückzunehmen, als hierbei eine Kürzung um mehr als 0,4 Prozentpunkte erfolgt ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene stellt keinen eigenen Antrag.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit übereinstimmend einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig. Die Rentenanpassungsmitteilung ist ein Verwaltungsakt, da sie u.a. den ab 01.07.2005 zusätzlichen, vom Versicherten allein zu zahlenden KV-Beitrag und die daraus resultierenden Rentenhöhe regelt (vgl. BSG, Urteil vom 23.03.1999 – B 4 RA 41/98 R = SozR 3-1300 § 31 Nr. 13).

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der – allein streitbefangenen – Erhebung eines zusätzlichen KV-Beitrags von mehr als 0,4 Prozentpunkten und der dadurch bedingten Minderung des Rentenzahlbetrages.

Nach § 247 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der Fassung des Art. 1 Nr. 147 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) vom 14.11.2003 (BGBl. I S. 2190) gilt für die Bemessung der KV-Beiträge aus Renten der gesetzlichen Rentenversicherung der allgemeine Beitragssatz der Krankenkasse der Versicherten – hier: der Beigeladenen – sowie der zusätzliche Beitragssatz. Der zusätzliche Beitragssatz gilt mit Wirkung ab 01.07.2005 und beträgt 0,9% (§ 241a Abs. 1 Satz 1, erster Halbsatz SGB V, eingefügt durch Art. 1 Nr. 1.c) i.V.m. Nr. 3.b) des Gesetzes zur Anpassung der Finanzierung von Zahnersatz – im Folgenden: ZFAG – vom 15.12.2004 BGBl. I S. 3445). Den allgemeinen Beitragssatz tragen der versicherungspflichtige Rentenbezieher und der Rentenversicherungsträger je zur Hälfte; den zusätzlichen Beitragssatz trägt der Rentner allein (§ 249a SGB V in der Fassung des Art. 1 Nr. 149 GMG).

Nach seiner ursprünglichen Fassung durch Art. 1 Nr. 145 GMG, die erst zum 01.01.2006 in Kraft treten sollte (vgl. Art. 37 Abs. 9 GMG), sah § 241a SGB V einen zusätzlichen Beitragssatz von nur 0,5% vor. Dieser zusätzliche Beitrag stand in Zusammenhang mit der Neuordnung der Finanzierung des Gesundheitswesens (vgl. BT-Drucksache 15/1525, S. 76/77 zu Abschnitt 8.). Er diente ebenso wenig nur der Finanzierung des Krankengeldes wie die spätere Erhöhung um 0,4 Prozentpunkte auf 0,9% der Finanzierung der Aufwendungen für Zahnersatz diente. In der Gesetzesbegründung zu den Neuregelungen in den §§ 241a, 247 und 249a SGB V durch das GMG heißt es (BT-Drucksache 15/1525, S. 140):

Zu Nummer 145 (§ 241a)

"Nach Absatz 1 wird für alle Mitglieder ein zusätzlicher Beitragssatz in Höhe von 0,5% eingeführt. Wegen der Vorschriften zur Beitragskalkulation (§ 220 SGB V) wird dieser zusätzliche Beitragssatz den allgemeinen Beitragssatz (§ 241) senken. Er fließt den Einnahmen der Krankenkassen unabhängig von der Finanzierung einzelner Leistungen zu. Dadurch beteiligen sich die Mitglieder stärker als die Arbeitgeber an den gestiegenen Kosten für die gesetzliche Krankenversicherung."

Zu Nummer 147 (§ 247)

"Es handelt sich um eine Folgeregelung aus der Einführung des neuen zusätzlichen Beitragssatzes (§ 241a). Durch die bisherige Anwendung des allgemeinen Beitragssatzes haben sich auch die Rentner und die Rentenversicherung an den Aufwendungen für Krankengeld beteiligt. Diese Beteiligung der Rentner muss aufrecht-erhalten werden, weil die durch ihre eigenen Beiträge nicht gedeckten Leistungsaufwendungen für Rentner von den übrigen Mitgliedern mitfinanziert werden müssen. Die Regelung verhindert, dass die Belastungen, die für die übrigen Versicherten durch die Aufwendungen für Rentner entstehen, noch größer werden."

Zu Nummer 150 (249a)

"Die Änderung stellt sicher, dass sich die Rentenversicherung ebenso wenig an der Tragung des zusätzlichen Beitrags der Rentner zu beteiligen hat, wie die Arbeitgeber an dem zusätzlichen Beitrag für Arbeitnehmer."

Als sich bei den Vorbereitungen zur Umsetzung einer eigenen Zahnersatzversicherung, die ab 01.01.2006 eingeführt werden sollte (vgl. §§ 58, 59 SGB V in der Fassung des Art. 1 Nr. 36 GMG), Schwierigkeiten zeigten, wurden die betreffenden Vorschriften durch Art. 1 Nr. 1.b) des ZFAG wieder aufgehoben. In der Begründung dieses Gesetzes, durch das – wie oben dargelegt – auch der zusätzliche Beitrag auf 0,9% erhöht wurde, heißt es in diesem Zusammenhang (BT-Drucksache 15/3681, S. 4):

Zu Buchstabe c (§ 241a)

"Der mit dem GMG eingeführte zusätzliche Beitragssatz wird von 0,5 auf 0,9 vom Hundert angehoben. Er fließt den Einnahmen der Krankenkassen auch in dieser Höhe unabhängig von der Finanzierung einzelner Leistungen zu. Dadurch beteiligen sich die Mitglieder in höherem Umfang an den gestiegenen Kosten für die gesetzliche Krankenversicherung. Die Arbeitgeber werden entlastet, da aufgrund des höheren zusätzlichen Beitragssatzes der allgemeine Beitragssatz sinken wird."

Allein der Umstand, dass in der GMG-Begründung (BT-Drucksache 15/1525, S. 76 unten) geschrieben steht:

"- Ab dem Jahr 2006 wird das Krankengeld umfinanziert. Zur Beteiligung der Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung an den gestiegenen Kosten im Gesundheitswesen wird ein zusätzlicher Beitragssatz in Höhe von 0,5% eingeführt, der nur von den Mitgliedern getragen wird. Der allgemeine Beitragssatz sinkt entsprechend und wird insoweit auch die Belastungen der Beitragszahler durch den zusätzlichen Beitragssatz im Ergebnis abmildern.",

lässt nicht den Schluss zu, 0,5 Prozentpunkte des zusätzlichen seit 01.07.2005 geltenden Beitragssatz von 0,9% dienten der Finanzierung des Krankengeldes. Vielmehr ist, wie aufgezeigt, an mehreren Stellen der Begründung des GMG und des ZFAG zum Ausdruck gebracht, dass der zusätzliche Beitragssatz zur allgemeinen Finanzierung des Gesundheitswesens unabhängig von einzelnen Leistungen bestimmt ist.

Die Erhebung des zusätzlichen Beitragssatzes von 0,9% in der Krankenversicherung der Rentner ab 01.07.2005 und die Auferlegung dieses Beitrages allein auf die Rentner gemäß § 249a, 2. Halbsatz SGB V ist auch im Umfang von 0,5 Prozentpunkten nicht verfassungswidrig.

Es liegt kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vor. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet es, Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend ungleich zu behandeln (st. Rspr.; BVerfGE 3, 58, 135). Die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften über Beitragserhebung und -bemessung sind am Versicherungsprinzip und am Solidarprinzip zu messen (BVerfGE 79, 223, 236). Dem Versicherungsprinzip entspricht eine grundsätzliche Äquivalenz von Beitrag und Leistung; das Solidarprinzip lässt hiervon jedoch Ausnahmen zu und rechtfertigt insbesondere eine Beitragsbemessung nach der Leistungsfähigkeit bei gleichzeitiger Ausrichtung am Bedarf (BVerfGE 89, 365, 378). In der gesetzlichen Krankenversicherung ist die Bedeutung des Solidarprinzips erheblich, das Äquivalenzprinzip aber eher schwach ausgeprägt; davon werden die Rentner begünstigt. Die Beiträge der Rentner decken nur noch etwa 43% der auf sie entfallenden Leistungsauf-wendungen (vgl. BT-Drucksache 15/1525, S. 140). Mit der Einbeziehung der Rentner in den zusätzlichen Beitragssatz hält das GMG an der bereits im Gesundheits-Reformgesetz vom 20.12.1988 (BGBl. I S. 2477) getroffenen Entscheidung fest, die Rentner in Höhe des allgemeinen Beitragssatzes an der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung zu beteiligen. Dies lässt sich verfassungsrechtlich mit dem Solidarprinzip rechtfertigen. Das Verfassungsrecht gebietet es nicht, die unterschiedlichen Risiken der Versicherten in deren Beitragsbelastung abzubilden. Vielmehr ist der Gesetzgeber befugt, die unterschiedlichen Risiken auszugleichen. Er ist nicht gehalten, nur die Mitglieder zur Finanzierung des Krankengeldes heranzuziehen, die diese Leistung, weil sie schon und noch im Erwerbsleben stehen, in Anspruch nehmen können. Auch für die Rentner gilt, dass der soziale Ausgleich nicht nur Vorteile verschafft, sondern zugleich auch Lasten auferlegt (Wahl, Der zusätzliche Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung, SozSich 2005, S. 133, 139). Bei Abwägung der maßgeblichen Umstände und der Intentionen des Gesetzgebers, die er mit dem zusätzlichen Beitragssatz verbunden hat, genügt § 241a SGB V noch den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

Dies gilt auch für die Bestimmung des § 249a, 2. Halbsatz SGB V. Das Verfassungsrecht gebietet es nicht, die Rentenversicherungsträger hälftig zur Tragung der Sozialversicherungsbeiträge der Rentner heranzuziehen. Die paritätische Finanzierung ist kein vom Grundgesetz geschütztes Strukturelement der Krankenversicherung (Wahl, a.a.O., S. 136).

Die Erhebung des zusätzlichen Beitrags von 0,9% ist auch kein verfassungswidriger Eingriff in das Eigentum (Art. 14 GG). Zwar bewirken die §§ 241a, 249a SGB V eine Minderung des Zahlbetrags der eigentumsgeschützten Rente. Dies ist jedoch verfassungsgemäß. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG verleiht dem Gesetzgeber die Befugnis, Rentenansprüche zu beschränken, Leistungen zu kürzen und Ansprüche umzugestalten, sofern dies einem Gemeinwohlzweck dient und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt (BVerfGE 100, 1, 37). Die Neuordnung der Finanzierung des Gesundheitswesens und die Entlastung der Arbeitgeber sind am Gemeinwohl orientierte Ziele. Da die Einführung des zusätzlichen Beitragssatzes von 0,9% mit einer Senkung des allgemeinen Beitragssatzes um 0,9 Prozentpunkte (Arbeitnehmer-/Rentneranteil: 0,45 Prozentpunkte) verbunden war (vgl. § 241a Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz ZFAG), ist die reale Mehrbelastung um 0,45 Prozentpunkte nicht erheblich und noch verhältnismäßig. Dies gilt umso mehr, als mit der Klage nur die Kürzung des Rentenzahlbetrages gerügt wird, der über 0,4 Prozentpunkte hinaus geht. Die sich daraus ergebende, klägerseits für verfassungswidrig gehaltene Mehrbelastung der Rentner durch die Regelungen der §§ 241a, 249a SGB V beträgt ab 01.01.2005 also nur 0,05 Prozentpunkte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Kammer hat die Sprungrevision zugelassen, da sie der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 161 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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