S 11 AS 75/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AS 75/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 AS 110/06
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die teilweise Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld II (Alg II) nebst Erstattungsforderung i.H.v. 7.215.- Euro.

Der am 00.00.1953 geborene Kläger gab bei Stellung seines Erstantrags am 16.09.2004 als Einkommen die von ihm bezogene Arbeitslosenhilfe, das Einkommen seiner Ehefrau sowie die Ausbilungsvergütung seines Sohnes an. Mit Bescheiden vom 14.12.2004, 22.02.2005, 11.05.2005 und 09.12.2005 bewilligte die Beklagte ihm und seiner Ehefrau Alg II für die Zeit vom 01.01.2005 bis letztlich zum 30.05.2006 in welchselnder Höhe.

Im März 2006 wurden der Beklagten die Angaben des Klägers gegenüber dem Ordnungsamt des Kreises B bekannt, wonach er von seiner Tante eine "monatliche Schenkung zum Lebensunterhalt" i.H.v. 511,29 Euro erhalte. Auf die Mitteilung der Beklagten, sie beabsichtigte die Bewilligungsbescheide insoweit aufzuheben, wandte der Kläger ein, das Geld werde auch auf seine Kinder aufgeteilt. Mit Bescheid vom 18.04.2006 nahm die Beklagte die Alg II-Bewilligungen für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 31.03.2006 (nach Abzug der Versicherungspauschale i.H.v 30.- Euro) i.H.v. monatlich 481.- Euro zurück und machte eine Erstattungsforderung i.H.v. 7.215.- Euro geltend. Seinen am 21.04.2006 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, die Angabe der Einkünfte sei nicht erforderlich gewesen, da die Einnahme steuerfrei gewesen sei; auch habe die Beklagte durch ihre Zahlungen im April 2006 seinen Rechtsstandpunkt anerkannt. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 08.06.2006 zurück. Sie führte aus, die Zuwendungen seitens der Tante des Klägers seien Einkommen und auch keine zweckgebundene Einnahmen. Selbst bei Bejahung einer Zweckgebundenheit müssten sie allerdings berücksichtigt werden, da sie den hälftigen Regelleistungsbetrag überstiegen. Schutzwürdiges Vertrauen scheide aus, da der Kläger diese Einnahme nicht angegeben habe. Im Übrigen habe er die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide auch bei einfacher Lektüre sofort ersehen können.

Hiergegen richtet sich die am 24.06.2006 erhobene Klage. Der Kläger wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 18.04.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2006 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bleibt bei ihrer Auffassung.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind nicht rechtswidrig im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beklagte durfte die Alg II-Bewilligungen von Anfang an teilweise zurücknehmen und die erbrachten Leistungen erstattet fordern.

Nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zurückzunehmen, wenn er auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Die Vorschrift ist nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) auch auf die Bewilligung von Alg II anwendbar.

Die Alg II-Bewilligungen waren i.H.v. 481.- Euro monatlich von Anfang an rechtswidrig. Der Kläger und seine Ehefrau waren in dieser Höhe nicht hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II), da sie ihren Lebensunterhalt insoweit aus zu berücksichtigendem Einkommen sichern konnten (§ 9 Abs. 1 Nr. 2, 1. Alt, § 11 SGB II). Die monatlichen Zuwendungen der Tante des Klägers waren zu berücksichtigendes Einkommen i.S.d. § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen in Geld oder mit Geldeswert mit Ausnahmen einer Reihe in § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II genannter Tatbestände, die hier nicht erfüllt sind. Zu Unrecht beruft sich der Kläger auch auf eine angebliche Zweckgebundenheit der Einnahmen i.S.d. des Ausnahmetatbestandes in § 11 Abs. 3 Nr. 1 SGB II. Zweckgebundenheit in diesem Sinne liegt - wie bereits der Regelungszusammenhang mit § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II zeigt - dann vor, wenn die Einnahmen nicht auch der Sicherung des Lebensunterhaltes dienen sollen. Hieran fehlt es jedoch bereits nach dem Vortrag des Klägers gegenüber dem Ordnungsamt. Auch in einem zur Akte gelangten Schreiben an den Bundesfinanzminister hat der Kläger geäußert, die Zuwendung diene zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Die steuerliche Behandlung der Einnahmen ist hingegen unbeachtlich. Das SGB II kennt keinen Ausschluss steuerfreier Einnahmen von der Einkommensanrechnung und ein solcher Ausschluss wäre dem Charakter der SGB II-Leistungen als nachrangige Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts auch unangemessen.

Nicht nachzugehen brauchte das Gericht dem klägerischen Vortrag, er habe die Zuwendungen zum Teil an seine Kinder weitergeleitet. Eine rechtliche Verpflichtung hierzu ist nicht ersichtlich und auch das Schreiben der Tante, mit dem die Leistung eingestellt worden ist, spricht von einer Zuwendung an den Kläger, der diese Einnahmen somit vorrangig zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts verwenden musste.

Die weitere Rücknahmevoraussetzung nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X ist erfüllt. Der Kläger hat zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unvollständige Angaben gemacht, denn im Vordruck der Beklagten war nach allen Einkünften gefragt und nicht nur nach denen, die der Kläger für berücksichtigungsfähig hält. Weiterhin entfällt Vertrauensschutz auch deswegen, weil der Kläger die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide mühelos hätte erkennen können (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Der Kläger hat - wie bereits erwähnt - schon früher davon gesprochen, die Zuwendungen dienten zur Sicherung des Lebensunterhalts. Ihm hätte somit klar sein müssen, dass diese bei der Berechnung der staatlichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts eine Rolle spielen mussten.

Ermessen brauchte die Beklagte nicht auszuüben, § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III). Die Frist in § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist gewahrt.

Die Erstattungsforderung beruht auf § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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