S 9 AS 89/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 9 AS 89/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 42/06
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1.Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 12.05.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.06.2006 verurteilt, der Klägerin Leistungen nach dem SGB II zuschussweise zu zahlen. 2.Die Beklagte trägt die Kosten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Klägerin SGB-II-Leistungen als Zuschuss – statt darlehensweise – zustehen.

Die Klägerin bezieht laufend Arbeitslosengeld II (Alg II). Ab 1.6.2006 zahlte die Beklagte die Leistung nicht mehr zuschussweise, sondern als Darlehen, weil die Klägerin über verwertbares Vermögen verfüge und deshalb nicht hilfebedürftig sei (nicht aktenkundiger Bescheid vom 12.5.2006; Widerspruchsbescheid vom 7.6.2006). Das selbst genutzte Haus der Klägerin in I-C sei von der Wohnfläche her unangemessen groß (132,6 m²), ebenso von der Grundstücksfläche (900 m²). Angemessen seien im ländlichen Bereich höchstens 130/800 m². Das Haus sei daher als Vermögensgegenstand insgesamt nicht geschützt. Bei einem ermittelten Verkehrswert von 193.945 EUR und Belastungen von 85.348 EUR liege der wirtschaftliche Wert bei 108.597 EUR und übersteige damit den der 51 Jahre alten Klägerin zustehenden Freibetrag von 8.400 EUR (51 x 150 EUR + 750 EUR).

Hiergegen richtet sich die Klage, mit der die Klägerin vorträgt, sie habe – insoweit unstreitig – versucht, ihr Haus für 165.000 EUR zu verkaufen, dies sei nicht gelungen. Ein Verkauf des Hauses sei damit offenbar unwirtschaftlich. Weder die Gemeinde noch die direkten Nachbarn, die als einzige zum hinteren als Gartenland eingestuften Teil ihres Grundstückes Zugang haben, seien an einem Erwerb eines Grundstücksteils interessiert. Um ihre Hilfebedürftigkeit zu vermindern, habe sie ein Zimmer der Wohnung für 90 EUR zzgl. 20 EUR Nebenkosten untervermietet.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Änderungsbescheides vom 12.05.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.06.2006 Leistungen an die Klägerin nicht auf Darlehensbasis, sondern als Zuschuss zu leisten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Grenzwerte seien überschritten, wenn auch nur knapp.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die Bescheide vom 12.5.2006 und 7.6.2006 sind rechtswidrig, denn der Klägerin sind die SGB-II-Leistungen nicht darlehens-, sondern zuschussweise zu gewähren.

Vermögen, das der Hilfegewährung als Zuschuss entgegen stünde, ist bei der Klägerin nicht vorhanden. Hilfebedürftig ist nur, wer seinen Bedarf oder den der mit ihm in Be-darfsgemeinschaft lebenden Personen nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch –SGB II- ). Als Vermögen sind alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichti-gen, im Falle der Klägerin vermindert um einen Freibetrag von 200 EUR je vollendetem Le-bensjahr (der von der Beklagten angeführte Freibetrag von 150 EUR betrifft die Zeit ab 1.8.2006 – Gesetzesfassung vom 20.7.2006), also 10.200 EUR zzgl. 750 EUR gem § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II.

Ein selbstgenutztes Hausgrundstück von angemessener Größe ist als Vermögen nicht zu berücksichtigen (§ 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II). So liegt der Fall hier.

Das Haus der Klägerin ist selbst genutzt, auch wenn sie ein Zimmer innerhalb der Woh-nung untervermietet hat, denn neben der von ihr bewohnten Wohnung sind keine weite-ren abgeschlossenen Wohneinheiten vorhanden. Hier sind die von der Beklagten offenbar auf der Grundlage der Durchführungshinweise der Bundesagentur für Arbeit zu § 12 SGB II angewandten und für den ländlichen Bereich grundsätzlich auch verbreitet akzeptierten Grenzwerte von 130/800 m² (vgl. SG Aachen, Urteil v. 27.1.2006, S 8 AS 61/05; SG Aachen, Urteil v. 4.7.2006, S 11 AS 100/05; Eicher/Spellbrink/Mecke, SGB II; Rdnr. 71 zu § 12) überschritten. Die Beklagte versteht diese Grenzwerte absolut und sieht deshalb das Hausgrundstück der Klägerin als nicht mehr angemessen groß an. Tatsächlich dürfte es sich aber weniger um Grenz-, als um Richtwerte handeln, wie sich zum einen daraus er-gibt, dass sich im Gesetz gerade kein absoluter Grenzwert findet, sondern nur der unbe-stimmte Rechtsbegriff "angemessene Größe" verwendet wird. Zum anderen folgt dies auch aus den von der Beklagten herangezogenen Durchführungshinweisen (RdNr. 12.26) selbst, denn diese sehen unterhalb der genannten Größen lediglich eine Einzelfallprüfung der Angemessenheit als entbehrlich an, bei einer Überschreitung der Werte hat demnach eine Einzelfallprüfung stattzufinden, an der es hier fehlt, da ausschließlich mit Grenzwer-ten argumentiert wird. Die Prüfung ergibt, dass eine weitergehende Verwertung des Hausgrundstücks, als sie durch Untervermietung bereits erfolgt, nicht verlangt werden kann.

Hinsichtlich der Grundstücksfläche kann offenbleiben, ob die Überschreitung der von der Beklagten generell als angemessen zugrunde gelegten Werte um 100 m² im konkreten Fall zur Unangemessenheit der Größe des selbstgenutzten Hausgrundstücks führt. Auch in diesem Falle wäre nämlich eine darlehensweise Bewilligung der SGB-II-Leistungen nicht gerechtfertigt. Besäße die Klägerin ein Grundstück von 700 m² und daneben eine Wiese von 200 m², so erhielte sie ohne weiteres zuschussweise Leistungen, denn das Hausgrundstück wäre angemessen groß und die Wiese als Vermögen zu berücksichtigen (Eicher/Spellbrink, aaO. Rdnr. 73). Angesichts des aus anderen Verfahren gerichtsbe-kannten, den Beteiligten gegenüber offen gelegten und von diesen nicht beanstandeten Wertes für Garten- und Weideland im Wohnumfeld der Klägerin von unter 10 EUR/m² ergäbe sich ein Vermögenswert von unter 2.000 EUR, der im Rahmen der Vermögensfreibeträge der Klägerin liegt (auch noch bei Unterstellung des gegriffenen höheren Wertes – 1/10 Bau-land - von 11 EUR im Wertgutachten). Nichts anderes kann aber gelten, wenn Haus und Wiese noch verbunden sind. Nach Auffassung der Kammer kommt es nicht darauf an, ob der übersteigende Grundstücksteil bereits abgetrennt ist (so scheinbar Eicher/Spellbrink, aaO. Rdnr. 73), wenn – wie hier ausweislich des Wertgutachtens – jedenfalls eine se-parate Bewertung des über die angemessene Grundstücksgröße hinausgehenden Teils möglich ist. Die Trennung ist bloße Formalie und ohne Einfluss auf die wirtschaftliche Situation und Hilfebedürftigkeit des Grundstückseigentümers. Denn anderenfalls wäre besser gestellt, wer noch auf genügend Barvermögen zurückgreifen kann, um die regel-mäßig mehrere tausend Euro teuren Vermessungskosten aufzubringen und so seine Bedürftigkeit erst herzustellen. Es gibt auch keinen Grund, insoweit Grundstücke anders zu behandeln, als die ebenfalls nicht als Vermögen zu berücksichtigenden angemessenen PKW (§ 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB II), die - obwohl sie ganz sicher nicht teilbar sind - im Rahmen der Vermögensprüfung in der Verwaltungspraxis offenbar nur mit dem den angemessenen Wert übersteigenden Teil berücksichtigt werden (vgl. den Sachverhalt bei SG Aachen, S 9 AS 31/05, Urteil v. 27.10.2005).

Hinsichtlich der Wohnungsgröße ist der von der Beklagten zugrundegelegte Wert von 130 m² so großzügig bemessen, dass jedenfalls bei Nutzung durch eine Einzelperson auch die hier in Rede stehende knappe Überschreitung von 2 bis 3 m² u.U. nicht mehr angemes-sen sein kann. Entgegen einer auf den Wortlaut von § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II (im Vergleich zu der differenzierteren parallelen Regelung in § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII) ab-stellenden Auslegung kann Maßstab der Angemessenheit geschützten Vermögens bei einer Fürsorgeleistung nicht allein die Quadratmeterzahl sein (so aber wohl z.B. Eicher/ Spellbrink, aaO., Rdnr. 70), sondern die Angemessenheit der Größe der Wohnung ist u.a. auch mit Blick auf die Anzahl der sie nutzenden Personen zu ermitteln (Löns/Herold-Tews, SGB II, § 12 Rdnr. 3). Dabei ist aber der Zweck der Schutzvorschrift zu berück-sichtigen, die auf den Erhalt des Lebensmittelpunktes des Hilfebedürftigen gerichtet ist, weshalb vorzugsweise milde Verwertungsformen in Betracht gezogen werden sollten, wie beispielsweise die hier von der Klägerin betriebene zimmerweise Untervermietung (Eicher/Spellbrink, aaO. Rdnr. 73), die die von ihr tatsächlich nutzbare Wohnfläche (maß-geblicher Maßstab der Angemessenheitsprüfung, vgl. Eicher/Spellbrink, aaO. Rdnr. 72) auf rd. 100 m² reduziert und ihre Hilfebedürftigkeit ebenso mindert, wie die im Rahmen der Angemessenheitsprüfung berücksichtigungsfähige Wohnfläche.

Für eine Prüfung des § 9 Abs. 2 S. 1 SGB II gab die Aktenlage keinen Anlass.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Rechtskraft
Aus
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