Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AS 157/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die aufschiebende Wirkung der am 13.11.2006 erhobenen Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 27.09.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2006 wird angeordnet. Die Antragsgegnerin hat die Kosten der Antragstellerin zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosengeld II (Alg II).
Die Antragsgegnerin bewilligte der Antragstellerin und ihrem Sohn H-N mit Bescheid vom 23.08.2006 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für die Zeit vom 01.09.2006 bis zum 28.02.2007 in wechselnder Höhe. Mit Bescheid vom 27.09.2006 hob sie diese Bewilligungsentscheidung wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse für die Zeit ab 01.10.2006 unter Verweis auf die §§ 7 Abs. 1 Satz 2 und 8 Abs. 2 Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - mit der Begründung auf, der Antragstellerin sei nach eigenen Angaben die Aufnahme einer Beschäftigung nicht möglich, da sie ihren Sohn betreuen müsse. Den am 09.10.2006 eingelegten Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 31.10.2006 zurück. Sie führte aus, die Antragstellerin sei im September 2006 zur Stellung eines Alg-Antrags bei der Bundesagentur für Arbeit aufgefordert worden. Die Bundesagentur für Arbeit habe diesen Antrag jedoch abgelehnt, da die Antragstellerin wegen der Kinderbetreuung nicht arbeitsbereit sei. Da jedoch im katholischen Kindergarten St. S in S-B eine hinreichende Betreuungsmöglichkeit in der Zeit von 7:15 Uhr bis 16:15 Uhr gegeben sei, werde das vorrangige Alg als fiktives Einkommen angerechnet. Es handele sich um bereite Mittel, da die Antragstellerin es kurzfristig erlangen könne. Die Antragstellerin erhob hiergegen am 13.11.2006 Klage (SG Aachen, S 11 AS 150/06) und führte aus, eine ausreichende Betreuung sei in dem Kindergarten nicht gewährleistet, da die dortigen Erzieherinnen nicht über Zusatzqualifikationen für die Betreuung des Kindes verfügten, das gehbehindert sei und außerdem erhebliche Verhaltensauffälligkeiten (ausgeprägte Ruhelosigkeit mit stetigem Bewegungsdrang und dabei teilweise aggressiven Tendenzen) zeige.
Am 28.11.2006 hat sich die Antragstellerin an das Gericht gewandt mit dem Antrag, die bisher gezahlten Leistungen weiter zu erbringen.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung der am 13.11.2006 erhobenen Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 27.09.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2006 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin hat sich binnen der gerichtlich gesetzten Frist nicht geäußert.
Hinsichtlich der wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag ist begründet.
Nach § 86 b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), hier iVm § 39 Nr. 1 SGB II, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung ist anzuordnen, wenn und soweit nach der im Verfahren nach § 86 b Abs. 1 SGG allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung ein Obsiegen des Antragstellers hinreichend wahrscheinlich erscheint (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., 2005, § 86 b Rn 12 c).
Ein Obsiegen der Antragstellerin ist hinreichend wahrscheinlich, denn die Aufhebungsentscheidungen der Antragsgegnerin erscheinen bei der im Verfahren nach § 86 b Abs. 1 SGG allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig. Die Antragstellerin erfüllt weiterhin die Anspruchsvoraussetzungen für Alg II.
Die Antragstellerin ist weiterhin erwerbsfähig i.S.d. 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 8 SGB II (dazu sogleich); ein (der Höhe nach völlig unbestimmter) Anspruch auf Alg nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs - Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) ist nicht nach § 11 SGB II als fiktives Einkommen anzurechnen (dazu sodann).
Die Antragstellerin erfüllt auch angesichts ihrer fehlenden Arbeitsbereitschaft die Anspruchsvoraussetzungen aus § 7 Abs. 1 SGB II, insbesondere führt ihre offenbar eingeschränkte Arbeitsbereitschaft nicht zum Entfallen der Erwerbsfähigkeit (§ 8 SGB II) als Anspruchsvoraussetzung. An der Erwerbsfähigkeit fehlt es nach § 8 Abs. 1 SGB II nur, wenn der Hilfebedürftige wegen Krankheit oder Behinderung außerstande ist, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Zeitliche Beschränkungen wegen Kindererziehung erfüllen diesen Tatbestand nicht (so ausdrücklich Blüggel, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 8, Rn. 25). Nichts anderes ergibt sich auch aus § 7 Abs. 1 Satz 2 und § 8 Abs. 2 SGB II, auf die die Antragsgegnerin den Aufhebungsbescheid zunächst gestützt hat. Hiernach erhalten Ausländern Leistungen nach dem SGB II nur dann, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. § 8 Abs. 2 SGB II nimmt somit allein auf "das rechtliche Dürfen" (so die Formulierung von Blüggel, a.a.O., Rn. 42) Bezug, nicht auch auf Hindernisse tatsächlicher Art. Im Übrigen dürfte es eine verfassungsrechtlich kaum haltbare Ungleichbehandlung von Ausländern darstellen, wenn mangelnde Arbeitsbereitschaft nur bei ihnen zum Leistungsausschluss führte.
Es fehlt auch nicht an der nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 9 SGB II erforderlichen Hilfebedürftigkeit. Es kann dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Anrechnung nur potentiellen Einkommens auf den Hilfebedarf nach § 11 SGB II in Betracht kommt. Besteht - wie hier - wegen eines Umstandes, der keinen Leistungsausschluss nach dem SGB II begründet, kein Anspruch auf Alg nach dem SGB III, so darf die Tatsache, dass § 7 SGB II dem Umstand gerade keine Bedeutung beimisst, nicht im Umweg über § 11 SGB II umgangen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung von § 193 SGG.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosengeld II (Alg II).
Die Antragsgegnerin bewilligte der Antragstellerin und ihrem Sohn H-N mit Bescheid vom 23.08.2006 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für die Zeit vom 01.09.2006 bis zum 28.02.2007 in wechselnder Höhe. Mit Bescheid vom 27.09.2006 hob sie diese Bewilligungsentscheidung wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse für die Zeit ab 01.10.2006 unter Verweis auf die §§ 7 Abs. 1 Satz 2 und 8 Abs. 2 Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - mit der Begründung auf, der Antragstellerin sei nach eigenen Angaben die Aufnahme einer Beschäftigung nicht möglich, da sie ihren Sohn betreuen müsse. Den am 09.10.2006 eingelegten Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 31.10.2006 zurück. Sie führte aus, die Antragstellerin sei im September 2006 zur Stellung eines Alg-Antrags bei der Bundesagentur für Arbeit aufgefordert worden. Die Bundesagentur für Arbeit habe diesen Antrag jedoch abgelehnt, da die Antragstellerin wegen der Kinderbetreuung nicht arbeitsbereit sei. Da jedoch im katholischen Kindergarten St. S in S-B eine hinreichende Betreuungsmöglichkeit in der Zeit von 7:15 Uhr bis 16:15 Uhr gegeben sei, werde das vorrangige Alg als fiktives Einkommen angerechnet. Es handele sich um bereite Mittel, da die Antragstellerin es kurzfristig erlangen könne. Die Antragstellerin erhob hiergegen am 13.11.2006 Klage (SG Aachen, S 11 AS 150/06) und führte aus, eine ausreichende Betreuung sei in dem Kindergarten nicht gewährleistet, da die dortigen Erzieherinnen nicht über Zusatzqualifikationen für die Betreuung des Kindes verfügten, das gehbehindert sei und außerdem erhebliche Verhaltensauffälligkeiten (ausgeprägte Ruhelosigkeit mit stetigem Bewegungsdrang und dabei teilweise aggressiven Tendenzen) zeige.
Am 28.11.2006 hat sich die Antragstellerin an das Gericht gewandt mit dem Antrag, die bisher gezahlten Leistungen weiter zu erbringen.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung der am 13.11.2006 erhobenen Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 27.09.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2006 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin hat sich binnen der gerichtlich gesetzten Frist nicht geäußert.
Hinsichtlich der wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag ist begründet.
Nach § 86 b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), hier iVm § 39 Nr. 1 SGB II, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung ist anzuordnen, wenn und soweit nach der im Verfahren nach § 86 b Abs. 1 SGG allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung ein Obsiegen des Antragstellers hinreichend wahrscheinlich erscheint (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., 2005, § 86 b Rn 12 c).
Ein Obsiegen der Antragstellerin ist hinreichend wahrscheinlich, denn die Aufhebungsentscheidungen der Antragsgegnerin erscheinen bei der im Verfahren nach § 86 b Abs. 1 SGG allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig. Die Antragstellerin erfüllt weiterhin die Anspruchsvoraussetzungen für Alg II.
Die Antragstellerin ist weiterhin erwerbsfähig i.S.d. 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 8 SGB II (dazu sogleich); ein (der Höhe nach völlig unbestimmter) Anspruch auf Alg nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs - Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) ist nicht nach § 11 SGB II als fiktives Einkommen anzurechnen (dazu sodann).
Die Antragstellerin erfüllt auch angesichts ihrer fehlenden Arbeitsbereitschaft die Anspruchsvoraussetzungen aus § 7 Abs. 1 SGB II, insbesondere führt ihre offenbar eingeschränkte Arbeitsbereitschaft nicht zum Entfallen der Erwerbsfähigkeit (§ 8 SGB II) als Anspruchsvoraussetzung. An der Erwerbsfähigkeit fehlt es nach § 8 Abs. 1 SGB II nur, wenn der Hilfebedürftige wegen Krankheit oder Behinderung außerstande ist, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Zeitliche Beschränkungen wegen Kindererziehung erfüllen diesen Tatbestand nicht (so ausdrücklich Blüggel, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 8, Rn. 25). Nichts anderes ergibt sich auch aus § 7 Abs. 1 Satz 2 und § 8 Abs. 2 SGB II, auf die die Antragsgegnerin den Aufhebungsbescheid zunächst gestützt hat. Hiernach erhalten Ausländern Leistungen nach dem SGB II nur dann, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. § 8 Abs. 2 SGB II nimmt somit allein auf "das rechtliche Dürfen" (so die Formulierung von Blüggel, a.a.O., Rn. 42) Bezug, nicht auch auf Hindernisse tatsächlicher Art. Im Übrigen dürfte es eine verfassungsrechtlich kaum haltbare Ungleichbehandlung von Ausländern darstellen, wenn mangelnde Arbeitsbereitschaft nur bei ihnen zum Leistungsausschluss führte.
Es fehlt auch nicht an der nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 9 SGB II erforderlichen Hilfebedürftigkeit. Es kann dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Anrechnung nur potentiellen Einkommens auf den Hilfebedarf nach § 11 SGB II in Betracht kommt. Besteht - wie hier - wegen eines Umstandes, der keinen Leistungsausschluss nach dem SGB II begründet, kein Anspruch auf Alg nach dem SGB III, so darf die Tatsache, dass § 7 SGB II dem Umstand gerade keine Bedeutung beimisst, nicht im Umweg über § 11 SGB II umgangen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung von § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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