Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 20/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Versorgung mit Dronabinol (Tropfen) als Rezepturarzneimittel.
Der am 00.00.1959 geborene Kläger leidet seit 1991 an einer schubförmig progredient verlaufenden Multiplen Sklerose (MS). Im Verlauf der Erkrankung entwickelte sich eine schmerzhafte spastische Lähmung beider Beine, durch die der Kläger dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Die Behandlung der Schmerzen und Spastiken mit Cortison, Analgetika und Spasmolytika blieb ohne Erfolg.
Vom 17.11. bis 15.12.2005 wurde der Kläger im Neurologischen Rehabilitationszentrum H in C stationär behandelt. Neben Krankengymnastik und Ergotherapie unternahmen die dortigen Ärzte einen Behandlungsversuch mit Dronabinol-Tropfen in 2,5 %iger öliger Lösung. Dronabinol (Delta-9-Tetrahydroncannabinol) ist der Haupt- inhaltsstoff von Cannabis sativa, seit dem Jahr 1998 in Deutschland verkehrs- und verschreibungspflichtig (Anlage III zu § 1 Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes) und kann somit als Rezeptursubstanz verwendet werden. In Deutschland ist kein Fertigarzneimittel mit Dronabinol zugelassen. Der (synthetisch hergestellte) Wirkstoff Dronabinol ist unter dem Warennamen Marinol® in den USA als Fertigarzneimittel zugelassen, das gemäß § 73 des Arzneimittelgesetzes im Inland verordnet und importiert werden kann. Die Zulassung in den USA erfolgte für die Behandlung von Anorexie bei Aids-Patienten sowie zytostatikbedingtem Erbrechen. Einen Antrag des Klägers auf Übernahme der Kosten für eine Behandlung mit Marinol® hatte die Beklagte bereits im Jahre 2003 bestandskräftig abgelehnt. Im Entlassungsbericht der Reha-Klinik H vom 22.12.2005 führten die behandelnden Ärzte aus: "Hinsichtlich der Problematik der ausgeprägten Spastik wurde ein Therapieversuch mit Dronabinoltropfen in 2,5%iger öliger Lösung durchgeführt. Hier zeigte sich schon unter geringer Dosierung ein sehr guter Effekt. Der Patient berichtete, zum ersten Mal sein langer Zeit wieder schmerzfrei und ohne einschießende Spastik zu sein ...Gegen Ende des Aufenthaltes berichtete der Patient über erstmalig wieder mögliche Willkürmotorik in den Beinen. Das Ziel, wieder auf den Beinen stehen zu können, war bislang noch nicht erreicht worden. Wegen diesen guten Erfolges empfehlen wir, die medikamentöse Behandlung mit Dronabinol zur Schmerz- und Spastikreduktion und damit Verhinderung von Folgeerkrankungen weiter fortzuführen."
Daraufhin beantragte der Kläger am 19.01.2006 die Übernahme der Kosten einer Behandlung mit Dronabinol. Er legte befürwortende Stellungnahmen seines Hausarztes Dr. Q vom 12.01.2006 und seiner Physiotherapheuten vom 13.01.2006 sowie den Entlassungsbericht der Reha-Klinik H vor.
Die Beklagte holte eine weitere Stellungnahme von Dr. Q vom 06.02.2006 und eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein. Der MDK-Arzt Dr. N kam am 21.02.2006 zum Ergebnis, es gebe derzeit keine gesicherte Evidenz, dass der medizinische Einsatz von Cannabis/Cannabinoiden zur Behandlung der Spastik den vorhandenen etablierten medikamentösen Therapiestandards überlegen wäre; es bestehe die Möglichkeit einer Behandlung mit Baclofen®; eine Therapie mit Dronabinol 2,5% Tropfen sei nicht als medizinischer Standard anzusehen. Zwar sei durch die Erkrankung die Lebensqualität des Klägers auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt; eine akut lebensbedrohliche Erkrankung liege jedoch nicht vor.
Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Antrag durch Bescheid vom 15.03.2006 ab.
Den dagegen am 20.03.2006 eingelegten Widerspruch wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 23.05.2006 zurück.
Dagegen hat der Kläger am 02.06.2006 Klage erhoben. Er trägt vor, alle Medikamente, die er bisher genommen habe, hätten starke Nebenwirkungen gehabt; Baclofen® habe u.a. zu starken Sehproblemen geführt. Einzig Dronabinol habe Erfolg gebracht; schon 48 Stunden nach der ersten Einnahme sei er (fast) schmerzfrei gewesen. Seitdem er das Medikament nicht mehr bekomme, habe er wieder unerträgliche Schmerzen.
Der Kläger verweist auf eine Stellungnahme des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 05.07.2006, verschiedene Berichte über die Behandlung mit Dronabinol sowie auf das Urteil des LSG NRW vom 20.09.2005 (L 5 KR 144/03) und das Urteil des BSG vom 04.04.2006 (B 1 KR 7/05 R).
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom15.03.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2006 zu verurteilen, ihn mit Dronabinol (Tropfen) als Rezepturarzneimittel zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, auch unter Berücksichtigung der Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in der Entscheidung vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98) und das BSG im Urteil vom 04.04.2006 (B 1 KR 7/05 R) aufgestellt hätten, könnten die Kosten einer Behandlung mit Dronabinol nicht übernommen werden; die Erkrankung des Klägers sei nicht akut lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich verlaufend. Die Beklagte verweist auf eine Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vom 10.04.2006 in einem Verfahren des Sozialgericht Marburg (S 6 KR 7/05), kritische Stellungnahmen in der wissenschaftlichen Literatur zum Einsatz von Dronabinol bei MS sowie das Urteil des BSG vom 26.09.2006, durch das das vom Kläger zitierte Urteil des LSG NRW vom 20.09.2005 aufgehoben worden ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Er hat keinen Anspruch auf Versorgung mit Dronabinol (Tropfen) als Rezepturarzneimittel.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u.a. die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V). Der Anspruch des Versicherten auf Bereitstellung der für die Krankenbehandlung benötigten Arzneimittel unterliegt den Einschränkungen aus §§ 2 Abs. 1 Satz 3 und 12 Abs. 1 SGB V. Er besteht nur für solche Pharmakotherapien, die sich bei dem vor- handenen Krankheitsbild als zweckmäßig und wirtschaftlich erwiesen haben und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Bei der Arzneimittelversorgung knüpft das Krankenver- sicherungsrecht an das Arzneimittelrecht an, das für Fertigarzneimittel eine staatliche Zulassung vorschreibt und deren Erteilung vom Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Medikaments abhängig macht (§ 21 Abs. 2 Arzneimittelgesetz - AMG).
Zulassungspflichtig sind gem. § 21 Abs. 1 AMG grundsätzlich nur Fertigarzneimittel. Das sind Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Verpackung in den Verkehr gebracht werden (§ 4 Abs. 1 AMG). Die Versorgung mit Dronabinol in Form des Fertigarzneimittels Marinol®, die der Kläger bereits 2003 ohne Erfolg erstrebt hat, scheitert daran, dass Marinol® in Deutschland oder der Europäischen Union (EU) nicht zugelassen ist. Soweit es in den USA zur Behandlung von Anorexie bei Aids-Patienten sowie zytostatikbedingtem Erbrechen bei Tumorpatienten zugelassen ist und auf der Grundlage des § 73 Abs. 3 AMG für den Einzelfall verordnet und importiert werden darf, führt dies nicht dazu, dass das Arzneimittel zur Behandlung von Schmerzen und Spastiken bei MS (so genannter Off-Label-Use) zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden darf. Dies gilt auch und gerade im Hinblick auf die vom BSG im Urteil vom 19.03.2002 (B 1 KR 37/00 R) entwickelten Grundsätze zur Leistungspflicht in eng begrenzten Ausnahmefällen bei Off-Label-Use eines Arzneimittels (so ausführlich: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.04.2003 - L 4 KR 3828/01; Sächsischen LSG, Beschluss vom 22.08.2005 - L 1 B 102/05 KR-ER). Soweit sich der Kläger auf das Urteil des LSG NRW vom 20.09.2005 (L 5 KR 144/03) beruft, ist dieses nicht rechtskräftig geworden; das BSG hat die Entscheidung des LSG durch Urteil vom 26.09.2006 (B 1 KR 27/05 R) aufgehoben und darin - sowie in zwei weiteren Urteilen vom selben Tag (B 1 KR 14/06 R und B 1 KR 15/06 R) - entschieden, dass Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung keinen Anspruch auf Versorgung mit einem zugelassenen Arzneimittel (Cabaseril®) zur Behandlung einer Erkrankung (hier: restless legs syndrom), für die es keine Zulassung besitzt - so genannter Off-Label-Use - hat, wenn die zu behandelnde Krankheit nicht lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich verlaufend ist.
Aber auch auf die - vorliegend vom Kläger begehrte - Versorgung mit Dronabinol als Rezepturarzneimittel in Tropfenform besteht kein Anspruch. Dies ergibt sich allerdings nicht aus arzneimittelrechtlichen Erwägungen. Denn als Rezepturarzneimittel ist Dronabinol nicht zulassungspflichtig. Bei den hier streitigen Dronabinol-Tropfen handelt es sich um ein im Einzelfall hergestelltes so genanntes Rezepturarzneimittel, für das lediglich eine Herstellungserlaubnis nach § 13 AMG erforderlich ist. Bei der Behandlung von MS mit Dronabinol handelt es sich aber um eine neue Behandlungsmethode; denn sie gehört, wie sich aus den vom Kläger vorgelegten Berichten und der Stellungnahme des MDK ergibt, nicht zur medizinischen Standardtherapie von MS und ist bisher nur versuchsweise eingesetzt worden. Es gibt keine durch anerkannte randomisierte Phase-III-Studien erbrachten Nachweise einer höheren und besseren Wirksamkeit gegenüber anerkannten Therapieformen.
Gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V dürfen neue Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Empfehlungen u.a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinischen Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgegeben hat. Solche befürwortenden Empfehlungen des G-BA liegen bisher nicht vor (vgl. die Stellungnahme des G-BA vom 10.04.2006 im Verfahren S 6 KR 7/05 - SG Marburg). Ein diesbezüglichen Systemversagen ist nicht ersichtlich.
Soweit das BVerfG im Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 = NZS 2006, 84) darüber hinausgehende Kriterien für eine ausnahmsweise Behandlung mit nicht anerkannten neuen Therapien aufgestellt hat, lässt sich auch hieraus ein Versorgungsanspruch des Klägers mit Dronabinol-Tropfen nicht begründen. Denn es liegt bei ihm mit der MS zwar eine schwere, seine Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende, aber keine lebensbedrohliche und regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor, wie es das BVerfG gefordert hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Versorgung mit Dronabinol (Tropfen) als Rezepturarzneimittel.
Der am 00.00.1959 geborene Kläger leidet seit 1991 an einer schubförmig progredient verlaufenden Multiplen Sklerose (MS). Im Verlauf der Erkrankung entwickelte sich eine schmerzhafte spastische Lähmung beider Beine, durch die der Kläger dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Die Behandlung der Schmerzen und Spastiken mit Cortison, Analgetika und Spasmolytika blieb ohne Erfolg.
Vom 17.11. bis 15.12.2005 wurde der Kläger im Neurologischen Rehabilitationszentrum H in C stationär behandelt. Neben Krankengymnastik und Ergotherapie unternahmen die dortigen Ärzte einen Behandlungsversuch mit Dronabinol-Tropfen in 2,5 %iger öliger Lösung. Dronabinol (Delta-9-Tetrahydroncannabinol) ist der Haupt- inhaltsstoff von Cannabis sativa, seit dem Jahr 1998 in Deutschland verkehrs- und verschreibungspflichtig (Anlage III zu § 1 Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes) und kann somit als Rezeptursubstanz verwendet werden. In Deutschland ist kein Fertigarzneimittel mit Dronabinol zugelassen. Der (synthetisch hergestellte) Wirkstoff Dronabinol ist unter dem Warennamen Marinol® in den USA als Fertigarzneimittel zugelassen, das gemäß § 73 des Arzneimittelgesetzes im Inland verordnet und importiert werden kann. Die Zulassung in den USA erfolgte für die Behandlung von Anorexie bei Aids-Patienten sowie zytostatikbedingtem Erbrechen. Einen Antrag des Klägers auf Übernahme der Kosten für eine Behandlung mit Marinol® hatte die Beklagte bereits im Jahre 2003 bestandskräftig abgelehnt. Im Entlassungsbericht der Reha-Klinik H vom 22.12.2005 führten die behandelnden Ärzte aus: "Hinsichtlich der Problematik der ausgeprägten Spastik wurde ein Therapieversuch mit Dronabinoltropfen in 2,5%iger öliger Lösung durchgeführt. Hier zeigte sich schon unter geringer Dosierung ein sehr guter Effekt. Der Patient berichtete, zum ersten Mal sein langer Zeit wieder schmerzfrei und ohne einschießende Spastik zu sein ...Gegen Ende des Aufenthaltes berichtete der Patient über erstmalig wieder mögliche Willkürmotorik in den Beinen. Das Ziel, wieder auf den Beinen stehen zu können, war bislang noch nicht erreicht worden. Wegen diesen guten Erfolges empfehlen wir, die medikamentöse Behandlung mit Dronabinol zur Schmerz- und Spastikreduktion und damit Verhinderung von Folgeerkrankungen weiter fortzuführen."
Daraufhin beantragte der Kläger am 19.01.2006 die Übernahme der Kosten einer Behandlung mit Dronabinol. Er legte befürwortende Stellungnahmen seines Hausarztes Dr. Q vom 12.01.2006 und seiner Physiotherapheuten vom 13.01.2006 sowie den Entlassungsbericht der Reha-Klinik H vor.
Die Beklagte holte eine weitere Stellungnahme von Dr. Q vom 06.02.2006 und eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein. Der MDK-Arzt Dr. N kam am 21.02.2006 zum Ergebnis, es gebe derzeit keine gesicherte Evidenz, dass der medizinische Einsatz von Cannabis/Cannabinoiden zur Behandlung der Spastik den vorhandenen etablierten medikamentösen Therapiestandards überlegen wäre; es bestehe die Möglichkeit einer Behandlung mit Baclofen®; eine Therapie mit Dronabinol 2,5% Tropfen sei nicht als medizinischer Standard anzusehen. Zwar sei durch die Erkrankung die Lebensqualität des Klägers auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt; eine akut lebensbedrohliche Erkrankung liege jedoch nicht vor.
Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Antrag durch Bescheid vom 15.03.2006 ab.
Den dagegen am 20.03.2006 eingelegten Widerspruch wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 23.05.2006 zurück.
Dagegen hat der Kläger am 02.06.2006 Klage erhoben. Er trägt vor, alle Medikamente, die er bisher genommen habe, hätten starke Nebenwirkungen gehabt; Baclofen® habe u.a. zu starken Sehproblemen geführt. Einzig Dronabinol habe Erfolg gebracht; schon 48 Stunden nach der ersten Einnahme sei er (fast) schmerzfrei gewesen. Seitdem er das Medikament nicht mehr bekomme, habe er wieder unerträgliche Schmerzen.
Der Kläger verweist auf eine Stellungnahme des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 05.07.2006, verschiedene Berichte über die Behandlung mit Dronabinol sowie auf das Urteil des LSG NRW vom 20.09.2005 (L 5 KR 144/03) und das Urteil des BSG vom 04.04.2006 (B 1 KR 7/05 R).
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom15.03.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2006 zu verurteilen, ihn mit Dronabinol (Tropfen) als Rezepturarzneimittel zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, auch unter Berücksichtigung der Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in der Entscheidung vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98) und das BSG im Urteil vom 04.04.2006 (B 1 KR 7/05 R) aufgestellt hätten, könnten die Kosten einer Behandlung mit Dronabinol nicht übernommen werden; die Erkrankung des Klägers sei nicht akut lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich verlaufend. Die Beklagte verweist auf eine Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vom 10.04.2006 in einem Verfahren des Sozialgericht Marburg (S 6 KR 7/05), kritische Stellungnahmen in der wissenschaftlichen Literatur zum Einsatz von Dronabinol bei MS sowie das Urteil des BSG vom 26.09.2006, durch das das vom Kläger zitierte Urteil des LSG NRW vom 20.09.2005 aufgehoben worden ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Er hat keinen Anspruch auf Versorgung mit Dronabinol (Tropfen) als Rezepturarzneimittel.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u.a. die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V). Der Anspruch des Versicherten auf Bereitstellung der für die Krankenbehandlung benötigten Arzneimittel unterliegt den Einschränkungen aus §§ 2 Abs. 1 Satz 3 und 12 Abs. 1 SGB V. Er besteht nur für solche Pharmakotherapien, die sich bei dem vor- handenen Krankheitsbild als zweckmäßig und wirtschaftlich erwiesen haben und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Bei der Arzneimittelversorgung knüpft das Krankenver- sicherungsrecht an das Arzneimittelrecht an, das für Fertigarzneimittel eine staatliche Zulassung vorschreibt und deren Erteilung vom Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Medikaments abhängig macht (§ 21 Abs. 2 Arzneimittelgesetz - AMG).
Zulassungspflichtig sind gem. § 21 Abs. 1 AMG grundsätzlich nur Fertigarzneimittel. Das sind Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Verpackung in den Verkehr gebracht werden (§ 4 Abs. 1 AMG). Die Versorgung mit Dronabinol in Form des Fertigarzneimittels Marinol®, die der Kläger bereits 2003 ohne Erfolg erstrebt hat, scheitert daran, dass Marinol® in Deutschland oder der Europäischen Union (EU) nicht zugelassen ist. Soweit es in den USA zur Behandlung von Anorexie bei Aids-Patienten sowie zytostatikbedingtem Erbrechen bei Tumorpatienten zugelassen ist und auf der Grundlage des § 73 Abs. 3 AMG für den Einzelfall verordnet und importiert werden darf, führt dies nicht dazu, dass das Arzneimittel zur Behandlung von Schmerzen und Spastiken bei MS (so genannter Off-Label-Use) zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden darf. Dies gilt auch und gerade im Hinblick auf die vom BSG im Urteil vom 19.03.2002 (B 1 KR 37/00 R) entwickelten Grundsätze zur Leistungspflicht in eng begrenzten Ausnahmefällen bei Off-Label-Use eines Arzneimittels (so ausführlich: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.04.2003 - L 4 KR 3828/01; Sächsischen LSG, Beschluss vom 22.08.2005 - L 1 B 102/05 KR-ER). Soweit sich der Kläger auf das Urteil des LSG NRW vom 20.09.2005 (L 5 KR 144/03) beruft, ist dieses nicht rechtskräftig geworden; das BSG hat die Entscheidung des LSG durch Urteil vom 26.09.2006 (B 1 KR 27/05 R) aufgehoben und darin - sowie in zwei weiteren Urteilen vom selben Tag (B 1 KR 14/06 R und B 1 KR 15/06 R) - entschieden, dass Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung keinen Anspruch auf Versorgung mit einem zugelassenen Arzneimittel (Cabaseril®) zur Behandlung einer Erkrankung (hier: restless legs syndrom), für die es keine Zulassung besitzt - so genannter Off-Label-Use - hat, wenn die zu behandelnde Krankheit nicht lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich verlaufend ist.
Aber auch auf die - vorliegend vom Kläger begehrte - Versorgung mit Dronabinol als Rezepturarzneimittel in Tropfenform besteht kein Anspruch. Dies ergibt sich allerdings nicht aus arzneimittelrechtlichen Erwägungen. Denn als Rezepturarzneimittel ist Dronabinol nicht zulassungspflichtig. Bei den hier streitigen Dronabinol-Tropfen handelt es sich um ein im Einzelfall hergestelltes so genanntes Rezepturarzneimittel, für das lediglich eine Herstellungserlaubnis nach § 13 AMG erforderlich ist. Bei der Behandlung von MS mit Dronabinol handelt es sich aber um eine neue Behandlungsmethode; denn sie gehört, wie sich aus den vom Kläger vorgelegten Berichten und der Stellungnahme des MDK ergibt, nicht zur medizinischen Standardtherapie von MS und ist bisher nur versuchsweise eingesetzt worden. Es gibt keine durch anerkannte randomisierte Phase-III-Studien erbrachten Nachweise einer höheren und besseren Wirksamkeit gegenüber anerkannten Therapieformen.
Gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V dürfen neue Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Empfehlungen u.a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinischen Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgegeben hat. Solche befürwortenden Empfehlungen des G-BA liegen bisher nicht vor (vgl. die Stellungnahme des G-BA vom 10.04.2006 im Verfahren S 6 KR 7/05 - SG Marburg). Ein diesbezüglichen Systemversagen ist nicht ersichtlich.
Soweit das BVerfG im Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 = NZS 2006, 84) darüber hinausgehende Kriterien für eine ausnahmsweise Behandlung mit nicht anerkannten neuen Therapien aufgestellt hat, lässt sich auch hieraus ein Versorgungsanspruch des Klägers mit Dronabinol-Tropfen nicht begründen. Denn es liegt bei ihm mit der MS zwar eine schwere, seine Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende, aber keine lebensbedrohliche und regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor, wie es das BVerfG gefordert hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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