Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 9 U 47/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte wegen der Folgen des Unfalls vom 09.10.2002 dem Kläger eine Rente zu zahlen hat.
Der Kläger erlitt am 09.10.2002 früh morgens einen PKW-Unfall (Wegeunfall) als er - nach eigenen Angaben aufgrund Unachtsamkeit - mit dem Fahrzeug nach rechts von der Fahrbahn abkam und im flachen Winkel mit der rechten Vorderseite des PKW gegen eine Leitplanke stieß. Die Leitplanke wurde auf einem Meter Länge beschädigt. Der Kläger fuhr noch am Unfalltag selbst zu seinem Hausarzt und suchte 19 Tage später den D-Arzt auf. Dieser stellte Druck- und Klopfschmerz der Halswirbelsäule und der Lendenwirbelsäule sowie leichte Funktionsbehinderungen, die im Bereich der Halswirbelsäule schmerzhaft waren; neurologische Ausfälle bestanden nicht, subjektiv litt der Kläger an Schwindelerscheinungen. Neurologe Dr. T (08.11.2002) diagnostizierte einen Zustand nach Distorsionstrauma der Halswirbelsäule, es bestünden Schwindel, Sehstörungen und Parästhesien, insoweit sei ein Unfallzusammenhang aber fraglich. HNO-Arzt Dr. U (11.12.2002) äußerte einen Verdacht auf Commotio-Labyrinthi und vestibulärem Schwindel. Mit weiterem Bericht vom 08.04.2003 teilt Dr. U mit, dass die ursprünglich seitenverschiedene Erregbarkeit der Gleichgewichtsorgane inzwischen symmetrisch sei, dass aber nach wie vor Schwindelattacken bestünden. In der HNO-Ambulanz K-H. waren am 24.03.2003 keine richtungweisenden pathologischen Befunde zu erheben.
Die Beklagte veranlasste eine arbeitsmedizinische Begutachtung durch Dr. J. (vom 06.05.2003). Dr J. führte aus, ein Zusammenhang der Schwindelanfälle mit dem Unfall sei weder mit der nötigen Sicherheit zu bejahen, noch zu verneinen. Eine Anerkennung als Unfallfolge sei zu empfehlen, da ein Zusammenhang möglich sei.
Im Rahmen einer HNO-ärztlichen Reha in F (Juni/Juli 2003) berichtete der Kläger über eine abgelaufene depressive Phase aus familiären Gründen vor 14 Jahren, er sei auch nach dem Unfall in ein psychisches Tief geraten, dieses sei gebessert. Der Schwindel bestehe jedoch fort, von Seiten der Klinik wurde der Kläger als ungeeignet angesehen, beruflich Kraftfahrzeuge zu führen.
Der behandelnde HNO-Arzt überwies den Kläger im November 2003 zum Neurologen/Psychiater Dr. I, da die Dauer der Schwindelsymptomatik nicht ausreichend durch den Unfall erklärbar sei. Dr. I diagnostizierte eine Anpassungsstörung und Psychosomatose bei gekränkt-narzistischer Persönlichkeitsstruktur. Der Kläger leide an Persönlichkeitsstörungen, die sich durch Kränkungen, insbesondere ein gewalttätiges familiäres Umfeld, im Kindes- und Erwachsenenalter ausgebildet habe. Der berufliche Abstieg nach dem Unfall sei für den Kläger eine schwere Kränkung gewesen, da er über seine berufliche Leistungsfähigkeit kompensiert gewesen sei. Dies habe zu einem Selbstwertkonflikt mit hohem unbewusstem Versorgungswunsch geführt.
Im Mai 2004 wurde eine berufliche Wiedereingliederung des Klägers versucht, mit zunächst gutem Erfolg, aber erneuter Krankmeldung des Klägers nach einem Urlaub am 02.07.2004.
Die Beklagte veranlasste eine neurologisch/psychiatrische Begutachtung durch Dr. E (Gutachten vom 07.07.2004). Dort gab der Kläger an, bei dem Unfall nicht äußerlich verletzt worden zu sein, er habe nur blaue Flecken vom Gut her gehabt. Er sei nicht bewusstlos gewesen, die Schwindelsymptomatik habe am Folgetag begonnen. Seine Kindheit sei normal gewesen, 1989 bis 1993 habe er an Depressionen und Angst im Zusammenhang mit einer Trennung gelitten. Es habe weitere Unfälle mit Beteiligung der Halswirbelsäule gegeben und zwar 1990 und 1997. Sein Leben habe sich nach dem Unfall komplett gedreht, er sei früher beruflich erfolgreich gewesen, jetzt sei der Zug für ihn abgefahren. Den Schwindel erlebe er wie ein Unsicherheitsgefühl, wie Kippen und Fallen. Bei der Untersuchung sah Dr. E eine Tendenz zu psychogener Verdeutlichung mit teils vehement vertretenen Versorgungswünschen. Er diagnostizierte eine Somatisierungssstörung mit Phobien bei narzistischer Persönlichkeit; neurologisch sei kein pathologischer Befund zu erheben, Klage und Befunde stimmen nur teilweise überein. Der Unfall sei aus seiner Sicht allenfalls Gelegenheitsursache für die Befindlichkeitsstörungen des Klägers. HNO-Arzt Prof. C (Gutachten vom 26.07.2004, Untersuchung am 12.05.2004) begutachtete den Kläger ebenfalls und befand, dass der Unfallhergang nicht zu einem HWS-Schleudertrauma passe. Eine HWS-Verletzung mit Dauerschaden sei nach dem Unfallhergang nicht zu erwarten, auch fehlten pathologische Befunde auf sowohl HNO-ärztlichem Gebiet als auch der Halswirbelsäule. Hinweise für einen möglichen Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen seien demgegenüber der zeitliche Zusammenhang, die stets gleichbleibende und dauerhafte Schilderung von Beschwerden und die Durchgangsärztliche Diagnose "Halswirbelsäulen-Distorsion". Da die bestehenden psychischen Beschwerden die Abgrenzung erschwerten, sei die Entscheidung über die Kausalität auf neurologisch/psychiatrischem Gebiet zu treffen, HNO-ärztlich seien keine eindeutigen Unfallfolgen auszumachen.
Ein orthopädisches Gutachten von Prof. O. (vom 24.05.2005) ergab keine erkennbaren Unfallfolgen und keinen Hinweis auf einen Zusammenhang der Beschwerden des Klägers mit dem Unfall. Das radiologische Zusatzgutachten beschrieb eine degenerativ veränderte Halswirbelsäule.
Mit dem 16.05.2004 stellte die Beklagte die Verletztengeldzahlungen ein (Bescheid vom 26.07.2004, Widerspruchsbescheid vom 27.10.2004, bestätigendes Urteil des Sozialgerichtes Aachen, S 1 U 99/04, vom 13.09.2006). Seit dem 13.06.2005 war der Kläger wieder arbeitsfähig.
Eine Rentenzahlung lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 04.07.2005). Als Unfallfolge bestehe lediglich ein Zustand nach folgenlos verheilter Distorsion der Halswirbelsäule. Die psychischen Störungen des Klägers seien nicht auf den Unfall zurückzuführen. Seinen Widerspruch hiergegen begründete der Kläger damit, dass er vor dem Unfall nur einmal kurz in psychiatrischer Behandlung gewesen sei. Dass nach dem Unfall die Psyche nicht mehr so stabil sei wie vorher, sei nicht verwunderlich. Die psychische Störung sei durch den Unfall verursacht. Eine von der privaten Krankenversicherung beauftragte Neurologin/Psychiaterin (Dr. L ) habe eine Minderung der Erwerbsfähigkeit festgestellt. Der Kläger legte das Gutachten von Dr. L aus April 2005 vor. Hiernach seinen psychische Störungen anhand der vorliegenden Unterlagen beim Kläger eindeutig belegbar. Grundlage ihrer Entstehung sei eine ausgeprägte narzistische Persönlichkeitsstruktur. Die beim Kläger bestehende Schwindelerkrankung sei phobisch. Der Kläger sei dauerhaft in seiner beruflichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt.
Im Klageverfahren vor der 1. Kammer trug der Kläger demgegenüber am 25.10.2005 vor, er habe bei erneuter Arbeitsaufnahme am 13.06.2005 die vollständige Wiederherstellung seiner Arbeitskraft erlangt. Am 26.04.2006 erlitt der Kläger eine erneute Halswirbelsäulen-Distorsion als Beifahrer bei einem PKW-Unfall, wonach sich nach Auskunft seines behandelnden HNO-Arztes Dr. U seine Schwindelbeschwerden erneut verschlimmerten.
Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Bescheid vom 14.09.2006).
Hiergegen richtet sich die Klage, mit der der Kläger ein Attest von Dr. U vorlegt. Darin heißt es, dass nach dem Autounfall 2002 beim Kläger Phasen weitgehender Beschwerdefreiheit mit Phasen stärkerer Schwindelbeschwerden abgewechselt hätten. In Phasen relativen Wohlergehens leide der Kläger unter geringen Schwindelbeschwerden und leichter Unsicherheit auch bei niedrigen Belastungen. In den immer wieder auftretenden, nach dem zweiten Autounfall wochenlang andauernden schlechteren Phasen, reichten die Beschwerden bis zur Gehunfähigkeit. Der Kläger verweist auf ein im vorangegangenen Klageverfahren vor der 1. Kammer nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingeholtes HNO-ärztliches Gutachten von Prof. X/Dr.J., das nach seiner Auffassung den Zusammenhang seiner Schwindelbeschwerden mit dem Unfall bestätige.
Der Kläger legt ein im Zivilrechtsstreit gegen seine private Krankenversicherung angefertigtes Gutachten von Prof. I, Uniklinik D, vom 25.10.2006 vor. Danach sei von einer traumatisch induzierten Persistenz der Schwindelsymptomatik auf dem Boden einer Angstsymptomatik trotz Normalisierung der Gleichgewichtsorganfunktion auszugehen, aufgrund der engen zeitlichen Korrelation zwischen dem Autounfall und dem Auftreten der Beschwerden. Zwischenzeitlich habe der Kläger in Übereinstimmung mit den objektiven Befunden nach zweimaligen psychosomatisch/verhaltenstherapeutischen Rehabilitationsmaßnahmen und im Rahmen der beruflichen Wiedereingliederungsmaßnahme die Situation überwunden.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2006 zu verurteilen, dem Kläger eine Verletztenrente wegen der Folgen des Unfalles vom 09.10.2002 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ihre Ermittlungen hätten ergeben, dass kein Rentenanspruch bestehe.
Die Kammer hat die Akten des vorangegangenen Klageverfahrens S 1 U 99/04 (SG Aachen) beigezogen, in der sich insbesondere das vom Kläger in Bezug genommene Gutachten von Dr. J vom 25.02.2006 befindet. Außerdem waren beigezogen die Akten des Klageverfahren S 3 SB 7/04 (SG Aachen) zu Frage der Höhe des Grades der Behinderung (GdB) mit darin enthaltenem internistisch/arbeitsmedizinischem Gutachten von Dr. N vom 30.11.2005.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die vorstehend genannten Akten, insbesondere die zitierten Gutachten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Dem Kläger steht keine Rente wegen der Folgen des Unfalls vom 09.10.2002 zu.
Nach § 56 des Siebten Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf Rente. Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente, bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet. Sie wird in Höhe des Vom-Hundert-Satzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der MdE entspricht (§ 56 Abs. 3 SGB VII).
Die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der Gesetzlichen Unfallversicherung wegen eines Arbeitsunfalls (§ 8 SGB VII) setzt voraus, dass die versicherte Tätigkeit, das Unfallereignis und der geltend gemachte Gesundheitsschaden mit Gewissheit bewiesen sind (BSGE 61, 127, 130; 63, 270, 271; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung § 8 SGB VII Rdnr. 10). Die haftungsausfüllende Kausalität als Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs beurteilt sich nach der unfallrechtlichen Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung. Danach sind ursächlich oder mitursächlich nur die Bedingungen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes wegen ihrer besonderen Bedeutung für den Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Die Abwägung hat durch eine nachträgliche, individualisierende und konkretisierende Kausalitätsbeurteilung zu geschehen (BSG a.a.O.; LSG NRW, Urt. V. 6.12.2006, L 17 U 134/06; Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O. Rdnr. 8.2). Dabei muss der Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und dem Gesundheitsschaden, dessen Entschädigung begehrt wird, zwar nicht nachgewiesen aber hinreichend wahrscheinlich gemacht sein; die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (BSG, SozR 2200 § 548 Nr. 38; BSG, Urteil vom 22.08.2000 - B 2 U 34/99 R -; Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O., Rdnr. 10.1). Dieser Zusammenhang ist unter Berücksichtigung der herrschenden unfallmedizinischen Lehrauffassung, die bei der Beurteilung maßgebend ist (BSG, Urteil vom 12.11.1986 - 9b RU 76/86 -; Senatsurteil vom 16.08.2006 - L 17 U 316/04 - Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Auflage 2005 Abschnitt III Rdnr. 47, 57) erst dann gegeben, wenn mehr für als gegen den Zusammenhang spricht und ernste Zweifel an einer anderen Verursachung ausscheiden (BSG, Breithaupt 1963, 60, 61; BSGE 32, 303, 309; 45, 285, 286). Die für den Kausalzusammenhang sprechenden Umstände müssen danach die gegenteiligen deutlich überwiegen (vgl. Schulz-Weidner SGb 1992, 59, 64 ff.).
Von diesen rechtlichen Voraussetzungen ausgehend ist nach dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren kein Rentenanspruch gegeben, denn es liegen spätestens seit dem Ende der Verletztengeldzahlung keine Folgen des Unfalles mehr vor, die eine rentenberechtigende MdE bedingen.
Orthopädische Unfallfolgen macht der Kläger nicht geltend und sind auch nach dem urkundsbeweislich verwerteten Ergebnis der Begutachtung durch Prof. O nicht vorhanden.
Hingegen geht die Kammer entgegen den angefochtenen Bescheiden davon aus, dass neben dem anerkannten Zustand nach Wirbelsäulendistorsion beim Kläger auch HNO-ärztliche Unfallfolgen in Form einer commotio labyrinthi bestanden haben. Die Kammer schließt dies aus den Untersuchungsbefunden des HNO-Arztes Dr. U, der zeitnah nach dem Unfall eine seitenverschiedene Erregbarkeit der Gleichgewichtsorgane befundete, die sich bis April 2003 wieder normalisiert hatte, was im Falle des Klägers - wie sich zur Überzeugung der Kammer aus dem insoweit nachvollziehbaren Gutachten von Dr. J ergibt - bei normalem Verlauf einer commotio labyrinthi auch zu erwarten gewesen wäre.
Für die Zeit nach April 2003 gibt es aber keinerlei objektive Befunde mehr, die die Schwindelbeschwerden des Klägers erklären. Zwar hat Dr. J. bei der Untersuchung des Klägers im Januar 2006 bei der Dreh-Pendel-Prüfung Hinweise auf ein zentrales Funktionsdefizit des vestibulo-okulären Reflexes vorgefunden, die bei früheren Untersuchungen nicht festgestellt werden konnten, außerdem hat er erstmals die VEMP gemessen und hierbei ebenfalls einen pathologischen Befund erhoben, nämlich den Ausfall des für die Vertikalbewegung zuständigen Sensororgans, der makula-sacculi.
Die Rückführbarkeit dieser Befunde auf den Unfall ist allerdings problematisch. Auch erklären beide Befunde die Schwindelerkrankung des Klägers nicht.
Dr. J weist selbst darauf hin, dass die Drehpendelprüfung bei früheren Untersuchungen unauffällige Ergebnisse gezeigt habe. Eine Erklärung dafür, wie ein zentrales Funktionsdefizit demnach offenbar Jahre nach dem Unfall entstanden sein soll, bleibt er schuldig. Insbesondere bezieht er auch in seine Erwägungen nicht ein, dass zu einem Zeitpunkt zu dem die bis dahin erhobenen HNO-ärztlichen Befunde bereits wieder normal waren, der Kläger weitere häusliche Unfälle erlitt, nämlich am 22.09.2003 und am 26.03.2005.
Hinsichtlich des Ausfalls der makula-sacculi gibt es keine Vorbefunde, da die VEMP erstmals durch Dr. J erhoben wurden. Weder das Ergebnis der Drehpendelprüfung, noch das der VEMP erklären aber - wie sich aus dem Gutachten von Dr. J unmittelbar ergibt - die bei dem Kläger nach April 2003 noch fortbestehenden Schwindelbeschwerden.
Dr. J bietet insgesamt drei mögliche Erklärungen für den Fortbestand der Schwindelsymptomatik beim Kläger an: Der Ausfall der Otolithenorgane für die Vertikalbewegung beidseits könne die Kompensation eines Ausfalls eines Bogengangorgans deutlich verzögern. Diese Variante überzeugt die Kammer nicht, da nach den Feststellungen von Dr. U im April 2003 bereits eine Kompensation des Schadens an den Bogenorganen stattgefunden hatte.
Zum Anderen könne ein zusätzlich bestehendes zentrales Funktionsdefizit, das bei wiederhergestellter Funktion (!) des Bogengangorgans fortbesteht, in der Lage sein, vergleichbare Beschwerden zu verursachen. Insoweit besteht bereits das erwähnte Problem der Zuordnung dieses zentralen Defizites zum Unfall. Es kommt hinzu, dass die HNO-ärztlichen Gutachter C. und J. ihre Einschätzung des beim Kläger bestehenden Krankheitsbildes zugrunde legen, dass dieser seine Beschwerden glaubhaft und in wiederkehrender Weise beschreibt, ohne dass eine Tendenz zur Verstärkung bzw. Abschwächung der beklagten Beschwerden besteht. Diese offenbar für eine Rückführung der Schwindelbeschwerden auf körperliche Ursachen wesentliche Voraussetzung trifft aber nicht zu. Tatsächlich waren die Beschwerden des Klägers, wie sich aus dem Attest seine HNO-Arztes vom 21.09.2006 ergibt, stark wechselhaft mit Phasen weitgehender Beschwerdefreiheit bis hin zu häufigsten Beschwerden mit Gehunfähigkeit. Ausweislich des Gutachtens von Prof. I. waren die Beschwerden spätestens im Oktober 2006 vollständig abgeklungen und hatten seit mindestens April/Mai 2005 keinen Einfluss mehr auf die Arbeitsfähigkeit des Klägers. Es bleibt somit die von allen Sachverständigen, insbesondere auch dem neurologisch/psychiatrischen, deren Ergebnisse Dr. J. leider vernachlässigt, für zutreffend gehaltene Diagnose des phobischen Schwindels, die auch Dr. J. in seinem Gutachten als gleichwertige Möglichkeit bezeichnet. Diese Diagnose ist - da sie auch auf breite Zustimmung aller übrigen im Verfahren befragten Mediziner stößt - zur Überzeugung der Kammer zutreffend.
Ein Zusammenhang dieser demnach nicht auf körperlichen Ursachen beruhenden Schwindelerkrankung mit dem Unfall ist nicht hinreichend wahrscheinlich, denn es spricht nicht mehr für als gegen einen solchen Zusammenhang. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kommen für einen phobischen Schwindel beim Kläger zwei Ursachen in Betracht. Zum Einen ein ängstliches Vermeidungsverhalten als Residualsymptom einer zuvor organisch bedingten aber kompensierten Störung der Gleichgewichtsorgane (so Dr. J. ), dass heißt, obwohl aus organischen Gründen keine Schwindelerscheinungen mehr zu erwarten gewesen wären, entwickelte der Kläger eine Angststörung, die dann zum Fortbestehen der Schwindelgefühle geführt hätte. In der zeitlichen Abfolge würde dies bedeuten, dass sich beim Kläger zunächst Schwindelbeschwerden und darauf aufbauend eine phobische Störung entwickelt hätte.
Aus neurologisch/psychiatrischer Sicht hingegen, die auch Prof. C. für die maßgebliche hält, kommt die umgekehrte Reihenfolge in Betracht, also dass beim Kläger aufgrund einer vorbestehenden Persönlichkeitsstörung und in Verbindung mit den sozialen (nicht: gesundheitlichen) Folgen des Unfalls eine Angststörung bestand, die ihrerseits u.a. zu phobischem Schwindel geführt hat. Nur beim erstgenannten Fall würde es sich um versicherte Unfallfolgen handeln. Diese Alternative ist jedoch aus der Sicht der Kammer nicht wahrscheinlicher als die letztgenannte.
Prof. C. stellt die Abwägungselemente für die Kammer nachvollziehbar und überzeugend zusammen, auch wenn er dann im Tatsächlichen von teilweise falschen Voraussetzungen ausgeht. Danach sprechen für einen Unfallzusammenhang das zeitliche Zusammentreffen, die Beschwerdepersistenz und die Durchgangsärztliche Diagnose "Halswirbelsäulendistorsion". Hingegen sei der Unfallhergang vergleichsweise harmlos und die dokumentierten unmittelbaren Unfallfolgen ließen einen Dauerschaden nicht erwarten. Aus der Diagnose "Halswirbelsäulendistorsion" sind zur Überzeugung der Kammer keinerlei Rückschlüsse auf eine mögliche Schwere des Unfalls möglich. Klinisch wird die Diagnose mit der Angabe von Druckschmerzen über den Dornfortsetzen der Halswirbelsäule und einer schmerzhaft eingeschränkten Beweglichkeit oder Steilstellung der Halswirbelsäule begründet, Beschwerden bzw. Befunde, wie sie angesichts des Alters des Klägers und der bei ihm vorhandenen Verschleißerscheinungen der Halswirbelsäule nicht spezifisch sind (vgl. Stevens, Das Halswirbelsäulenschleudertrauma in der Begutachtung, med. sach. 2006, 139). Die hierdurch begründeten Bedenken verstärken sich angesichts der Tatsache, dass bei dem im Unfallzeitpunkt angeschnallt gewesenen Kläger gleiche Befunde auch über der Lendenwirbelsäule bestanden.
Zur Frage der Beschwerdepersistenz wurde oben schon gezeigt, dass beim Kläger stark wechselhafte Beschwerden mit Zeiten der Beschwerdefreiheit bestanden.
Ein zeitlicher Zusammenhang liegt nahe, zumal unmittelbar nach dem Unfall auch HNO-ärztliche Auffälligkeiten bestanden. Zweifel sind dennoch auch insoweit angebracht und beruhen nicht nur darauf, dass der Kläger bereits in den 80er Jahren auf eine Stresssituation mit Angst und Depression reagierte, sondern auch darauf, dass der Kläger hinsichtlich seiner Vorgeschichte offenbar nicht gegenüber allen Untersuchern mit der gleichen Offenheit berichtete. So zeigen sich im Entlassungsbericht aus der Rehabilitation in der S-Parkklinik (Dr. I.) deutliche Hinweise auf eine erhebliche Traumatisierung im Kindes-, Jugendlichen- und jungen Erwachsenenalter durch eine von Gewalt bestimmte Bestimmung zu Vater bis in das vierte Lebensjahrzehnt hinein. Demgegenüber hat der Kläger bei der Begutachtung durch Dr. H. keine Auffälligkeiten aus der familiären Vorgeschichte berichtet.
Schließlich war die Kammer aufgrund der Gesamtumstände des Unfalles, für den es keinen erkennbaren Anlass gab (der Kläger gab an, unaufmerksam gewesen zu sein), nicht überzeugt davon, dass der beim Kläger bestehende Schwindel anstatt als Folge nicht auch als Ursache des Unfalls in Betracht kommt.
Alle diese Umstände bewegen die Kammer, Dr. H. darin zu folgen, dass beim Kläger eine phobische Störung bestand, die zu Schwindelerscheinungen geführt hat, ohne dass dieser auf den Unfall zurückzuführen wäre.
Eine Rentengewährung kommt vor diesem Hintergrund aus Beweisgründen nicht in Betracht. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass ausweislich des Gutachtens von Prof. I. vom 25.10.2006 davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger die Schwindelerkrankung "überwunden" hat und mit erfolgreichem Abschluss der beruflichen Wiedereingliederungsmaßnahme seit 13.06.2005 keine MdE mehr besteht.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte wegen der Folgen des Unfalls vom 09.10.2002 dem Kläger eine Rente zu zahlen hat.
Der Kläger erlitt am 09.10.2002 früh morgens einen PKW-Unfall (Wegeunfall) als er - nach eigenen Angaben aufgrund Unachtsamkeit - mit dem Fahrzeug nach rechts von der Fahrbahn abkam und im flachen Winkel mit der rechten Vorderseite des PKW gegen eine Leitplanke stieß. Die Leitplanke wurde auf einem Meter Länge beschädigt. Der Kläger fuhr noch am Unfalltag selbst zu seinem Hausarzt und suchte 19 Tage später den D-Arzt auf. Dieser stellte Druck- und Klopfschmerz der Halswirbelsäule und der Lendenwirbelsäule sowie leichte Funktionsbehinderungen, die im Bereich der Halswirbelsäule schmerzhaft waren; neurologische Ausfälle bestanden nicht, subjektiv litt der Kläger an Schwindelerscheinungen. Neurologe Dr. T (08.11.2002) diagnostizierte einen Zustand nach Distorsionstrauma der Halswirbelsäule, es bestünden Schwindel, Sehstörungen und Parästhesien, insoweit sei ein Unfallzusammenhang aber fraglich. HNO-Arzt Dr. U (11.12.2002) äußerte einen Verdacht auf Commotio-Labyrinthi und vestibulärem Schwindel. Mit weiterem Bericht vom 08.04.2003 teilt Dr. U mit, dass die ursprünglich seitenverschiedene Erregbarkeit der Gleichgewichtsorgane inzwischen symmetrisch sei, dass aber nach wie vor Schwindelattacken bestünden. In der HNO-Ambulanz K-H. waren am 24.03.2003 keine richtungweisenden pathologischen Befunde zu erheben.
Die Beklagte veranlasste eine arbeitsmedizinische Begutachtung durch Dr. J. (vom 06.05.2003). Dr J. führte aus, ein Zusammenhang der Schwindelanfälle mit dem Unfall sei weder mit der nötigen Sicherheit zu bejahen, noch zu verneinen. Eine Anerkennung als Unfallfolge sei zu empfehlen, da ein Zusammenhang möglich sei.
Im Rahmen einer HNO-ärztlichen Reha in F (Juni/Juli 2003) berichtete der Kläger über eine abgelaufene depressive Phase aus familiären Gründen vor 14 Jahren, er sei auch nach dem Unfall in ein psychisches Tief geraten, dieses sei gebessert. Der Schwindel bestehe jedoch fort, von Seiten der Klinik wurde der Kläger als ungeeignet angesehen, beruflich Kraftfahrzeuge zu führen.
Der behandelnde HNO-Arzt überwies den Kläger im November 2003 zum Neurologen/Psychiater Dr. I, da die Dauer der Schwindelsymptomatik nicht ausreichend durch den Unfall erklärbar sei. Dr. I diagnostizierte eine Anpassungsstörung und Psychosomatose bei gekränkt-narzistischer Persönlichkeitsstruktur. Der Kläger leide an Persönlichkeitsstörungen, die sich durch Kränkungen, insbesondere ein gewalttätiges familiäres Umfeld, im Kindes- und Erwachsenenalter ausgebildet habe. Der berufliche Abstieg nach dem Unfall sei für den Kläger eine schwere Kränkung gewesen, da er über seine berufliche Leistungsfähigkeit kompensiert gewesen sei. Dies habe zu einem Selbstwertkonflikt mit hohem unbewusstem Versorgungswunsch geführt.
Im Mai 2004 wurde eine berufliche Wiedereingliederung des Klägers versucht, mit zunächst gutem Erfolg, aber erneuter Krankmeldung des Klägers nach einem Urlaub am 02.07.2004.
Die Beklagte veranlasste eine neurologisch/psychiatrische Begutachtung durch Dr. E (Gutachten vom 07.07.2004). Dort gab der Kläger an, bei dem Unfall nicht äußerlich verletzt worden zu sein, er habe nur blaue Flecken vom Gut her gehabt. Er sei nicht bewusstlos gewesen, die Schwindelsymptomatik habe am Folgetag begonnen. Seine Kindheit sei normal gewesen, 1989 bis 1993 habe er an Depressionen und Angst im Zusammenhang mit einer Trennung gelitten. Es habe weitere Unfälle mit Beteiligung der Halswirbelsäule gegeben und zwar 1990 und 1997. Sein Leben habe sich nach dem Unfall komplett gedreht, er sei früher beruflich erfolgreich gewesen, jetzt sei der Zug für ihn abgefahren. Den Schwindel erlebe er wie ein Unsicherheitsgefühl, wie Kippen und Fallen. Bei der Untersuchung sah Dr. E eine Tendenz zu psychogener Verdeutlichung mit teils vehement vertretenen Versorgungswünschen. Er diagnostizierte eine Somatisierungssstörung mit Phobien bei narzistischer Persönlichkeit; neurologisch sei kein pathologischer Befund zu erheben, Klage und Befunde stimmen nur teilweise überein. Der Unfall sei aus seiner Sicht allenfalls Gelegenheitsursache für die Befindlichkeitsstörungen des Klägers. HNO-Arzt Prof. C (Gutachten vom 26.07.2004, Untersuchung am 12.05.2004) begutachtete den Kläger ebenfalls und befand, dass der Unfallhergang nicht zu einem HWS-Schleudertrauma passe. Eine HWS-Verletzung mit Dauerschaden sei nach dem Unfallhergang nicht zu erwarten, auch fehlten pathologische Befunde auf sowohl HNO-ärztlichem Gebiet als auch der Halswirbelsäule. Hinweise für einen möglichen Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen seien demgegenüber der zeitliche Zusammenhang, die stets gleichbleibende und dauerhafte Schilderung von Beschwerden und die Durchgangsärztliche Diagnose "Halswirbelsäulen-Distorsion". Da die bestehenden psychischen Beschwerden die Abgrenzung erschwerten, sei die Entscheidung über die Kausalität auf neurologisch/psychiatrischem Gebiet zu treffen, HNO-ärztlich seien keine eindeutigen Unfallfolgen auszumachen.
Ein orthopädisches Gutachten von Prof. O. (vom 24.05.2005) ergab keine erkennbaren Unfallfolgen und keinen Hinweis auf einen Zusammenhang der Beschwerden des Klägers mit dem Unfall. Das radiologische Zusatzgutachten beschrieb eine degenerativ veränderte Halswirbelsäule.
Mit dem 16.05.2004 stellte die Beklagte die Verletztengeldzahlungen ein (Bescheid vom 26.07.2004, Widerspruchsbescheid vom 27.10.2004, bestätigendes Urteil des Sozialgerichtes Aachen, S 1 U 99/04, vom 13.09.2006). Seit dem 13.06.2005 war der Kläger wieder arbeitsfähig.
Eine Rentenzahlung lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 04.07.2005). Als Unfallfolge bestehe lediglich ein Zustand nach folgenlos verheilter Distorsion der Halswirbelsäule. Die psychischen Störungen des Klägers seien nicht auf den Unfall zurückzuführen. Seinen Widerspruch hiergegen begründete der Kläger damit, dass er vor dem Unfall nur einmal kurz in psychiatrischer Behandlung gewesen sei. Dass nach dem Unfall die Psyche nicht mehr so stabil sei wie vorher, sei nicht verwunderlich. Die psychische Störung sei durch den Unfall verursacht. Eine von der privaten Krankenversicherung beauftragte Neurologin/Psychiaterin (Dr. L ) habe eine Minderung der Erwerbsfähigkeit festgestellt. Der Kläger legte das Gutachten von Dr. L aus April 2005 vor. Hiernach seinen psychische Störungen anhand der vorliegenden Unterlagen beim Kläger eindeutig belegbar. Grundlage ihrer Entstehung sei eine ausgeprägte narzistische Persönlichkeitsstruktur. Die beim Kläger bestehende Schwindelerkrankung sei phobisch. Der Kläger sei dauerhaft in seiner beruflichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt.
Im Klageverfahren vor der 1. Kammer trug der Kläger demgegenüber am 25.10.2005 vor, er habe bei erneuter Arbeitsaufnahme am 13.06.2005 die vollständige Wiederherstellung seiner Arbeitskraft erlangt. Am 26.04.2006 erlitt der Kläger eine erneute Halswirbelsäulen-Distorsion als Beifahrer bei einem PKW-Unfall, wonach sich nach Auskunft seines behandelnden HNO-Arztes Dr. U seine Schwindelbeschwerden erneut verschlimmerten.
Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Bescheid vom 14.09.2006).
Hiergegen richtet sich die Klage, mit der der Kläger ein Attest von Dr. U vorlegt. Darin heißt es, dass nach dem Autounfall 2002 beim Kläger Phasen weitgehender Beschwerdefreiheit mit Phasen stärkerer Schwindelbeschwerden abgewechselt hätten. In Phasen relativen Wohlergehens leide der Kläger unter geringen Schwindelbeschwerden und leichter Unsicherheit auch bei niedrigen Belastungen. In den immer wieder auftretenden, nach dem zweiten Autounfall wochenlang andauernden schlechteren Phasen, reichten die Beschwerden bis zur Gehunfähigkeit. Der Kläger verweist auf ein im vorangegangenen Klageverfahren vor der 1. Kammer nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingeholtes HNO-ärztliches Gutachten von Prof. X/Dr.J., das nach seiner Auffassung den Zusammenhang seiner Schwindelbeschwerden mit dem Unfall bestätige.
Der Kläger legt ein im Zivilrechtsstreit gegen seine private Krankenversicherung angefertigtes Gutachten von Prof. I, Uniklinik D, vom 25.10.2006 vor. Danach sei von einer traumatisch induzierten Persistenz der Schwindelsymptomatik auf dem Boden einer Angstsymptomatik trotz Normalisierung der Gleichgewichtsorganfunktion auszugehen, aufgrund der engen zeitlichen Korrelation zwischen dem Autounfall und dem Auftreten der Beschwerden. Zwischenzeitlich habe der Kläger in Übereinstimmung mit den objektiven Befunden nach zweimaligen psychosomatisch/verhaltenstherapeutischen Rehabilitationsmaßnahmen und im Rahmen der beruflichen Wiedereingliederungsmaßnahme die Situation überwunden.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2006 zu verurteilen, dem Kläger eine Verletztenrente wegen der Folgen des Unfalles vom 09.10.2002 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ihre Ermittlungen hätten ergeben, dass kein Rentenanspruch bestehe.
Die Kammer hat die Akten des vorangegangenen Klageverfahrens S 1 U 99/04 (SG Aachen) beigezogen, in der sich insbesondere das vom Kläger in Bezug genommene Gutachten von Dr. J vom 25.02.2006 befindet. Außerdem waren beigezogen die Akten des Klageverfahren S 3 SB 7/04 (SG Aachen) zu Frage der Höhe des Grades der Behinderung (GdB) mit darin enthaltenem internistisch/arbeitsmedizinischem Gutachten von Dr. N vom 30.11.2005.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die vorstehend genannten Akten, insbesondere die zitierten Gutachten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Dem Kläger steht keine Rente wegen der Folgen des Unfalls vom 09.10.2002 zu.
Nach § 56 des Siebten Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf Rente. Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente, bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet. Sie wird in Höhe des Vom-Hundert-Satzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der MdE entspricht (§ 56 Abs. 3 SGB VII).
Die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der Gesetzlichen Unfallversicherung wegen eines Arbeitsunfalls (§ 8 SGB VII) setzt voraus, dass die versicherte Tätigkeit, das Unfallereignis und der geltend gemachte Gesundheitsschaden mit Gewissheit bewiesen sind (BSGE 61, 127, 130; 63, 270, 271; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung § 8 SGB VII Rdnr. 10). Die haftungsausfüllende Kausalität als Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs beurteilt sich nach der unfallrechtlichen Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung. Danach sind ursächlich oder mitursächlich nur die Bedingungen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes wegen ihrer besonderen Bedeutung für den Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Die Abwägung hat durch eine nachträgliche, individualisierende und konkretisierende Kausalitätsbeurteilung zu geschehen (BSG a.a.O.; LSG NRW, Urt. V. 6.12.2006, L 17 U 134/06; Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O. Rdnr. 8.2). Dabei muss der Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und dem Gesundheitsschaden, dessen Entschädigung begehrt wird, zwar nicht nachgewiesen aber hinreichend wahrscheinlich gemacht sein; die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (BSG, SozR 2200 § 548 Nr. 38; BSG, Urteil vom 22.08.2000 - B 2 U 34/99 R -; Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O., Rdnr. 10.1). Dieser Zusammenhang ist unter Berücksichtigung der herrschenden unfallmedizinischen Lehrauffassung, die bei der Beurteilung maßgebend ist (BSG, Urteil vom 12.11.1986 - 9b RU 76/86 -; Senatsurteil vom 16.08.2006 - L 17 U 316/04 - Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Auflage 2005 Abschnitt III Rdnr. 47, 57) erst dann gegeben, wenn mehr für als gegen den Zusammenhang spricht und ernste Zweifel an einer anderen Verursachung ausscheiden (BSG, Breithaupt 1963, 60, 61; BSGE 32, 303, 309; 45, 285, 286). Die für den Kausalzusammenhang sprechenden Umstände müssen danach die gegenteiligen deutlich überwiegen (vgl. Schulz-Weidner SGb 1992, 59, 64 ff.).
Von diesen rechtlichen Voraussetzungen ausgehend ist nach dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren kein Rentenanspruch gegeben, denn es liegen spätestens seit dem Ende der Verletztengeldzahlung keine Folgen des Unfalles mehr vor, die eine rentenberechtigende MdE bedingen.
Orthopädische Unfallfolgen macht der Kläger nicht geltend und sind auch nach dem urkundsbeweislich verwerteten Ergebnis der Begutachtung durch Prof. O nicht vorhanden.
Hingegen geht die Kammer entgegen den angefochtenen Bescheiden davon aus, dass neben dem anerkannten Zustand nach Wirbelsäulendistorsion beim Kläger auch HNO-ärztliche Unfallfolgen in Form einer commotio labyrinthi bestanden haben. Die Kammer schließt dies aus den Untersuchungsbefunden des HNO-Arztes Dr. U, der zeitnah nach dem Unfall eine seitenverschiedene Erregbarkeit der Gleichgewichtsorgane befundete, die sich bis April 2003 wieder normalisiert hatte, was im Falle des Klägers - wie sich zur Überzeugung der Kammer aus dem insoweit nachvollziehbaren Gutachten von Dr. J ergibt - bei normalem Verlauf einer commotio labyrinthi auch zu erwarten gewesen wäre.
Für die Zeit nach April 2003 gibt es aber keinerlei objektive Befunde mehr, die die Schwindelbeschwerden des Klägers erklären. Zwar hat Dr. J. bei der Untersuchung des Klägers im Januar 2006 bei der Dreh-Pendel-Prüfung Hinweise auf ein zentrales Funktionsdefizit des vestibulo-okulären Reflexes vorgefunden, die bei früheren Untersuchungen nicht festgestellt werden konnten, außerdem hat er erstmals die VEMP gemessen und hierbei ebenfalls einen pathologischen Befund erhoben, nämlich den Ausfall des für die Vertikalbewegung zuständigen Sensororgans, der makula-sacculi.
Die Rückführbarkeit dieser Befunde auf den Unfall ist allerdings problematisch. Auch erklären beide Befunde die Schwindelerkrankung des Klägers nicht.
Dr. J weist selbst darauf hin, dass die Drehpendelprüfung bei früheren Untersuchungen unauffällige Ergebnisse gezeigt habe. Eine Erklärung dafür, wie ein zentrales Funktionsdefizit demnach offenbar Jahre nach dem Unfall entstanden sein soll, bleibt er schuldig. Insbesondere bezieht er auch in seine Erwägungen nicht ein, dass zu einem Zeitpunkt zu dem die bis dahin erhobenen HNO-ärztlichen Befunde bereits wieder normal waren, der Kläger weitere häusliche Unfälle erlitt, nämlich am 22.09.2003 und am 26.03.2005.
Hinsichtlich des Ausfalls der makula-sacculi gibt es keine Vorbefunde, da die VEMP erstmals durch Dr. J erhoben wurden. Weder das Ergebnis der Drehpendelprüfung, noch das der VEMP erklären aber - wie sich aus dem Gutachten von Dr. J unmittelbar ergibt - die bei dem Kläger nach April 2003 noch fortbestehenden Schwindelbeschwerden.
Dr. J bietet insgesamt drei mögliche Erklärungen für den Fortbestand der Schwindelsymptomatik beim Kläger an: Der Ausfall der Otolithenorgane für die Vertikalbewegung beidseits könne die Kompensation eines Ausfalls eines Bogengangorgans deutlich verzögern. Diese Variante überzeugt die Kammer nicht, da nach den Feststellungen von Dr. U im April 2003 bereits eine Kompensation des Schadens an den Bogenorganen stattgefunden hatte.
Zum Anderen könne ein zusätzlich bestehendes zentrales Funktionsdefizit, das bei wiederhergestellter Funktion (!) des Bogengangorgans fortbesteht, in der Lage sein, vergleichbare Beschwerden zu verursachen. Insoweit besteht bereits das erwähnte Problem der Zuordnung dieses zentralen Defizites zum Unfall. Es kommt hinzu, dass die HNO-ärztlichen Gutachter C. und J. ihre Einschätzung des beim Kläger bestehenden Krankheitsbildes zugrunde legen, dass dieser seine Beschwerden glaubhaft und in wiederkehrender Weise beschreibt, ohne dass eine Tendenz zur Verstärkung bzw. Abschwächung der beklagten Beschwerden besteht. Diese offenbar für eine Rückführung der Schwindelbeschwerden auf körperliche Ursachen wesentliche Voraussetzung trifft aber nicht zu. Tatsächlich waren die Beschwerden des Klägers, wie sich aus dem Attest seine HNO-Arztes vom 21.09.2006 ergibt, stark wechselhaft mit Phasen weitgehender Beschwerdefreiheit bis hin zu häufigsten Beschwerden mit Gehunfähigkeit. Ausweislich des Gutachtens von Prof. I. waren die Beschwerden spätestens im Oktober 2006 vollständig abgeklungen und hatten seit mindestens April/Mai 2005 keinen Einfluss mehr auf die Arbeitsfähigkeit des Klägers. Es bleibt somit die von allen Sachverständigen, insbesondere auch dem neurologisch/psychiatrischen, deren Ergebnisse Dr. J. leider vernachlässigt, für zutreffend gehaltene Diagnose des phobischen Schwindels, die auch Dr. J. in seinem Gutachten als gleichwertige Möglichkeit bezeichnet. Diese Diagnose ist - da sie auch auf breite Zustimmung aller übrigen im Verfahren befragten Mediziner stößt - zur Überzeugung der Kammer zutreffend.
Ein Zusammenhang dieser demnach nicht auf körperlichen Ursachen beruhenden Schwindelerkrankung mit dem Unfall ist nicht hinreichend wahrscheinlich, denn es spricht nicht mehr für als gegen einen solchen Zusammenhang. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kommen für einen phobischen Schwindel beim Kläger zwei Ursachen in Betracht. Zum Einen ein ängstliches Vermeidungsverhalten als Residualsymptom einer zuvor organisch bedingten aber kompensierten Störung der Gleichgewichtsorgane (so Dr. J. ), dass heißt, obwohl aus organischen Gründen keine Schwindelerscheinungen mehr zu erwarten gewesen wären, entwickelte der Kläger eine Angststörung, die dann zum Fortbestehen der Schwindelgefühle geführt hätte. In der zeitlichen Abfolge würde dies bedeuten, dass sich beim Kläger zunächst Schwindelbeschwerden und darauf aufbauend eine phobische Störung entwickelt hätte.
Aus neurologisch/psychiatrischer Sicht hingegen, die auch Prof. C. für die maßgebliche hält, kommt die umgekehrte Reihenfolge in Betracht, also dass beim Kläger aufgrund einer vorbestehenden Persönlichkeitsstörung und in Verbindung mit den sozialen (nicht: gesundheitlichen) Folgen des Unfalls eine Angststörung bestand, die ihrerseits u.a. zu phobischem Schwindel geführt hat. Nur beim erstgenannten Fall würde es sich um versicherte Unfallfolgen handeln. Diese Alternative ist jedoch aus der Sicht der Kammer nicht wahrscheinlicher als die letztgenannte.
Prof. C. stellt die Abwägungselemente für die Kammer nachvollziehbar und überzeugend zusammen, auch wenn er dann im Tatsächlichen von teilweise falschen Voraussetzungen ausgeht. Danach sprechen für einen Unfallzusammenhang das zeitliche Zusammentreffen, die Beschwerdepersistenz und die Durchgangsärztliche Diagnose "Halswirbelsäulendistorsion". Hingegen sei der Unfallhergang vergleichsweise harmlos und die dokumentierten unmittelbaren Unfallfolgen ließen einen Dauerschaden nicht erwarten. Aus der Diagnose "Halswirbelsäulendistorsion" sind zur Überzeugung der Kammer keinerlei Rückschlüsse auf eine mögliche Schwere des Unfalls möglich. Klinisch wird die Diagnose mit der Angabe von Druckschmerzen über den Dornfortsetzen der Halswirbelsäule und einer schmerzhaft eingeschränkten Beweglichkeit oder Steilstellung der Halswirbelsäule begründet, Beschwerden bzw. Befunde, wie sie angesichts des Alters des Klägers und der bei ihm vorhandenen Verschleißerscheinungen der Halswirbelsäule nicht spezifisch sind (vgl. Stevens, Das Halswirbelsäulenschleudertrauma in der Begutachtung, med. sach. 2006, 139). Die hierdurch begründeten Bedenken verstärken sich angesichts der Tatsache, dass bei dem im Unfallzeitpunkt angeschnallt gewesenen Kläger gleiche Befunde auch über der Lendenwirbelsäule bestanden.
Zur Frage der Beschwerdepersistenz wurde oben schon gezeigt, dass beim Kläger stark wechselhafte Beschwerden mit Zeiten der Beschwerdefreiheit bestanden.
Ein zeitlicher Zusammenhang liegt nahe, zumal unmittelbar nach dem Unfall auch HNO-ärztliche Auffälligkeiten bestanden. Zweifel sind dennoch auch insoweit angebracht und beruhen nicht nur darauf, dass der Kläger bereits in den 80er Jahren auf eine Stresssituation mit Angst und Depression reagierte, sondern auch darauf, dass der Kläger hinsichtlich seiner Vorgeschichte offenbar nicht gegenüber allen Untersuchern mit der gleichen Offenheit berichtete. So zeigen sich im Entlassungsbericht aus der Rehabilitation in der S-Parkklinik (Dr. I.) deutliche Hinweise auf eine erhebliche Traumatisierung im Kindes-, Jugendlichen- und jungen Erwachsenenalter durch eine von Gewalt bestimmte Bestimmung zu Vater bis in das vierte Lebensjahrzehnt hinein. Demgegenüber hat der Kläger bei der Begutachtung durch Dr. H. keine Auffälligkeiten aus der familiären Vorgeschichte berichtet.
Schließlich war die Kammer aufgrund der Gesamtumstände des Unfalles, für den es keinen erkennbaren Anlass gab (der Kläger gab an, unaufmerksam gewesen zu sein), nicht überzeugt davon, dass der beim Kläger bestehende Schwindel anstatt als Folge nicht auch als Ursache des Unfalls in Betracht kommt.
Alle diese Umstände bewegen die Kammer, Dr. H. darin zu folgen, dass beim Kläger eine phobische Störung bestand, die zu Schwindelerscheinungen geführt hat, ohne dass dieser auf den Unfall zurückzuführen wäre.
Eine Rentengewährung kommt vor diesem Hintergrund aus Beweisgründen nicht in Betracht. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass ausweislich des Gutachtens von Prof. I. vom 25.10.2006 davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger die Schwindelerkrankung "überwunden" hat und mit erfolgreichem Abschluss der beruflichen Wiedereingliederungsmaßnahme seit 13.06.2005 keine MdE mehr besteht.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
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