S 8 R 99/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 R 99/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Beklagte hat 7/8 der Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin erstrebt die Zahlung höherer Altersrente.

Die am 00.00.1941 geborene Klägerin stammt aus Polen und lebt seit 1991 in der Bundesrepublik. Sie ist anerkannte Vertriebene. Mit Bescheid vom 23.08.2001 bewilligte die Beklagte Altersrente für Frauen ab 01.04.2001. Die Klägerin erhält zudem eine polnische Rente, die am 06.02.2001 begann und für deren Zahlung Zeiten berücksichtigt werden, die auch in der deutschen Rente berücksichtigt sind. Mit Bescheid vom 21.06.2002 teilte die Beklagte der Klägerin mit, gemäß Art. 19 Abs. 4 des deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommens vom 08.12.1990 i. V. m. § 31 FRG ruhe die deutsche Rente in Höhe des in Euro umgerechneten Betrages, der als Leistung des ausländischen Trägers ausgezahlt wird. Die aus dem Bescheid des polnischen Versicherungsträgers zustehenden polnischen Leistungen sollten entsprechend der zwischen den deutschen und polnischen Versicherungsträgern getroffenen Vereinbarungen ausschließlich über die zuständigen deutschen Versicherungsträger den Berechtigten zur Verfügung gestellt werden. Aus verwaltungstechnischen Gründen seien die beteiligten Versicherungsträger übereingekommen, die polnische Rente einzubehalten und die deutsche Rente in voller Höhe weiterzuzahlen. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Mit Bescheiden vom 27.05.2006 und 29.05.2006 teilte die Beklagte der Klägerin gestützt auf § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X für die Zeit ab 01.07.2006 mit, dass der Zahlbetrag der deutschen Rente um den Bruttobetrag der polnischen Rente reduziert werde, weil die mit Bescheid vom 21.06.2002 geregelte Verfahrensweise nicht mehr praktiziert werde. Aufgrund des am 01.01.2005 in Kraft getretenen deutsch-polnischen Doppelbesteuerungsabkommens ziehe der polnische Rentenversicherungsträger seit dem 01.04.2005 vor der Überweisung der Rente nach Deutschland einen Steueranteil von der polnischen Rente ab. Der Ruhensberechnung nach § 31 FRG liege der polnische Bruttorentenbetrag zugrunde. Daher reichten die polnischen Nettorentenbeträge zur Befriedigung der Ansprüche nach § 31 FRG regelmäßig nicht mehr aus. Außerdem seien die deutschen Rentenversicherungsträger seit dem Jahr 2006 zur Abgabe einer Rentenbezugsmitteilung verpflichtet. Diese Mitteilung müsse den deutschen Rentenbetrag ausweisen, auf den rechtlich ein Anspruch besteht, d. h. abzüglich des Ruhensbetrages nach § 31 FRG. Das bisherige Zahlungsverfahren habe die Meldung eines zu hohen deutschen Rentenzahlungsbetrages zur Folge. Die Beklagte zahlte unter Anrechnung von 309,42 EUR noch 444,84 EUR aus.

Im Widerspruchsverfahren wies die Klägerin darauf hin, dass die Beklagte von einem falschen deutschen Bruttorentenbetrag ausgehe. Außerdem meinte sie, aus § 31 FRG ergebe sich, dass lediglich der Netto-Auszahlungsbetrag der polnischen Rente angerechnet werden dürfe. Allein der dem Betroffenen tatsächlich aus Polen zur Verfügung gestellte Rentenzahlbetrag sei für die Anrechnung maßgeblich.

Mit Bescheid vom 21.09.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte im Wesentlichen aus, eine Anrechnung lediglich des Netto-Auszahlungsbetrages führe zu einer Umlegung der polnischen Steuern auf die deutsche Versichertengemeinschaft.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 11.10.2006 erhobene Klage. Mit Bescheid vom 13.12.2006 hat die Beklagte den Monatsrentenbetrag korrigiert und die Auszahlung eines Netto-Rentenbetrages i. H. v. 805,90 EUR unter Anrechnung des polnischen Brutto-Rentenbetrages i. H. v. 304,22 EUR geregelt.

Die Klägerin meint weiterhin, aus dem Wort "ausgezahlt" in § 31 Abs. 1 Satz 1 FRG ergebe sich, dass lediglich der polnische Netto-Rentenbetrag angerechnet werden dürfe. Sie sieht sich durch die Entscheidung des BSG vom 14.09.1976 - 11 RA 128/75 - bestätigt.

Die Klägerin beantragt,

die Bescheide vom 27.05.2006, 29.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.2006 und den Bescheid vom 13.12.2006 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, höhere Rente unter Anrechnung lediglich des Netto-Auszahlungsbetrages der polnischen Rente zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie wiederholt und vertieft die Begründung des angefochtenen Bescheides und meint ergänzend, die Entstehungsgeschichte von § 31 FRG bestätige ihre Auffassung. Der Begriff "ausgezahlt" in § 31 FRG solle lediglich eine rein fiktive Anrechnung verhindern, wenn - wie in der Vergangenheit häufig geschehen - eine ausländische Rente zwar bewilligt wurde, aber aus politischen Gründen nicht zur Auszahlung kam.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid in der Fassung des gemäß § 96 SGG zum Gegenstand des Klageverfahrens gewordenen Bescheides vom 13.12.2006 ist nicht rechtswidrig i. S. d. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Klägerin hat keinen höheren Zahlungsanspruch.

Ermächtigungsgrundlage für die Entscheidung der Beklagten ist § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X. Hiernach soll ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Die Vorschrift findet nicht nur Anwendung, wenn das erzielte Einkommen oder Vermögen zum Wegfall des Anspruchs führt, sondern gilt auch für das Ruhen des Anspruchs (BSG SozR 1300 § 48 Nr. 22 Seite 53 f. und Nr. 26 Seite 70). Die Beklagte hat die Vorschrift des auch im Anwendungsbereich des DPSVA vom 08.12.1990 gem. Art 19 Abs. 4 DPSVA 1990 anwendbaren§ 31 FRG richtig angewandt. Wird dem Berechtigten von einem der Träger der Sozialversicherung oder eine andere Stelle außerhalb der Bundesrepublik Deutschland für die nach Bundesrecht anzurechnenden Zeiten Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder anstelle einer solchen eine andere Leistung gewährt, so ruht nach dieser Vorschrift die Rente in Höhe des in Euro umgerechneten Betrages, der als Leistung des Trägers der Sozialversicherung oder der anderen Stelle außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ausgezahlt wird. Unstreitig erhält die Klägerin für auch nach Bundesrecht anzurechnende Zeiten eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe des von der Beklagten angerechneten Brutto-Betrages. Die Beklagte hat das Wort "ausgezahlt" zutreffend dahingehend ausgelegt, dass es auf den Brutto-Zahlbetrag ankommt. Im Gegensatz zur Meinung der Klägerin ist hiermit nicht die tatsächliche Überweisung des Netto-Auszahlungsbetrages gemeint: Die Auslegung eines Gesetzestextes hat mit dem möglichen Wortsinn zu beginnen. Denn was jenseits des sprachlich möglichen Wortsinns liegt, durch ihn eindeutig ausgeschlossen wird, kann nicht mehr im Wege der Auslegung als die maßgebliche Bedeutung des Ausdrucks verstanden werden (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, Seite 322). Zu unterscheiden ist der mögliche Wortsinn nach dem allgemeinen Sprachgebrauch von dem möglichen Wortsinn nach einem besonderen Sprachgebrauch des Gesetzes. Mit Letzteren sind Ausdrücke gemeint, die in der Rechtssprache eine besondere Bedeutung haben, wie z. B. Vertrag, Forderung, Anfechtbarkeit, Rechtsgeschäft. Nur wenn ein Ausdruck dem besonderen Sprachgebrauch des Gesetzes angehört, scheiden andere Bedeutungsvarianten des allgemeinen Sprachgebrauchs aus, der Kreis der möglichen Bedeutungen verengt sich dann auf die gesetzlich übliche Bedeutung (Larenz, a. a. O., Seite 320 f., 321). Der Ausdruck "ausgezahlt" ist ein dem allgemeinen Sprachgebrauch zuzuordnender Begriff. Denn das Wort ist kein ansonsten in der Rechtssprache eindeutig mit einem bestimmten Bedeutungsgehalt versehenes Wort. Methodisch nicht zutreffend ist daher die Annahme, der Wortsinn von § 31 Abs. 1 Satz 1 FRG stelle zwingend auf die tatsächliche Überweisung des Netto-Zahlbetrages ab. Vielmehr ist es mit dem allgemeinen Sprachgebrauch durchaus vereinbar anzunehmen, dass ein "Auszahlungsbetrag" den brutto zustehenden Betrag meint. Hierfür spricht entscheidend die auch von der Beklagten angeführte Argumentation dahingehend, dass ansonsten der deutsche Beitragszahler die polnischen Steuern übernehmen würde. Zudem würde die Frage, welcher Rentenbetrag den Betroffenen insgesamt (d. h. aus der deutschen und aus der polnischen Rentenversicherung) zur Verfügung steht, von der Art und Weise der Zahlung der polnischen Steuern abhängen. Würde den Betroffenen zunächst der Brutto-Rentenbetrag ausbezahlt und anschließend ein polnischer Steuerbescheid erteilt, hätte er einen niedrigeren Rentenanspruch in Deutschland als im vorliegenden Fall der Einbehaltung des Steuerbetrages bereits durch den polnischen Sozialversicherungsträger.

Eine Ermächtigungsgrundlage für die Änderung der Art und Weise der Umsetzung von § 31 Abs. 1 Satz 1 FRG bedarf es - im Gegensatz zu den Ausführungen im angefochtenen Bescheid - nicht, weil die Klägerin hierdurch nicht beschwert ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin durch die Änderung des Brutto-Rentenbetrages im Klageverfahren im Wesentlichen erfolgreich gewesen ist.
Rechtskraft
Aus
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