Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 9 (11) AL 91/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gleichstellung mit einer Schwerbehinderten.
Die Klägerin ist 48 Jahre alt. Seit 1987 ist sie C. bei der O., ihre Wochenarbeitszeit beträgt 15 Stunden.
Bei der Klägerin war ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt, der im Laufe dieses Klageverfahrens im Januar 2007 auf 40 angehoben wurde.
Eine der Klägerin ausgesprochene Kündigung wegen zu hoher Fehlzeiten hat das Arbeitsgericht Aachen wegen fehlender Negativprognose mit Urteil vom 04.01.2007 für unwirksam erklärt.
Die von der Klägerin beantragte Gleichstellung mit einer Schwerbehinderten lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 20.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2006), da die Klägerin nur unter 18 Stunden beschäftigt sei (§ 73 Abs. 3 des 9. Buches Sozialgesetzbuch - SGB IX).
Hiergegen richtet sich die Klage mit der die Klägerin vorträgt, § 73 Abs. 3 SGB IX diskriminiere Teilzeitbeschäftigte. Es gebe keinen sachlichen Grund für eine unterschiedliche Behandlung von Arbeitskräften, die 18 oder 15 Stunden arbeiten. Offenbar sei nur übersehen worden, die im Arbeitslosenrecht geltende Stundengrenze (15 Stunden sei 01.01.2005) auch in § 73 Abs. 3 SGB IX anzupassen.
Die Klägerin beantragt,
1.die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 20.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2006 zu verpflichten, die Klägerin ab Antragstellung (22.05.2006) mit einem schwerbehinderten Menschen gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX gleichzustellen, 2.hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten unter Abänderung des Bescheides vom 20.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2006, über den Gleichstellungsantrag der Klägerin vom 22.05.2006 neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Die Klägerin ist nicht mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen.
Die Voraussetzungen für eine Gleichstellung sind nicht erfüllt. Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Behinderte mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, die u. a. infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können (§ 2 Abs. 3 SGB IX). Die Klägerin macht eine Gefährdung ihres aktuellen Arbeitsplatzes geltend. Hierbei handelt es sich aber nicht um einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX, denn als Arbeitsplätze gelten nicht Stellen, auf denen Beschäftigte weniger als 18 Stunden wöchentlich beschäftigt werden (§ 73 Abs. 3 SGB IX), wie dies bei der Klägerin der Fall ist.
Die eindeutige gesetzliche Regelung schließt eine Gleichstellung der Klägerin aus. Anders als die Klägerin hält die Kammer § 73 Abs. 3 SGB IX auch nicht für verfassungswidrig, so dass weder eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift im Sinne der Klägerin, noch eine Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an das Bundesverfassungsgerichts in Betracht kommt. Zutreffend weist die Klägerin darauf hin, dass die 18 Stundengrenze in § 73 Abs. 3 SGB IX früher kongruent war mit § 102 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) und bei der Einführung des SGB III nicht angepasst wurde (vgl. Erfurter Kommentar, Rdnr. 7 zu § 73 SGB IX). Einzelne Literaturstimmen vermissen eine überzeugende Begründung dieser unterbliebenen Anpassung (Lachwitz/Schellhorn/Weltie, Kommentar zum SGB IX, Anmerkung 28 zu § 73). Teilweise wird kritisiert, dass die Beibehaltung der 18- Stunden-Grenze dazu führe, das in Branchen mit 35-Stunden-Woche Beschäftigte in Altersteilzeit die Schwelle unterschreiten (Düwell in LPK-SGB IX zu § 73).
Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot, wie ihn die Klägerin aus den vorstehend zitierten Literaturäußerungen ableitet, sieht die Kammer nicht. Es liegt in der Natur von Grenzwerten, das Sachverhalte ober- und unterhalb des Grenzwertes unterschiedlich behandelt werden. § 73 SGB IX steht im Kapitel "Beschäftigungspflicht der Arbeitgeber", das Regelungen enthält, in welchem Umfang Arbeitgeber Schwerbehinderte zu beschäftigen haben, welche Arbeitsplätze hierzu anzurechnen sind und welche Rechtsfolgen eintreten, wenn die Beschäftigungsquote nicht erfüllt wird. Eine zwingende Koppelung an das Arbeitsförderungsrecht ist nicht ersichtlich, zumal dort die Regelung auch nicht mehr einheitlich ist (Kurzzeitigkeitsgrenze 15 Stunden bei der Beurteilung der Arbeitslosigkeit in § 19 SGB III; Geringfügigkeitsgrenze bei der Beurteilung der Versicherungsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung, § 27 SGB III). In dem Zusammenhang, in dem sie steht, verstößt die Regelung in § 73 Abs. 3 nicht gegen das Willkürverbot. Sie dient beispielsweise der Ermittlung, welche Teilzeitarbeitsplätze anzurechnen sind bei der Berechnung der Pflichtzahl von Arbeitsplätzen, auf denen schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen sind (§ 75 Abs. 2 SGB IX). Es ist zum einen sachgerecht, insoweit den Grenzwert nicht zu niedrig anzusetzen, um die Anreizfunktion des §§ 75, 77 SGB IX nicht leerlaufen zu lassen, zum anderen, die Gleichstellung nur auf solchen Arbeitsplätzen zu ermöglichen, die im Regelfall auf die Pflichtquote anzurechnen sind.
Ob die weiteren Voraussetzungen für eine Gleichstellung gegeben sind, kann vor diesem Hindergrund offenbleiben.
Die Kostenentscheidung erfolgt aus §§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Tatbestand:
Streitig ist die Gleichstellung mit einer Schwerbehinderten.
Die Klägerin ist 48 Jahre alt. Seit 1987 ist sie C. bei der O., ihre Wochenarbeitszeit beträgt 15 Stunden.
Bei der Klägerin war ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt, der im Laufe dieses Klageverfahrens im Januar 2007 auf 40 angehoben wurde.
Eine der Klägerin ausgesprochene Kündigung wegen zu hoher Fehlzeiten hat das Arbeitsgericht Aachen wegen fehlender Negativprognose mit Urteil vom 04.01.2007 für unwirksam erklärt.
Die von der Klägerin beantragte Gleichstellung mit einer Schwerbehinderten lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 20.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2006), da die Klägerin nur unter 18 Stunden beschäftigt sei (§ 73 Abs. 3 des 9. Buches Sozialgesetzbuch - SGB IX).
Hiergegen richtet sich die Klage mit der die Klägerin vorträgt, § 73 Abs. 3 SGB IX diskriminiere Teilzeitbeschäftigte. Es gebe keinen sachlichen Grund für eine unterschiedliche Behandlung von Arbeitskräften, die 18 oder 15 Stunden arbeiten. Offenbar sei nur übersehen worden, die im Arbeitslosenrecht geltende Stundengrenze (15 Stunden sei 01.01.2005) auch in § 73 Abs. 3 SGB IX anzupassen.
Die Klägerin beantragt,
1.die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 20.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2006 zu verpflichten, die Klägerin ab Antragstellung (22.05.2006) mit einem schwerbehinderten Menschen gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX gleichzustellen, 2.hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten unter Abänderung des Bescheides vom 20.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2006, über den Gleichstellungsantrag der Klägerin vom 22.05.2006 neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Die Klägerin ist nicht mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen.
Die Voraussetzungen für eine Gleichstellung sind nicht erfüllt. Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Behinderte mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, die u. a. infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können (§ 2 Abs. 3 SGB IX). Die Klägerin macht eine Gefährdung ihres aktuellen Arbeitsplatzes geltend. Hierbei handelt es sich aber nicht um einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX, denn als Arbeitsplätze gelten nicht Stellen, auf denen Beschäftigte weniger als 18 Stunden wöchentlich beschäftigt werden (§ 73 Abs. 3 SGB IX), wie dies bei der Klägerin der Fall ist.
Die eindeutige gesetzliche Regelung schließt eine Gleichstellung der Klägerin aus. Anders als die Klägerin hält die Kammer § 73 Abs. 3 SGB IX auch nicht für verfassungswidrig, so dass weder eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift im Sinne der Klägerin, noch eine Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an das Bundesverfassungsgerichts in Betracht kommt. Zutreffend weist die Klägerin darauf hin, dass die 18 Stundengrenze in § 73 Abs. 3 SGB IX früher kongruent war mit § 102 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) und bei der Einführung des SGB III nicht angepasst wurde (vgl. Erfurter Kommentar, Rdnr. 7 zu § 73 SGB IX). Einzelne Literaturstimmen vermissen eine überzeugende Begründung dieser unterbliebenen Anpassung (Lachwitz/Schellhorn/Weltie, Kommentar zum SGB IX, Anmerkung 28 zu § 73). Teilweise wird kritisiert, dass die Beibehaltung der 18- Stunden-Grenze dazu führe, das in Branchen mit 35-Stunden-Woche Beschäftigte in Altersteilzeit die Schwelle unterschreiten (Düwell in LPK-SGB IX zu § 73).
Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot, wie ihn die Klägerin aus den vorstehend zitierten Literaturäußerungen ableitet, sieht die Kammer nicht. Es liegt in der Natur von Grenzwerten, das Sachverhalte ober- und unterhalb des Grenzwertes unterschiedlich behandelt werden. § 73 SGB IX steht im Kapitel "Beschäftigungspflicht der Arbeitgeber", das Regelungen enthält, in welchem Umfang Arbeitgeber Schwerbehinderte zu beschäftigen haben, welche Arbeitsplätze hierzu anzurechnen sind und welche Rechtsfolgen eintreten, wenn die Beschäftigungsquote nicht erfüllt wird. Eine zwingende Koppelung an das Arbeitsförderungsrecht ist nicht ersichtlich, zumal dort die Regelung auch nicht mehr einheitlich ist (Kurzzeitigkeitsgrenze 15 Stunden bei der Beurteilung der Arbeitslosigkeit in § 19 SGB III; Geringfügigkeitsgrenze bei der Beurteilung der Versicherungsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung, § 27 SGB III). In dem Zusammenhang, in dem sie steht, verstößt die Regelung in § 73 Abs. 3 nicht gegen das Willkürverbot. Sie dient beispielsweise der Ermittlung, welche Teilzeitarbeitsplätze anzurechnen sind bei der Berechnung der Pflichtzahl von Arbeitsplätzen, auf denen schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen sind (§ 75 Abs. 2 SGB IX). Es ist zum einen sachgerecht, insoweit den Grenzwert nicht zu niedrig anzusetzen, um die Anreizfunktion des §§ 75, 77 SGB IX nicht leerlaufen zu lassen, zum anderen, die Gleichstellung nur auf solchen Arbeitsplätzen zu ermöglichen, die im Regelfall auf die Pflichtquote anzurechnen sind.
Ob die weiteren Voraussetzungen für eine Gleichstellung gegeben sind, kann vor diesem Hindergrund offenbleiben.
Die Kostenentscheidung erfolgt aus §§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
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