S 13 KR 10/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 10/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagten vom 30.11.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2007 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Klägerin in der Zeit vom 01.05. bis 30.11.2006 aufgrund der bei der Beklagten bestehenden Krankenversicherung des Klägers familienversichert war. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über das Bestehen einer Familienversicherung der Klägerin in der Zeit vom 01.05. bis 30.11.2006.

Der 1953 geborene Kläger und die 1956 geborene Klägerin sind seit 1984 verheiratet. Im Dezember 1999 gründete die Klägerin mit einem weiteren Gesellschafter die Firma G. GmbH. Seit Februar 2005 war sie alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin dieser GmbH. Der Kläger war bei der GmbH bis zum 30.11.2006 versicherungspflichtig beschäftigt und aufgrund dessen bei der Beklagten als Pflichtmitglied krankenversichert. Die Klägerin war bis 15.04.2006 freiwilliges Mitglied der Beklagten.

Am 09.02.2006 beantragte die Klägerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der G. GmbH. Durch Beschluss vom 13.02.2006 bestellte das Amtsgericht Aachen (91 IN 67/06) einen vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnete an, dass Verfügungen der GmbH nur mit Zustimmung des Insolvenzverwalters wirksam sind. Zugleich enthielt der Beschluss den Hinweis, dass der vorläufige Insolvenzverwalter nicht der allgemeine Vertreter der GmbH sei.

Durch Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom 01.05.2006 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der G. GmbH eröffnet.

Ab 26.09.2006 bezogen die Kläger Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Der Kläger war seit dem (auch) als Bezieher von Arbeitslosengeld II Pflichtmitglied in der Krankenversicherung bei der Beklagten. Nach wiederholter ambulanter Behandlung befand sich die Klägerin seit 07.09.2006 in stationärer Krankenhausbehandlung.

Am 23.11.2006 beantragte der Kläger die Feststellung der Familienversicherung der Klägerin aufgrund seiner Mitgliedschaft.

Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 30.11.2006 ab: Eine Familienversicherung der Klägerin sei zurzeit nicht möglich; das Unternehmen befinde sich seit 01.05.2006 in der Insolvenz, das Gewerbe sei beim Gewerbeamt aber noch gemeldet und es seien noch 5 Arbeitnehmer angemeldet. Dies spreche dafür, dass die Klägerin weiter eine Arbeitgeberfunktion ausübe, selbst wenn sie nicht mehr aktiv als Geschäftsführerin in den Geschäftsbetrieb eingreife. Sie sei deshalb hauptberuflich selbstständig erwerbstätig, was einer Familienversicherung entgegen stehe.

Dagegen legten die Kläger am 05.12.2006 Widerspruch ein: Aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Beschluss vom 01.05.2006 und der anschließenden Löschung der GmbH im Handelsregister seien alle Rechte der Klägerin an der Gesellschaft und an ihrer Geschäftsführertätigkeit erloschen. Da der Insolvenzverwalter die Firma weitergeführt habe, könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin hauptberuflich selbstständig erwerbstätig gewesen sei.

Am 28.12.2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass ab 01.12.2006 eine Familienversicherung der Klägerin durchgeführt werden könne. Dementsprechend war die Klägerin auch seit 01.12.2006 bei der Beklagten familienversichert.

Für die noch streitige Zeit vom 01.05. bis 30.11.2006 wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 17.01.2007, zugestellt am 24.01.2007, zurück.

Dagegen haben die Kläger am 22.02.2007 Klage erhoben. Sie weisen daraufhin, dass die Klägerin im Hinblick auf die zwischenzeitliche Krankenbehandlung wegen erheblicher Arztkosten in Anspruch genommen würde, wenn keine Familienversicherung bestünde. Sie stützen ihre Auffassung, seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 01.05.2006 sei die Klägerin nicht mehr selbstständig erwerbstätig gewesen, auf die Vorschrift des § 80 Insolvenzordnung (InsO). Danach gehe durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Seit dem 01.05.2006 habe die Klägerin keinerlei Erwerbseinkommen mehr gehabt und sei auch nicht anderweitig selbstständig tätig gewesen. Die Kläger beantragen,

den Bescheid der Beklagten vom 30.11.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2007 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin in der Zeit vom 01.05.2006 bis 30.11.2006 aufgrund der bei Beklagten bestehenden Krankenversicherung des Klägers familienversichert war.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der damit verbundene Entzug der Verfügungsrechte sei nicht gleichbedeutend mit der Aufgabe der selbstständigen Tätigkeit. Die Klägerin sei in der seit 01.05.2006 im Insolvenzverfahren befindlichen Gesellschaft "nach wie vor allein vertretungsberechtigte Geschäftsführerin" gewesen; zur rechtlichen Stellung der Klägerin sei im Beschluss des Amtsgerichts vom 13.02.2006 erklärt, dass der Insolvenzverwalter nicht der allgemeine Vertreter der Schuldnerin sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Handelsregisterakte betreffend die Firma G. GmbH (HRB 10830) sowie der Insolvenzakte des Amtsgerichts Aachen (91 IN 67/06), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als verbundene Aufhebungs- und Feststellungsklage zulässig (vgl. dazu BSG, Urteil vom 29.06.1993 - 12 RK 48/91 = BSGE 72, 292 = SozR 3-2500 § 10 Nr. 2). Insbesondere ist ein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung der Familienversicherung zu bejahen, da die Klägerin im streitbefangenen Zeitraum krankenbehandelt worden ist und sich bei nicht bestehendem Krankenversicherungsschutz Ansprüchen der Leistungserbringer ausgesetzt sieht. Auch aus anderen Gründen kann die Klärung des Versicherungsverhältnisses u.U. Bedeutung gewinnen (BSG a.a.O.).

Die Klage ist auch begründet. Die Kläger werden durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie rechtswidrig sind. Die Beklagte hat zu Unrecht eine Familienversicherung der Klägerin für den streitbefangenen Zeitraum verneint. Den Anspruch auf Feststellung einer Familienversicherung haben sowohl der Kläger als Stammversicherter als auch die Klägerin als Familienangehörige (BSG a.a.O.).

§ 10 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) regelt, unter welchen Voraussetzungen der Ehegatte eines Mitglieds familienversichert ist. Die Klägerin hat im streitbe- fangenen Zeitraum die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 2, 3 und 5 erfüllt; dies wird auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat sie von Mai bis November 2006 aber auch die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V erfüllt; sie ist in dieser Zeit nicht hauptberuflich selbstständig erwerbstätig gewesen.

Das Kriterium einer hauptberuflich selbstständigen Erwerbstätigkeit (vgl. dazu auch § 5 Abs. 5 SGB V) erfordert zunächst eine versicherungsfreie selbstständige Tätigkeit (im Gegensatz zu einer versicherungspflichten abhängigen Beschäftigung als Arbeitnehmer); es muss sich um eine Erwerbstätigkeit, d.h. eine auf Gewinnerzielung gerichtete Tätigkeit (im Gegensatz zu einer Hobby-Tätigkeit) handeln; und schließlich muss diese hauptberuflich ausgeübt werden (KassKomm Sozialversicherungsrecht, Band 1, Stand: Juni 2007, § 5 SGB V Rn. 185). Eine hauptberuflich selbständige Erwerbstätigkeit liegt vor, wenn sie von der wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Aufwand her die übrigen Tätigkeiten zusammen deutlich übersteigt und den Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit darstellt (BSG, Urteil vom 16.11.1995 - 4 RK 2/94 = SozR 3-5420 § 3 Nr. 1 unter Hinweis auf BT-Drucksache 11/2237, S. 159). Nach diesen Kriterien mag die Tätigkeit, die die Klägerin im streitbefangenen Zeitraum noch für die GmbH (in Insolvenz) verrichtet hat, eine Erwerbstätigkeit gewesen sein, die sie auch hauptberuflich ausgeübt hat; jedoch war dies keine selbständige Tätigkeit mehr. Bereits durch den Beschluss des Amtsgerichts vom 13.02.2006 war die Klägerin in ihrer Verfügungsgewalt soweit eingeschränkt, dass sie für die GmbH nicht mehr ohne Zustimmung des Insolvenzverwalters tätig werden konnte. Allerdings war der Insolvenzverwalter vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht der allgemeine Vertreter der GmbH; die Entscheidungen der Klägerin für die GmbH standen lediglich unter einem Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. InsO. Die einschneidende und entscheidende Veränderung der Rechtsstellung der Klägerin in der GmbH trat aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts vom 01.05.2006 ein. Durch diesen Beschluss wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet. Dadurch ging das Recht des Schuldners (hier: der GmbH, bis dato vertreten durch die Klägerin als Geschäftsführerin), das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Hätte die Klägerin seit dem 01.05.2006 noch über einen Gegenstand der Insolvenzmasse verfügt, so wäre diese Verfügung unwirksam gewesen (§ 81 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 InsO). Durch den Insolvenzeröffnungsbeschluss waren der Klägerin praktisch sämtliche Befugnisse einer Gesellschafterin und Geschäftsführerin entzogen. Dies gilt auch in Bezug auf die in der Zeit nach Erlass des Insolvenzeröffnungsbeschlusses beschäftigten Arbeitnehmer. Diese waren nicht mehr der Klägerin, sondern nurmehr dem Insolvenz- verwalter gegenüber weisungsgebunden. Die Klägerin war nunmehr selbst in einen aufgrund des Insolvenzrechts für sie fremden Betrieb eingegliedert und dabei dem Weisungsrecht des Insolvenzverwalters als ihres Arbeitgebers hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung unterworfen. Ihre Tätigkeit war deshalb seit dem 01.05.2006 keine selbstständige mehr.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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