S 20 SO 68/07 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 68/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der 1951 geborene Antragsteller (Ast.) bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 312,13 EUR und zu Lasten des Antragsgegners (Ag.) zu 1) ergänzende Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung (Bewilligungsbescheid vom 27.06.2007). Die ergänzende Regelleistung beträgt im Hinblick auf die Höhe der Erwerbsminderung zur Zeit monatlich 34,87 EUR. In der Vergangenheit beantragte der Ast. wiederholt bei den Ag. darüber hinausgehende Leistungen der Sozialhilfe mit der Begründung, aus der Rente und den ergänzenden Regelleistungen seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten zu können. Einige Anträge wurden abgelehnt, anderen wurde stattgegeben. So erhielt der Ast. im Jahre 2006 im Juni und Juli Kostenübernahmescheine über 15,00 EUR bzw. 10,00 EUR, im November ein Darlehen über 68,00 EUR wegen Geldverlust, im Dezember eine Geldleistung in Höhe von 60,00 EUR, sodann im Jahre 2007 im Juli und August drei Kostenübernahmescheine über 20,00 EUR und zwei mal 10,00 EUR, zuletzt am 30.08.2007 einen Barscheck über 30,00 EUR.

Unabhängig davon beantragte der Ast. beim Sozialgericht am 19.12.2006 und 15.01.2007 den Erlass einstweiliger Anordnungen mit dem Ziel, den Ag. zu Zahlung von 100,00 EUR bzw. 160,00 EUR zu verpflichten. Die Anträge wurden durch Beschlüsse vom 21.12.2006 (S 20 SO 89/06 ER) und 19.01.2007 (S 19 SO 5/07 ER) abgelehnt.

Am 17.09.2007 beantragte der Ast. bei dem Ag. zu 2) erneut die Behebung einer Notlage durch Bargeld und begründete diese damit, er habe den Regelsatz, der seiner Meinung nach ohnehin nicht ausreichend sei, verbraucht. Er meinte, es gäbe im Sozialhilferecht die Soforthilfe, zur Vorlage von Nachweisen sei er nicht verpflichtet. Noch am selben Tag teilte der Ag. zu 2) dem Ast. mit, dass nach Abstimmung mit dem Ag. zu 1) eine weitere Auszahlung von Barmitteln ausscheide und der Ast. nach Vorlage entsprechender Nachweise allenfalls einen Kostenübernahmeschein erhalten könne. Der Ast. legte daraufhin am 20.09.2007 zahlreiche Quittungen über Ausgaben in der Zeit vom 29.08. bis 14.09.2007 in Höhe von insgesamt 351,03 EUR vor. Der Ag. zu 2) lehnte am 21.09.2007 eine Übernahme dieser Kosten gegenüber dem Ast. ab.

Daraufhin hat der Ast. am 22.09.2007 beim Sozialgericht um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Er beantragt schriftsätzlich,

anzuordnen:

1. die Antragsgegner beheben - ohne weitere Formalitäten (!) die sozialhilferechtliche Notlage des Antragstellers in Form von Bar- geldauszahlung i.H.v. 161,-EUR (für den Zeitraum 17.09.07 bis 30. 09.07 = 14 Tage á 11,50 EUR bis spätestens 24.09.07, 17 Uhr).

2. der Antragsgegner zu 2 ermöglicht dem Antragsteller - (unter Berücksichtigung der ihm bekannten attestierten Tatsache, dass der Antragsteller unter erheblichen Schlafstörungen mit Ver- schiebung des "normalen" Tag/Nacht-Schlafrythmus leidet, sowie der ihm bekannten Tatsache, dass er in den derzeitigen dissozialen Wohnverhältnissen wegen permanenter, erheblicher Lärmbelästigungen kaum in der Lage ist, seinen Tagesablauf nach eigenen Bedürfnissen zu planen), gemäß sozialhilfe- rechtlichen Grundsätzen - (Besonderheiten des Einzelfalles), Soforthilfe) von montags bis freitags auch in der Zeit zwischen 14 und 17 Uhr die zuständigen Personen in dringenden Ange- legenheiten telefonisch und auch persönlich in den Dienst- räumen anzusprechen und aufzusuchen, und setzt mit so- fortiger Wirkung anderslautende Dienstanweisungen o.ä. außer Kraft unter Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 50.000,- EUR in jedem Fall der Zuwiderhandlung, ersatz- weiser Ordnungshaft bis zu 6 Monaten;

3. die Antragsgegner unterlassen es, die im Rahmen des sozial- hilferechtlichen Grundsatzes der Soforthilfe gebotene Behe- bung existentieller Notlagen durch die o.g. oder ähnliche Praktiken tage-, wochen- oder gar monatelang zu verzö- gern, und setzen mit sofortiger Wirkung dahingehende Dienst- anweisungen o.ä. außer Kraft unter Androhung eines Ordnungs- geldes in Höhe von 50.000,- EUR in jedem Fall der Zuwider- handlung, ersatzweiser Ordnungshaft bis zu 6 Monaten;

4. die Antragsgegner unterlassen die diskriminierende Praktik, die Behebung von Notlagen ohne Vorliegen konkreter Anhalts- punkte für falsche Angaben von Hilfesuchenden von rechts- widrigen Bedingungen abhängig zu machen wie Vorlage irgendwelcher Nachweise wie Kontoauszüge, Quittungen, Unterschriften unter vorgefertigte "Verhandlungsnieder- schriften" mit eingefügten Textbausteinen rechtlicher Natur etc. und setzen mit sofortiger Wirkung dahingehende Dienst- anweisungen o.ä. außer Kraft unter Androhung eines Ordnungs- geldes in Höhe von 50.000,. EUR in jedem Fall der Zuwiderhandlung, ersatzweiser Ordnungshaft bis zu 6 Monaten;

5. die Antragsgegner unterlassen (bis auf Ausnahme bei Alkohol oder Drogensucht, Spielsucht) die generelle Verwendung von diskriminierenden sogenannten Kostenübernahmescheinen (Lebensmittelgutscheinen) bei der Deckung von über den unzureichenden Regelsatz hinausgehendem Bedarf und setzen mit sofortiger Wirkung dahingehende Dienstanweisungen o.ä. außer Kraft unter Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 50.00,- EUR in jedem Fall der Zuwiderhandlung, ersatzweiser Ordnungshaft bis zu 6 Monaten.

6. die Antragsgegner unterlassen zukünftig beleidigende und diskriminierende Äußerungen, die darauf abzielen den Antrag- steller als eine Person darzustellen, die nicht mit Geld umgehen kann; er würde sie dauernd piesacken, sich eine Person zu suchen, die dabei behilflich ist das unzureichende Einkommen so einzuteilen, dass es ausreicht; bzw. sogar mit amtlicher Betreuung zu drohen, unter Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 50.000,- EUR in jedem Fall der Zuwiderhandlung ersatzweiser Ordnungshaft bis zu 6 Monaten.

Die Antragsgegner beantragen schriftsätzlich,

den Antrag abzulehnen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Ast. muss glaubhaft machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO), dass ihm ein Anspruch auf die geltend gemachte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten einer gerichtlichen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren für ihn mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Anordnungsgrund). Einstweilige Anordnungen kommen grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage dringend geboten ist.

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen nicht vor. Soweit sich der Antrag auch und selbstständig gegen den Ag. zu 1) als Träger der Sozialhilfe richtet, ist er unzulässig. Denn der Kreis E. hat den kreisangehörigen Städte und Gemeinden die Durchführung der ihm als örtlich zuständigen Träger der Sozialhilfe obliegenden - hier in Betracht kommenden - Aufgaben zur Entscheidung im eigenen Namen übertragen (§ 1 Abs. 1 der Satzung über die Durchführung der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) im Kreis Düren vom 29.12.2004). Bei Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung übernimmt er die Prozessvertretung der Städte und Gemeinden (§ 4 Abs. 2 Satz 2 der Delegationssatzung).

Im Übrigen fehlt es am Anordnungsanspruch und/oder am Anordnungsgrund.

Zu Ziffer 1.:

Soweit der Kläger beantragt, die Ag. zu verpflichten, "ohne weitere Formalitäten" eine Bargeldauszahlung "bis spätestens 24.09.07, 17 Uhr" vorzunehmen, ist dies schon rein tatsächlich nicht mehr möglich. Soweit der Antrag auf die Zeit vom 17.09. bis 21.09.2007 - also vor Eingang des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht - betrifft, fehlt es am Anordnungsgrund. Im Rahmen eines Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann das Begehren nur darauf gerichtet sein, eine gegenwärtige und nicht eine in der Vergangenheit entstandene oder zukünftig auftretende Notlage zu beheben. Eine einstweilige Regelung kann daher frühestens vom Zeitpunkt der Antragstellgung bei Gericht getroffen werden.

Soweit der Ast. die Zahlung von 161,00 EUR beansprucht mit der Begründung, mit den Regelleistungen des SGB XII seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten zu können, begründet dies keinen Anspruch auf zusätzliche Leistung der Sozialhilfe. Es ist von Verfassung wegen nicht zu beanstanden, den Bedarf gruppenbezogen zu erfassen und eine Typisierung bei Massenverfahren vorzunehmen (vgl. dazu ausführlich BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R; SG Aachen, Beschlüsse vom 21.12.2006 - S 20 SO 89/06 ER - und vom 19.01.2007 - S 19 SO 5/07 ER). Auch aus den vom Ast. am 20.09.2007 beim Ag. zu 2) vorgelegten Quittungen ergibt sich keine nachgewiesene Notlage des Ast. Noch am 31.08.2007 wies das Konto des Ast. einen positiven Saldo von 311,54 EUR auf. Den zahlreich vorgelegten Quittungen ist nicht zu entnehmen, dass es sich hierbei sämtlich um Auslagen für den Lebensunterhalt des Ast. handelt. Nur beispielhaft wird auf die zwei Belege "SC00ZI" vom 31.08.2007 verwiesen. Danach hätte der Ast. am Tisch 12 vom Getränkebuffet einen Milchkaffee und ein Pils-Schuss (03, lt) sowie aus der Küche Ciabatta mit Gorgonzola verzehrt und hierfür um 19:24 Uhr 7,30 EUR bezahlt; zeitgleich hätte er am Tisch 11 vom Getränkebuffet einen Kaffee und aus der Küche eine Mousse al Cioccolato mit einer Portion Sahne verzehrt und hierfür um 19:25 Uhr - also 1 Minute später - derselben Bedienung (Nr. 18) wie zuvor am Tisch 12 weitere 5,15 EUR bezahlt. Dies begegnet - vorsichtig ausgedrückt - Zweifeln.

Zu Ziffer 2.:

Der Ast. hat keinen Anspruch darauf dass die Mitarbeiter des Ag. zu 2) stets zu den vom Ast. angegebenen Zeiten für ihn telefonisch und schriftlich oder persönlich ansprechbar sind.

Zu Ziffer 3.:

Auch insoweit fehlt es am Anordnungsanspruch. Der von den Ag. vorgelegten Verwaltungsakte ist nicht zu entnehmen, dass sie existenzielle Notlagen des Ast., falls solche bestehen sollten, tage- wochen- oder gar monatelang verzögern. Im Gegenteil: Die Ag. sind im Fall des Ast. - soweit ersichtlich - schnell und unbürokratisch bemüht, seinen Anliegen gerecht zu werden. Auch in Eilfällen sind die Ag. gemäß § 20 SGB X verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Sie bestimmen Art und Umfang der Ermittlungen (§ 20 Abs. 1 SGB X).

Zu Ziffer 4.:

Auch insofern fehlt es am Anordnungsanspruch. Soweit sich der Ast. allgemein und generell gegen Verwaltungspraktiken der Ag. wendet, fehlt es bereits am Rechtsschutzbedürfnis. Popularanträge sind unzulässig. Wenn die Ag. vom Ast. zum Nachweis einer von diesem geltend gemachten akuten existenziellen Notlage die Vorlage von Kontoauszügen, Quittungen und anderen Belegen fordern, ist dies Ausfluss des Amtsermittlungsgrundsatzes nach § 20 SGB X. Der Ast. kann nicht verlangen, dass die Ag. gesetzliche Pflichten verletzen.

Zu Ziffer 5.:

Der Ast. kann von den Ag. auch nicht verlangen, dass sie generell davon absehen, Notlagen durch Kostenübernahmescheine/Lebensmittelgutscheine zu beseitigen. Die Sachleistung - z.B. in Form von Gutscheinen oder anderen unbaren Formen - ist eine gesetzlich vorgesehene Art der Sozialhilfeleistung (vgl. § 10 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 SGB XII).

Zu Ziffer 6.:

Der vom Ast. geltend gemachte Unterlassungsanspruch setzt voraus, dass die Ag. in der Vergangenheit über den Ast. beleidigende und diskriminierende Äußerungen getätigt haben, die darauf abzielen, den Ast. als eine Person darzustellen, die nicht mit Geld umgehen könne. Der Ast. hat hierzu nichts substanziiertes vorgetragen. Soweit die Ag. in verschiedenen Akten vermerken und auch in der Antragserwiderung vom 25.09.2007 Zweifel daran hegen, dass sich der Ast. wirtschaftlich verhält und die ihm zur Verfügung stehenden Finanzmittel zweckmäßig einsetzt, ist dies nicht beleidigend oder diskriminierend. Vielmehr lässt das Verhalten des Ast. in den letzten Jahren diese Zweifel begründet erscheinen. Die Kammer stellt dem Ast. anheim, darüber nachzudenken, sich - freiwillig - in finanziellen Angelegenheiten unter die Betreuung eines geeigneten Betreuers, der ihm gegebenenfalls auf Antrag vom Amtsgericht zur Seite gestellt werden kann, zu stellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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